Die Überlebenden der 68er Kulturrevolution, die versprengten Bildungsbürger sollten sich sputen, wenn sie noch einen letzten Blick auf einige der größten Werke der Weltkultur werfen wollen, etwa auf den Pergamon-Altar, die Nofretete, das Markttor von Milet oder die von Heinrich Schliemann ausgegrabenen Schätze Trojas. Lange wird das nicht mehr möglich sein.
Die neudeutschen Moralisten haben schon zum Sturm auf die Berliner Museumsinsel geblasen. Sie wollen nicht mehr nur die deutschen Völkerkunde-Museen ausräumen, auch auf der Museumsinsel, von der UNESCO als Weltkulturerbe ausgezeichnet, soll jetzt politisch korrekt Ordnung geschaffen werden. Insbesondere das großartig restaurierte Bode Museum mit seinen Sammlungen byzantinischer Kunst und die Antikensammlungen im Pergamon-Museum stehen auf der Abschussliste, wie „Focus“ berichtet.
Alles zurück in die arabischen Wüsten, in denen es europäische Archäologen einst ausgruben, um wenigstens die Reste einer Kultur zu retten, die die Nachkommen ihrer Schöpfer nur als Steinbruch für neue Häuser schätzten. Was der deutsche Ingenieur und Landvermesser Carl Humann (1839–1896) bei Straßenbauarbeiten in der Türkei eher zufällig entdeckte, begeisterte und entsetzte ihn gleichermaßen: „Traurig stand ich da und sah die herrlichen, fast mannshohen korinthischen Kapitelle, die reichen Basen und andere Bauglieder, alles um- und überwuchert von Gestrüpp und wilden Feigen.“
Die morgenländischen Wurzeln der abendländischen Kultur
Pergamon lag auf Schuttbergen. Wie konnte man einen solchen Schatz der Weltkultur derart verkommen lassen? Um wenigstens die Brocken zu bergen, begann Humann mit der Ausgrabung von Pergamon. Ohne seine Bemühungen wüssten wir bis heute nichts über die Kultur, für die der Name stand. Ähnlich verhielt es sich mit den Grabungen Heinrich Schliemanns und anderer Archäologen, die auf der Suche nach den morgenländischen Wurzeln unserer abendländischen Kultur waren.
Es ging um ein Welterbe; mit dem Nationalismus, den man den Forschern heute hochmütig unterstellt, hatte das nichts zu tun. Sie waren nicht, wie der Focus behauptet, „auf Beutezug im Orient“. Dass der Focus gleichwohl verkündet, die Mittel seien „Täuschen, Tricksen, Lügen und Bakschisch“ gewesen, ist nichts weiter als der intellektuelle Offenbarungseid einer Redaktion, deren Feuilleton-Redakteure öfter über die Beziehungsprobleme von Promis berichten als über historische Themen. Sie haben keinen blassen Schimmer von den Methoden des arabischen Handels, seinerzeit wie in unseren Tagen.
Der Blick der verleumdeten Wissenschaftler reichte weiter als der jener Spießer, die sie nun des kolonialen Diebstahls bezichtigen. Natürlich war der Kolonialismus ein Verbrechen an den Menschen, die in den Grabungsgebieten lebten. Sie mussten schuften und wurden angetrieben. Keine Frage! Nur, was hat die Rettung der Kulturgüter, die den Nachgeboren ihrer Schöpfer nichts mehr bedeuteten, mit denen sie nichts anzufangen wussten, was hat die Leistung der Archäologie damit zu tun?
Zurück in die Wüste
Die dem Verfall ausgelieferten Kunstwerke, heute als „koloniale Raubkunst“ zu betrachten, verrät die tiefe Unbildung derer, die den Vorwurf erheben. Schließlich wurden erst in Europa prächtige Museen erbaut, um die ausgegrabene Kunst allen zugänglich zu machen. Die Araber wie die Afrikaner verfügten nicht über die Mittel und die technischen Möglichkeiten, die ihnen das erlaubt hätten.
Bis heute hat sich daran wenig geändert. Wer die Kulturgüter jetzt zurück in die Wüsten, aus der sie kamen, verfrachten will, gibt sie dem Verfall preis. Ein Akt der Kulturbarbarei, der sich nur mit der Zerstörung der Kulturschätze durch die Islamisten in jüngster Vergangenheit vergleichen lässt, scheinheilig angezettelt von selbstgerechten „Gutmenschen“, die keine Hemmung haben, sich als Richter über die Geschichte zu feiern: als die Gerechten der Welt.
Es geht ihnen nicht um die Kultur. Vielmehr gebärden sie sich selbst als Kolonialisten, indem sie die Debatte um die Kunstwerke des Altertums nutzen, um sich über ihre Vorfahren zu erheben und dabei andere Nationen, vor allem Franzosen und Engländer, moralisch in den Schatten zu stellen. Noch immer soll die Welt am deutschen Wesen genesen, im Bösen wie im Guten.
Die ganze Raubkunst-Diskussion ist, soweit es um die Antike geht, eine durch und durch verlogene. Eine neokolonialistische Anmaßung, wobei die Nachkommen der antiken Welt zur Achtung ihres Erbes erzogen werden sollen. Ihnen wird ein Geschichtsbewusstsein vorgeschrieben, das sie nicht hatten und vielfach bis heute nicht haben.
Weltliteratur wurde von Goethe erfunden
Hat sich doch die Wertschätzung des Überkommenen erst spät entwickelt. Auch in Europa wurden die alten Bauwerke, ungeachtet ihrer Ästhetik, bedenkenlos abgerissen, um Steine für den Bau neuer Burgen zu gewinnen. Erst mit der Renaissance, der Rückbesinnung auf die geistigen und kulturellen Wurzeln, begann sich das zu ändern.
Vor allem im 18., dem Jahrhundert der Aufklärung, wuchs das Interesse an den Anfängen der Weltkultur. Der Begriff der „Weltliteratur“ wurde nicht im Nahen Osten geprägt, von keinem afrikanischen Häuptling erfunden, sondern von Johann Wolfgang von Goethe, dem Dichter, Forscher und Minister am Hof des Fürsten Carl August von Sachsen-Weimar Eisenach.
Ohne die sprachwissenschaftliche Beschäftigung mit den alten Sprachen sowie die kunsthistorische Forschung wäre das wachsende Interesse am Altertum gar nicht denkbar. Erinnert sei hier nur an Johann Joachim Winkelmann (1717–1768), Wilhelm von Humboldt (1767–1835) und Friedrich Carl von Savigny (1779–1861). Erst ihre Forschungen weckten das nicht nur naturwissenschaftliche Interesse, sondern ebenso die kulturhistorische Neugier an den fernen Welten.
So entstand die Altertumswissenschaft, die viele bis hin zu Schliemann zunehmend faszinierte. Dass sie – wie nun gern unterstellt wird – im Auftrag der Kolonialmächte zum Raubzug aufgebrochen wären, ist ein Gedanke, auf den nur verfallen kann, wer einfältig genug ist, die Vergangenheit mit den modischen Maßstäben unserer Tage zu beurteilen.
Die Geltungssucht der Einfaltspinsel
Die Revisionisten sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen. Um sich ein gutes Gewissen zu machen, werfen sie einzigartige Werke wieder auf die Schutthaufen, aus denen sie einst geborgen wurden, auch mit der Mühe ihrer natürlichen Erben.
Denn welches Land im Nahen Osten und Kleinasien wäre heute in der Lage, die Schätze seiner Kultur so zu präsentieren, zu pflegen und zu bewahren, wie das auf der Berliner Museumsinsel geschieht?
Die Geltungssucht der Einfaltspinsel macht tabula rasa. Am Ende bleiben leere Säle, gereinigt von dem, was bedenkenlos als „Raubkunst“ deklariert wird. Linksgrüne Kleingeister mit dem historischen Horizont von Eintagsfliegen blasen zum Sturm auf das Erbe der Weltkultur, ohnehin ein Buch mit sieben Siegeln für die tagespolitischen Eiferer.
Von Ägypten und dem Nahen Osten wissen sie nicht mehr, als dass dort meist die Sonne scheint, dass es warm ist und schöne Strände zum Baden einladen. Den Archäologen des 19. Jahrhunderts folgen die All-inclusive-Touristen unserer Tage.