Die aufsehenerregende Verdachtsberichterstattung der Süddeutschen Zeitung gegen Hubert Aiwanger hat das mediale Redaktionsnetzwerk Achgut (mRNA) ermutigt, tiefer in die Verstrickungen des Freie-Wähler-Chefs zu blicken – und erschreckende Verbindungen ins ultrabrutalorechte Hardcore-Milieu aufzudecken.
Die Tarnung war fast perfekt: 36 Jahre lang war vom umstrittenen Hubert Aiwanger nicht ein einziges antisemitisches Wort zu hören, auch hütete er sich, den Nationalsozialismus öffentlich zu verharmlosen. Nichts deutete darauf hin, dass der Noch-Wirtschaftsminister Bayerns außerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, ja sogar bestrebt sein könnte, das System zu Fall zu bringen. Doch nun erhärten sich Indizien, dass „Hubsi“, wie ihn seine wenigen Freunde nennen, Teil eines Verschwörerkreises sein könnte, der nicht weniger als den Umsturz plante. Ein mRNA-Rechercheteam machte sich auf Spurensuche.
Da Aiwanger dreieinhalb Jahrzehnte unauffällig blieb, muss die Spur in die Kindheit und Jugend des polternden Niederbayern zurückverfolgt werden. In Rottenburg an der Laaber treffen wir zunächst einen Altersgenossen Aiwangers, der aus Angst vor den skrupellosen Kreisen, in denen Aiwanger mutmaßlich verkehrt, ungenannt bleiben möchte. „Schon auf dem Spielplatz war Hubsi als Neighborhood Bully gefürchtet, wie mir eine Babysitterin erzählte. Sie habe gehört, dass er einmal, da muss er so drei gewesen sein, im Sandkasten einem anderen Kind ein Förmchen über den Scheitel gezogen und ein Plastikschäufelchen in die Hand gedrückt habe – mit der Aufforderung, sich ,sein eigenes Grab zu schaufeln‘. Wir haben uns damals nichts dabei gedacht, waren völlig unpolitisch.“
Der Zeitzeuge zittert noch heute beim Gedanken an diese Vorfälle, an die er sich erinnert, als sei es gestern gewesen. „Da habe ich ein Gedächtnis wie der Bundeskanzler“, versichert der 52-Jährige. „Ich habe Hubert nie persönlich kennengelernt, weil ich auf die Rocco-Siffredi-Gesamtschule in Kleinzaitzkofen ging und Hubert aufs Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg. Aber jemand meinte mal, Hubert habe sich eigenhändig ein Panini-Album von NS-Größen gebastelt und die Klebebildchen mit Mitschülern getauscht. Für drei Görings wollte er einen Himmler haben.“
„Jetzt ist er nach ganz rechts abgedriftet!“
Die dunkle Faszination für Waffen hat sich Aiwanger bis heute erhalten. Seit 2004 ist er Erster Vorsitzender der Kreisgruppe Rottenburg des Bayerischen Jagdverbands. Kein Wunder, dass der militante Landwirtssohn auch mit Begeisterung den Grundwehrdienst ableistete. Und: Seinem Bruder Helmut, von Beruf Büchsenmacher, gehört der Laden „Waffen und Ausrüstung Aiwanger“. Wie Helmut und sein Vater ist Hubert Aiwanger leidenschaftlicher Jäger, alle sind natürlich Mitglied im Jagdverband.
„Wahrscheinlich hat er am liebsten niedliche Rehkitze abgeknallt“, vermutet die Bäckereifachverkäuferin Zenzi H., die Aiwanger früher in seinen Schulpausen Schaumkuss-Brötchen verkaufte, die er stets explizit „Negerkussbrötchen“ zu nennen pflegte. „Er hörte gern Musik – wie Hitler! Und er hatte schreckliche Angst vorm Zahnarzt – wie Hitler!“ Alarmzeichen, die damals niemand wahrnahm. Oder nicht wahrnehmen wollte. Das Milieu, in dem Aiwanger aufwuchs und in dem er sich noch heute wohlfühlt, wird nicht von Klimaschützern, Seenotrettern und Liegeradfahrern bevölkert, sondern von Schützen, Trachtlern und Landwirten. Das ideale Umfeld, um gegen das demokratische System zu agitieren. „Besonders krass zeigte sich das in der Corona-Zeit“, so Zenzi H. „Er war zwar geimpft, verteidigte den Eingriff jedoch als freie und ,private Entscheidung des Einzelnen‘. Da habe ich schon geahnt: Jetzt ist er nach ganz rechts abgedriftet!“
So langsam fügt sich alles zu einem Bild zusammen. Als Teenager war Aiwanger Vorsitzender der Katholischen Landjugendbewegung – also glühender Verfechter jener Kirche, die für zahllose Missbrauchsfälle, mehrere Kreuzzüge und die Inquisition verantwortlich ist. Noch heute ist er Mitglied in zahlreichen Ortsvereinen wie der Freiwilligen Feuerwehr, von der man weiß, dass sich dort fast ausschließlich autochthone Deutsche engagieren. Man will wohl unter sich bleiben.
Prinz Heinrich XIII. war ihm mutmaßlich zu weich
Wir steigen tiefer in die Recherche ein. Ansatzpunkt ist ein Hinweis auf mögliche Verbindungen zum „Cordhosen-Prinzen“ Heinrich XIII. Reuß, den Kopf einer Verschwörerbande, die Kanzler Scholz und sein Kabinett gefangennehmen und fesseln sowie im Anschluss einen Staat nach Vorbild des Deutschen Reichs von 1871 errichten wollte. Fazit der Untersuchungen: Es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass Aiwanger den Prinzen jemals traf – mutmaßlich, weil Aiwanger das politische Ziel des Reichsbürger-Prinzen zu gemäßigt war, weswegen er es ablehnte, Kontakt zum „Weichei“ Reuß aufzunehmen.
Andererseits: Helmut Aiwangers Rottenburger Waffengeschäft liegt nur knapp drei Autostunden vom Jagdschloss Waidmannsheil des Prinzen in Saaldorf bei Bad Lobenstein entfernt. Wollte Heinrich hier vielleicht seine Gewehre käuflich erwerben oder zumindest das Sortiment begutachten? Fest steht jedenfalls: Der Pisspage des Prinzen ist ein Schwippschwager des Urologen von Helmut Aiwangers Briefträger. Zufall? Heinrich XIII. Reuß ist Immobilienunternehmer – und der Aiwanger-Clan besitzt Immobilien. Zufall? Hubert Aiwangers Frau heißt Tanja Schweiger und trägt damit denselben Familiennamen wie der umstrittene Schauspieler und Coronaleugner Til Schweiger. Wirklich alles nur Zufall?
Hinzu kommt: Ein entfernter Bekannter der Aiwangers ist der Sohn eines Metzgers, dessen Friseurin eine Schreibmaschine genau desselben Fabrikats besitzt, auf der das berüchtigte Flugblatt der Aiwanger-Brüder getippt worden sein soll. Und: Eine ehemalige Erntehelferin auf dem Aiwanger-Hof benutzt heute einen Rollator derselben Marke wie die frühere Religionslehrerin Elisabeth R., deren Bande Gesundheitsminister Karl Lauterbach in einer Talkshow kidnappen wollte.
Die Fäden in diesem verwirrenden Fall laufen immer enger zusammen.
Kommt er trotz der ruchlosen Tat davon?
Warum etwa besitzt eine vegan lebende, enge Freundin von Aiwangers Ehefrau mehrere Kochbücher des Hitler-Verehrers und Antisemiten Attila Hildmann? Ausgerechnet? Warum hat Aiwanger 36 Jahre die Fassade des leutseligen Konservativen vom Lande aufrechterhalten, warum hetzte er nie gegen Israel, wo doch bereits in frühester Jugend seine braune Gesinnung zum Himmel schrie? Wir müssen dem Zufall dankbar sein, dass Jahrzehnte nach dem schrecklichen Vorfall am Burkhart-Gymnasium in Mallersdorf-Pfaffenberg alles ans Licht kam, um wenige Wochen vor der Landtagswahl zu verhindern, dass Aiwanger weiterhin ein hohes politisches Amt bekleiden kann.
Dem Zufall dankbar sein – und dem ehemaligen Lehrer an Aiwangers Schule, der das Flugblatt von damals in Klarsichtfolie aufbewahrte, um es im linken Moment ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Wir besuchen ihn in seiner bescheidenen Sechszimmerwohnung, wo er für die Journalisten einen grünen Tee aufsetzt und freundlich das Corpus Delicti herumreicht. Draußen sind die Geräusche vorbeifahrender Autos zu hören, ein Hund bellt. Der Hinweisgeber selbst sieht sich nicht als Held, wie er beteuert, tatsächlich jedoch brach er sein Schweigen, um die akut gefährdete demokratische Ordnung vor dem drohenden Umsturz zu bewahren. Ein Lehrer hat Deutschland gerettet. Wer sonst, könnte man fragen.
Doch noch ist die Affäre nicht ausgestanden. Selbst wenn Aiwanger zurücktritt oder Ministerpräsident Söder ihn fallenlässt, könnte der verhinderte Putschist gerade mal 36 Jahre nach der ruchlosen Tat ungeschoren davonkommen. Dem Vernehmen nach spekuliert Hubert Aiwanger darauf, dass das Selbstbestimmungsgesetz sehr bald beschlossen wird. Sein kruder Plan, so heißt es: Er will sich zur Frau erklären und fortan Berta nennen. Damit dürfte niemand ihn und die Tat eines Kindes, das damals Hubert hieß, in Verbindung bringen, wofür dann auch die Sanktionierung des Deadnamings sorgt. Berta kann nicht für das haften, was Hubert einst verbrach. Es sei denn, man schafft rechtzeitig eine Lex Aiwanger: So wie schwere Verbrechen verjähren können, die Jugendsünde eines Konservativen aber nicht, kann auch das Selbstbestimmungsgesetz jedem ermöglichen, das Geschlecht zu wechseln – außer Hubert Aiwanger. Eine Mehrheit in den Parlamenten dürfte sich dafür finden lassen.
Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten.