Peter Grimm / 30.06.2022 / 06:14 / Foto: Pixabay / 51 / Seite ausdrucken

Freier Wettbewerb um Werbebudgets?

Gerald Hensel, der vor sechs Jahren einen Werbeboykott gegen Achgut.com initiierte, sagte später zur Rechtfertigung: „Recht auf Meinungsfreiheit gibt es, Recht auf Werbe-Budgets gibt es nicht“. Hat er recht? Gilt das jetzt auch?

Gestern standen an dieser Stelle Artikel, die sich mit einer Art Werbeboykott gegen Achgut.com beschäftigten. Wie beschrieben, bedarf es als Auslöser inzwischen offenbar nur anonymer Denunzianten. Wenn die einem Unternehmen über die sogenannten Sozialen Medien mitteilen, eine Seite, auf der ihre Werbung stünde, wäre politisch anrüchig, können sie eine kleine Lawine auslösen, an deren Ende eine Werbeagentur die Werbung aller ihrer Kunden von dieser Seite nimmt.

Wie Sie hier lesen konnten, hatte dies Achgut.com nach sechs Jahren wieder ereilt. Seinerzeit bedurfte es mit Gerald Hensel aber noch eines namentlich bekannten Anklägers, der sich auch noch die Mühe machen musste, auf eigens eingerichteten Webseiten liberale Publikationen wie Achgut.com oder auch Tichys Einblick als „rechts“ zu etikettieren, um damit die Richtigkeit der eigenen Denunziation zu belegen. Heute reicht offenbar eine anonyme Denunziation völlig aus, um einen Werbeboykott in Gang zu setzen. Dabei wird gerade auf eine Redaktion gezielt, die einen skeptischen und kritischen Blick auf Mächtige und Regierende auch dann für eine professionelle Selbstverständlichkeit hält, wenn deren Politik von etlichen Kollegen gern mit viel hochmoralischem Weihrauch für beinahe sakrosankt erklärt wird. Das ist – so hieß es hier auch gestern – ein Angriff auf Meinungs- und Pressefreiheit.

An dieser Stelle ist selbstverständlich die skeptische Frage angebracht, ob ich hier nicht einen Vorgang mit zu viel Pathos überhöhe, schließlich kann sich doch jeder Werbekunde selbst aussuchen, wo und wie er wirbt. Gerald Hensel erklärte seinerzeit: „Recht auf Meinungsfreiheit gibt es, Recht auf Werbe-Budgets gibt es nicht“. Das ist richtig, aber es gibt in einem freien Land ein Recht auf einen fairen Wettbewerb um diese Werbe-Budgets.

Süßes in Uniform

Als Taboola Werbepartner von Achgut.com wurde, lag der Werbe-Einbruch nach der Hensel Denunziation schon etwas zurück. Wer sich auf Achgut.com einließ, wusste um das Konfliktpotenzial. Die Seite hat sich in ihrer inhaltlichen Positionierung nicht verändert, außer dass Themen hinzugekommen sind, die seinerzeit noch unvorstellbar waren, wie die Corona-Ausnahmezustände oder der Ukraine-Krieg. Was also sollte eine Agentur plötzlich hindern, weiter mit Achgut zu arbeiten? Die verschiedenen möglichen Antworten auf diese Frage haben eines gemeinsam: Es geht nicht um das Erreichen der für die jeweils beworbenen Produkte relevanten Zielgruppen und das entsprechende Werbeumfeld – es geht nur um das politische Umfeld. Es geht nicht nur um Produktwerbung, sondern immer vordergründiger auch um die Demonstration der richtigen und guten Gesinnung des Unternehmens.

Im Jahr 2000 fiel mir in Peking eine große Werbetafel ins Auge. Beworben wurde ein Produkt eines renommierten Süßwarenherstellers. Wenig überraschend wurden die Süßigkeiten mit Bildern lachender Kinder beworben. Doch diese Kinder waren uniformiert, sie strahlten werbend in den weißen Hemden und roten Halstüchern der Jungen Pioniere, also der Kinder-Organisation der Kommunistischen Partei. Das Unternehmen warb nicht nur für sein Produkt, sondern auch für das Regime, und es demonstrierte die eigene Loyalität zu selbigem.

Die in dieser Werbung sichtbare Form der gelungenen politischen Einbindung grundsätzlich kapitalistisch arbeitender Firmen in das Machtsystem der Kommunistischen Partei Chinas war nicht überraschend. Wer es wissen wollte, wusste, dass es eine Illusion war und ist, zu glauben, eine Diktatur würde sich durch das Gestatten eines freieren Wirtschaftens und eines freieren Marktes automatisch auch politisch liberalisieren. China zeigte im Gegenteil, dass sich ein System von Abhängigkeiten, Gefälligkeiten und Zwang im Zusammenspiel von wirtschaftlicher und politischer Macht schaffen lässt, das auch dem Regime einer kommunistischen Kaderpartei das ökonomische Überleben sichert. Auch dafür stand die Pekinger Süßigkeiten-Werbung, und ich dachte nur: Wie gut, dass das Spitzenpersonal in der SED offenbar nicht so clever war wie die chinesischen Genossen.

Damit sollen keine falschen Vergleiche der sich leider entdemokratisierenden Bundesrepublik mit vergangenen oder gegenwärtigen kommunistischen Diktaturen anmoderiert werden. Aber ich erinnere mich immer öfter an dieses Plakat, wenn ich heutzutage Werbung von Unternehmen sehe, in der nicht das Produkt, sondern die politische Haltung des Werbenden im Mittelpunkt zu stehen scheint. Je stärker sich die Politik von ideologischen Denkfiguren und Weltbildern leiten lässt, desto stärker scheint der Bekenntnisdruck zu sein, unter dem sich die Unternehmen sehen.

Kein Ausschluss vom Wettbewerb

Wenn Automobilhersteller erklären, es läge in ihrem Interesse, den Verkauf ihres wichtigsten Produkts in ein paar Jahren zu verbieten, dann tun sie dies nicht, weil ihre Manager zur altruistischen Klimarettung den heroischen Opfergang antreten, sondern weil sie den Verlockungen von Subventionen und Fördergeldern nicht widerstehen können und sich mehr davon versprechen als von den Autokäufern.

Aber auch Unternehmen, die sich nicht in ein System von richtiger Haltung und Moral einbinden lassen wollen, verspüren Druck. Sie wollen vermeiden, in den öffentlichen Verdacht einer „falschen“ Gesinnung zu geraten. Auch hier kann man schnell in die Kontaktschuld-Falle treten. Auch deshalb wird Denunzianten, die Abweichler gern an den Pranger gestellt sehen, so schnell nachgegeben und ihnen damit eine große Macht in die Hände gelegt.

In der Online-Werbung ist eine kleine Lawine dann schnell erzeugt. Erst meldet sich ein Unternehmen, das eine Seite gemieden haben will, dann sperrt sich die Werbeagentur vollends. Das sind in der Umsetzung nur ein paar Klicks. Den Rest erledigen die Algorithmen. Das macht am wenigsten Arbeit und verursacht auch den wenigsten Ärger. Die meisten Beteiligten funktionieren, weil sie sich nach eigenen praktischen Erwägungen auf den ersten Blick ganz rational entscheiden, nicht weil sie Zensoren sein wollen.

Das ist alles menschlich verständlich. Nur eines ist es in einem Fall, wie dem unseren, nicht: eine von sachfremden Erwägungen freie Wahl eines Werbekunden, wo er wirbt und wo er nicht wirbt.

Wie Sie sehen können, hat Achgut noch nicht alle Werbekunden verloren. Hoffen wir, dass es noch hinreichend Agenturen und Unternehmen gibt, die mit ihrer Werbung vor allem die potenziellen Käufer ihrer Produkte erreichen wollen und die zu diesem Zwecke ihre Werbeträger frei und ohne Druck wählen wollen. „Recht auf Werbebudgets gibt es nicht“, hieß es einst von Hensel. Richtig! Dies sollte vor all jenen gesagt werden, die meinen, sie könnten Unternehmen drängen und nötigen, ihnen Missliebige vom Wettbewerb um Werbebudgets auszuschließen.

 

Lesen Sie zum Thema bei Achgut bitte auch

Henryk M. Broder, Dirk Maxeiner, Fabian Nicolay: Und vom Anfang einer üblen Affäre

Henryk M. Broder: Gegen die Macht der Denunzianten

Fabian Nicolay: Feigheit als Markenkern

Redaktion: Ein Dank an die Leser: So retten sie Achgut.com

Joachim N. Steinhöfel: Achse versus Taboola – Anonyme Player gefährden Meinungsfreiheit

Kolja Zydatiss: Ausgestoßene der Woche: #AchAudi

Marcus Ermler: „Aktion Mensch“ knickt vor Twitter-Antisemiten ein

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Torsten Hopp / 30.06.2022

Haarscharfe Analyse.  Offensichtlich verstehen einige immer noch nicht, was es bedeutet, wenn 50% der Deutschen nicht mehr wählen gehen. Ach ja, das ist Demokratie. Du kannst halt wählen oder nicht.

Boris Kotchoubey / 30.06.2022

Wie ich gestern bereits geschrieben habe, glaube ich NICHT, dass ein anonymer Denunziant reichte, damit eine große Firma ihre Werbung ausschaltet. Ich bin davon überzeugt, dass die Firma nicht nur jene anonyme Denunziation erhalten hat, sondern auch eine gezielte Information von einer sehr wichtigen Instanz, dass sie (die Firma) diese Denunziation nicht ignorieren soll. Im Falle des VW kann jeder Leser schnell erraten, was diese wichtige Instanz war.

Sara Stern / 30.06.2022

Mich würde tatsächlich mal interessieren, wie viele Leute tatsächlich noch den Mainstream lesen /schauen. Ich habe nämlich die Vermutung, dass ähnlich wie bei Twitter die Bots wohl einen guten Teil der Augen darstellen, bei den Verlagen und Quoten es ganz ähnlich läuft und defacto nicht mal die Hälfte der vorgegebenen Reichweite vorhanden ist. Nimmt man an, das die Reichweite real nur der Hälfte entspricht, würden Werbetreibende 50% zuviel für Anzeigen zahlen. Wenn man nun noch davon ausgeht, dass “alternative” Medien gezielt zensiert, gedrosselt, im Ranking nach unten rutschen und sie trotzdem regelmäßig viral gehen, fragt man sich wirklich ob das ganze Werbeanzeigengeschäft nicht eine riesige Blackbox ist, bei der jeder vorgibt eine Reichweite zu haben, die sie defacto nicht haben.

Hartmut Laun / 30.06.2022

Der Islam hat seine Fatwa gegen solche Muslime die falsch glauben und gegen die Ungläubigen. Der Wertewesten hat seine speziellen Fatwas entwickelt gegen alle welche an die Glaubenssätze von CO2, Klima und Viren nicht glauben wollen, sich der Sekte widersetzen, die Ungläubige und vom Glauben abgefallene kaltstellen, beruflich ausgrenzen, denunzieren, sozial isolieren, anzeigen.

Markus Jenaczek / 30.06.2022

Es gibt auch für niemand ein Recht auf ein Arbeitsverhältnis in der Werbebranche. Gibt es überhaupt ein Recht auf Erträge aus Werbung? Sollte das Geld nicht direkt in die Sozialsysteme gehen, zur Verbesserung der Lage der Kranken- und Rentenkassen, zum Nutzen aller durch Werbung Falschinformierten? Aber es wirkt auch seltsam, wenn Anzeigenkunden wie VW und AUDI deren Verfehlungen vorgehalten werden, obwohl man sich auch mit ihren Werbeausgaben finanzieren möchte. Die Trennung von sachlich und weltanschaulich ist stets fragil, der Anzeigenkunde ist potentieller Feind des redaktionellen Teils und umgekehrt. Ohne Werbung können nur Wenige publizieren, Karl Kraus ist das mit der „Fackel“ gelungen, wenn ich mich nicht irre, aber der war ein Titan.

Thorsten Beyer / 30.06.2022

Ich frage mich, ob Audi, Taboola & Co wirklich dafür bekannt sein wollen, dass sie anonymen linken Denunzianten blind nachgeben und mit ihrem sofortigen kompletten Rückzug die ihnen doch angeblich ach so wichtige Diversität und Meinungsfreiheit bedrohen…. Es ist der schizophrene Zug der linken, der Gutmenschen, der grünen Ökomarxisten, dass sie einerseits immerzu versichern, dass sie für Freiheit und Vielfalt sind, aber diese laufend einschränken müssen - sei es aus Mangel an Argumenten, an Intellekt oder an Realitätssinn.

George van Diemen / 30.06.2022

Schwarze Liste: “Werbt nicht beim Juden”. Nur gut dass Broder wohl hart im Nehmen ist. Aber ausgerechnet von dem Konzern, der sich an Adolf’s Transportbedarf einen goldene Nase verdient hat. Die devote Anbiederung an den Zeitgeist zahlt sich wohl immer wieder aus? Apropos, wie gendert man eigentlich “Kübelwagen” richtig?

Frank Stricker / 30.06.2022

Meines wissens nach gab es doch schon in Baden-Württemberg mal den Versuch, mit Hilfe von Denunzianten möglichen Steuersündern auf die Spur zu kommen. Es gab sogar ein Formblatt dass der Denunziant sich runterladen konnte und seinen Verdacht an die Steuerbehörde weiterleiten konnte. Natürlich anonym…...

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