„Beispielhaft“ findet Frau Baerbock die grüne Energiepolitik Kenias, Herr Scholz lobt das Land als „Klima-Champion“. Blöd, wenn dann in den Monaten darauf drei landesweite Blackouts passieren.
Was muss ein südafrikanischer Mann haben, um Frauen zu beeindrucken? Einen Generator. So witzeln die geplagten Bewohner über die katastrophale Energieversorgung im Land am Kap. Seit November vergangenen Jahres kommt es fast täglich zu Stromausfällen von bis zu zwölf Stunden. Das nennt man Loadshedding (wörtlich „Lastabschaltung“), auf gut Deutsch: Stromrationierung. Die Unterversorgung mit Elektrizität ist historisch beispiellos. Strom zu haben, ist jeden Tag Glückssache; wann man eine warme Mahlzeit zubereiten, das Smartphone aufladen oder fernsehen kann, muss man der App EskomSePush entnehmen.
Südafrika ist kein Einzelfall. Da aus der sensationellen Erfindung eines Herrn Maxwell Chikumbutso, der einen Fernseher entwickelt haben wollte, der „durch Umwandlung von Funkwellen“ Energie erzeugt, leider nichts geworden ist, bleibt die Stromunterversorgung nicht nur für Südafrika, sondern für ganz Subsahara-Afrika – von wenigen Ausnahmen abgesehen – ein großes Problem. Ein Blick aus dem All zeigt: Der Schwarze Kontinent liegt nachts, nun ja: im Dunkeln. Wie der Afrika-Kenner Volker Seitz 2022 hier bei Achgut schrieb:
„Die chronische Unterversorgung an umfassender und verlässlicher Elektrizität ist ein zentrales Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung auf dem ganzen afrikanischen Kontinent. Rund 550 Millionen Menschen, also rund die Hälfte aller Afrikaner, haben keinen Zugang zu elektrischem Strom. Wo eine Stromversorgung grundsätzlich möglich ist, ist diese oftmals unzuverlässig oder unverhältnismäßig teuer. Energiearmut ist sowohl für die wachsende Mittelschicht in den großen Städten wie auch auf dem Land ein großes soziales Problem. Selbst innerhalb Subsahara-Afrikas gibt es dabei erhebliche Unterschiede: Während zum Beispiel in Südafrika über 80 Prozent mit Strom versorgt werden, sind es in Südsudan nicht einmal neun Prozent der Bevölkerung. In vielen afrikanischen Städten kommt es regelmäßig zu Stromausfällen. Das Surren der Dieselgeneratoren zur Eigenversorgung ist dort ein allseits vertrautes Geräusch.“
Lichtblick auf dem dunklen Kontinent?
Nehmen wir Nigeria: Wie die Berliner Zeitung im September berichtete, erlebte das bevölkerungsreichste Land Afrikas einen landesweiten Stromausfall, von dem alle 216 Millionen Einwohner betroffen waren. Schon im Jahr zuvor sei das Stromnetz in Nigeria achtmal zusammengebrochen. Bei einer Umfrage gab nur ein Prozent der befragten Nigerianer an, 24 Stunden am Tag über Strom zu verfügen. Die Gründe für die mangelnde Elektrifizierung Afrikas sind vielfältig und reichen von maroden Stromnetzen über Missmanagement und Korruption bis zur Sabotage.
Doch unsere Regierenden haben einen Lichtblick im dunklen Kontinent entdeckt: Kenia! Im März dieses Jahres sprach die Bundesministerin des Auswärtigen, Annalena Baerbock, bei der Eröffnung des 9. Berlin Energy Transition Dialogues in Berlin wie folgt:
„Und ein ganz besonderes Beispiel, wie es gehen kann, wenn man sich vor Ort den Herausforderungen stellt – und nicht sagt „es geht nicht“, sondern: „Wir haben Lösungen für unser spezielles Transformationsprojekt“ – das sehen wir in Kenia. Kenia zeigt, was wir in Sachen Ambition und Tempo von anderen Staaten lernen können. Schon jetzt bezieht Kenia etwa 90 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen. Im Jahr 2030 soll der Anteil bei 100 Prozent liegen. Das ist beispielhaft.“
Da wollte sich Kanzler Olaf Scholz nicht lumpen lassen. Bei seinem Besuch im Mai sagte er, das Land sei „ein inspirierender Klima-Champion.“ Und natürlich sekundierte auch die angeschlossene Presse: „Klimachampion in Afrika: Wie Kenia zum Wunderland für erneuerbare Energien wird“, tönte der Spiegel an der Hamburger Relotiusspitze und schwärmte vom Land, das „die grüne Energiewende vorantreibt und mit einem Anteil von mehr als 80 Prozent regenerativer Energie am Strommix auch im globalen Vergleich weit vorne liegt“, insbesondere vom Lake Turkana Windpark, wo sich sagenhafte 365 Windräder drehen, die „derzeit 15 Prozent des kenianischen Stroms“ erzeugen.
Baerbocks Lobgesang auf Kenia datiert vom März, vom „inspirierenden Klimachampion“ sprach Scholz im Mai. Und nur drei Monate später wurde der Klima-Champion zum ersten Mal durch einen schweren Schlag zu Boden geschickt.
War's der Windpark?
Am 25. August 2023 gingen in Ostafrika die Lichter aus. Der landesweite Blackout dauerte über 20 Stunden, betroffen waren 50 Millionen Menschen, auch in der Hauptstadt Nairobi. Für den Totalausfall des Netzes machte Kenya Power das, genau: Windkraftwerk Lake Turkana Wind Power verantwortlich, Afrikas größten Windpark und La-la-Land der Spiegel-Reporter. Dessen Betreiber wiesen jedoch jede Schuld von sich: Vielmehr sei das Kraftwerk durch eine Überspannungssituation im nationalen Netz gezwungen worden, vom Netz zu gehen, die zur Vermeidung extremer Schäden eine automatische Abschaltung des Windkraftwerks zur Folge hatte. Wie auch immer: Verkehrsminister Kipchumba Murkomen versprach, so etwas werde nicht wieder passieren.
Und dann passierte es doch, nämlich am 11. November. Ingenieure brauchten fast 10 Stunden, um die Stromversorgung wiederherzustellen.
Einige Tage später war zu lesen, dass es in den vergangenen Jahren schon öfter zu Stromausfällen gekommen war. Als Gründe wurden unter anderem genannt: Vandalismus, Störungen in den Übertragungsleitungen und Erzeugungsstellen sowie im Jahr 2016 die unfreiwillige Sabotage durch einen Affen: Der Primat hatte im Laufwasserkraftwerk Gitaru offenbar durch einen unglücklichen Sturz einen Kurzschluss plus Kettenreaktion verursacht, die einen dreistündigen Blackout im Land auslöste.
Dritter Fast-K.O. für den „Klima-Champion“
Und vor wenigen Tagen, am 10. Dezember, gab es den dritten großen Stromausfall binnen vier Monaten: Durch den Stromausfall wurden mehrere Dienste unterbrochen, wie BBC meldete, auf dem Jomo Kenyatta International Airport in Nairobi, waren zwei Terminals mehrere Stunden lang ohne Strom. Auf Videoaufnahmen, die in den sozialen Medien geteilt und im lokalen Fernsehen ausgestrahlt wurden, sei zu sehen gewesen, wie sich Passagiere mit den Taschenlampen ihrer Smartphones einen Weg durch die dunklen Terminals bahnten. Davis Chirchir, der Minister für Energie und Erdöl, führte den Stromausfall auf die Überlastung einer Übertragungsleitung im Westen Kenias zurück. Die New York Times schreibt:
„Nach Ansicht von Experten ist das kenianische Stromnetz nicht in der Lage, die steigende Nachfrage nach Strom zu befriedigen, insbesondere in den Spitzenzeiten am Abend, wenn viele Familien zu Hause sind. Außerdem gebe es ein Übertragungsproblem, da große Teile des Landes noch immer nicht an die wichtigsten erneuerbaren Energiequellen, wie das geothermische Kraftwerk Olkaria, angeschlossen seien.
,Es besteht ein Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage‘, sagte Andrew Amadi, ein Experte für die Energiewende und ehemaliger Geschäftsführer der Kenya Renewable Energy Association. Wenn diese Probleme nicht angegangen werden, wird es zwangsläufig zu weiteren Stromausfällen kommen.“
Ach ja, das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Da erinnern wir uns doch wieder an die Grüne Sylvia Kotting-Uhl, die am 14. April 2021 im Bundestag diese denkwürdigen Worte an die kernkraftfreundlichen Abgeordneten richtete:
„Aber für ein modernes Energiekonzept ohne Kohle und Atom, also ohne Risiken vor allem für uns nachfolgende Generationen, da fehlt Ihnen jede Vorstellungskraft. Allein Ihre Unfähigkeit, sich unter Energieversorgung etwas anderes als Grundlast vorzustellen, das ist so von gestern wie Sie selbst. Die Zukunft wird flexibler sein, spannender, ja, auch anspruchsvoller: nicht mehr nachfrage-, sondern angebotsorientiert (…)“
Vorbild Kenia auch auf anderen Gebieten
Nicht mehr nachfrage-, sondern angebotsorientiert, das heißt: Strom gibt’s, wenn er da ist, nicht wenn man ihn braucht. Er wird wohl auch in der (noch) viertgrößten Industrienation der Welt künftig Glückssache sein, wie in Südafrika – weil man unbedingt den Atomausstieg durchziehen wollte. Spannender wird’s auf jeden Fall, da hat Frau Kotting-Uhl schon recht.
Schmankerl am Rande: Der dritte Blackout binnen vier Monaten kommt sehr ungelegen für Kenias Präsident William Ruto. Der steht derzeit ohnehin schwer in der Kritik. Im vergangenen Jahr ist die Inflation weiter gestiegen, und die Kosten für Lebensmittel und Treibstoff sind in die Höhe geschnellt. Wie es in dem erwähnten NYT-Artikel heißt:
„Schon vor dem jüngsten Stromausfall sah sich Präsident Ruto mit dem wachsenden Unmut der Öffentlichkeit über die zunehmenden wirtschaftlichen Probleme konfrontiert. Nach seinem Amtsantritt im September 2022 strich er die Treibstoffsubventionen und erhöhte die Steuern, während er zu Hause üppige Staatsdinner gab und Dutzende von Auslandsreisen unternahm.“
Unsere Regierung scheint sich die kenianische Politik nicht nur in einer Hinsicht zum Vorbild zu nehmen.
Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten.