Was tun, wenn die AfD Wahlen gewinnt? Das Votum des Wählers akzeptieren? Oder vielleicht doch schnell noch mit ein paar Gesetzen dafür sorgen, dass sie nicht zu viel Einfluss bekommt?
Einige deutsche Juristen machen sich derzeit Gedanken darüber, wie man die AfD entmachten könnte, wenn es ihr tatsächlich gelingen sollte, nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen in Regierungsverantwortung zu kommen. Die etablierten Parteien, die einst in der alten Bundesrepublik noch fast das ganze demokratische Meinungsspektrum in den Parlamenten abbildeten, wollen die Signale jener Wähler nicht verstehen, für die die Wahl der AfD eine Art Notruf an die bisherigen und gegenwärtigen Regierungsparteien ist. Nur deshalb wird diese Partei stärker und stärker. Und nur deshalb verfangen auch all die aufwändigen Anti-AfD-Kampagnen der vielen steuergeldgeförderten Gruppierungen und Körperschaften nicht. Doch auch wenn den alten Parteien in den kommenden Landtagswahlen erhebliches Ungemach droht, wollen sie vom bisherigen Kurs nicht weichen, aller Erfolglosigkeit zum Trotz.
Stattdessen finden wahrscheinlich viele ihrer Politiker Planspiele interessanter, die einige deutsche Juristen jetzt vortragen und in denen es darum geht, wie man der AfD gewonnene Macht wieder entziehen kann.
Von Überlegungen, wie eine AfD-Landesregierung vielleicht mittels „Bundeszwang“ an der Ausübung der Regierungsgewalt gehindert werden kann, hatte ich hier schon geschrieben. Beim Verfassungsblog gibt es nun Handlungsempfehlungen, wie man einer drohenden AfD-Landesregierung schon präventiv Kompetenzen entziehen kann. Der Grundgedanke: Wenn jetzt noch schnell ein paar Gesetze beschlossen werden, die die Kompetenzen beispielsweise der Thüringer Landesregierung einschränken, dann könnte auch eine AfD-Regierung nur einen beschränkten Kurswechsel durchsetzen. Die Lektüre lohnt sich, denn man sieht, was denn zuvörderst einem AfD-Zugriff entzogen werden soll.
Das Thüringen-Projekt
Fünf Autoren haben mit acht weiteren Mitarbeitern das 36-seitige Werk mit dem schönen Titel „Rechtsstaatliche Resilienz in Thüringen stärken – Handlungsempfehlungen aus der Szenarioanalyse des Thüringen-Projekts“ verfasst. Das „Thüringen-Projekt“ des Verfassungsblogs widmet sich insgesamt der Aufgabe, Wege zur AfD-Entmachtung im kleinsten deutschen Freistaat aufzuzeigen. Im Rahmen dieses Projekts schrieben zwei Autorinnen auf dem Verfassungsblog beispielsweise darüber, dass man das Gnadenrecht eines Landes-Ministerpräsidenten beschneiden solle, denn sonst könnte ein AfD-Ministerpräsident reihenweise Straftäter aus den eigenen Reihen begnadigen. Sicher ist die Frage berechtigt, inwieweit die Möglichkeit zur Begnadigung durch die Entscheidung eines Landesherrn wirklich mit einem demokratischen Rechtsstaat vereinbar ist. Nur hätte man sich die schon längst einmal stellen können.
Doch jetzt geht es ja um die „Handlungsempfehlungen“ der fünf Autoren mit ihren acht Mitarbeitern. Einleitend heißt es:
„Im Zuge unserer Recherchen haben wir mehrere (verfassungs)rechtliche Einfallstore identifiziert, die relativ einfach geschlossen werden könnten, um die Thüringer Rechts- und Verfassungsordnung resilienter gegenüber autoritär-populistischen Strategien zu machen. Hieraus ergeben sich einige Handlungsempfehlungen.“
Dass es nicht nur der Thüringer Rechts- und Verfassungsordnung an der nötigen Resilienz gegenüber autoritären Strategien, mit denen gezielt Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden, mangelt, hat die Corona-Politik von Bund und Ländern in den Jahren 2020 bis 2022 hinreichend bewiesen. Doch leider geht es den Autoren nicht darum, die Grundrechte der Bürger krisenfester zu machen, sondern einer neuen Regierung die Gestaltungsmöglichkeiten zu beschneiden, Entscheidungen ihrer Vorgänger aufzuheben.
Woher kommen die Verfassungsrichter?
Es gibt aber, um damit zu beginnen, auch Handlungsempfehlungen, die greifen sollen, wenn die AfD zwar an einer Machtübernahme gehindert werden kann, aber dennoch mehr als ein Drittel der Landtags-Mandate besetzt. Dann wird es nämlich kaum mehr möglich sein, Verfassungsrichter an der AfD vorbei bzw. ohne Absprachen mit ihr zu wählen. In dem Papier der Lösungsmöglichkeiten heißt es:
„Gemäß Art. 79 Abs. 3 S. 3 ThürVerf (Thüringer Verfassung) werden die Mitglieder des Thüringer Verfassungsgerichtshofs mit einer Zweidrittelmehrheit vom Landtag gewählt. Dieses qualifizierte Mehrheitserfordernis ist sinnvoll und wichtig, kann den Landtag aber vor ein Dilemma stellen: Einerseits verschafft es dem Verfassungsgerichtshof einen hohen Grad an demokratischer Legitimation und verhindert eine politisch einseitige Besetzung (Reutter 2020, S. 216). Andererseits bewirkt es, dass die Wahl der Verfassungsrichterinnen und -richter bei schwierigen Mehrheitsverhältnissen sehr lange dauert oder gar nicht mehr gelingt.
Die Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichtshofs ist besonders gefährdet, wenn eine autoritär-populistische Partei über ein Drittel der Sitze im Parlament erreicht und diese sogenannte Sperrminorität gezielt nutzt, um die Neubesetzung von Richterposten am Verfassungsgerichtshof zu verhindern.“
Nun, es könnte auch sein, dass die „autoritär-populistische Partei“ (den Namen mögen die Autoren offenbar kaum aussprechen) damit einfordert, dass man mit ihr über die Neubesetzung von Verfassungsrichterstellen verhandelt und Richter findet, die auch von ihr akzeptiert werden können. Genau diese Verständigungen will die Verfassung offenbar erreichen. Aber solcherlei Gespräche passen nicht zur Brandmauer-Abgrenzung.
„Unter dem Damoklesschwert einer solchen Blockade könnte die autoritär-populistische Partei die Wahl eigener Kandidatinnen und Kandidaten in das Gericht erpressen oder andere Parlamentsentscheidungen in ihrem Sinne erzwingen, etwa bestimmte Posten für ihre Abgeordneten oder Gesetzesänderungen.“
Reden hinter Brandmauer?
Zugespitzt formuliert beschreiben diese Zeilen den Kuhhandel, der leider zu den Gepflogenheiten des politischen Systems gehört. Doch daran stören sich die Autoren erst, wenn auch die Schmuddelkinder mitspielen wollen.
„Lassen sich die anderen Parteien nicht auf solche Verhandlungen ein, könnten nach dem Ablauf der regulären Amtszeit von Verfassungsrichterinnen und -richtern deren Nachfolgerinnen bzw. Nachfolger nicht gewählt werden. Führt die autoritär-populistische Partei eine längerfristige Blockade bei der Wahl von neuen Richterinnen und Richtern herbei, untergräbt sie die demokratische Legitimation des Verfassungsgerichtshofes – und stärkt gleichzeitig ihr Narrativ von der Dysfunktionalität des politischen Systems.“
Und was kann man in einem solchen Fall tun? Ersatzweise andere Wahlverfahren einführen. Ein Vorschlag in dem Papier: Wenn Verfassungsrichter-Wahlgänge auf herkömmlichem Wege scheitern, dann könnte ersatzweise über einen Kandidaten abgestimmt werden, der vom Verfassungsgericht selbst benannt wird und zu dessen Wahl nur eine einfache Mehrheit nötig ist. Aber auch das könnte scheitern und für diesen Fall sollen die Parteien keineswegs gezwungen sein, am Ende doch mit den Unberührbaren hinter der Brandmauer reden zu müssen.
„Für solche Fälle bestünde ebenfalls die Möglichkeit, auf die in Art. 99 GG geregelte Organleihe zurückzugreifen.Fällt der Landesverfassungsgerichtshof als Kontrollorgan von Legislative und Exekutive dauerhaft aus, könnte das Bundesverfassungsgericht an seine Stelle treten und die Zuständigkeit auch für landesverfassungsrechtliche Streitigkeiten übernehmen. Voraussetzung dafür ist nach Art. 99 GG ein Landesgesetz. Um dem einfachen Gesetzgeber den Zugriff auf dieses Landesgesetz zu entziehen, empfehlen wir, diese Regel mit einer Verfassungsänderung einzuführen.“
Um das dann zu ändern, bräuchte die AfD eine Zweidrittelmehrheit und die wird sie nicht zusammenbekommen.
Schutz für ARD und ZDF
Gleich nach der Besetzung des Verfassungsgerichts kümmern sich die Verfassungsblog-Autoren um die Sicherheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auch diesen gilt es vor der AfD zu schützen. Im MDR-Sendegebiet, also den Ländern Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen hat das ein besonderes Geschmäckle. Hier hatte man die AfD per neuem Staatsvertrag aus dem Rundfunkrat, also dem Kontrollgremium, gedrängt. Bis 2021 stand im Staatsvertrag zur Vertretung der Landtagsparteien im Rundfunkrat, dass die Vertreter „der in mindestens zwei Landtagen durch Fraktionen oder Gruppen vertretenen Parteien in der Weise, dass jede Partei entsprechend der Gesamtstärke der Fraktionen oder Gruppen je angefangene fünfzig Abgeordnete ein Mitglied entsendet“.
Damit war die AfD im MDR-Rundfunkrat vertreten. Doch 2021 beschlossen die drei MDR-Länder einen neuen Staatsvertrag, und demnach bestehen die Abgesandten der Landesparlamente aus „… je drei Vertreterinnen oder Vertretern der Landtage, die mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder des jeweiligen Landtages gewählt werden“. Fortan war die AfD draußen. Doch nun scheint es, als würde sie in Sachsen und Thüringen mehr als ein Drittel der Landtagsmandate erringen. Dann geht Rundfunkratsbesetzung nur mit der AfD.
Aber inzwischen geht es um viel mehr als um den Rundfunkrat. Es geht um den Staatsvertrag an sich. Denn kommt die AfD in Thüringen an die Macht, könnte es für ARD und ZDF dort schwer werden.
„Staatsverträge können von jedem der an ihnen beteiligten Länder gekündigt werden. So auch die Rundfunkstaatsverträge zu ARD, ZDF und MDR. Diese regeln den gemeinsamen Betrieb von Rundfunkanstalten durch alle 16 Länder (im Falle von ARD und ZDF) und durch Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt (im Falle des MDR). Aufgrund der Länderkompetenzen im Medienrecht ist der Bund nicht berechtigt, medienrechtliche Gesetze zu erlassen. Die Kündigungsfristen sind im jeweiligen Staatsvertrag geregelt; das Verfahren der Kündigung richtet sich nach dem Landes(verfassungs-)recht. Nach geltendem Landesrecht in Thüringen darf allein die Ministerpräsidentin bzw. der Ministerpräsident Staatsverträge kündigen, weil sie/er das Land nach außen vertritt (Laude & Mast 2024). Das bedeutet, dass die Ministerpräsidentin bzw. der Ministerpräsident Rundfunkstaatsverträge aufkündigen kann, ohne den Landtag und die übrigen Regierungsmitglieder in diese Entscheidung einzubinden.
Das Bundesverwaltungsgericht führte zum NDR-Staatsvertrag im Jahr 1978 aus, dass eine Zustimmung des Landtags zur Kündigung nicht erforderlich sei – sofern die Landesverfassung eine solche Zustimmung nicht regele.“
Ob Staatsverträge auch in Sachsen vom Ministerpräsidenten allein gekündigt werden können, teilen uns die fünf Autoren und ihre acht Mitarbeiter an dieser Stelle leider nicht mit. Ohnehin darf man sich fragen, warum sie nicht über den Thüringer Tellerrand hinausschauen, denn die Chancen der AfD sind in Sachsen mitnichten geringer als in Thüringen. Wahrscheinlich sind sie ausschließlich auf Björn Höcke als Galionsfigur des Bösen fixiert.
Staatsvertrags-Kündigung in Thüringen nicht unpopulär
Ihre Vorschläge dürften die Freunde der Staatsvertragssender kaum beruhigen. Mit einer Verfassungsänderung soll eine Zustimmung des Landtags auch zur Kündigung eines Staatsvertrags verpflichtend werden. Aber die wäre in Thüringen nicht unpopulär. Deshalb könnte derzeit wohl niemand beispielsweise eine AfD-Wagenknecht-Mehrheit für eine Vertragskündigung ausschließen. Ich gebe zu, an dieser Stelle kann ich mir selbst kaum glauben, doch in den letzten Jahren ist bekanntlich sehr viel bis dato Unglaubliches geschehen.
Der Versuch, mittels einer Vorschlagsrechts-Regelung bei der Wahl des Landtagspräsidenten dafür zu sorgen, dass dieses Amt nicht zwangsläufig an einen Vertreter der stärksten Fraktion gehen muss, überrascht nicht, eine nähere Betrachtung lohnt sich ob des begrenzten Unterhaltungswerts aber nur für Liebhaber der Details parlamentarischer Geschäftsordnungen.
Auch die Landeszentrale für politische Bildung, bislang ein Organ der Landesregierung, sollte schnell noch als „teilrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts“ neu aufgestellt werden. Der Grund:
„Käme eine autoritär-populistische Partei in Regierungsverantwortung, wäre die politische Bildung in Thüringen (…) sowohl existenziell als auch in ihrer inhaltlichen Ausrichtung gefährdet.“
Brisanter Vorschlag
Deutlich brisanter ist der Vorschlag, die Polizeipräsidenten, den Verfassungsschutzpräsidenten und den Landtagsdirektor aus der Liste der „politischen Beamten“ zu streichen. Diese dürfen nämlich wegen politischer Unstimmigkeiten von ihrem Posten entfernt werden. Die Bundesregierung beispielsweise konnte sich deshalb 2018 problemlos des damaligen Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, entledigen, nachdem dieser wahrheitsgemäß einer regierungsamtlichen Behauptung über Hetzjagden in Chemnitz widersprach.
Es spricht ja grundsätzlich durchaus einiges dafür, solche Positionen generell in einem eigenen parlamentarischen Verfahren zu besetzen und von der jeweiligen Regierung zu entkoppeln. Doch dann muss selbiges Amt eben auf diesem Wege neu besetzt werden. Man darf nicht versuchen, einfach nur die von der bisherigen Regierung getätigte Besetzung über einen Amtswechsel hinaus zu verstetigen .
Dass die Verfassungsblog-Autoren konsultative Volksbefragungen verfassungsrechtlich ausschließen wollen, erscheint hingegen trotz des ersten Anscheins eher unproblematisch. In ihrem Vorschlag heißt es:
„Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus. Es verwirklicht seinen Willen durch Wahlen, Volksbegehren und Volksentscheid. Alle weiteren Formen von Volksabstimmungen und von Volksbefragungen sind nur durch Verfassungsänderung zulässig. Es handelt mittelbar durch die verfassungsgemäß bestellten Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung.
Die direktdemokratische Gesetzgebung „von unten“ bleibt damit unangetastet. Nur „von oben“ initiierte Volksbefragungen werden ausgeschlossen.“
Abschaffung der geheimen Wahl im Parlament?
Vollkommen irrwitzig wird es hingegen unter der Überschrift „Risiken rund um die Ministerpräsidentenwahl verringern“, denn hier geht es um nicht weniger als um die Abschaffung der geheimen Wahl im Parlament:
„Dass der Ministerpräsident in geheimer Wahl gewählt wird, setzt einen Anreiz für Missbrauch. Die Ministerpräsidentenwahl vom 5. Februar 2020 ist dabei nur ein Beispiel für die problematischen Konsequenzen dieses Anreizes. Um derartige Szenarien in Zukunft zu vermeiden und die Transparenz der Wahl zu erhöhen, sollte die Wahl offen erfolgen.“
Worin liegt der Missbrauch, wenn Abgeordnete frei wählen können, ohne persönliche Befindlichkeiten der Kandidaten oder den Fraktionszwang berücksichtigen zu müssen? Im Gegenteil, nur die geheime Stimmabgabe ermöglicht in einer Personenwahl ein unabhängiges Votum. Was folgt als nächster Schritt? Heißt es dann demnächst auch zur Landtags- und Bundestagswahl, um „die Transparenz der Wahl zu erhöhen, sollte die Wahl offen erfolgen“?
Solche Handlungsempfehlungen wollen erreichen, dass die AfD möglichst wenig Machtinstrumente in die Hand bekommt, wenn es sich nicht verhindern lässt, dass sie Macht in die Hand bekommt. Aber eigentlich müssten all die AfD-Gegner doch gelernt haben, dass ihre Strategie des Ausgrenzens zehn Jahre lang erfolglos war. Ich kann eigentlich zum Abschluss hier nur wieder den letzten Satz aus meinem letzten Artikel zu diesem Thema zitieren:
„Am meisten nutzt es der AfD aber, dass die in Bund und Ländern regierenden Parteien immer noch nicht verstehen wollen, was ihnen die meisten AfD-Wähler mit ihrer Stimmabgabe eigentlich sagen möchten.“
Peter Grimm ist Journalist, Autor von Texten, TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen und Redakteur bei Achgut.com.