Eine Erinnerung für deutsche Schnösel

Immerhin, das Ereignis schaffte es in die Nachrichtensendungen des deutschen Staatsfernsehens und auch einiger Privater. Wegen der Pandemie etwas verspätet fanden in Moskau die Feierlichkeiten zum Sieg im Zweiten Weltkrieg statt, in der ehemaligen UdSSR als großer vaterländischer Krieg bekannt.

In der Berichterstattung wurde der Anlass kurz erwähnt, es handle sich um den Sieg über den Hitler-Faschismus, als ob dieser Österreicher ganz alleine Krieg geführt hätte. Dann wurde Besorgnis geäußert, was für Auswirkungen diese Parade auf die teilnehmenden Soldaten und die Zuschauer haben könnte. Abgerundet mit der Bemerkung, dass es sich doch um eine Putin-Propaganda-Show handle, mit der er seine Umfragewerte aufpolieren wolle und zudem Stimmung machen für eine mögliche Verlängerung seiner Amtszeit.

Das ist, mit Verlaub, heruntergekommen. Man muss kein Anhänger von Putin oder Freund großer Militärparaden sein, um diese Berichterstattung, diese arrogante Oberlehrerhaltung der deutschen Kommentatoren schlichtweg übelkeitserregend zu finden. Denn der als Vernichtungskrieg geplante und durchgeführte Überfall auf den Bündnispartner UdSSR ist als Verbrechen so singulär wie die Ermordung von sechs Millionen Juden. Besonders hier gilt: Die Vergangenheit ist nicht tot, sie ist nicht einmal vergangen. Normalerweise bestimmen die Sieger die Geschichtsschreibung.

Hier ist es aber so, dass der Sieger Sowjetunion nicht mehr existiert, und schon vorher versuchte der Verlierer Deutschland immer wieder, die Geschichte neu zu schreiben. Vornehm als Historikerstreit wurde der armselige und wiederholte Versuch deutscher Historiker bezeichnet, den Überfall als Notwehr zu klittern, als Präventivschlag gegen einen angeblich bevorstehenden oder geplanten Angriff der UdSSR. Schon der Holocaust wurde als mögliche Reaktion oder Imitation der Nazis von stalinistischen Verbrechen umgedeutet.

Und es dauerte sehr, sehr lange, bis auch in der BRD der 8. Mai nicht länger als der Tag der Niederlage der Wehrmacht, sondern als Tag der Befreiung von der faschistischen Diktatur offiziell gewürdigt wurde.

Brandschwarz gelogen

Aber verbissen halten bis heute viele Umschreiber der Geschichte daran fest, dass die gehorsame Wehrmacht nur Befehle befolgt habe, wie es sich für gute Soldaten gehörte. Wenn es zu Verbrechen kam, dann seien dafür ausschließlich SS-Einheiten verantwortlich gewesen. Und selbst deren Mitglieder redeten sich heraus, dass eine Verweigerung, an Massenerschießungen und allen denkbaren Kriegsverbrechen teilzunehmen, das eigene Leben in Gefahr gebracht hätte. Alles das ist brandschwarz gelogen.

Die größte Lüge ist allerdings, dass weder das Oberkommando der Wehrmacht, noch die Offiziere und erst recht nicht der deutsche Landser gewusst hätten, was für die slawischen Untermenschen und für sowjetische Kriegsgefangene vorgesehen war: die Ausrottung. Die vollständige Vernichtung. Entweder, indem keinerlei Nahrungsmittelversorgung der eroberten Bevölkerung eingeplant war, oder indem von Vornherein die Vernichtung durch Arbeitseinsätze zum Invasionsplan gehörte. Um dem deutschen Herrenvolk ohne Raum neue Siedlungsgebiete zu erschließen.

Das wusste jeder, der am Raub- und Mordzug gegen Osten teilnahm. Ob er persönlich Kriegsverbrechen verübte, dabei nur zusah oder schlichtweg seinen Stiefel auf sowjetisches Territorium setzte. Das wusste natürlich auch der als Widerstandskämpfer hochgejubelte überzeugte Nazi von Stauffenberg. Sein Versuch, unterstützt von einer um ihre Zukunft fürchtenden Handvoll Militärs, Hitler auszuschalten und die Macht zu ergreifen, fand erst 1944 statt, mehr als einen Monat nach der Invasion in der Normandie. Als es klar war, dass der Krieg nicht nur im Osten, sondern auch im Westen verloren war und Hitler einem möglichen Friedensschluss mit den Westalliierten im Weg stand.

Die Sowjetunion entrichtete den größten Blutzoll aller Kriegsparteien beim Sieg über den deutschen Faschismus, worauf Putin in seiner Ansprache völlig zu recht hinwies. Mindestens 24 Millionen Tote hatte die UdSSR zu beklagen, darunter weit mehr als 14 Millionen Zivilisten. Von den Soldaten starben Hunderttausende in deutschen Kriegsgefangenenlagern.

Die deutsche Bevölkerung, blind und besessen

Nach der UdSSR hatte übrigens China mit 20 Millionen Toten die zweitmeisten Opfer im Zweiten Weltkrieg zu beklagen, was in der Geschichtsschreibung gerne übersehen wird. Beim Versuch, die Weltherrschaft der deutschen Herrenrasse zu erkämpfen, starben etwas mehr als 5,5 Millionen deutsche Soldaten und etwas mehr als 2,1 Millionen Zivilisten.

Letztere vor allem deswegen, weil die deutsche Bevölkerung, blind und besessen, noch 1944 ein begeistertes Ja auf die Frage von Klumpfuß Goebbels grölte, ob man den totalen Krieg wolle. Man wollte, und der endete dann in der totalen Niederlage.

Errungen mit unvorstellbaren Verlusten und Leiden auf Seiten der UdSSR. Von den insgesamt 34,5 Millionen mobilisierten Frauen und Männern wurden 84 Prozent getötet, verwundet, gefangen genommen oder gelten als vermisst. Dazu noch die zivilen Opfer, die Politik der verbrannten Erde auf dem Rückzug. Ein Jahrgang von Männern heißt die 98-Prozent-Generation; das bedeutet, dass 98 Prozent im Zweiten Weltkrieg fielen.

Dass Putin, dass die russische Bevölkerung diesen 75. Jahrestag feiern will, dass der Präsident die allerletzten Überlebenden aus dieser schrecklichen Zeit auf die Tribüne des Roten Platzes bittet, was soll daran nicht zu verstehen sein?

Zu den Versuchen, die Vergangenheit neu umzupflügen, gehört auch, dass an das Schicksal vieler deutscher Vertriebener, an die massenweise Vergewaltigung deutscher Frauen anklagend erinnert wird. Auch daran, dass sich die Rote Armee mitunter bestialisch verhalten hat. Das ist unbestreitbar, genau wie die Verbrechen Stalins und sein völliges Versagen am Anfang des deutschen Überfalls.

Sowjetbürger als Untermenschen

Dennoch verblassen solche Greuel und Klagen vor dem, was die Rote Armee vorfand, als sie die deutschen Truppen, die fast bis ins Zentrum von Moskau vorgedrungen waren, zurückwarf. In ihrer Verblendung hatten die deutschen Invasoren gedacht, dass sie weder für ihre Verbrechen in der UdSSR zur Rechenschaft gezogen würden, noch dass deren Ausmass bekannt würde. Für die Deutschen galten Sowjetbürger als Untermenschen, kaum von Tieren zu unterscheiden. Die Politkommissare hingegen waren kommunistische Rädelsführer, die sofort erschossen werden mussten. Die vorrückenden Sowjets fanden entvölkerte Landstriche, bestialische Verbrechen und bewusst herbeigeführte Zerstörung aller zivilen Einrichtungen – soweit die Kräfte noch dafür reichten – beim Rückzug des deutschen Kulturvolks vor.

Es gibt genügend Zeugnisse auch von einfachen deutschen Landsern, die, soweit es die Angst vor Wehrkraftzersetzung und Todesstrafe zuließ, nach Hause warnende Briefe schickten. Wenn es der Roten Armee tatsächlich gelingen sollte, auf reichsdeutsches Gebiet vorzudringen, dann Gnade uns Gott, angesichts der Verbrechen, die wir verübt haben. Das war der Grundtenor. 

In wahrem Kadavergehorsam kämpften die Deutschen noch bis zum 8. Mai 1945, obwohl nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad jedem völlig klar sein musste, dass dieser Krieg unter keinen Umständen zu gewinnen war. Er war es von Anfang an nicht. Aber während sich deutsche Truppen in Frankreich oder Italien nicht nur wie Barbaren aufführten, im Vergleich zur Ostfront nicht flächendeckend Kriegsverbrechen begangen, stieg die unbändige Wut der sowjetischen Soldaten mit jedem Kilometer der UdSSR, den sie zurückeroberten.

Macht das ihre Übergriffe und Verbrechen auf deutschem Boden geringer, relativer, entschuldbar? Nein. Aber verständlich. 

Foto: Bundesarchiv/Koch CC BY-SA 3.0 de via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Gereon Stupp / 26.06.2020

Nach meinen Erfahrungen mit den heutigen Deutschen habe ich inzwischen Zweifel, ob nicht tatsächlich die meisten nichts wußten. Gewiß, sie hätten wissrn können, aber ihre Fähigkeit zur Nichtwahrnehmung, zum Nichtwissenwollen dürfte der unserer Zeitgenossen gleich gewesen sein. Fatale Eigenschaft das, einst genauso wie heute und bittere Erkenntnis.

Wilfried Cremer / 26.06.2020

Das deutsche Kastendenken hat Vergangenheitsbewältigung betrieben und den Krieg als solchen als das eigentliche Übel ausgemacht. Das ist zur Mediensynapse eingewachsen.

Reinhart Max / 26.06.2020

Wenn man das so liest, hat man das Gefühl nur der zweite Weltkrieg war bestialisch und der deutsche Soldat ganz besonders. Es gibt keine zivilisierte Kriegsführung, die gab es noch nie und die wird es nie geben. Dieses vergleichen und relativieren der jeweiligen Kriegsverbrechen ist erbärmlich und lächerlich. Zu behaupten jeder Landser wusste was da passiert ist absurd. Die Männer waren seit Jahren im Feld in einem anderen Land. Es gab kein Internet, kein Handy, auch Tageszeitungen fanden selten einen Weg in den Schützengraben. Natürlich hat über die Dauer jeder Kriegsverbrechen erlebt oder gehört. Aber davon auf dem großen Plan zu schließen ? Sowas zu behaupten ist naiv und weltfremd. Und vorallem jeder kannte Propaganda. Und sie wussten, nicht alles was gesagt wird, passiert auch so. Aber heute wird es auf die Goldwaage gelegt. So als würde heutige Politik nicht mit Übertreibungen und Superlativen arbeiten. Nichtmal der heutige Bürger schafft es hinter die Vorgänge zu sehen. Aber ein Landser mit Volksschule im Schützengraben, der konnte das natürlich ? Glauben Sie ihren Unsinn eigentlich selbst ?

P.Mayer / 26.06.2020

Die in diesem Artikel angesprochene “Schnöseligkeit” ist mir (Jahrgang 79) bisher nicht wirklich aufgefallen muss ich sagen. Im Gegenteil bestand mehr als 70 Prozent des Geschichtsunterrichts in der Schule aus gefühlt einem Thema- unsere Schuld am ersten und zweiten Weltkrieg nebst allen Greueltaten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dieser Geschichtsunterricht wurde dann in Funk, Film und Fernsehen fortgeführt und von Jahr zu Jahr intensiviert. Natürlich ist es Humbug Kritik an der russischen Siegesfeier zu üben - aber den Deutschen in so einem Artikel vorzuwerfen sie seinen geschichtsvergessen - das ist aus meiner Sicht mehr als unappetitlich. Eine Prise Katyn, Nemmersdorf oder Ehrenburg vor dem abfassen wäre sicher förderlich gewesen..

Sylwester Dr. Minko / 26.06.2020

Was der Autor nicht erwähnt, die Sowjetunion hat mit den Nazis zuerst eine gemeinsame Sache gemacht.  (Ribbentrop - Molotov Pakt) Am 17. September 1939 überfiel die Rote Armee die damaligen polnischen Gebiete, die heute zu Weißrussland Litauen und Ukraine gehören. Auch die Juden, die diese Gebiete zahlreich bewohnten, wurde von den Sowjets an die Deutschen Übergeben obwohl die Sowjets wussten was mit denen geschieht.. Nachdem die polnische Bevölkerung dieser Gebiete die sowjetische Ordnung “genossen hatte”, empfand sie 1941 die Deutsche Wehrmacht als Befreier. Auch die Weißrussen haben sich Hoffnung gemacht unter Generalkommissar Wilhelm Kube endlich ein unabhängiges Weißrussland zu bilden.

Wolfgang Kaufmann / 26.06.2020

Zum Glück gelten heute nicht mehr die Sowjets als Untermenschen, sondern die Polen und Ungarn. Und Trump und BoJo. Soldaten („Mörder“) und Polizisten („ACAB“) sowieso. – Ende Sarkasmus.

Carlos Redder / 26.06.2020

Guten Tag Herr Zeyer. “KADAVERGEHORSAM”. Man kann dieses Wort nicht oft genug wiederholen. NICHTS beschreibt den Teutonen umfassender und wahrhaftiger als diese schmähliche, so urdeutsche Eigenschaft. Genau dieser verdammte deutsche Volkscharakter feiert derzeit schon wieder fröhliche Urständ. Oder wie soll ich gewisse, aktuelle Polit-Umfragewerte interpretieren - wenn nicht SO! Apropos, immer wenn ich das Wort “Reichstag” höre, bekomme ich Würfelhusten. Ich danke Ihnen sehr, Herr Zeyer, dass Sie diesen Beitrag hier auf der ACHSE veröffentlicht haben. Jedes Wort tut weh, weil pure Tatsache. Leider!

Dietrich Herrmann / 26.06.2020

Und diese ignoranten, unverschämten Medien ARD und ZDF entblöden sich nicht, in ihren Beiträgen hauptsächlich wieder über Putin herzuziehen. Unglaubliche Arroganz.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
René Zeyer, Gastautor / 02.07.2020 / 10:00 / 16

Wirecard: Nach den Betrügern kommen die Geier

Während das Publikum mal wieder jammert oder hämt, je nach Gemütslage, setzt die Financial Times (FT) fort, was eigentlich Aufgabe der deutschen Wirtschaftsmedien oder Aufsichtsbehörden…/ mehr

René Zeyer, Gastautor / 29.06.2020 / 10:09 / 23

Wirecard: Nix wie weg oder “Beyond Payments”

Während die Aktie des DAX-Unternehmens Wirecard ins Bodenlose fiel und die Firma Insolvenz beantragte, kam Ungeheuerliches zum Vorschein. Bedeutende Kooperationspartner auf den Philippinen: leere Firmenmäntel…/ mehr

René Zeyer, Gastautor / 27.06.2020 / 06:16 / 32

Wirecard: Ein Überflieger im freien Fall senkrecht nach unten

Ich kann mich den meisten deutschen Analysten und Anlageberatern nur anschließen. Die Aktie von Wirecard ist ein strong buy. Sie ist zeitweise noch ganze 2,50…/ mehr

René Zeyer, Gastautor / 24.06.2020 / 06:00 / 45

Wirecard: Hat jemand zufällig unsere 2 Milliarden Euro gesehen?

Nehmen wir einen Analysten aus der neutralen Schweiz. Da verzapfte einer noch am Morgen des 18. Juni auf der Finanzplattform "Cash", dass der "faire Werte…/ mehr

René Zeyer, Gastautor / 17.06.2020 / 14:00 / 24

Kuba: Die Nahrung für Unbelehrbare

Früher gab es die Sandalistas, die Revolutionstouristen, die mal bei Dani in Nicaragua internationale Solidarität zeigten, indem sie versuchten, in der Landwirtschaft Hand anzulegen. Aber…/ mehr

René Zeyer, Gastautor / 03.06.2020 / 13:00 / 81

Die Unruhen in USA und der deutsche Blick

Clickbait, so lautet der englische Fachausdruck dafür, mit einem möglichst knalligen Titel die Angel nach Lesern, moderner: Usern, auszuwerfen. In den USA hat wieder einmal Polizeigewalt…/ mehr

René Zeyer, Gastautor / 31.05.2020 / 06:20 / 23

Schwarz oder weiß, die binäre Republik

Computer können mit der Verknüpfung von 0 oder 1 ziemlich abgefahrene Sachen anstellen. Obwohl das eine banal-binäre Grundlage ist. Strom oder kein Strom, ja oder…/ mehr

René Zeyer, Gastautor / 28.05.2020 / 16:00 / 11

Kuba: Maximo Lockdown!

Nein, von der Macht will das Regime auch nach dem Tod von Fidel und dem weitgehenden Rückzug seines Bruders Raúl Castro nicht lassen. Schließlich hat…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com