Volker Seitz / 05.04.2022 / 16:00 / Foto: Hennie Stander/Unsplash / 10 / Seite ausdrucken

Energiearmut in Nigeria: Kein Fortschritt

Nigeria machte kürzlich den schlimmsten Stromausfall seit langem durch. Die chronische Unterversorgung an umfassender und verlässlicher Elektrizität ist ein zentrales Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung auf dem ganzen afrikanischen Kontinent.

Die auch in Deutschland bekannte Autorin Adaobi Tricia Nwaubani („Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy“) schrieb einen Brief über die jüngsten langen Stromausfälle in Nigeria und wie sie früher die Ausfälle als Kind genossen hat. Adaobi Tricia Nwaubani beschreibt mit klaren, bildhaften und klug gewählten Worten die Misere der Energiearmut in Nigeria. 

Hier einige Auszüge aus ihrem „Brief“:

„Für viele nigerianische Kinder, die noch nie im Ausland waren, sind nur wenige Geschichten über den Westen so faszinierend wie die Tatsache, dass der Strom sieben Tage in der Woche von der Abenddämmerung bis zum Morgengrauen anbleiben kann ... 

Nicht einmal Geschichten über Schnee, U-Bahnen oder Doppeldeckerbusse sind vergleichbar mit dem Wunder der ständigen Stromversorgung – ein grundlegendes Merkmal des modernen Lebens, das unser geliebtes Land seit Jahrzehnten nicht mehr hat. 

Nigeria macht gerade wohl den schwierigsten Stromausfall durch, den das Land seit meiner Kindheit erlebt hat ... 

Zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen aus den 1980er Jahren gehört, wie ich mit meiner Familie nachts in unserem Haus in der südöstlichen Stadt Umuahia saß, das ganze Wohnzimmer dunkel, bis auf den Schein einer Kerosinlampe auf dem Holztisch in der Mitte ... 

Normalerweise erzählten uns meine Eltern Igbo-Volksmärchen, die oft Refrains enthielten, bei denen meine Geschwister und ich mitsingen mussten, oder Geschichten aus ihrer Kindheit, als sie im kolonialen Nigeria aufwuchsen, als viele Gemeinden noch keinen Strom hatten... 

Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen den Zeiten, in denen meine Familie im Dunkeln Geschichten erzählte, und heute. 

Damals wussten wir, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der Strom wiederhergestellt war – eine Stunde oder zwei, vielleicht auch drei. 

Abgesehen von größeren Problemen, meist mit dem Transformator des Bezirks, kam es nur selten vor, dass Stromausfälle stundenlang, geschweige denn tagelang andauerten. 

Im Laufe der Jahre gewöhnten sich die Nigerianer jedoch allmählich an die Tatsache, dass unsere Regierung einfach nicht genug Strom für das ganze Land erzeugen kann. 

Nepa, die Abkürzung für die Nigerian Electricity Power Authority, wurde bald scherzhaft als 'Never Expect Power Always' bekannt.

Als die Regierung das Unternehmen in Power Holding Company of Nigeria (PHCN umbenannte, wurde aus dem Scherz: 'Das Problem hat seinen Namen geändert' oder 'Bitte jetzt eine Kerze halten' („Problem has changed Name“ or „Please hold candle now“).

Eine landesweite Treibstoffknappheit fiel mit dem Zusammenbruch des nationalen Stromnetzes zusammen, der Teile von Großstädten in ganz Nigeria, darunter Lagos und Abuja, in die Dunkelheit stürzte. 


'Ich bedaure die dadurch verursachten Unannehmlichkeiten zutiefst', entschuldigte sich Präsident Muhammadu Buhari letzte Woche beim Land ... 

Viele Menschen haben ihre Generatoren, können aber keinen Treibstoff kaufen. 

Nicht einmal die Schwarzmarkthändler, die in solchen Zeiten normalerweise ihre Preise vervierfachen, konnten für eine regelmäßige Versorgung sorgen. 

Nicht einmal die Reichen, die sich Treibstoff zu jedem Preis leisten können, waren in der Lage, der Dunkelheit zumindest teilweise zu entkommen. 

Ich bezweifle, dass jemand in der Stimmung war, Volksmärchen zu erzählen.“


Nigeria gehört wegen seiner Ölvorkommen zu den reichsten Ländern Afrikas, ist der achtgrößte Ölexporteur der Welt. Es sind die Pfründe der Politiker und Militärs, die nicht selten zu Lasten des Wohlergehens des Staates einen geradezu grotesken Reichtum angehäuft haben. Die meisten der ca. 200 Millionen Nigerianer leben ohne fließendes Wasser. Ein marodes Stromnetz, tagelang fehlt Benzin an den Tankstellen, weil veraltete Raffinerien außer Betrieb sind. Deshalb muss der größte Rohölproduzent Afrikas Benzin importieren.

Nicht nur in Nigeria

Die chronische Unterversorgung an umfassender und verlässlicher Elektrizität ist ein zentrales Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung auf dem ganzen afrikanischen Kontinent. Rund 550 Millionen Menschen, also rund die Hälfte aller Afrikaner, haben keinen Zugang zu elektrischem Strom. Wo eine Stromversorgung grundsätzlich möglich ist, ist diese oftmals unzuverlässig oder unverhältnismäßig teuer. Energiearmut ist sowohl für die wachsende Mittelschicht in den großen Städten wie auch auf dem Land ein großes soziales Problem. Selbst innerhalb Subsahara-Afrikas gibt es dabei erhebliche Unterschiede: Während zum Beispiel in Südafrika über 80 Prozent mit Strom versorgt werden, sind es in Südsudan nicht einmal neun Prozent der Bevölkerung. In vielen afrikanischen Städten kommt es regelmäßig zu Stromausfällen. Das Surren der Dieselgeneratoren zur Eigenversorgung ist dort ein allseits vertrautes Geräusch. 

Die Folgen dafür, dass in vielen afrikanischen Ländern die Menschen keinen Zugang zu Strom haben, sind wenig erfreulich. 51 Prozent der Stadtbewohner, aber nur 7,5 Prozent der Landbewohner werden mit Energie versorgt. Etwa ein Drittel aller Krankenhäuser und Schulen in Subsahara-Afrika müssen ohne elektrischen Strom auskommen. Am Äquator wird es jeden Tag um 18.00 Uhr schlagartig dunkel. Das bedeutet, Erwachsene können nach Einbruch der Dunkelheit nicht arbeiten und Kinder keine Hausaufgaben machen. Ärzte operieren im Schein von Taschenlampen. Kranke sterben, weil Medikamente sich nicht kühlen lassen. Es gibt kein Internet, Telefone können nicht aufgeladen werden. Die prekäre Situation in vielen afrikanischen Ländern ist meist ein hausgemachtes Übel, also Ergebnis schlechter und in wirtschaftlicher Hinsicht inkompetenter sowie gegenüber der Bevölkerung gleichgültiger Regierungsführung. Und überall dieselbe Veruntreuung öffentlicher Gelder, dieselben kleinen Arrangements, dieselben Tricks, derselbe Klientelismus und die Kultur der Straffreiheit. Wie es anders geht, zeigen wieder einmal Botswana, Ruanda, Seychellen und Mauritius. 



Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“. Die aktualisierte und erweiterte 11. Auflage erschien am 18. März 2021. Volker Seitz publiziert regelmäßig zu afrikanischen Themen und hält Vorträge (z.B. „Was sagen eigentlich die Afrikaner“, ein Afrika-ABC in Zitaten).

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Leserpost

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Wolfgang Kolb / 05.04.2022

Lieber Herr Seitz, Vielen Dank für den interessanten Bericht. Nur Energiesicherheit und Versorgung garantieren wirtschaftlichen Aufschwung. Es bleibt zu hoffen, dass neue Atomkraftwerke in Containergrösse, wie zur Zeit von Westinghouse und General Electrics in Entwicklung, den Energiehunger von Entwicklungs- und Schwellenländern befriedigen können und gleichzeitig die Nutzung von Holz, Kohle und anderen fossilen Energieträgern verringern.

S. Marek / 05.04.2022

Ich würde gerne den Antrag stellen unsere gesamte aktuelle Regierungskoalition inkl. weiterer Spitzenpolitiker, Merkel & Co., in Rahmen einer effektiven Entwicklungshilfe für Afrika, dorthin für ein Jahrzehnt schicken. Selbstverständlich ohne jedweder Erfolgsgarantie.

Markus Viktor / 05.04.2022

Afrika wird in der aktuellen Krise Unterstützung bei Lebensmitteln und mehr benötigen. Das sollte es nur gegen Bezahlung bekommen, und zwar durch entsprechende Konfiskationen der hier im Westen angelegten Vermögenswerte der afrikanischen Reichen und gerne auch anderer sich an Afrika Bereichernder.

Karl Baumgart / 05.04.2022

Werter Herr Seitz, wieder einmal ein deprimierender Bericht über die afrikanische Wirklichkeit. Sie schreiben: “Es sind die Pfründe der Politiker und Militärs, die nicht selten zu Lasten des Wohlergehens des Staates einen geradezu grotesken Reichtum angehäuft haben.”  Da nicht anzunehmen ist, dass diese Herrschaften sich nur mit einer einzigen weiteren außerplanmäßigen Einkommensquelle, also EINER PFRÜNDE, zufriedengeben, ist hier der Plural zu verwenden, nämlich zwei oder mehreren PFRÜNDEN.

Marcel Seiler / 05.04.2022

Ob “wir” von außen daran etwas ändern können – ich bezweifle es. Die Afrikaner haben von den Industrieländern technische Systeme übernommen, die im Westen funktionieren, für die die schwarzafrikanische Kultur aber nicht geschaffen ist. Vielleicht sollte der Westen Afrika einfach völlig in Ruhe lassen – auch keine Katastrophenhilfe usw. – damit sie ihren eigenen Weg mit eigenen Mitteln finden können. Westliche Expertise nur auf Anfrage und voll bezahlt. Keine Bankkonten / Vermögensbildung für die schwarzafrikanischen Eliten im Westen, so dass sie ihr Kapital nicht exportieren können (wie jetzt massenweise), sondern im eigenen Land investieren müssen. Keine medizinischen Leistungen “für Reiche” bei uns, damit sie ihre eigene Gesundheitsversorgung aufbauen müssen. – Was sagen die Entwicklungsexperten zu dieser Idee?

Dr. Günter Crecelius / 05.04.2022

Sind Sie sicher, daß Sie in Ihrem Bericht nur die gegenwärtigen Verhältnisse in Nigeria und Teilen des übrigen Subsahara- Afrikas beschreiben? Dank der genialen Politik im Land mit der Kanzlernden Merkel hat Ihr Bericht die Chance, die zukünftigen Verhältnisse in der Mitte Europas zu beschreiben.

Christian Feider / 05.04.2022

Herr Seitz es tut mir leid,aber was genau wollen Sie mit dem Bericht erreichen? Das es dort kleptokratische “Stammeschefs” gibt,die sich heute “Politiker” nennen und abgreifen? Das ist doch seit der Unabhaengigkeitswelle nichts Neues,selbst das Juwel der Buren ist mittlerweile eine Ruine! Ich habe einge Länder dort live erlebt,nicht aus den Botschaften,sondern arbeitend mit den Leuten und daher die Mentalität gut first hand erleben dürfen. Glauben Sie es mir ruhig(auch die Leserschaft), es ist leider Tatsache,das dieser Kontinent ohne Kolonialismus niemals funktionieren wird. Es gibt den nordafrikanischen islamischen Teil,wo alles “inshallah” ist….zero Egenverantwortung,es sei denn,der “shop” gehört dem Arbeiter selber. Es gibt den Rest,wo Stämme etc Nationen verunmöglichen,dazu noch religionskampfzonen mittenmang…da geht erst recht nichts vorran. Die “edle Idee”,mit “Entwicklungshilfe” und “medizinischer Versorgung” da etwas zum Besseren zu bringen,hat nur die Helfenden reicher gemacht,den Leuten ausser nun grenzenloser unkontrollierter Vermehrung aber GAR nichts. Selbst das Ende der Aphartheid war ein Fehler,denn “Ureinwohner” waren in Südafrika NUR die Buschmaenner,der Rest der schwarzen Bevölkerung waren Migranten aus dem Norden,bei Nicht-Gefallen hätten Sie zurückwandern können,heute ruinieren Sie das Land komplett

Arne Ausländer / 05.04.2022

Nigeria ist zu groß und zu reich, um zu funktionieren. Zu reich - so daß allzu viele Diebe angezogen werden. Zu groß - dadurch ist das Gewicht der (wie überall) kaum organisierten ehrlichen Menschen unbedeutend.—Kein Zufall, daß die aufgezählten positiveren Beispiele deutlich kleinere Länder sind. Wobei das Positive in Ruanda fragil, wenn nicht am Zerbrechen ist. Hier liegt der Hauptproblem im ressourcenreichen benachbarten Ost-Kongo, für den Ruanda einen wichtigen Zugang darstellt. Die oft genannten internen Spannungen zwischen Hutis und Tutsis werden erst dann katastrophal, wenn sie von außen gezielt geschürt werden, wie 1994. Die Seychellen und Mauritius sind - zum Glück für die Bewohner - relativ uninteressant für Geld- und Machtgierige. (Abgesehen davon, daß sie sich dort gern von ihrer anstrengender Tätigkeit erholen.)

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