Ich war einst stolz. Stolz auf meine FDP, dass wir es gemeinsam geschafft hatten, in den Bundestag wieder einzuziehen, stolz darauf, eben nicht in einer „Jamaika-Koalition“ als Steigbügelhalter fungiert zu haben, stolz darauf, dass der freiheitliche, liberale und marktwirtschaftliche Gedanke doch immerhin für 10 Prozent aller Wähler derart interessant war, dass sie „meiner“ FDP ihre Stimme gegeben haben.
Was ist seitdem passiert? Zuerst einmal gab es ein großes Mimimi, dass die FDP-Fraktion neben den Höllenteufeln der AfD sitzen sollte. Wie schrecklich. Ja, wie sieht denn das aus? Könnte da bei der Sitzordnung nicht ein anderer … Nein? Na gut. Aber nur unter Protest. Nachdem sich die Bundestagsverwaltung weigerte, wegen der AfD ein Loch in den Boden des Plenarsaals zu stemmen, damit diese niedriger als die lieben Parteien sitzen müssen, hat das die liberale Fraktion der sehr liberalen FDP zähneknirschend in Ausverkauf genommen. Hauptsache, man war wieder „drin“. Ein erstes Anzeichen, dass sich hier eine Partei auf den Weg machte, sich zum politischen Löffel zu machen.
Danach kam eine längere Strecke liberallastiger Oppositionspolitik, bis versehentlich ein FDP-Mann mit den Stimmen der Falschen zum Ministerpräsidenten eines B-Bundeslandes gewählt wurde – und der in und zu seiner Verblüffung das Amt auch noch annahm. Hui, flogen da der FDP die medialen Dreckbrocken um die Ohren. Das ganze linke neue Deutschland war entsetzt. Ein FDP-Mann, der mit AfD-Stimmen gewählt wurde. „Das geht so gar nicht“, sagte die Kanzlerin der Herzen und der Minute-Miniman von Deutschlands folgsamster Oppositionspartei machte sich noch am Abend des Wahlsiegs seines Parteikollegenfreundes auf einen scharfen Mitternachtsritt nach Erfurt, um jenen von der Schrecklichkeit seines Wahlsiegs zu überzeugen. Was ihm auch gelang.
„Hitler“ konnte am „Tag von Erfurt“ gerade noch so verhindert werden. Dass Kemmerich auch mit CDU-Stimmen gewählt wurde – geschenkt. Dass sich SPD und Grüne lieber für den Kandidaten der Ex-SED entscheiden wollten – nicht der Rede wert. Ein FDP-Mann darf nicht Ministerpräsident sein. Kemmerich trat mit eingekniffenem Schwanz zurück und händigte seine liberalen Eier dem Bundesvorstand aus. Sonst wären die Angela und der Christian und der Bodo traurig gewesen. Das wollte und will ja niemand.
Christian, „der Entschuldiger“ Lindner
Kemmerich kämpft in der Folge verzweifelt darum, seine „Eier“ wiederzubekommen. Er läuft tapfer bei einem „Spaziergang“ in Gera, organisiert von dem CDU-ler Peter Schmidt, mit und hält sogar eine Rede zum Thema „Corona-Exit mit Maß und Mitte“. Ganz stolz verkündet er auf Twitter auch noch, dass diesmal, hehehe und hahaha, nur er und Schmidt etwas zu sagen hatten und pinnt an seinen Tweet sicherheitshalber ein HashtagNoAfD. „Brav“, möchte man sagen. „Gut gemacht“, möchte man loben und Kemmerichs kahles Haupt tätscheln. Aber ach … Er hat keine Mindestabstände eingehalten und mitten im Freien auch keinen „Mund-Nasen-Schutz“ getragen. Außerdem waren unter den Mitlaufenden auch wahrscheinlich finstere Verschwörungstheoretiker und Verschwörungspraktiker und vielleicht war sogar der ein oder andere AfD-Sympathisant unter den Mitwankenden.
Nach massiver Kritik, mal wieder aus den Medien, werden Kemmerich aus der FDP-Zentrale die nicht vorhandenen Haare geföhnt. „Wer sich für Bürgerrechte und eine intelligente Öffnungsstrategie einsetzt, der demonstriert nicht mit obskuren Kreisen und der verzichtet nicht auf Abstand und Schutz. Die Aktion von Kemmerich schwächt unsere Argumente. Ich habe dafür kein Verständnis“, versteht ihn Christian, „der Entschuldiger“ Lindner nicht und Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Stil-und Namens-Ikone der Liberalen, legt dem armen Kemmerich den Parteiaustritt nahe.
Auf aber die Idee, eigene Demos für „Bürgerrechte und eine intelligente Öffnungsstrategie unter Einhaltung der geltenden Regeln“ zu veranstalten, kommen die gutaussehenden Damen und Herren der Bundeszentrale nicht. Und der Kemmerich? Statt sich gerade zu machen und zu sagen „Grundrechte sind unser höchstes Gut und es ist mein Job als Liberaler, diese zu verteidigen“, knickt dieser ein und entschuldigt sich, dass er im Freien keinen Mundschutz trug und nicht jeden Teilnehmer nach seiner Intention zum Mitlaufen befragt hat. Kemmerichs „Eier“ rücken in weite Ferne im Hans-Dietrich-Genscher-Haus.
„Wahlrecht ab Geburt“
Doch es nutzt alles nichts: Das Medienimperium schlägt auf die FDP zurück und ein. No pasarán! Diesmal erwischt es den Vorturner, Kemmerich-Kämmer und Chefmotivator der FDP höchstpersönlich. Er hat nämlich – lehnen Sie sich zurück, nehmen Sie Ihre Herztropfen und regen Sie sich nicht auf – nach einem gemütlichen Geschäftsessen in einem Berliner „Hier treffen sich die Reichen und Schönen der Politik aufn Schnitzel aus von Tieren gefördertem Fleisch“-Lokal seinen Mitesser umarmt. Und er hat das ohne Mundschutz getan. Einen Leipziger Immobilienunternehmer umarmt. Ich hatte Sie, lieber Leser, ja gewarnt. Das tut man nicht, im Jahr 2020.
Das ist ein Schlag ins maskierte Gesicht jedes Deutschen, der Leipziger Immobilienunternehmer nur mit Mund-Nasen-Schutz und zwei Metern Abstand verabschiedet. Folgerichtig gibt nun auch Christian Lindner seine Kronjuwelen ab und entschuldigt sich für seinen schweren Ausnahmefehler mit der klassischen FDP-Feststellung: „Auch in diesen angespannten Zeiten der Corona-Epidemie bleibt man Mensch“. Das hat er sich von Rainer, dem Brüderle aus dem Rheinländle, abgeguckt, der „am Ende auch nur Mensch sein“ wollte.
Nachdem sich nun also menschliche Entschuldigung an Entschuldigung an Entschuldigung gereihert hat, kehrt die FDP mit knallharter Sachpolitik wieder zur Oppositionsarbeit zurück: Hermann Otto Solms, FDP-Firlefanzexperte und Ex-Bundestags-nur-stellvertretender-Präsident legt die 80-jährigen Finger in die großen Wundfragen des deutschen Volkes – oder vielmehr der auf dem Territorium Deutschlands lebenden Menschen – und fordert (Sie haben die Herztropfen noch? Nehmen Sie noch einen tiefen Schluck! Am besten mit Cognac!) ein „Wahlrecht ab Geburt“! Ja, „Helau“ und so!
Niemand mag Schleimer
Jetzt mal Tacheles: Wäre ich nicht so ein langmütiger und lässiger Typ – ich hätte diesem Verein herumkaspernder Dilettanten und Mundschutzschmuser schon lange meine Kündigung geschickt. Da sehnen sich 10 Prozent aller Wähler nach einer liberalen Partei der Vernunft, der Marktwirtschaft und der Bürgerrechte und bekommen einen Haufen Umfaller ohne Rückgrat, die schon auch so irgendwie eventuell vielleicht oder auch nicht Koalitionsoppositionspartner*in sein wollen können. Aber man muss ja auch, wenn man schon – Im liberalen Sinne heißt liberal nicht nur liberal … – auf gar keinen Fall jedoch irgendwie, irgendwo, irgendwann anecken wollen. Entschuldigung: Was für eine Opposition soll das sein?
Da draußen laufen sie … die Gastronomen, Künstler, Angestellten und Selbstständigen, kurz: die Steuerzahler, die sich klare Positionen, klare Aussagen und inhaltliche Auseinandersetzungen wünschen – und in Berlin macht man sich Sorgen um das Bild bei SPD und Grünen-rettet-die-Wä(h)ler*Innen, statt um das Bild der Partei in der Bevölkerung und speziell bei den eigenen Mitgliedern und Wählern. Die FDP will von allen geliebt werden – und wird es deshalb von keinem. Niemand mag Schleimer.
Ganz im Ernst: Diese Partei ist derzeit nicht mehr als eine Lachnummer im Schisser-Doppelripp. Und wundert sich, warum sie in jeder handgeklöppelten Umfrage um die Fünfprozent-Hürde herumkrebst – um nicht zu sagen „herumcoronat“. Macht nur weiter so, Ihr Entschuldigungsspezialisten… und Ihr werdet wieder „mit der Aufgabe der außerparlamentarischen Opposition betraut“. Zu Link. „Zu Recht(s)“ wolltet Ihr ja nicht sein.
(Weitere Parcoursritte des Autors auch unter www.politticker.de)