Volker Seitz / 18.07.2019 / 06:28 / Foto: Tim Maxeiner / 63 / Seite ausdrucken

Müllentsorgung in Afrika: Wen interessiert’s?

Politik und Gesellschaft diskutieren über den richtigen Umgang mit dem Plastik-Problem. Jedes Jahr landen etwa acht Millionen Tonnen Plastikmüll in unseren Meeren, hat die Umweltorganisation Ocean Conservancy errechnet. Mikroplastik verseucht die Meere und ist schädlich für Mensch und Umwelt. In Deutschland wird die Selbstverpflichtung des Einzelhandels, Plastiktüten abzuschaffen als großer Wurf gefeiert. Immerhin ist der Verbrauch von Plastiktüten seither stark zurück gegangen. Die EU will Einwegplastik bis 2030 verbieten: Plastik-Trinkhalme, Watte-Stäbchen mit Plastik-Schaft, Einweg-Plastik-Geschirr, Luftballons. Mehr als 300 Millionen Tonnen Plastik werden weltweit im Jahr produziert. Wir können durch das Verbot von Trinkhalmen Zeichen setzen, aber Grundlegendes muss sich vor allem in Asien und Afrika ändern.

Die Forscher des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung in Leipzig und die Hochschule Weihenstephan-Triesdorf werteten Daten über die Verschmutzung von 1.350 Flüssen weltweit aus. Der Großteil des Plastiks stammt demnach nicht aus Europa, sondern vor allem aus Asien (Ausnahme: Japan hat ein sehr effektives Müllsammelsystem und ein großes Verantwortungsbewusstsein der Menschen. Deshalb gibt es dort nur eine begrenzte Verschmutzung der Umwelt mit Plastikmüll, obwohl es kein Verbot der Nutzung von Wegwerfplastik gibt) und aus Afrika. Bis zu 90 Prozent des Plastiks, das in die Meere gelangt, wird von zehn Flüssen der Welt transportiert. Acht davon fließen in Asien. In China spülen der Jangtse, der Perlfluss und der Gelbe Fluss („Huangho“) Plastikabfälle ins Gelbe oder Südchinesische Meer.

Das ist insbesondere deshalb interessant, weil das Umweltministerium (BMU) mit deutschen Steuergeldern China u.a. Projekte in Bereichen des Umweltschutzes wie Wassermanagement finanziert. Wenn China unsere Expertise bräuchte, würde es wahrscheinlich sogar für die Leistungen bezahlen. Aber wir geben China über 700 Millionen Euro jährlich zu Entwicklungshilfe-Konditionen. Damit unterstützt der deutsche Steuerzahler eine Weltmacht, die genug Mittel hat, um sich die notwendigen Berater und Projekte selbst zu leisten.

Müllteppiche aus Plastiktüten

Auch die drei wichtigsten afrikanischen Flüsse Nil, Kongo und Niger sind schlimme Verschmutzer. Wasserflaschen, Sandalen, Tüten, Fäkalien, die in Plastiktüten entsorgt wurden, zerbrochene Plastikschüsseln aus China, Kanister, Spielzeug, Reste von Fischernetzen werden angeschwemmt. Im Victoriasee (Tansania, Kenia, Uganda) schwimmen Inseln von Plastikflaschen. Die Sümpfe sind teils Müllhalden. Afrikanische Metropolen werden durch Plastiktüten und leere Trinkwasserbeutel verschmutzt. Sie werden vom Wind durch die Straßen getrieben. Hängen in den Bäumen und ersticken die Böden.

Der Plastikmüll verstopft Abwasserkanäle, die zu Brutstätten für Malariamücken werden. Durch Plastikmüll-Verstopfungen in den offenen Abwasserkanälen kommt es zu Überschwemmungen ganzer Stadtviertel mit Kloake. Nur in wenigen Ländern Afrikas gibt es Müllentsorgungssysteme. In vielen Ländern gibt es in der Regel keine Verwertungssysteme für Abfall und Wertstoffe. So gelangen Plastiktüten nach ihrem Gebrauch unkontrolliert in die Umwelt. Wenn man zum Beispiel durch den Niger reist, erkennt man eine nahende Ortschaft daran, dass dem Reisenden Müllteppiche aus Plastiktüten entgegenkommen. Der Zersetzungsprozess soll je nach Kunststoffsorte zwischen 100 und 500 Jahren dauern.

Lagos gilt als die schmutzigste Metropole auf dem Kontinent. Abgase, verseuchtes Wasser und Müllberge machen vielen Bewohnern das Leben zur Hölle. Eine Abfallgesetzgebung gibt es in Nigeria trotzdem noch nicht. Lediglich 40 Prozent des täglichen Abfalls werden von der Stadtverwaltung in Lagos gesammelt. Den Rest holen kleinere private Abfallentsorger, ausgestattet mit einer mehrjährigen Konzession für ein bestimmtes Stadtviertel. Sie holen den Haushaltsmüll einmal in der Woche ab. Oft wird der Abfall nur auf offene LKW geladen. Mülltrennung findet nicht statt. Nur die informellen sogenannten Scavengers (Aasgeier) picken sich vor der Abholung Wertstoffe wie Glas oder Metall aus dem Müll heraus. Nicht selten haben die Scavengers ihren Wohnsitz auf der Müllhalde. Sie spezialisieren sich auf das Einsammeln bestimmter Rohstoffe, die sie an Händler weiterverkaufen.

Bilikiss Adebiyi-Abiola hat nach dem Studium in den USA 2012 das Abfallverwertungsunternehmen WECYCLERS gegründet. Das Unternehmen kauft Slumbewohnern von Lagos Plastikmüll, Pappe, Aludosen und Glas ab. Der Müll von circa 10.000 Familien wird von Mitarbeitern der Firma per Lastenrad eingesammelt und an private Recyclinganlagen verkauft. WECYCLERS gewann im März 2019 als erstes Umweltunternehmen den mit 200.000 Euro dotierten Afrikanischen Entwicklungspreis der belgischen König-Baudouin-Stiftung. Das Preisgeld soll dem Unternehmen ermöglichen, von Lagos aus auch in andere nigerianische Städte und Nachbarländer zu expandieren.

Ruanda hat die Gefahr erkannt

Ruanda war das erste afrikanische Land, das 2004 Plastiktüten verboten hat. Es hat die Einfuhr, die Herstellung und die Verbreitung von Plastiktüten verboten. In allen Geschäften werden die Einkäufe in Papiertüten verpackt. Eritrea, Tansania, Südafrika, Gabun (2010), Kongo (2011), Mali (2013), Mauretanien (2014), Kamerun (2015), Marokko (2016) und Tansania (2019) folgten mit dem Plastiktütenverbot. Im Tschad gab es ein derartiges Importverbot bereits seit 1993, aber es wurde nie durchgesetzt. Erst 2010 hat die damalige Bürgermeisterin der Hauptstadt N’Djamena die Durchsetzung des Gesetzes erzwungen. Jede Plastiktüte wird konfisziert. Der Besitzer, ob Kunde oder Händler, wird angeblich festgenommen. Die Verbreitung der Tüten kann mit einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Gleichzeitig soll eine Geldbuße von umgerechnet 76 bis 457 Euro fällig werden.

Bei den meisten Afrikanern spielt der Umweltschutz und der schonende Umgang mit Ressourcen im Alltagsleben noch eine untergeordnete Rolle. Nur wenige Menschen machen sich Sorgen um Umweltbelastungen und die Verantwortung für künftige Generationen. Nachhaltig ökologische Engagements wie beim Tourismus in Botswana, Mauritius, Ruanda und auf den Seychellen gibt es nur vereinzelt. Nur wo sich die Einstellung der Regierenden zur Umwelt geändert hat und verstanden wird, dass das Thema zentral für die Lebensqualität der Menschen ist, dort wird es auch einen Bewusstseinswandel geben. Die Regierung von Ruanda hat früh erkannt, welchen Schaden Plastik anrichtet. Eingeführte Plastiktüten werden bei der Einreise sofort beschlagnahmt. Seit 2006 wurden Plastiktüten komplett verboten. Auch deshalb ist die Hauptstadt Kigali mittlerweile die sauberste Stadt Afrikas.

Ruanda wird straff regiert, aber es ist eine verantwortungsvolle Politik, die das Gemeinwohl in den Vordergrund stellt. Das Land ist Vorbild in puncto Sauberkeit und Umweltschutz. Es gilt als eines der saubersten Afrikas. In den größeren Städten gibt es eine Müllabfuhr. Mülltrennung ist vorgeschrieben. Seither hat sich eine prosperierende Recyclingindustrie entwickelt. Plastikabfall wird recycelt, beispielsweise zu Müllbeuteln oder Rohmaterial für neue Produkte. In Afrika naheliegende alternative Verpackungsmaterialien oder Körbe aus Sisal, Bambus oder Wasserhyazinthen haben bislang allerdings die billigen Plastiktüten noch nicht ersetzen können.

Auch wenn in einigen Ländern Afrikas Fortschritte gemacht werden, von einer funktionierenden Müllentsorgung sind die meisten Länder noch weit entfernt. Kaum eine Regierung interessiert sich für Vermeidung oder weiß von Aufarbeitung von Plastikmüll. Das meiste Plastik endet auf überfüllten Müllkippen, die ständig brennen und eine riesige Umweltbelastung für Gemeinden darstellen. Auf grundlegende Änderungen muss noch gewartet werden. Mit dem Verbot von Wattestäbchen mit Plastik-Schaft werden die Weltmeere vermutlich nicht gerettet.

 

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe erschien im September 2018. Volker Seitz publiziert regelmäßig über afrikanische Themen und hält Vorträge.

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

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Stefan Zorn / 18.07.2019

Nichts wird so wenig geglaubt wie die Wahrheit. ..

Gabriele Kremmel / 18.07.2019

Die Deutschen sind zu (beschäftigt?) zum denken und haben kein Verhältnis zu Verhältnismäßigkeit, das merkt man gegenwärtig bei der Nötigung des Kunden zum Plastiktütenverzicht. Wenn ich jetzt meine, lediglich in Papier eingewickelten und Fleisch- und Wurstwaren in eine Stofftasche oder in meine Handtasche stopfen soll, weil mir der Stapel unverpackt einfach auf die Theke gelegt wird, dann werde ich ehrlich gesagt sauer (jüngst genauso passiert). Mir sind sogar schon Papiertüten mit Metzgerware durchgeweicht und alles was mit im Einkaufskorb lag war mit rohem Fleischsaft oder fettig versuppt. Hier geht es also nicht ums tragen sondern um Hygiene. Beim Spontankauf von 2 sehr kleinen Bilderbüchern, als Lockware ausgelegt im offenen Eingangsbereich bei Thalia, soll man eine riesige Stofftasche für 1 Euro erwerben, wegen Umweltschutz (?). Kleine Papier- oder Plastiktüten gibt es da nicht mehr. Keine Rolle spielt der Umweltschutz hingegen bei dem Werbeaufdruck auf der Stofftasche und bei dem Stapel Werbeprospekte, die ungefragt bei jedem Einkauf dem Kunden dazu gelegt werden. Der ökologische Fußabdruck einer Baumwolltasche ist verheerend gegenüber einer dünnen Plastiktüte. Selbst wenn man nur Transportvolumen- und Gewicht vergleicht, muss einem schon schwanen, um wieviel mehr Diesel-LKW-Fahrten nötig sind, um die Stofftaschen in gleicher Anzahl an den Verbraucher zu bringen. Da sind die Baumwollherstellung, der Transport der Rohware, die Weiterverarbeitung und Weitertransporte noch gar nicht berücksichtigt. Aber erklären Sie das mal den Betreffenden, da hört man dann nur: Ja, aber es ist kein Plastik. Man möchte ihnen ins Gesicht schreien: Na und?!

Leopold Hrdlitschka / 18.07.2019

Es geht ja vor allem darum sich hier als Retter zu stilisieren.

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