Igor Levit ist in der wirklichen Welt angekommen. Jetzt muss er aufpassen, dass ihm seine deutsche Fan Base nicht von der Fahne geht. Sich dermaßen offen mit Israel zu solidarisieren, statt mit den Opfern der israelischen Aggression, das wird man ihm in den woken Zirkeln übelnehmen.
Achtung, Achtung, wir bitten einen Moment um Ihre Aufmerksamkeit, es folgt eine wichtige Durchsage: Der Wasserstand der Unstrut bei Memleben im Burgenlandkreis könnte in der Nacht um 20 bis 30 Zentimeter steigen; der Euro City „Blauer Enzian“ von Frankfurt/M. nach Klagenfurt verkehrt heute in umgekehrter Wagenfolge, außerdem entfällt der Halt in Bad Hofgastein, Reisende werden gebeten, bereits in Dorfgastein auszusteigen und ihre Fahrt mit dem Schienenersatzverkehr fortzusetzen; der Pianist Igor Levit gibt bekannt, er habe das „Grundvertrauen in Deutschland verloren“ und überlege, „Deutschland zu verlassen“, sei aber noch nicht so weit.
Eine der drei Meldungen ist kein Fake, und Sie haben längst erraten, welche es ist. Igor Levit hat sich in einem Gespräch mit Giovanni di Lorenzo die Seele aus dem Leib geredet. Was in Israel am 7. Oktober passiert ist, war schlimm, aber abgesehen von den 1.200 Menschen, die bei der „Hamas-Aktion“ (Christoph Heusgen) ums Leben gekommen sind, und den über 200 Geiseln, die derzeit die Gastfreundschaft der Hamas genießen, hat es nur einigen Sachschaden gegeben. Aber Igor Levit leidet noch immer, denn seit dem 7. Oktober fühlt er sich „so allein wie noch nie“, möglicherweise auch so allein wie noch kein Mensch vor ihm.
Wie ist es so, ein Jude zu sein?
Vor dem Gespräch mit Giovanni di Lorenzo hatte sich Igor Levit bereits Robert Habeck offenbart, der wissen wollte, „wie es heute ist, Jude in Deutschland zu sein“.
Sie werden nicht erraten, was Igor Levit geantwortet hat: Kein Ereignis in der Welt habe ihn „so sehr zum Juden gemacht“ wie das vom 7. Oktober. Es war, könnte man sagen, eine Art von Crash-Kurs im Judesein. Ja, so schnell kann es gehen, wenn man einen Teil seines Lebens als jüdisches Maskottchen in den Salons der besseren Kreise verbracht hat, wo der Holocaust deswegen betrauert wird, weil er Deutschland so viele Talente gekostet hat.
Igor Levit jedenfalls verpasste keine Gelegenheit, sich und seinen Followern zu beweisen, dass er ein guter Jude ist. Multikulturell, tolerant, weltoffen, engagiert und nicht nachtragend. Er schleppte sein Klavier in den winterlichen Dannenröder Forst und spielte dort vor Umweltschützern ein altes irisches Volkslied, um gegen die Rodung des Waldes zugunsten einer Autobahnstrecke zu protestieren. Danach fühlte er sich „dankbar und glücklich“, obwohl ihm bewusst war, dass es ein „Schwanengesang“ war „auf etwas, das geht“.
Roths lebenslanges Engagement
Gefühle der Dankbarkeit könnten auch im Spiel gewesen sein, als er sich mit der Kulturstaatssekretärin Claudia Roth solidarisierte, nachdem diese bei dem Versuch, ein Grusswort beim „Jewrovision“-Musik-Wettbewerb zu sprechen, gnadenlos ausgebuht und ausgepfiffen worden war. Zusammen mit anderen jüdischen Kulturschaffenden – Barenboim, Mendel, Menasse, Neiman – unterschrieb Levit eine Erklärung („Nicht in unserem Namen“), in der die Staatsministerin schon zu Lebzeiten kanonisiert wurde. „Claudia Roths politische Biografie“, da waren sich die jüdischen Ministranten und Ministrantinnen einig, künde „unmissverständlich vom lebenslangen Engagement gegen Antisemitismus und Rassismus“, was auch dann ein blöder Satz wäre, wenn er stimmen würde. Wovon sonst soll eine „politische Biografie“ nach dem Holocaust künden, wenn nicht von Engagement gegen Antisemitismus und Rassismus? Wobei man sich bei Frau Roth nicht ganz sicher sein kann. Im Falle der documenta 15, die sie von Monika Grütters geerbt hatte, musste Roth erst zur Jagd getragen werden, bevor ihr die Überwindung der trägen Masse gelang.
In der Antifa-Szene konnte Levit ein paar Extra-Punkte sammeln, nachdem er Personen mit einem Bezug zur AfD „Menschen“ genannt hatte, „die ihr Menschsein verwirkt haben“. Er hat sich dafür nie entschuldigt, den Satz nie widerrufen. Vermutlich nicht einmal begriffen, was ihm da entschlüpft ist. Und niemand hat ihn für diese Entgleisung zur Ordnung gerufen.
Nun aber ist Igor Levit in der wirklichen Welt angekommen. Er spielt nicht mehr im Wald, schleimt sich nicht bei Budget-Verwaltern ein, er ist nach Tel Aviv geflogen, um dort vor Angehörigen der Geiseln und Patienten eines Krankenhauses zu spielen. Jetzt muss Igor Levit aufpassen, dass ihm seine deutsche Fan-Blase nicht von der Fahne geht. Sich dermaßen offen mit Israel zu solidarisieren, statt mit den Opfern der israelischen Aggression, das wird man ihm in den woken Zirkeln übelnehmen. Und nichts wird mehr so, wie es vor dem 7. Oktober war. Sonst wäre es keine Zeitenwende.
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