Cora Stephan / 11.03.2021 / 10:00 / Foto: Pixabay / 51 / Seite ausdrucken

Die Stimme der Provinz: Die verdammte Heimat

Heimat! Ach. Wohl dem, der eine hat, hieß es einst. Verdammt lang her.

Heute sprechen Misstrauische lieber von „Heimatt“ oder bekennen vorsorglich: „Eure Heimat ist unser Albtraum.“ Zu deren Beruhigung: Davon, dass wir in Deutschland ein „Heimatministerium“ haben, merkt man nicht viel. Und manch ein Siedlungsgebiet bekennt sich schon auf dem Ortsschild einfühlend zu bunter Weltoffenheit, damit ja keiner meint, dort lebten Verhockte und Verstockte, deren blonde Töchter Zöpfe tragen.

Mir scheint, nur in kosmopolitisch aufgeklärten Kreisen hat man ein solches Problem mit Heimat – ein Wort, das ja ganz unsentimental Zugehörigkeit benennt, Vertrautheit, Aufgehobensein. Weil das irgendwie Nazi wäre? Oder womöglich, weil Heimat in Deutschland so oft verlorengegangen ist? Die Schriftstellerin Petra Reski, Kind Vertriebener, hat ihre frühere Abneigung gegen Heimat so erklärt: „Ich nahm mir vor, mich in meinem Leben auf gar keinen Fall mit einer HEIMAT zu belasten. (...) Ich wollte überall leben können. Und nie Heimweh haben.“

Wachsende Anzahl von Betreuungs-, Beratungs- oder Gleichstellungsposten

Das Phänomen der Heimatverachtung ist natürlich nicht nur deutsch und wesentlich älter und war stets ein eher städtisches Phänomen. Städte sind ideale Orte für Entwurzelte und Heimatlose und für alle, die ihre Wurzeln als Fesseln empfinden. „Stadtluft macht frei“ galt schon zu Zeiten, als Leibeigene sich durch Flucht in die Stadt von ihrer Dienstherrschaft befreien konnten. Auch studentische Freiheit gibt es logischerweise nur in Universitätsstädten. Dort war „Heimatgemeinde“ einst ein Terminus, der eher verwaltungstechnisch bedeutsam war: Dahin konnte man nämlich jeden abschieben, der sich als unbequem erwies. Liegt also deshalb ein Schatten über dem Begriff? Wer weiß ...

Um die Kurve zu David Goodhart zu kriegen, demjenigen, der mit seiner Unterscheidung zwischen den „Somewheres“ und den „Anywheres“ präzise beschrieben hat, wo heute die kulturellen Bruchlinien liegen: Die Akademisierung von Bildung und Ausbildung hat ihren gehörigen Anteil an der Abwertung von Heimat und Provinz. Vor allem aber an der Missachtung aller Berufe, in denen es am wenigsten auf Buchwissen ankommt. Die Welt des Wissens schwebt über den Niederungen bloßer Praktikabilität, im guten Sinn ist sie mit Freiheit, Autonomie und Mobilität verknüpft. Im schlechten Sinn ist sie blind gegenüber dem Leben der anderen, die den Kopf nicht in den Wolken haben und deren Intelligenz sich nicht in akademischer Form äußert.

Gerade an den Universitäten triumphiert mittlerweile die Dekadenz der Woken, die sich redlich bemühen, Biologie und andere Naturgesetze außer Kraft zu setzen – bis hin zur intersektionalen Neuerfindung des Rads. So abgehoben, wie das meiste davon ist, müsste auch die Schwerkraft bereits erledigt sein. Kein Wunder, dass die Absolventen insbesondere von „Geschwätzwissenschaften“ außerhalb der Universität kaum noch Beschäftigung finden. Auch den „Medien“ und den Werbeagenturen geht langsam das Geld aus für all die kreativen Kulturarbeiter. Bleiben noch staatliche und andere Institutionen, die eine stetig wachsende Anzahl von Betreuungs-, Beratungs- oder Gleichstellungsposten schaffen, auch der „Kampf gegen Rechts“ generiert Arbeitsplätze. Bleibend Gutes für das Gemeinwohl ist da selten zu erkennen.

Überangebot von Taxifahrern mit akademischen Meriten

Die Akademisierung des Berufslebens ist selbst in einem Land wie Deutschland, das sich des dualen Bildungswegs rühmt, explosionsartig angestiegen. Die Zahl der Studenten ist heute zehnmal so hoch wie vor 50 Jahren. Jeden Herbst kommt es zu einer Völkerwanderung junger Leute in die Städte, im Glauben, ein akademischer Grad würde zu höherem Ansehen und Einkommen führen. Je standardisierter aber die kognitive Arbeit wird – in Recht, Medizin, Verwaltung – desto eher ist sie ersetzbar. Die Arbeit eines Buchhalters kann ein Programm übernehmen, die eines Müllfahrers nicht.

Längst erzeugen die Universitäten ein Überangebot von Taxifahrern mit akademischen Meriten. Gegen den vielberufenen Facharbeitermangel aber hilft keine zunehmende Akademisierung und erst recht kein stärkeres Maß unkontrollierter Einwanderung, sondern höchstens eine Aufwertung nicht-akademischer Tätigkeiten. Wie lebenswichtig die sind, sieht man in der Provinz womöglich eher als in den Städten.

Das akademische Proletariat, das zu etwas Nützlichem nicht mehr gebraucht wird, pflegt derweil in seiner Blase Lösungen (wie seltsame Sprachregelungen), für die es kein Problem gibt.

Jedenfalls keins, das uns hier in der Provinz bekannt wäre.

 

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Uta Buhr / 11.03.2021

“Ubi bene ibi patria”, frohlockten die römischen Legionäre, wenn sie sich in einer der zahlreichen Kolonien des Imperiums wohl und - ergo - zu Hause fühlten.  Wahrscheinlich hätten selbst diese kernigen Jungs heute bei dem weltumfassenden Lockdown ihre Schwierigkeiten. Wer fühlt sich zurzeit angesichts der unzähligen Einschränkungen und Verbote noch gut aufgehoben in seiner angestammten “Heimat”? In meiner näheren Umgebung gibt es niemanden, der der gegenwärtigen Situation etwas Positives abgewinnen kann. Auf der anderen Seite rechnen manche Vollblut-Optimisten damit, dass nach dem Ende dieser P(l)andemie das alte Leben, also der Status quo ante Corona, unverzüglich wieder Fuß fassen wird. Wer’s glaubt, wird selig. Denn post Corona wird erneut die Klimahysterie voll zuschlagen. Bill Gates hat schon entsprechend geunkt. Und mit dem Mann ist nun mal nicht zu spaßen. Wir werden uns also darauf einstellen müssen, dass unsere Heimat in Zukunft nicht mehr die Heimat sein wird, in der wir uns einst sicher aufgehoben fühlten. Jetzt ist Bescheidenheit angesagt. Denn auch ein “reduziertes” Zuhause ist Heimat. Wir müssen versuchen, das Beste daraus zu machen. Wenn’s auch sehr schwer fällt. Ich möchte jedem das Gedicht “Vereinsamt” von Friedrich Nietzsche ans Herz legen. Es endet mit den Worten: “Weh dem, der keine Heimat hat.”

Karsten Dörre / 11.03.2021

Mein Heimatgefühl ist meine Stadt (65000 Einwohner) und dessen Umgebung im 15km-Radius, weil ich das alles ausgiebig mit Fahrrad in meinem Leben erkundet habe. Hier fühle ich mich heimisch, ich kenne den Menschenschlag und wenn ich nach einiger Zeit des Auswärtssein in den 15km-Radius reinkomme bin ich ” zu Hause”, weil vertraut. Jeder wird Heimat anders definieren. Es gibt welche, die definieren Heimat mit der verstehenden Sprache, gibt welche, die definieren Heimat mit Land oder Staat und welche, wo menschliche Wesen seien oder eine neue Liebe gewonnen. Die sozial-familiär Entwurzelten in Großstädten haben sicherlich ein Heimatproblem. Viele von ihnen haben kein intaktes Verhältnis zu urbanen Sozialkontakten und die Arbeitswege sind scheusslich lang, dass Heimatgefühl nicht aufkommen kann. So ist es nicht verwunderlich, dass man sich mit jeglicher Heimat nicht identifizieren kann und sich an Straßennamen abarbeitet, die nicht nachvollziehbare Unzufriedenheit zu Markte trägt und alles und jeden für verletzte Gefühle verantwortlich macht.

Hans-Peter Dollhopf / 11.03.2021

Für jeden Menschen ist vollkommen unabhängig von seiner persönlichen politideologischen Erkrankung entscheidend, dass am Ende des Tages was auf dem Teller liegt! “Unser täglich Brot gib uns heute”: Reproduktion ist diejenige menschliche Tätigkeit, die an jedem Tag im Terminkalender das letztendlich unabwendbare Absterben immer wieder nach hinten verschiebt. Wachsen oder Vergehen? Jeder Atemzug, jede ausgegrabene Kartoffel, jedes Entfachen eines Lagerfeuers, jede Geburt eines Kindes ist Reproduktion. Heimat ist eine historisch erprobte Versicherung, dass sich Reproduktion individuell wie gemeinsam zeitlos garantieren und entwickeln lässt. Die martialisch und antisemitisch interpretierte Entartung der Archetypen während der deutschen Kaiserzeitepoche, dem Nukleus der EU, führte in Europa wegen ihrer Ideologisierung der Symbole Blut, Boden, Volk und Heimat nun bereits mehrfach zu einem kulturspezifischen Zivilisationszusammenbruch bei den politischen Pflegekräften jeglicher Couleur der menschlichen Fundamente. Die “Systemüberwindung” der Heimat ist für die sie Betreibenden ebenso wie für alle davon Betroffenen zwar ursächlich deutbar, aber von einem irgendwie irgendwo irgendwann erwartbaren Nutzen her vollkommen sinnfrei.

T. Schneegaß / 11.03.2021

Ein sehr schöner und nachdenklich stimmender Beitrag. Ich glaube, die Akademisierung des Berufslebens und die Zunahme von Absolventen von “Geschwätzwissenschaften” (ein phantastische Beschreibung für all Jene, die niemals auch nur ein Mensch in seinem Leben braucht) endet erst dann, wenn bei den akademisch graduierten Schwätzern massenhaft defekte Mischbatterien ihr Buchwissen zu ersäufen drohen und kein Klempner mehr kommt.

Reinhard Weber / 11.03.2021

Bernd Maier: Ihre Lebens- und Schaffensorte sind also austauschbar. Das ist Entwurzelung und letztendlich egoistisch. Man ist heimatlos und gerade dort, wo es sich am besten lebt. Auch auf Kosten der anderen. Ein Leben ohne Gemeinschaft, ohne jegliches Ehrenamt, z.B. Freiwillige Feuerwehr. Gerade Individuen wie sie brauchen das gesellschaftliche Kindermädchen, welches sich um alles kümmert. Sie kennen nur nehmen ohne Gegenleistung. Das ist Entfremdung.  Der Gemeinschaft geht so der Gegenpol zur machthabenden Politik verloren. Auf dieser Basis ist es einfach, Grundrechte auszuhebeln. Die Politik hat ein leichtes Spiel, wie wir derzeit leider erfahren müssen.  So wird das Leben in einer divergierenden Gesellschaft dank fehlender Bindungen zu aus der Aufklärung resultierenden Ordnungsprinzipien chaotisch. Als Beispiel sei nur das Ausmaße annehmende Beschmieren und Bekleben fremden Eigentums durch Existenzen jenseits der Leistungsträgerschaft genannt. Besser kann man die vielseitig tolerierte Missachtung von Eigentum kaum ausdrücken.

Dirk Scheffler / 11.03.2021

Das viel dramatischere Problem ist aber ein ganz anderes: die falsche Bildungspolitik. Landauf, Landab wird den Steuerzahlern eingeimpft, gewaltige Summen müssen in die Schulbildung investiert werden. Man sagt, diese gewaltigen Investitionen sichern unsere Zukunft. Und dabei sollen den Kindern besonders Kompetenzen in Genderfragen, Klimapolitik und Kolonialgeschichte vermittelt werden. Das traditionelle Abitur mit den Anforderungen Mathematik, Physik oder Chemie soll aufgeweicht werden, vielleicht als Hochschulzugangsberechtigung ganz abgeschafft werden. Die unübersehbaren Fachhochschulen mit ihren sinnlosen Schwabbelabschlüssen auf dem Niveau von Spiegel oder taz erzeugen die zehntausenden Bewerber für Mitarbeiter der immer neuen NGOs und Onlineportale. Das ist der Hintergrund des sich selbsternährenden Kreislaufes. Natürlich ist es nicht wirklich selbsternährend. Der Steuerzahler füttert dieses parasitäre System…noch. Die einst auch international hochgeschätzten Berufsabschlüsse müssen jetzt jungen Asylanten nachgeschmissen werden, um jedem Rassismusverdacht zu entgehen. Allerdings können die neuen Fachleute die Anforderungen der betrieblichen Praxis nicht erfüllen. In der Exportindustrie läßt sich das nicht wie beim Bäcker um die Ecke mit Bio oder so kaschieren. Aus normalen Anforderungen an die Schüler und ihre Eltern wurde jüngst ein Zupflastern mit sinnlosen Geldgeschenken und eine Mitleidskampagne mit überforderten Schülern und ihren Eltern, die sogar Essen zubereiten müssen für die ihren.

Rolf Mainz / 11.03.2021

Wer ein Problem mit der Heimat Deutscher hat, der/die kann gern in die eigene Heimat emigrieren - die damit verbundenen Lerneffekte werden die Perspektive dann zwangsläufig zurechtrücken. Und wenn die Problemträger deutscher Herkunft sein sollten, dann rate ich ebenfalls zu einem längerfristigen Auslandsaufenthalt. Reisen bildet.

Frances Johnson / 11.03.2021

Schön und gut beobachtet und genau beschrieben. Wer schreit schon nach einem Genderstern in Rohrverleger, Heizungsbauer, verlangt nach Müllmännern und Müllfrauen? Wer kreischt laut los, wenn von Gärtnern gesprochen wird? Oder gar von Einbrechern und Mördern? Und wer besteht dringlichst darauf, dass niemals mehr Krankenschwester gesagt wird? Niemand. frau will gemütlich am Schreibtisch sitzen, am liebsten 10k verdienen, so wie Katha, die das für nichts einsackt, und über andere bestimmen, wie sie reisen, wie sie wohnen, wie sie essen. Und bei der Linken will man offenbar das Gebären gendern und darüberhinaus die Elternschaft demontieren, siehe Broder gestern. Frauche (nach manche) sitzen dann arbeitslos in Bln und machen einen Blog über vegane Kost, da können sie dem grillenden Familienvater auf dem Land noch ans Bein treten.

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