Interview / 29.03.2022 / 06:15 / Foto: Imago / 102 / Seite ausdrucken

Lebensmittel: „Die Regierung begreift die schwere Lage nicht“

Der Diplom-Landwirt Dirk Andresen betreibt zwei Bauernhöfe in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Er war Sprecher des Vereins „Land schafft Verbindung“, der die Traktorenproteste Ende 2019 organisierte. Aus diesen Demonstrationen enstand auf Betreiben von Angela Merkel und in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bauernverband sowie „Land schafft Verbindung“ die Zukunftskommission Landwirtschaft, dessen Mitglied Dirk Andresen ist. Er trifft regelmäßig Politiker wie Friedrich Merz oder Cem Özdemir, um landwirtschaftliche Anliegen zu vertreten. Im Interview schildert er den Einfluss des Ukrainekriegs auf die Lebensmittelversorgung. Das Gespräch führte Ulrike Stockmann.

Welche Folgen wird der Ukrainekrieg auf die Versorgung mit Lebensmitteln in Deutschland haben? Werden uns bestimmte Lebensmittel ausgehen und wenn ja, welche?

Dirk Andresen: Ich erwarte in diesem Jahr keine Ausfälle, aber wir werden sicherlich Einschränkungen im Bereich Sonnenblumenöl oder Senf haben – da diese vor allem auch aus der Ukraine kommen.

Eine schlussendliche Prognose zu machen, ist schwierig, da wir die aktuelle Ernte nicht eingefahren haben und wir das grundsätzliche Problem haben, dass zur Zeit auch wieder kein Regen fällt. Klar ist aber, dass zum Beispiel der fehlende Weizen aus der Ukraine und Russland circa 30 Prozent der weltweiten Weizenmenge ausmachen.

Dies wird auch der deutsche Verbraucher nachhaltig merken, und wir erwarten Preissteigerung von mindestens 30 Prozent bei einigen Produkten. Dramatischer ist die Lage im Jahr 2023, da hier die Folgen der jetzigen Krise massiv präsent werden.

Schon durch die Coronakrise ist es zu Lieferengpässen bei Lebensmitteln und anderen Produkten des täglichen Bedarfs gekommen. Wie sind aktuelle Versorgungsengpässe zu bewerten? Welche Krise ist für die Versorgung mit Lebensmitteln bedrohlicher – Corona oder der Ukrainekrieg?

Dirk Andresen: Lieferengpässe werden vor allem auch durch gestiegene Energiekosten und Betriebskosten entstehen. In diesem Bereich zum Beispiel durch die Logistik – LKWs, Traktoren oder auch die Gewächshausproduktion brauchen einfach Diesel, Gas oder Heizöl.

Ein weiteres wesentliches Problem ist der hohe Gaspreis, der dazu führt, dass der Düngerpreis sich vervierfacht hat. Mineralischer Dünger ist zumindest zu 45 Prozent am Ertrag beteiligt – und wird über das Haber-Bosch-Verfahren mit Gas erzeugt.

Darüber hinaus fehlt die absolute Menge Dünger – der zu einem sehr großen Teil aus Weißrussland (Kali), Russland und der Ukraine kommt.

Die Coronakrise hat im Ansatz keinen so hohen Einfluss auf die Versorgung gehabt – der aktuelle Ukrainekrieg ist deutlich schwerwiegender, da hier eine effektive verfügbare Mengenveränderungen stattfinden wird.

Wie bewerten Sie als Landwirt die deutsche Politik in Hinblick auf die Gewährleistung einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung?

Wir haben deutlich das Gefühl, dass die deutsche Regierungskoalition noch nicht begriffen hat, in welcher schwerwiegenden Lage wir uns befinden.

Speziell unsere Energie- und Ernährungsversorgung befinden sich in der sogenannten Zeitenwende. Jedoch hat unser Landwirtschaftsministerium dieses im Gegensatz zu beispielsweise Robert Habeck noch nicht erkannt.

Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir es uns zu diesem Zeitpunkt leisten können – und zwar sowohl ethisch als auch moralisch – auf Ertragsmenge durch eine politisch befohlene Extensivierung zu verzichten.

Viele Länder in Afrika benötigen Lebensmittel beziehungsweise Getreide, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. Aktuell hat sich der Getreidepreis verdreifacht und ist für viele Staaten wie zum Beispiel den Libanon oder Kenia unerschwinglich. Es fehlt auch hier der Dünger und sogar das Saatgut, um die nächste Ernte zu organisieren.

Die Transformation der Landwirtschaft ist aber das oberste Ziel des deutschen Landwirtschaftsministers, und die damit verbundene Extensivierung reduziert die Menge. Verstehen Sie mich nicht falsch, wir Landwirte können Veränderungen leisten, jedoch nicht mehr auf Kosten der eigenen Existenz. Viele meiner Berufskollegen haben aufgehört, und unsere Produkte kommen zunehmend alternativ aus dem klimaschädlich abgeholzten Regenwald.

Der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir scheut sich, aktuell dazu Stellung zu nehmen. Ich würde mir wünschen, wenn wir uns im europäischen Rahmen bewegen würden und nicht einen deutschen Alleingang zu diesem Zeitpunkt organisieren.

Inwiefern sind wir für unsere Grundversorgung vom Weltmarkt abhängig?

Unser Ernährungsverhalten kann sich anpassen, insofern können wir einen großen Teil unserer eigenen Versorgung selbst darstellen. Jedoch haben wir zum Beispiel durch die Energiekrise, die wir jetzt erleben, das Problem, dass sich die Produktion in Deutschland nicht mehr lohnt.

Hinzu kommt, dass etwa der Mindestlohn, der im Herbst zum Tragen kommen soll, unsere Konkurrenzfähigkeit zum Beispiel bei der Apfelernte aushebelt. Denn die italienischen Äpfel werden ungefähr zum halben Preis gepflückt. Der Verbraucher schaut auf den Preis und honoriert die regionale Herkunft nicht ausreichend.

Welchen Rat geben Sie Verbrauchern anlässlich steigender Lebensmittelpreise? Gibt es Möglichkeiten, weniger hart von den Preissteigerungen getroffen zu werden?

Eine künstliche Verknappung durch Hamsterkäufe erhöht die Preise und muss aktuell nicht sein. Ich glaube, wir können es alle verkraften, dass wir eine Zeit lang auf Sonnenblumenöl verzichten, da es genug Alternativen gibt. Eine Nachhaltigkeit im Verbrauch und ein sorgsamer Umgang mit Lebensmitteln kann viel dazu beitragen – aktuell werden 40 Prozent der Lebensmittel weggeschmissen.

Foto: Imago

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Karl Napp / 29.03.2022

“Die Regierung begreift die schwere Lage nicht“, meint der Autor? Sie wird ihr - wie so oft - nicht gerecht, ist meine Betrachtung. Während der Regierungszeit von Frau Dr. Angela Dorothea Merkel, haben sich die Damen, Herren und Diverse Volksvertreter:Innen daran gewöhnt, den den alternativlosen Lösungsansätzen ihrer alles vom Ende her bedenkenden, sie leitenden Physikerin zu folgen. Nun haben wir den Salat. Lange angerichtet, aktuell serviert.

Peter Holschke / 29.03.2022

Eine gewagte These, dass die Regierung das nicht begreift, welche hinterfragt werden sollte. Vielleicht begreift sie das ja, weil Verknappung, gar Notstand in ihren Absichten entspricht.

Dr. Freund / 29.03.2022

Die kurzfristige Lösung ist FdH. Könnte auch Probleme im Gesundheitsbereich verringern, nehme mich da selbst nicht aus. Verhungern muss hier keiner,erfrieren in geschlossenen Räumen auch nicht. Alte Leute können davon berichten,wie es damals zuging,die Stube, Küche war gut geheizt,sonst war es kühl im Haus, für kalte Füsse gabs eine Wärmflasche. Verschwendung von Lebensmitteln gabs auch kaum, wer nicht aufass bekam danach weniger auf den Teller,so einfach.“Krise als Chance”, Erdung statt Wohlstandsverwahrlosung. Für Lebensmittel wurde früher prozentual mehr ausgegeben als heute, Wohnraum war auch nicht mehr vorhanden, trotzdem hatten 80 Millionen ein Dach über dem Kopf. Opa/Oma hatten ihr Zimmer, heute leben sie allein im Haus,weil die Jungen weggezogen sind,wegen Beruf oder Komfort, oder weil es einfach möglich war. Wenn alle nach “Selbstverwirklichung"streben , kann es wieder zu eng werden,Wohnraum wird unbezahlbar, Spekulanten freuen sich, einTeufelskreis,und Oma/Opa hüten allein das Haus.

Michael Hofmann / 29.03.2022

Liebe Leute-es muss nicht heißen “Die Regierung begreift die schwere Lage nicht”, es muss heißen “Diese und die vorherige Regierung haben nichts begriffen und immer die schlechtesten Entscheidungen getroffen”. Wir stehen in den Trümmern der 16 Jahre Missregierung der Abrissbirne Merkel. Die neuen Clowns,  selbst bei bestem Willen, werden es nicht richten können. Es fehlt an jeglichem Kompetenz . Wir tragen die Verantwortung, denn “wie bestellt so geliefert”.

S. Wietzke / 29.03.2022

Natürlich begreift die Regierung sie Lage. Aber da das Ziel des gemeinen Deutschen ja die feudaltotalitäre Elendsgesellschaft ist verstehe ich den Sinn des Artikels nicht. Läuft dich. P.S.: Falls jemand aus diesem Kommentar die Schlussfolgerung zieht das ich den überwiegenden Teil der Bewohner des Landstrichs zwischen Rhein und Oder sowohl intellektuell wie auch charakterlich für völlig derangiert halte hat er Recht. Heilung unwahrscheinlich. Ich gehe davon aus das das genetisch bedingt ist. Und an die Autorin Frau Stephan eine kleine Anmerkung. Es gibt keinen Grund den Normalen zu loben. Der war schon immer das eigentliche Problem.

H. Krautner / 29.03.2022

Die aktuellen teilweise leeren Regalen kommen fast nur durch das falsche Verhalten (unsinnige Hamsterkäufe) der Verbraucher zustande, die durch die Medien ausgelöst und angetrieben werden. Es ist z.B. kein Mehlmangel in Deutschland zu befürchten, da Deutschland bei der Getreideproduktion eine 100%ige Selbstversorgung produziert. Trotzdem hamstern die Leute die Mehlregale leer.          Auf Sonnenblumenöl kann man doch wohl verzichten, zumindest braucht man es nicht in großen Mengen zu hamstern.            Mit ihrem dummen Verhalten treiben die Verbraucher selber die Lebensmittelpreise in die Höhe, denn die Händler benutzen diese Situation gerne, um zusätzlich ihre Gewinnspanne zu erhöhen. Insbesondere Geschäftemacher und Verbraucherverhalten treiben in solchen Zeiten die Preise bei vielen Produkten in die Höhe und nicht deren Knappheit.      Selber Denken ist leider bei einem Großteil der Bevölkerung out.

Lothar Hannappel / 29.03.2022

Warum beschönigen wir eigentlich immer noch die Lage? Egal ob die Regierung die Lage richtig oder falsch einschätzt. Sie ist einfach unfähig die Inzeressen dieses Landes zu vertreten. Wenn eine Fußballmannschaft 5 Tore hinten liegt und weiterhin keinen Zweikampf gewinnt und am Tor vorbei schießt, dann würde doch auch keiner auf die Idee kommen: “Die kapieren den Ernst der Lage nicht”

Hans Kloss / 29.03.2022

Also 40% weggeschmissen - ich kann mich vorstellen dass es hier eine Menge verfaulter Waren gibt - das ist normal wenn man frische Produkte verkauft. Ich bezweifle dass es sich viel da machen lässt. Besonders wenn man auf Plastik als Packmittel verzichten will. “Der Verbraucher schaut auf den Preis und honoriert die regionale Herkunft nicht ausreichend.” in der Tat. Wenn ich darüber denke warum es so teuer ist, dann kaufe ich billigere Produkte. Übrigens Dank Maskenpflicht bei deutschen Händler habe ich angefangen Einkäufe in NL zu machen - da ist zwar teurer aber die Qualität scheint deutlich besser zu sein. Ich respektiere natürlich Schweiß und Fleiß der deutschen Bauer aber selbst wenn sie alle AFD gewählt haben und das taten sie bestimmt nicht, sind sie eine winzige Minderheit in der Gesellschaft der wahnsinnigen, totalitären Heuchler und Ignoranten. Es kommt, was kommen muss.

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