Claudio Casula / 04.11.2022 / 14:00 / Foto: Pixabay / 35 / Seite ausdrucken

Im Land der Denunzianten

„Herr Lehrer, Herr Lehrer, der Willy schreibt ab!“ So fängt es meistens an. Frühe Grundsteinlegung für eine erfolgreiche Petzer-Karriere. Aktuell haben Denunzianten eine große Zeit, auch der Tagesspiegel setzt auf sie.

Der Spruch „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant“ (eine Weisheit, die dem Dichter und Autor der deutschen Nationalhymne Hoffmann von Fallersleben im 19. Jahrhundert zugeschrieben wird) ist allgemein bekannt, deshalb wird jeder Denunziant den Vorwurf zurückweisen, einer zu sein. Leute, die andere verpfeifen, sind vielmehr laut Justizminister Marco Buschmann „Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber“, die Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen und deshalb Schutz verdienen. In diesem Sinne richtete das Land Baden-Württemberg im September 2021 ein anonymes „Hinweisgeberportal“ der Steuerverwaltung ein, damit die Bürger ganz entspannt vermeintliche Steuersünder in Misskredit bringen können.

Nun ist die Denunziation eine anthropologische Konstante; zu allen Zeiten gab es Menschen, die andere anschwärzten, sei es, um einer verhassten Person zu schaden, um sich einen persönlichen Vorteil zu verschaffen oder aus fanatischem Glauben an eine Sache, deren Feinde dann eben ausgemerzt gehörten. Zur Zeit der Inquisition war Denunziation eine Art Massenphänomen, Menschen wurden als echte oder vermeintliche „Ketzer“ angezeigt, und im Dritten Reich trat der Blockwart bzw. Blockleiter auf den Plan, der „Judenfreunde“ meldete, aufpasste, dass auch jeder zu bestimmten Anlässen die Hakenkreuzflagge raushängte und niemand den Führer verächtlich machte, und der aktiv wurde, wenn Heinrich und Erna Koslowski den Feindsender BBC hörten. Heimlich nannte man den gefürchteten Blockwart „Treppenterrier", und von dieser unangenehmen Sorte Mensch gab es im Jahr 1935 etwa 200.000 Exemplare.

Seit dem Erlass des „Heimtücke-Gesetzes“ im Dezember 1934 hatten Denunzianten die Möglichkeit, Leute aus ihrem Umfeld anzuschwärzen. Und sie machten reichlich Gebrauch davon. Der Deutschlandfunk berichtete einmal: „Allein im Jahr 1937 wurden 17.168 Personen aufgrund solcher ,anti-nationalsozialistischen' Äußerungen angezeigt, viele weitere, weil sie den Hitlergruß verweigert oder ausländische Rundfunksender gehört hatten, oder ,weil sie zu oft in die Kirche gingen' und damit verdächtig waren, dem Führer nicht treu ergeben zu sein.“

Mit Corona schlug die Stunde der Denunzianten

Nach dem Krieg mussten sich die Anschwärzerinnen und Anschwärzer in Westdeutschland damit begnügen, Falschparker zu melden, während die in der DDR von ganz oben dazu aufgefordert wurden, Staatsfeinde zu verpfeifen. Mit reinem Gewissen, denn: „Denunziation ist ein Zeichen antifaschistischer Wachsamkeit“, wie der Genosse Erich Mielke verkündete, schließlich galt es, den real existierenden Sozialismus, das Paradies der Werktätigen zu schützen. Das gelang auch ganz gut, der Überwachungs- und Repressionsapparat der Stasi funktionierte fast 40 Jahre, und als es 1989 mit dem Arbeiter- und Mauernstaat zu Ende ging, zählte man immerhin 110.000 hauptamtliche und zwischen 110.000 und 190.000 inoffizielle Mitarbeiter. Und die waren nicht alle erpresst oder bestochen worden.

Zwar ist die Denunziation zweifellos ein Herrschaftselement insbesondere totalitärer Staaten, doch erlebte sie in der Bundesrepublik jüngst unverhofft ein Comeback: Mit dem Corona-Regime unter Angela Merkel, Großkanzlerin mit FDJ-Hintergrund, schlug auch die Stunde der Petzer. Nun galt es, „aufeinander aufzupassen“ (Markus Söder), also zu schnüffeln und jeden zu melden, der sich dem großen solidarischen Kampf gegen das Erkältungsvirus verweigerte oder diesen gar sabotierte. Haben sich die ungeimpften Meiers von nebenan mit Personen aus mehreren Haushalten zum Adventskaffee getroffen? Fährt Nachbar Schulze in sein Ferienhaus in einem anderen Bundesland? Selbst eine Person des öffentlichen Lebens wie der SPD-Politiker Norbert Walter-Borjans entblödete sich nicht, sich via Twitter an die Bahn zu wenden und zu petzen, dass der Zugchef des ICE Soundso bei der Durchsage den Hinweis auf die Maskenpflicht mit der korrekten Information verband, das habe man leider Herrn Lauterbach zu verdanken.

Henryk M. Broder hatte recht: „Der Denunziant ist ein Meister aus Deutschland.“ Nicht zuletzt die Achse des Guten macht derzeit reichlich Erfahrung mit anonymen antisemitischen Denunzianten (mehr dazu etwa hier, hier und hier), die ein ihnen missliebiges Medium bei Werbepartnern diffamieren. Sie tun dies in einem gesellschaftlichen Klima, das von der Politik vorsätzlich vergiftet wurde. Im Namen der guten Sache (Pandemiebekämpfung, Kampf gegen rechts, Klimaschutz etc.) ist es mittlerweile völlig in Ordnung, ja sogar erwünscht, dass „Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber“ jeden melden, der es wagt, aus der Reihe zu tanzen. Die groteske Corona-Geschichte mag auserzählt sein und außer Karl Lauterbach niemanden mehr hinter dem Ofen hervorlocken können, dafür geht es jetzt ums Klima und ganz aktuell um das Energiesparen. Gut möglich, dass es demnächst heißt: „Wir haben bei Frau Paschulke von nebenan ein Päckchen abgeholt, das sie für uns angenommen hatte. Im Wohnzimmer waren es bestimmt 25 Grad! Und sie hatte das Fenster auf Kipp!“

Nächtliche Schaufensterbeleuchtung an den Tagesspiegel melden!

Womit wir endlich beim Tagesspiegel angekommen wären. In seinem Bezirksnewsletter für Charlottenburg-Wilmersdorf wendet sich der Redakteur Cay Dobberke an seine Leser im Quartier, und dieses Schmankerl verdient es, in voller Länge zitiert und kommentiert zu werden. 

Liebe Nachbarinnen, liebe Nachbarn,

viele tun es und manche nicht: Das Ziel, Energie zu sparen, wird in unserem Bezirk sehr unterschiedlich umgesetzt. Es geht längst nicht mehr nur um den Klimaschutz, sondern infolge des russischen Kriegs gegen die Ukraine besonders um steigende Kosten und die Gefahr von Versorgungsengpässen.

Es geht längst nicht mehr um die russische Invasion in der Ukraine, sondern die wahre Ursache für die Energieknappheit ist natürlich die halsbrecherische, von den Grünen forcierte Energiewende – die Dobberke aber geflissentlich ignoriert, um stattdessen brav Robert Habecks Begründung nachzubeten.

In den vorigen Wochen haben wir einige Hinweise auf mögliche Energieverschwendungen erhalten.

Die Blockwarte laufen offenbar wieder zu großer Form auf.

Wie groß ist das Problem in Charlottenburg-Wilmersdorf? Das möchten wir mit Ihrer Hilfe, liebe Leserinnen und Leser, herausfinden.

Merke: Es wird niemand verpfiffen, vielmehr leistet der Denunziant „Hilfe“. Zeit, jetzt richtig konkret zu werden:

Nennen Sie uns größere Gebäude, in denen nachts unnötig Licht brennt, oder Geschäfte, die ihre Schaufenster zwischen 22 und 6 Uhr beleuchten – und damit gegen die seit September geltende Energiesparverordnung des Bundes verstoßen.

Denn, ja nun, so sind eben die Gesetze, da kann man nichts machen, und Ladenbesitzer, die dagegen verstoßen, sind Klimaleugner und Energieschädlinge, die kann man guten Gewissens melden.

Auch andere Energievergeudungen wie sinnlos offen stehende Fenster und Türen interessieren uns. Bitte schreiben Sie an meine E-Mailadresse, die unter diesem Text steht, und fügen Sie möglichst ein Foto bei.

Und wie sinnvoll oder sinnlos das Offenstehen von Fenstern und Türen ist, entscheidet dann genau wer? Robert Habeck himself? Oder der Hilfspolizist Cay Dobberke? Wie praktisch, dass heute jeder jederzeit eine Handykamera am Leib trägt, so können die Energieverbrechen gleich fotografisch dokumentiert werden. Das war damals, zu Gestapo-Zeiten, noch viel umständlicher. Der technische Fortschritt hilft, auch bei der Pflege alter Gewohnheiten.

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Jochen Brühl / 04.11.2022

Ich freue mich schon sehr darauf, wenn demnächst der illegale Betrieb von Holzofenheizungen gemeldet werden sollte, was eigentlich kommen müsste und ja sehr leicht zu sehen ist. Bereits jetzt riecht es abends immer wieder so wie bei ausgedehnten Waldbrandereignissen in Brandenburg in den letzten Jahren. Der Betrieb von Dieselautos, wie sie die DUH verboten sehen möchte, sind dagegen wie ein Beitrag zur Luftreinhaltung, da diese erwiesenermaßen hinten sauberere Luft abblasen als der Luftfilter vorne ansaugt. Bei jetzt häufigerer Smoglage, wie wir sie eigentlich seit Jahrzehnten nicht mehr kannten, funktioniert das sogar mit Euro4-Dieselfahrzeuggen. Auch hier schließen wir wieder zur DDR auf. Da würde dann in erster Linie die links-rot-grüne Klimaschikeria gemeldet werden. Das wäre mir der Preis des Denunziantentums temporär wert. Ich werde zwar aus Prinzip nie selbst melden, aber sehr interessiert registrieren, welche bisher eifrig meldende Person (Genderaspekt) dann gemeldet wird.

Thomas Mueller / 04.11.2022

Dazu fällt mir nur ein Wort mit 5 “e” ein: “ekelerregend”.

Ralf Leistner / 04.11.2022

Wenn Erich ich liebe euch doch alle Mielke geahnt hätte, was man mit einem Handy alles machen knn, die DDR hätte einen technologischen Vorsprung von 50 Jahren zum Rest der Welt gehabt. Und eine Netzkontrolle, die Xi noch heute erblassen ließe.

Marcel Seiler / 04.11.2022

Und dann das Deutschen-Bashing: In wie viel Ländern hat Autor Casula gelebt, wo es besser war? Klar, in Ländern, in denen niemand der Regierung traut, wird der Regierung weniger gemeldet, aber es geht insgesamt auch brutaler zu. Ist das erstrebenswert? Will er dass Zeugen von Verbrechen sich nicht melden, weil sie zu faul sind, Angst haben, oder “sich nicht einmischen” wollen? Davon gibt es auch bei uns zu viele. Hier bräuchten wir dann allerdings nicht weniger, sondern mehr “Denunzianten”. Im übrigen gibt es engstirnige Kleinbürger überall. Nur dass die in anderen Ländern einem nicht so auffallen.

Ralf Krochmalsky / 04.11.2022

Nach der Wende habe ich Akteneinsicht beantragt und bekommen. 5 meiner besten ” Freunde ” haben mich hinter meinem Rücken mit Dreck beworfen und jeden Scheiß dokumentiert . Glauben konnte ich dies erst nicht. Schwarz auf weiß hatte ich es und war Fassungslos. Jetzt geht es im besten Deutschland wieder los mit der An…...erei. Ich möchte mich bei allen Politikern und allen Ansch…ern bedanken. Ihr macht es hier besonders lebenswert. Mein Entschluß steht, ich werde das Land schnellst möglich für immer verlassen.

Marcel Seiler / 04.11.2022

“Denunzianten”: Was ist daran verkehrt, Straftäter zu melden? Nach dem Pariser Terror-Massaker hat ein Islam-Terrorist ein halbes Jahr in seinem Brüsseler Islam-Stadtviertel leben können, bevor die Polizei ihn schließlich fand, weil niemand der “Seinen” ihn “denunziert” hatte. Soll das jetzt ein Vorbild sein? Was ist mit Nachbarn, die häusliche Gewalt nicht anzeigen? Was ist an Abschreiben so toll? Was ist schützenswert, wenn Autos auf Fahrradwegen parken, sie sperren und die Fahrradfahrer in den gefährlichen Verkehr drängen? – Ich wünsche dem Autor Casula viel Spaß, wenn jeder sich seine eigenen Gesetze macht, wie es ihm gerade passt. Denn dann hilft nur Selbstjustiz.

finn waidjuk / 04.11.2022

Genau DAS ist der Grund, warum mich Deutschland nur noch anekelt. Es ist dieser spezifisch deutsche Charakterzug, diese irgendwo tief in der DNA verwurzelte Schäbigkeit, dieser Sado-Masochismus, der bewirkt, dass die meisten Deutschen ihre Fresse nur noch aufkriegen um den Speichel der Herrschenden zu lecken oder ihren Nächsten zu denunzieren. Natürlich gibt es überall auf der Welt Denunzianten, aber nirgendwo fühlen sie sich so wohl wie in Deutschland. Sie haben in Ihrer Aufzählung übrigens Stefan Weil, den Ministerpräsidenten von Niedersachsen vergessen, der im Herbst 2020 offen dazu aufrief, jeden, der gegen die “Corona-Maßnahmen” verstieße, zu denunzieren: “Im Moment geht es um richtig viel. Und deswegen können wir Mithilfe aus der Bevölkerung gut gebrauchen”. Und wie sah die Reaktion der Deutschen darauf aus? Anstatt den Mann aufgrund dieser Äußerung für immer aus der Gesellschaft der Anständigen auszuschließen wählen sie ihn wieder. Der Deutsche bleibt also auch beim Denunzieren anständig. Kommt mir irgendwie bekannt vor…

Dr. Joachim Lucas / 04.11.2022

Wiederlich.

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