Von Michael Obermaier.
Die „Energiewende“ geht allmählich ins Geld, das hat jeder mitbekommen. Doch wie teuer wird’s denn nun konkret, bis wir die Klimaziele erreicht haben? Genauer gefragt: Was kostet es uns bis zum Jahr 2050, den deutschen Beitrag zur Weltrettung zu leisten? Sprich, die allgemein anerkannten Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, damit die weitere Klimaerwärmung weitere 0,8 Grad Celsius nicht überschreitet? Der Politik kann man da ja nicht immer glauben. Wo bleiben die Wissenschaftler? Unsere think tanks? Et voilà, hier die Antwort, von Mitte November: 2.000.000.000.000 Euro. Das sind zwei Billionen. Puh, so viele Nullen. Aber hier haben sich Leopoldina, acatech und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften zusammengetan. Ein nach-unten-rechnen ist doch eher nicht zu erwarten. Das müssen wir glauben. Sicher sitzen da keine Nullen.
So denke ich mir beim Frühstückskaffee. Noch nicht ganz wach, habe ich seltsame Assoziationen. Wie viel Geld ist das eigentlich? Um der frühmorgendlichen Dyskalkulie auf die Sprünge zu helfen, versuche ich, zu überschlagen: wie viele Durchschnittsinder müssen wohl alle zusammen ein Jahr lang schuften, um diese Summe zu erwirtschaften? Inder. Blöde Idee, sagt sich jetzt wohl der Leser. Sage ich mir auch. Daher nur eine oberflächliche Recherche. Wikipedia muss es tun. Ich wills ja nur in etwa wissen. BIP pro Inder (nominal, 2017) 1.834 US-Dollar, also etwa 1.554 Euro (gerechnet aus 2016 mit 6,5 Prozent Wachstum)
Zwei Billionen Euro geteilt durch 1.554 Euro ergibt 1.287.001.287 Inder. Du lieber Himmel! Fast alle Inder müssen ein ganzes Jahr malochen? Klar, stimmt, schließlich liegt das komplette BIP des zweitbevölkerungsreichsten Lands der Welt mit 2,25 Billionen Euro ja nahe unserer Weltrettungskosten. Andrerseits – es geht um die Weltrettung, da ist einem ja nichts zu teuer.
Was machen die Inder?
Ob es am mittlerweile dritten Kaffee oder an diesen Zahlen liegt, ich werde langsam wach. Ich will nun wissen, ob das Geld auch gut angelegt ist. Voraussetzung dafür ist wohl, dass wir über kurz oder lang, naja, eher kurz, kein Kohlendioxid mehr ausstoßen. Wobei das „wir“ natürlich die Weltbevölkerung sein sollte, weil das indische CO2 voraussichtlich das selbe bewirkt wie das aus teutonischen Quellen (oder auch das vom bösen Onkel Donald).
Das schaue ich mir genauer an. Und finde dies. Was machen denn die Inder da – die vermehren sich. Die Wirtschaft wächst. Und sie wollen CO2 ausstoßen, und zwar pro Kopf bis zum Jahr 2030 nahezu drei mal so viel wie heute. Einem renommierten Blatt wie SPON glaube ich selbstverständlich und denke: Zeit für eine kleine Tabellenkalkulation.
Zunächst das Wachstum der indischen pro-Kopf-Emission: Um von 1,64 Tonnen im Jahr 2016 auf 3,5 Tonnen bis 2030 zu steigen, muss die jährliche Steigerungsrate etwa 5,5 Prozent betragen. Das kann man mal rechnen bis 2050. Tue ich aber nicht. Bis 2030 habens die Inder bestimmt auch eingesehen und steigern dann mit einem mal ihren Ausstoß gar nicht mehr – naja, so rechne ich jetzt einfach mal. Ich will es ja nicht übertreiben.
Allerdings vermehren sie sich ein wenig. Mit einer jährlichen Rate von 1,19 Prozent. Mit beidem zusammen gerechnet erhalte ich eine Zahl von über 178 Milliarden Tonnen CO2. Von 2016 bis 2050. Bis 2030 kommen alleine 54 Millliarden Tonnen zusammen. Oha. Und was machen wir in Deutschland? Mit den zwei Billionen?
Und was machen wir?
Hierzulande mache ich es mir einfach und gehe von gleichbleibendem Bevölkerungsstand aus. Wenn von 2016 bis 2050 mit gleichbleibender Rate die Emissionen fallen sollten (ja, ich weiß... aber wir wollen hier ja auch mal zum Ende kommen), und zwar auf die 85 Prozent des Stands von 2010, komme ich grob auf eine jährliche Verringerung um 5,5 Prozent. Ergibt in der Summe eine Emission von 8 Milliarden Tonnen bis 2030 und nochmal 4,1 Milliarden Tonnen bis 2050, von 2016 bis 2050 also 12,1 Milliarden Tonnen. Aber das ist die Produktion, die Einsparung gegenüber 'business as usual' ist 3,5 Milliarden (bis 2030) bzw. 14,9 Milliarden Tonnen (bis 2050).
Ergo sparen wir mit dem Einsatz von 2 Billionen Euro bis 2030 gerade mal 6,5 Prozent des CO2, das Indien in dieser Zeit ausstößt, und 8,3 Prozent bis 2050. Um weniger frustrierende Ergebnisse zu bekommen: Bezogen auf das, was Indien in der Zeit mehr ausstößt, als es bereits heute tut (also alleine auf den Zuwachs durch Demographie und pro-Kopf-Emission) sind es 16,7 Prozent (bis 2030) und 14,6 Prozent (bis 2050). Das finde ich immer noch enttäuschend.
Ich kann mir nicht helfen, mir kommt ein klimaketzerischer Gedanke: Ob man die 1,3 Milliarden Inder nicht mit 2 Billionen Euro – also dem Anreiz des Gegenwerts eines Jahres vereint Durcharbeitens – motivieren könnte, ein kleines bisschen weniger Mehr-CO2 in die Luft zu pusten als prognostiziert? So, dass es unserer 2-Billionen-Einsparung entspricht? Vielleicht gar soweit, dass sie bis 2050 pro Kopf im Jahr genau gleich viel emittieren wie 2016?
Ohne das Bevölkerungswachstum anzufassen, würde das bis 2050 satte 102 Milliarden Tonnen sparen. Das wäre das 6,8-fache der Wirkung bei uns. Ich muss mal recherchieren, was man in Indien mit dem Geschenk eines BIP so etwa realisieren könnte. Aha, man könnte sie dazu bringen, ihren Strom ausschließlich mit Windkraft zu erzeugen. Schließlich ist das die billigste Art überhaupt, Strom zu erzeugen. Man müsste sie dann eigentlich nur beim Umbau unterstützen, denn es rechnet sich. Offensichtlich haben sie damit ja auch schon begonnen. Bestimmt zögern sie nur deshalb noch, weil sie von den wachsenden deutschen Energiepreisen gehört haben. Das hat die Inder wohl verwirrt. Mich auch. Also schaue ich nochmals in die Studie unserer wissenschaftlichen Denkspezialisten. Und was lese ich da. Die 2 Billionen reichen ja gar nicht zur Weltrettung – wir brauchen am Ende wohl 90 Prozent Reduktion:
„Sollen 90 Prozent der energiebedingten CO2-Emissionen eingespart werden, könnten die Mehrkosten allerdings schon mehr als 3 Billionen Euro gegenüber der Referenzentwicklung betragen.“ Gemeint sind 3,5 Billionen.
Wir sind die Deutschen, und wir sind reich
Aber das ist nicht der einzige Pferdefuß:
„Da die Kostenentwicklung der verschiedenen Technologien bis 2050 ungewiss ist, sind auch Schätzungen der Gesamtkosten immer mit einer sehr hohen Unsicherheit behaftet. [..] Trotzdem machen die genannten Zahlen deutlich, dass es sich bei der Energiewende um ein gesamtgesellschaftliches Großprojekt handelt, das von der volkswirtschaftlichen Dimension an die Wiedervereinigung heranreicht.“
Ach ja, das Geld. Aber wir sind die Deutschen, und wir sind reich! Außerdem können wir dann hinterher weiterhin glücklich durch deutsche Landen streifen, und zwar ohne, dass es 0,8 Grad Celsius wärmer geworden wäre. Das ist doch was. Obwohl:
„Eine installierte Leistung an Erneuerbaren von mehreren Hundert Gigawatt benötigt nicht nur Fläche, sondern verursacht auch Veränderungen im Landschaftsbild, die an Akzeptanzproblemen scheitern könnten.“
Ja wieso das denn? Ach so. Fast vergessen – Ablass zahlen alleine macht vielleicht glücklich, erzeugt aber noch keinen Strom:
„Die Darstellung macht deutlich, dass selbst bei sehr optimistischen Annahmen, die eine Erreichung der Reduktionsziele wesentlich erleichtern, von einem Zubau für Solar- und Windenergieanlagen bis auf rund 350 Gigawatt auszugehen ist. Bei gleichem Reduktionsziel ohne derartige Annahmen würde im Jahr 2050 eine summarische installierte Leistung von knapp 500 Gigawatt benötigt. Die heute installierte Leistung für diese Anlagen beträgt knapp 95 Gigawatt, davon 48 Gigawatt für Wind Onshore, knapp 5 Gigawatt für Wind Offshore und knapp 42 Gigawatt für Photovoltaik.“
Also fünfmal so viele Dächer mit Solarpanels (naja, wenns auf den Dächern bleibt), fünfmal so viel Mais- und Raps-Monokulturen (hoffentlich ohne Glyphosat bewirtschaftet, sprich mit dem Elektrotraktor gepflügt), aber vor allem: fünfmal so viele Windräder. OMG.
Haben wir dann wenigstens die Dunkelflauten im Griff?
Nach vielen Seiten voll mit Einlassungen zu Energiespeichern – haben wir dann wenigstens die Dunkelflauten im Griff? Sie ahnen es vielleicht schon – mitnichten:
„Die benötigte Reservekapazität beträgt in den Modellrechnungen je nach Randbedingungen zwischen 60 und 100 Gigawatt. Sie hängt dabei nicht allzu stark von den Klimazielen ab. Zum Vergleich: Heute sind etwa 100 Gigawatt an konventionellen Kraftwerken installiert. Dies bedeutet, dass auch in Zukunft ein Kraftwerkspark der gleichen Größenordnung benötigt wird.“
Nach diesen unerquicklichen Ausblicken in die Zukunft muss ich etwas erbauliches lesen. Bestimmt habe ich mich nur verrechnet! Die klimaschutzpolitischen Grundsätze und Ziele der Bundesregierung bieten sich doch an. Unsere Regierenden wollen schließlich nur das beste für uns:
„Auch die Bezahlbarkeit von Strom und anderen Energieträgern ist Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung und soziale Teilhabe. [..] Der Klimaschutzplan 2050 bezieht alle relevanten Sektoren ein – wie auch in der Agenda 2030 beabsichtigt – und bietet dadurch die Möglichkeit, rechtzeitig Zielkonflikte, kritische Wechselwirkungen und Pfadabhängigkeiten sowie mögliche Chancen und Risiken zu identifizieren. [..] Damit sollen Ressourcen geschont beziehungsweise effizienter eingesetzt werden und die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft und ihrer Unternehmen steigen. Klimaschutz ist dann gleichbedeutend mit dem Gewinn an wirtschaftlicher Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit. [..]
Damit aus dieser Entwicklung hin zu einer weitgehend treibhausgasneutralen Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten nicht nur eine klimapolitische, sondern auch eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte wird, brauchen wir eine Erweiterung der Perspektive. [..] Und sozial, weil auch im nationalen Klimaschutz gilt: Starke Schultern müssen mehr tragen als schwächere. Nur bei wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Balance wird der Klimaschutz im Inland die notwendige breite gesellschaftliche Akzeptanz erhalten und die Modernisierung unserer Volkswirtschaft zum Erfolgsmodell. [..] Deutschland hat mit der
Energiewende einen Vorsprung. Wir werden hart daran arbeiten müssen, diesen Vorsprung zu halten. [..] Die Bundesregierung wird die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im März 2012 gestartete Initiative „Zu gut für die Tonne“ zu einer nationalen Strategie zur Reduzierung der vermeidbaren Lebensmittelabfälle und -verluste ausbauen. Die Strategie soll dazu beitragen, in Deutschland bis 2030 die Lebensmittelabfälle und -verluste zu halbieren.“ [….]
Da geht es mir doch gleich viel besser. Der Tag ist um. Gute Nacht. Deutschland.
Michael Obermaier ist Diplom-Geoökologe und beschäftigt sich seit 2005 als Konstrukteur, Entwickler und Pilot mit Leichtflugzeugen.