Moralischer Haudegen im Cocktailkleid

Kaum ein paar Tage im Amt, tritt die neue deutsche Außenministerin als Moralapostelin auf. China, Russland, Polen, alle kriegen ihr Fett weg. In der Moralphilosophie nennt man das „Rechtfertigungsdiskurs“.

Die Moralphilosophin Seyla Benhabib sah hierbei folgendes Dilemma:

„Da moralische Rechtfertigungsdiskurse prinzipiell unabschließbar sind, kommt es unvermeidlich zu Widersprüchen zwischen den moralischen Verpflichtungen, die aus unserer Zugehörigkeit zu begrenzten Gemeinschaften resultieren und der moralischen Perspektive, die wir als Menschen einnehmen.“ (Die Rechte der Anderen. Frankfurt 2008, S. 26)

Also: Einerseits gehören „wir“ begrenzten Gemeinschaften an. Eine „begrenzte Gemeinschaft“ ist zum Beispiel der Staat, in dem „wir“ einen deutschen Pass haben oder emphatischer gesagt: ein „Volk“ sind. Moralische Verpflichtungen hat zum Beispiel der Bundeskanzler: Er muss „Schaden vom deutschen Volke abwenden“. Das muss dann auch die deutsche Außenministerin. In Polen müsste sie im Geist des Kniefalls von Willy Brandt auftreten und nicht wie eine Moralkommissarin.

Andererseits nehmen „wir“ in diesem Rechtfertigungsdiskurs auch eine Perspektive ein, natürlich eine moralische, und zwar „wir als Menschen“ (also will dann auch die neue deutsche Außenministerin ihrer Klientel demonstrieren, dass „wir“ auch „Menschen“ sind – ein „Wir“ als Unmenschen gibt es nicht). Und „wir“ haben damit das Recht, lautstark nicht nur das Weltklima, sondern auch die Moral auf dem Planeten zu retten. „Wir“ haben die UNO im Rücken, die ganzen Menschenrechte, das zweifellos Gute, und so bekämpfen wir „als Menschen“ eben mit diesem Haudegen des Guten alles Böse dieser Welt. Also tritt die neue Außenministerin als „Mensch“ im Cocktailkleid auf – das ihr ausgezeichnet steht – und watscht alle Bösen dieser Welt ab. „Wir als Menschen“ sind eben unwiderstehlich.

 

Dieter Prokop ist Professor em. für Soziologie an der Universität Frankfurt. Sein aktuelles Buch heißt „Warum die Tiere jetzt immer 'essen'. Und andere mehr oder weniger unterhaltsame Stücke“. Hier bestellbar.

Foto: Archi Bechlenberg

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Leserpost

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Bernd Keller / 11.12.2021

Als Antwort auf die Warschau Beiträge: Haben Sie mal Bilder von Aachen oder St Vith (B) gesehen? War auch nicht schön. Diese Frau wäre maximal als Gemüseverkäuferin tauglich. Aber hey, hier ist Eifel! Und wir fallen nicht um.

Adam von Schluchz / 11.12.2021

Mein G‘t welch Elite haben wir da an den Hebeln der Macht. Mit überbordendem Selbstbewusstsein, bar jedem historischen Wissen trampeln sie in der Weltgeschichte herum. Diesmal muss es aber klappen mit dem Deutschen Wesen. Wir sind die Moralinweltmeister, wir retten den Planeten. Habeck, Annalechen, klein Kevin, Esken und Genoss:innen.

Hjalmar Kreutzer / 11.12.2021

„Wir treten alle vor den Bauch mit sieghaften Gebärden“, dichtete schon Kurt Tucholsky alias Theobald Tiger am 04.07.1918 in der „Weltbühne“ über das Benehmen deutscher Politiker unmittelbar nach dem verlorenen I. Weltkrieg. „Wünsche“ hieß das Gedicht. Folgerichtig riet er eine Strophe zuvor: „Vom Recken wird man noch nicht groß. Bleibt ruhig noch auf Mutterns Schoß, sie hat die klügern Hände. Welche Personen durch welche politischen Imponderabilien zu ihrer Inauguration gelangt sind, bleibt oft kryptogenetisch.

Rainer Mewes / 11.12.2021

Ein Nachtrag zu meiner These: “In Brüssel stellte Scholz der Nato mehr Finanzmittel in Aussicht”. Der grinsende Kobold kann also auch Außenminister.

Johannes Schuster / 11.12.2021

@Dana Winter: Bis in die 1990er waren in Warschau aber wirklich überall die Folgen des Krieges zu sehen. Und die Folgen des Kommunismus. Die HIV - positive Prostituierte, die um ein paar Zloty bettelte, oder diese Tristes der weiten Plätze. Aus dem Auto steigen und in schlechtem Teer die westlichen Schuhe ruinieren, oder Wasserski - Fahren auf der Weichsel, russischer Kaviar auf Umwegen aus der Botschaft bei uns auf dem Ferientisch gelandet. Meine tiefsitzende Aversion gegen deutsche Weltretter und kommunistische Utopisten dürfte sich aus vielen solcher Eindrücke herleiten. Immerhin waren die Deutschen schuld daran, daß Stalin Polen überrennen konnte. Schon für diese Folge eines verheerenden Expansionsregiemes muß Deutschland an Polen zahlen in Tageszinsen. Der 2+4 Vertrag regelt die Deutschlandfrage nicht jedoch die Ansprüche aus deutschen Verbrechen. Ich hätte die Baerbock drei Stunden in Plaszow im Cocktailkleid in der Witterung schmoren lassen und sie dann gefragt wie sich das anfühlt und was sie draus lernt zu frieren, wie die Obdachlosen, die man wegen 3G nicht mehr in die Bahnhöfe läßt. Es ist ja nicht so, daß die Deutschen bessere Menschen wurden, sie haben ihre Segregationspolitik nur verlagert und suchen sich manisch andere Sündenböcke. Hätten die Deutschen noch ihre alte Stärke, Europa würde alle 30 Jahre in einem Krieg versinken. Heute kommen sie mit Hygiene statt mit Panzern, die Aggression ist die gleiche.

Burkhard Mundt / 11.12.2021

Warum geht man bei dieser Person immer wieder auf Äußerlichkeiten ein? Hier: “Cocktailkleid - das ihr gut steht - “. Wenn Baerbock Außenministerin Faeser Innenministerin und Lauterbach Gesundheitsminister werden können, dann ist klar: Deutschland hat fertig.

a.ziegler / 11.12.2021

Jeder Artikel über Annalena ist Zeitverschwendung, insbesondere, wenn der Text sich auf einem relativ anspruchsvollen Niveau befindet. Sie kann das schlicht nicht verstehen.

Werner Gottschämmer / 11.12.2021

@Peter Thomas / 11.12.2021. Damit könnten Sie tatsächlich recht haben. Alle ein Kurs, alle eine Gesinnung. Alle stützen und schützen sich gegenseitig. Eine einzige Mischpoke. Nur Darsteller. Frage mich immer wieder und wieder was sind das für Leute, wie funktioniert deren Hirn? Was geht darin vor. Geklont mittlerweile? Außerhalb meines Spektrums des Verstandes. Wie schon 2017 kann ich von mir sagen; Kann mir nix vorwerfen, mit meiner kleinen Stimme alles versucht.

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