Thomas Rietzschel / 06.04.2019 / 12:00 / 58 / Seite ausdrucken

Nach dem Hirntod, doch bei lebendigem Leib

Ja, es gibt sie noch, die alten weißen Männer - und das ist auch gut so. Ihr Hang zum Zweifel bewahrt sie davor, alles und jedes „toll“ zu finden, wenn es nur mit dem Etikett des Neuen und Fortschrittlichen versehen wird, moralisch bemäntelt oftmals. Weil sie schon länger im Sattel sitzen, wissen sie, dass man das Fahrrad nicht ständig neu erfinden muss.

Heißt es gar, die oder der hätten „sich neu erfunden“, packt mich das Erbarmen. Sicher kann sich der Mensch im Laufe seines Lebens ändern, vieles dazu lernen und manches, das er früher für richtig hielt, als falsch erkennen - erfinden kann er sich ganz bestimmt nicht. Wer das für sich oder andere in Anspruch nimmt, haut mit Worten um sich, die er nicht versteht.

Der sprachliche Ausdruck kann nicht falsch genug sein, um Aufmerksamkeit zu erregen. So wird jeglicher Blödsinn, Banales sowie Bedrohliches, großmäulig unter die Leute gebracht, gleich, ob es um die Kultur, die Moral oder die Politik geht. Seine Wirkung verfehlt das nicht, nicht in den Zeiten der Dekadenz. Genüsslich lässt sich die bildungsverarmte Gesellschaft von den Hochstaplern verschaukeln. Einzig die "alten weißen Männer", die auch jünger und Frauen sein können, wollen ihnen nicht auf den Leim gehen. Sie sind die Kinder, die aus der Menge herausrufen, der Kaiser ist doch nackt, öfter sogar ein durchtriebener Rosstäuscher.

Oma bringt Enkelin zur Welt

Wie man den Rapper Bushido als ein „Genie“ feiern konnte, hab ich nie verstanden. Und womit, um alles in der Welt, soll ein Fußballer „Geschichte schreiben“. Nie käme ich bei allem Spaß am Kitsch auf den Gedanken, Helene Fischer oder Roland Kaiser zu den „Künstlern“ zu zählen, sie in einem Atemzug mit Plácido Domingo oder Mozart zu erwähnen, nicht einmal mit den Beatles. Mir genügt es, dass sie Schlager-Sänger sind, als solche ihr Handwerk verstehen.

Ebensowenig lässt es der klare Verstand zu, eine 61-jährige Frau zu bewundern, die als Leihmutter ein Kind für ihren schwulen Sohn und dessen Mann ausgetragen hat. So geschehen dieser Tage in Amerika. „Frau bringt eigene Enkelin zur Welt“, titelte dpa daraufhin. Für einen Tag erregte die Sensation das Staunen einer hedonistisch verwahrlosten Wohlstandsgesellschaft, in der Kinder nicht immer, aber doch immer öfter als Luxusgüter zum Renommee ihrer Besitzer in die Welt gesetzt werden.

Alles ist irgendwie super, der Mensch dem Menschen zum Objekt geworden, brauchbar. Kein Wunder daher, dass auch die Politik Anstalten macht, über das Leben zu verfügen, indem sie die Bürger per se zur Organspendern erklären will, ihre Körper als Ersatzteillager erfassen möchte. Da jeder, der das nicht will, ausdrücklich widersprechen müsste, läuft es bei dem von Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) geplanten Organspendegesetz auf eine moralische Erpressung hinaus. Schlecht soll sich fühlen, wer seine Innereien nicht der Allgemeinheit zur Verfügung stellt, nach dem Hirntot versteht sich, doch nach wie vor bei lebendigem Leib.

Es riecht nach Menschenverachtung

Das Problem ist nicht das Einverständnis zur Entnahme von Herz, Leber, Nieren oder Augen, sondern die Anmaßung des Staates, der über die Körper der Bürger verfügen will wie über eine handelbare Ware. Wo sich die Politik nicht bloß im Krieg, sondern bereits in Friedenszeiten zum Herren über Leben und Tod aufschwingt, wo ein Gesundheitsminister bereits schamlos zugibt, „ja, das ist ein Eingriff in die Freiheit“, während der Gesundheitsexperte der Sozialdemokraten kurzerhand erklärt, „es geht ethisch um eine kleine Pflicht, die aber einen großen Nutzen für die Gesellschaft schafft“, da ist Gefahr im Verzug.

Mit rhetorischem Brimborium wird der Perversion Vorschub geleistet, die Büchse der Pandora geöffnet. Es riecht bedrohlich nach Menschenverachtung. Mit dem Vorwand, denen helfen zu wollen, die ohne ein Spender-Organ sterben müssten, könnten irgendwann auch jene dran glauben müssen, die zwar noch nicht Hirntod sind, aber so krank, dass ihr Leben nicht weiter als Lebenswert eingestuft wird.

Hirngespinste, Panikmache? Nun ja, mag sein. Unvorstellbar jedoch ist das Undenkbare keineswegs. Immerhin hatten wir in Deutschland schon einmal Zustände, unter denen die Politik wenig Rücksicht auf die Kranken nahm, ging es um den Erhalt der Volksgesundheit. Solche Reminiszenzen mögen freilich nur den alten weißen Männer in den Sinn kommen. Den anderen ist die Geschichte zu weit entrückt, als dass sie ihnen eine gewisse Zurückhaltung bei ihrer politischen Planung auferlegen könnte.

PS. Aus Portugal wurde dieser Tage gemeldet, dass abermals eine hirntote Frau von einem gesunden Kind entbunden wurde. Was sie davon mitbekam, womöglich spürte, kann niemand sagen. Nach der Geburt wurde sie ausgeweidet. Die Ärzte entnahmen, was sich verwenden ließ. Ihre deutschen Kollegen hätten genauso gehandelt, entsprechend dem Beschluss der Bundesärztekammer, nach dem ein Hirntoter keine „Schmerzempfinden“ mehr hat, selbst wenn er beim Eingriff noch zucken sollte wie der Hahn, der mit abgeschlagenem Kopf über den Hof fliegt. Was zählt, ist die amtliche Vorgabe.

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Leserpost

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Peter Schreck / 06.04.2019

Ich stimme dem Artikel uneingeschränkt zu, aber es sind nicht nur die dargestellten Gefahren. Vor vielen Jahren veröffentlichte die SZ mal einen Artikel darüber, wie viel die Innereien eines Menschen wert sind. Und dabei zählen bei weitem nicht nur die verpflanzbaren Organe, wie Herz, Leber, Lunge etc. Sondern auch die Augen-Hornhaut, Knochen und vieles mehr wird Organspendern entnommen. Alles in allem locker über hunderttausend Euro wert. Damals wohlgemerkt, wird heute sicher nicht weniger geworden sein. Ich würde ja vielleicht bei der Organspende noch mitspielen, wenn meine Hinterbliebenen 70% des Erlöses bekämen. Aber so ist das einfach nur ein weiteres Geschäft. Dazu kommen noch all die Unklarheiten bzgl. der Bestimmung des Hirntodes. Die Bevölkerungsgruppe, die am schwächsten unter den Organspendern vertreten ist sind nach Umfragen und auch persönlichen Erfahrungen medizinisches Personal. Sie werden schon wissen warum.

Nina Herten / 06.04.2019

‘Hirntote’ als Organspender? Das bringt einen auf Ideen, mit welchem Personenkreis der Anfang gemacht werden könnte (Deutlicher möchte ich jetzt nicht werden. Ich gehe einfach einmal davon aus, dass auch so verstanden wird.). An dieser Stelle: Grüße an die Herren Spahn und Lauterbach (u.a.). - Ich hätte nichts gegen Organspende; wenn ich nicht bereits schlechte Erfahrung damit gemacht hätte, wie leichtfertig Ärzte einen Patienten für ‘hirntot’ erklären. - In diversen Ländern gibt es doch bereits Organraub? Es scheint, unsere politischen Koniferen sind diesem Ansinnen nicht mehr allzu fern.

Wiebke Lenz / 06.04.2019

“Mein Körper gehört mir!” wird doch so gerne propagiert. Obwohl sich jemand willentlich auf Geschlechtsverkehr auf jemanden einlässt und weiß, dass er schwanger werden könnte. “Mein Körper gehört mir!” sage ich jetzt, wenn es darum geht, ob ich ein potentieller Spender wäre oder nicht. Für mich endet das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht mit dem (Hirn-)Tod. Ansonsten könnten wir uns sämtliche Bestattungs- bzw. Beerdigungsregeln sparen. Es ist ja egal, es ist nur noch “biologischer Abfall”. Und welche Angehörigen sollten z.B. widersprechen, wenn ich allein lebend und ohne Eltern und Kinder bin? Das irdische Leben ist schlicht endlich - dies gilt es zu begreifen. Dabei ist es gleichgültig, ob die Person zehn, 50 oder 100 Jahre ist, wenn sie stirbt. Obwohl es bei Kindern und Jugendlichen dramatischer erscheint. (Todkranke Kinder sind übrigens oft weiser als die Erwachsenen, die schwerer damit umgehen können.) Wenn ich lese, dass es zwar ein “Eingriff in die Freiheit” sei, oder noch krasser, “um den großen Nutzen der Gesellschaft” wird mir schlicht schlecht. Niemand hat das Recht, Leichenfledderei zu begehen. Staatliche ist nicht besser als private. Um es hier auch noch der Vollständigkeit zu erwähnen: Ich selbst trage einen Organspendeausweis freiwillig(!) bei mir. Mein Mann möchte nicht “ausgeschlachtet” werden. Wie es meine Kinder sehen, weiß ich nicht. Und niemand kann zu einer Spende gezwungen werden. So jedenfalls sollte es sein.

Karla Kuhn / 06.04.2019

„Es geht ethisch um eine kleine Pflicht, die aber einen großen Nutzen für die Gesellschaft schafft.” Der kann sich doch ausschlachten lassen, jedem Tierchen sein Pläsierchen aber ich habe absolut NICHT die KLEINSTE Pflicht dazu !! Und WAS bitteschön, hätte z B. meine Niere für einen GEWINN für die GESELLSCHAFT ?? WEIß der Mann überhaupt noch, WAS für einen Quatsch der redet ??  Und sowas muß die Allgemeinheit nun ZWANGS finanzieren, ich verlange einen POLITIKER TÜV und regelmäßige ärztliche Untersuchungen, so wie bei Piloten und Polizisten. Spahn und Lauterbach, Du meine Güte !! Herr Gildenhorn bringt es kurz und knapp aber wahr zu Papier !

S.Niemeyer / 06.04.2019

Mit der Hirntod-Diagnose geht es vor allem um Multiorganentnahme + Gewebeentnahme, also auch ggf. Haut, Knochen, Sehnen, Gelenke etc. Neben der Transplantation für Menschen, die auf ein Organ warten, gibt es das Interesse an der Gewebeverwertung als Arzneimittel. Darüber wird ungern informiert.  Die offiziell beklagte “zu geringe Organspendebereitschaft” steht im Zusammenhang mit der Tatsache, dass immer mehr Menschen durch Patientenverfügung für sich lebensverlängernde Maßnahmen ausdrücklich ablehnen (für definierten Fall). Und das verträgt sich nicht so einfach mit der Vorbereitung eines hirntoten Organspenders auf die Explantation. Nicht auszuschließen, dass Spahn & Co. Patientenverfügungen ins Visier nehmen werden, es gilt wachsam zu bleiben.

Bernhard Freiling / 06.04.2019

Das ist halt so. Nachdem der Mensch sich am Feuerwerk mit Schwarzpulver erfreute, hat er es zum Antrieb von Kugeln, die aus Gewehren abgefeuert werden, verwendet. Nachdem er lernte zu fliegen, hat er Bombenflugzeuge gebaut. Nachdem er das Atom spalten konnte, hat er Bomben damit gebaut. Nachdem er die Gene identifiziert hatte, hat er Schafe geklont. Ziemlich sicher befindet sich der erste Mensch schon in der Pipeline. Wenn auf dieser Welt überhaupt auf irgendetwas Verlaß ist, dann darauf, daß Alles was möglich ist, irgendwann auch getan wird. Und wie üblich werden die niederen Instinkte, die uns dazu antreiben, hinter Moral, Ethik und Verantwortung verborgen. Wie ethisch und moralisch ist es, einem anonymen Dritten den Tod zu wünschen, damit man an seine Organe dran kann? Diese ganze Diskussion widert mich an. Wenn das mit Ethik und Moral vereinbar ist, dann wird es auch vereinbar sein, einem noch nicht Hirntoten, aber hilflos an Apparaturen hängenden, die lebenserhaltenden Systeme abzuschalten. Moral und Ethik verfallen nicht schlagartig. Sie gehen leise, still und heimlich unter sich selbst als Deckmantel verloren. Und das wird gefördert von gewissenlosen und verantwortungslosen Menschen, die sich das als Rechtfertigung umhängen, was sie gerade dabei sind, zu zerstören.

Gerhard Hotz / 06.04.2019

Ja, es ist nicht mehr weit bis zu Aldous Huxleys “Brave New World”, wo sich die entseelten Menschen begeistert darauf freuen, der anonymen Allgemeinheit einmal ihre Organe spenden zu dürfen, und wo die Restkörper danach - zu Granulat verarbeitet - der Düngemittelindustrie zur Verfügung gestellt werden.

Christian Fuchs / 06.04.2019

So wie in England amtlich festgelegt wurde, dass Tiere keine Gefühle besitzen. Für jeden Menschen mit Empathie einfach nur widerlich. Mittelalter mit neuen Technologien. Vielleicht ist der Islam doch die Rettung, dann fallen wenigstens die technischen Möglichkeiten weg.

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