FUNK ist das Darknet der öffentlich-rechtlichen Anbieter; hier platzieren die ARD und das ZDF „sensible Themen" für die Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 14 und 29 Jahren. Dazu gehören auch „außergewöhnliche Lebensstile" kleiner und kleinster Minderheiten, die bis jetzt übersehen wurden.
Sagt Ihnen der Name Kai Gniffke etwas? Dr. Kai Gniffke? Der promovierte Politologe, Jurist und Soziologe leitete 16 Jahre lang die Abteilung ARD-aktuell, zuständig für die Tagesschau, die Tagesthemen und die Brennpunkte. 2019 bewarb er sich erfolgreich um den Posten des SWR-Intendanten.
Gniffke wirkte immer im Hintergrund, leading from behind, außerhalb des ARD-Kosmos machte er sich erst 2016 einen Namen, nachdem bekannt wurde, dass die Tagesschau-Redaktion entschieden hatte, über den Mord an einer Freiburger Studentin nicht zu berichten. Bei dem mutmaßlichen Täter, der inzwischen überführt und verurteilt wurde, handelte es sich um einen 17 Jahre alten Afghanen, „der als unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland gekommen war“, berichtete die taz.
Aber das sollte nicht der Grund für die unterlassene Berichterstattung gewesen sein, sondern etwas ganz anderes: „Die Tagesschau berichtet über gesellschaftlich, national und international relevante Ereignisse. Da zählt ein Mordfall nicht dazu“, erklärte Gniffke auf tagesschau.de. Unter dem Druck der Kritik überlegte er es sich später anders und gab den Fall für die Tagesschau frei.
Szenenwechsel. Als Intendant ist Gniffke auch für die Beiträge verantwortlich, die der SWR bei FUNK einstellt. FUNK wiederum ist „ein deutsches Online-Content-Netzwerk der ARD und des ZDF, das sich insbesondere an Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 29 Jahren richtet“, also die FB-, Twitter- und Insta-Gemeinde, die sich vom analogen Fernsehen längst verabschiedet hat. So sie das Netzwerk je genutzt hat.
Inhaltlich ist FUNK ungefähr das, was BENTO für den SPIEGEL war, ein Dixi-Klo in der guten Stube. Sollten die behandelten Themen tatsächlich den Interessen der Zielgruppe entsprechen, dann müsste eine Armee von Therapeuten rekrutiert werden, um die Schäden zu behandeln, die FUNK angerichtet hat. Sie denken, ich übertreibe? Dann starten Sie einen Selbstversuch, nehmen Sie ein starkes Schmerzmittel ein, Ibuprofen oder Paracetamol, und schauen Sie sich das FUNK-Angebot mal an.
Sie können die Via Dolorosa natürlich auch abkürzen und gleich den Kanal Leeroy will’s wissen ansteuern. Da kommen lauter „spannende Menschen“ zu Wort, die über ihre „Erfahrungen, Perspektiven, Realitäten und Schicksale berichten“. Also alles, was Sie schon immer über Menschen wissen wollten, von denen Sie nicht mal geahnt haben, dass es sie gibt. Angehörige kleiner und kleinster Minderheiten, die nun miteinander um einen Platz in der Mediathek konkurrieren.
Meine Favoriten sind zwei Videos zum Thema „Wie ist es, ein Little zu sein“. Hier und hier. Erst dachte ich, es ginge um kleine Menschen wie Gregor Gysi und mich, die ein ihnen bei der Geburt zugewiesenes Handicap durch großmäuliges Auftreten auszugleichen versuchen. Aber das war es nicht. Es kam mir vor, als würde ich einem UFO bei der Landung zuschauen.
Ein wenig irritiert wandte ich mich an den Intendanten des SWR, Kai Gniffke, mit der Bitte um Hilfe. Und so kam es zu dem folgenden Notenwechsel.
10. Oktober
guten tag, sehr geehrter herr gniffke, ich hoffe, es geht ihnen gut, soweit das aktuell möglich ist. ich bitte sie, mir zwei fragen zu den beiden videos zu beantworten, die der SWR bei FUNK eingestellt hat.
sind die beiden protagonisten, also "pappi" und "little", echt, oder wurden sie für diese beiträge gecastet? für den fall, dass sie "echt" sind: wurden die videos von ehemaligen angehörigen der odenwaldschule produziert, und falls dies der fall war, was hat den SWR motiviert, sie für FUNK zu übernehmen?
mit besten grüßen aus dem osten in den südwesten
15. Oktober
sehr geehrter herr gniffke,
mir ist bewusst, dass sie viel zu tun haben. sie müssen an konferenzen und sitzungen teilnehmen, entscheidungen treffen, ihren sender und die ganze ARD im auge behalten.
ich erwarte von ihnen nicht, dass sie anfragen persönlich erledigen. aber ihnen steht doch ein stab qualifizierter mitarbeiterInnen zur seite, die sich jeden problems annehmen können. z.b. wie die von mir angeführten beiträge in das FUNK-angebot geraten konnten. zwei reportagen für und über eine zielgruppe, die kaum größer sein dürfte als die zahl der riesenquallen im starnberger see.
und wie ich gerade sehe, wird einer der beiden beiträge (UPDATE: Wie ist das EIN LITTLE ZU SEIN?) inzwischen nicht mehr angeboten. was für eine koinzidenz!
trotzdem bestehe ich darauf, dass sie meine anfrage beantworten. lassen sie sich bitte von ihrem justitiar darüber aufklären, dass sie dazu verpflichtet sind – nicht nur in mordfällen von nationaler relevanz.
beste grüße
19. Oktober
Sehr geehrter Herr Broder,
vielen Dank für Ihre Schreiben vom 10. Und 15. Oktober. Selbstverständlich antworte ich Ihnen sehr gerne darauf, das ist schließlich nicht nur eine Frage der Pflicht, sondern auch des Anstands. Sie können versichert sein, dass ich dafür keine Aufklärung meiner Justitiarin benötige. Meine zahlreichen weiteren Aufgaben haben Sie ja schon ganz treffend umrissen, ich danke Ihnen daher für Ihre Geduld. Gerne gehe ich im Folgenden auf Ihre Kritik an zwei Videos des funk-Formats “Leeroy will’s wissen” ein.
Außergewöhnliche Lebensstile, wie der in den Videos abgebildete, sind als soziales Phänomen Teil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit. So erzielen beispielsweise Videos zu sogenannten Littles in sozialen Medien oft mehrere Millionen Abrufe (z.B. dieses Video https://www.youtube.com/watch?v=m5HcJ-JqLX4). Eine journalistisch-redaktionelle Recherche oder fundierte Einordnung findet in diesen Beiträgen meist nicht statt. Daher ist es Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags, auch solche gesellschaftlichen Randphänomene, mit denen junge Menschen im Internet unter Umständen konfrontiert werden, abzubilden, einzuordnen und so junge Menschen mit diesen Eindrücken nicht allein zu lassen. Gerade für ein Angebot, das sich an Jugendliche und junge Erwachsene richtet, die einen wesentlichen Teil ihrer Zeit mit der Nutzung von sozialen Medien verbringen, ist das Aufgreifen von solchen Phänomenen essenziell. Auch das Feedback der Community zeigt, dass die Zielgruppe diese Herangehensweise und die Themenauswahl sowie Umsetzung schätzt.
Bei der Erstellung und journalistischen Abnahme der Inhalte wird zudem grundsätzlich stets auf die Einhaltung der Jugendschutzstandards geachtet. Bei kritischen Themen wird die Jugendschutzbeauftragte des SWR bzw. der in dem Fall redaktionell verantwortlichen Anstalt hinzugezogen. Durch diese Beratung wird gewährleistet, dass Themen so umgesetzt werden, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung nicht beeinträchtigt werden. So wurde auch im Fall der vorliegenden Videos gehandelt. Auch wenn ich grundsätzlich nachvollziehen kann, dass das Thema auf Zuschauerinnen und Zuschauer durchaus befremdlich wirken kann, so wird das Gezeigte stets eingeordnet, zum Beispiel durch grafisch abgesetzte Infotafeln. Zudem stellt Leeroy Matata im Video immer wieder kritische Nachfragen oder reagiert teilweise sichtlich irritiert, was auf Zuschauerinnen und Zuschauer ebenfalls einen einordnenden Effekt hat.
Ich kann Ihnen darüber hinaus versichern, dass die Protagonisten nicht gecastet wurden, denn gerade das authentische Abbilden verschiedener Lebenswelten liegt im Kern des Formats Leeroy will’s wissen. Nicht zuletzt aufgrund der sensiblen Themen geht die Auswahl der Protagonisten des Formats zudem immer mit einer sorgfältigen Recherche einher. Unserer Kenntnis nach stehen die Protagonisten nicht in einer Verbindung zur Odenwaldschule.
Wie Sie richtig schreiben, ist das Video „Update: Wie ist das ein Little zu sein“ auf der funk-eigenen Website vorrübergehend nicht verfügbar. Grund dafür ist ein technischer Fehler. Nach der Behebung des Fehlers sollte das Video aber in einigen Tagen wieder abrufbar sein. Auf YouTube und in der ARD Mediathek ist das Video nach wie vor verfügbar (UPDATE: Wie ist das EIN LITTLE ZU SEIN?). Sie können sicher sein, dass wir unsere Inhalte sorgfältig prüfen, bevor wir sie veröffentlichen, sodass sie auch vereinzelten kritischen Nachfragen Stand halten.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Erläuterungen einen besseren Einblick geben konnte und danke Ihnen für Ihre konstruktive Kritik, auf deren Basis sich das Format stetig weiterentwickeln kann.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Kai Gniffke, Intendant
Schlussanmerkung von Henryk M. Broder zu Gniffkes Stellungnahme: Man könnte es auch einfacher sagen: „Pappi“ und seine LITTLE erhalten ihren Anteil an der „Grundversorgung", den die Öffentlich-Rechtlichen zu leisten verpflichtet sind. Es geht ja um „das authentische Abbilden verschiedener Lebenswelten". Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis FUNK sein Angebot um einen Kanal für Zoophile erweitert. Oder Kannibalen, die sich diskriminiert fühlen.