Thomas Rietzschel / 22.02.2022 / 15:30 / Foto: Kremlin.ru / 94 / Seite ausdrucken

Die deutschen Putinisten

Was für ein Problem haben die Deutschen mit den USA? Und warum gibt es in Deutschland so viele Putin-Versteher? Sind es die Deutschen mehrheitlich schon wieder leid, die Mühen der Demokratie auf sich zu nehmen?

Glaubt man Leserbriefen und Kommentaren, die in den verschiedensten Medien veröffentlicht werden, steht die Mehrheit der Deutschen hinter Putin. Wer vor ihm warnt, ihm Böses zutraut, gar die Absicht, Krieg zu führen, hat einen schweren Stand. Dass sich der Mann aus dem Kreml vor der Ausdehnung der NATO schütze, heißt es fast durchgehend, sei sein gutes Recht, was es auch wäre, hätte ein NATO-Soldat je seinen Fuß auf russischen Boden gesetzt.

Tatsächlich aber geht es jetzt um den freiwilligen Beitritt ehemaliger Länder des Ostblocks, die nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Pakts frei waren und so souverän, selbst zu entscheiden, welchem Sicherheitsbündnis sie zukünftig angehören wollen. Außerdem ist die NATO „eine Wertegemeinschaft freier demokratischer Staaten“, selbst aber kein Staat, kein Land, das territoriale Ansprüche erheben würde – nur ein militärischer Beistandspakt für den Notfall – den Angriff auf eines seiner Mitgliedsländer. 

Allein, was zählen Tatsachen, wo der Bauch über den Kopf bestimmt. Denn wenn man die martialischen Manöver Russlands an der Grenze zur Ukraine – bis hin zur Erprobung von Raketen, die in der Lage sind, Atomsprengsätze zu tragen – wenn man das einerseits als das „gute Recht“ Putins ansehen möchte, wäre es dann nicht auch das Recht der an Russland grenzenden Staaten, sich zur Verteidigung aufzurüsten? Wo diese Überlegung auch nur anklingt, wird verbal schnell zurückgefeuert. Die Ukraine, liest man dann vielerorts, sollte sich nicht so aufspielen, Putin nicht reizen. Dass er die Eskalation selbst vorantreibt, fällt bei seinen deutschen Verehrern kaum ins Gewicht. 

Lieber sprechen sie von einem NATO-Vormarsch, einem irrationalen „Hass des Westens“ auf die Russen, einem „Feindbild“, das die amerikanische Propaganda aufgebaut habe, zusammengezimmert aus Lügen und erfundenen Vorfällen.  

Mit Speck fängt man Mäuse

Imerhin sei es Putin gelungen, den Lebensstandard der Russen zu steigern.  Stimmt. Auch die kleinen Leute auf den Straßen Moskaus verdienen unterdessen mehr als je zuvor. Mit dem forcierten Verkauf der natürlichen Ressourcen sorgte der Kreml-Chef für einen gewissen Wohlstand und seinen Rückhalt bei den Massen. Mit Speck fängt man Mäuse. Der Lebensstandard ist erfreulich gestiegen. Ich kenne das Land lange genug, um mir diese Aussage erlauben zu können.  

Die Putinisten haben ohnehin andere Krisenherde im Auge: Amerika, wo die farbigen Zuwanderer an der Grenze des Existenzminimums vegetieren müssten. Näheres, das die Mär von den armen USA (das Einkommen pro Kopf liegt nach wie vor weit über dem der Deutschen) überzeugend widerlegen könnte, bleibt dann freilich im Dunkel der Unterstellung.  

Darauf muss man nichts geben, das ist dummes Zeug. Gleichwohl gibt es Anlass zu der Frage: Was haben die Amerikaner den Deutschen angetan, dass sie ihnen so gram sind, sie mit solchem Hass verleumden? Gut, sie haben dem Land nach zwölf Jahren Diktatur die Demokratie aufs Auge gedrückt, wenn auch nur in den Westzonen. Sie haben 1948/49, als die Sowjetunion West-Berlin mit einer Blockade aushungern wollte, eine Luftbrücke zur Versorgung der Stadt mit allem Lebensnotwendigen von der Kohle bis zur Schokolade aufgebaut. Zehntausende von Flügen, die zwei Millionen Menschen in der eingeschlossenen Stadt vor Hunger und Kälte bewahrten. Später haben sie mit dem Marshall Plan ein Hilfsprogramm aufgelegt, das den Deutschen ihr Wirtschaftswunder bescheren sollte.

Ami go home!

Sie haben mit der Lizenzierung neuer Zeitungen, Zeitschriften und dem Aufbau von freien Radiosendern dafür gesorgt, dass sich Meinungsvielfalt und -freiheit entwickeln konnten. Weil die Amis während der Aufrüstung der Sowjetunion die Hauptlast der NATO-Kosten trugen, konnten die Deutschen ruhig schlafen und ihren Träumen nachhängen, sogar auf die Straße gehen, um „Ami go home“ zu rufen, damals, zu Zeiten des Vietnam-Krieges.  

Ist es am Ende eine peinliche Kränkung, die das Vorurteil gegen Amerika befeuert, die Kränkung darüber, dass es US-Soldaten, teils sogar dunkelhäutige oder in amerikanischen Uniformen heimkehrende deutsche Emigranten waren, die dem Land der Dichter und Denker den Weg aus der Barbarei zurück in die Zivilisation weisen mussten, während der Osten weiter totalitär beherrscht wurde, nur dass die braune Ideologie jetzt rot überpinselt wurde?

Wie kommt es, dass daraus keine Aversionen gegen die Sowjetunion erwuchsen, die sich emotional verfestigt hätten wie die Ablehnung der USA? Die Frage drängt sich umso mehr auf, als die Sowjets wiederholt Volksaufstände im Osten mit Gewalt niederwarfen, 1953 in Berlin, 1956 in Budapest, 1968 in Prag. Auch die Mauer hätte Ulbricht nie hochziehen können, wäre der Befehl nicht in Moskau abgesegnet worden. Nicht zu reden von den Menschen, die in der Sowjetunion und ihren kommunistischen Satellitenstaaten von Osteuropa bis nach Afrika und in Asien ermordet wurden.

Der Kuchen ist noch nicht gegessen

Sei es, dass man sie nach kurzem Prozess erschoss oder in Lager verbannte, in  denen die Insassen erst sterben mussten, bevor sie wieder herauskamen; oder sei es auch, dass man die Bauern zu Hunderttausenden verhungern ließ, wie es Stalin in den dreißiger Jahren befahl. Heute sind sich die Historiker jedenfalls einig, 100 bis 130 Millionen Opfer forderte der rote Terror im Laufe eines knappen Jahrhunderts, 20 Millionen allein in der Sowjetunion. 

Warum kümmert das die Deutschen nicht weiter, warum attackieren sie lieber Amerika, als ein kritisches Wort gegenüber Putin zuzulassen? Sind die Deutschen mehrheitlich es schon wieder leid, die Mühen der Demokratie auf sich zu nehmen? Sehnen sie sich zurück nach einem Reich, das den Einzelnen auskömmlich versorgt, solange er sich nicht zur kritischen Einmischung in die Politik versteigt – eben nach einem Herrscher wie Putin, einem, der mit starker Hand gnadenlos vorführt, was Politik – Machtpolitik – ausmacht? Ganz auszuschließen ist das ebenso wenig wie ein Vormarsch des Russen über die Ukraine hinweg bis nach Polen hinein.  

Verrückt, absurd, Spinnerei? Mag sein. Nur haben wir es eben auch mit einem Verrückten zu tun, der über Amerika triumphieren möchte. Allein mit der Ukraine dürfte der Kuchen für ihn nicht gegessen sein. 

Wir lassen uns gern von der Geschichte eines Besseren belehren. Nur soll nachher niemand sagen, das konnten wir nicht ahnen, das war dem gütigen Wladimir nicht zuzutrauen, wo er doch unterdessen in die Kirche geht.  

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Roland Müller / 22.02.2022

Die Putin-Versteher haben ganz einfach von antirussischer Propaganda, die teilweise nur noch eine Halbwertzeit von Minuten hat, gründlich die Nase voll. Mittlerweile greift auch immer mehr die Erkenntnis um sich, dass es hauptsächlich darum geht, dem braven Bürgerlein, wie im Kalten Krieg gehabt, mit erfundenen Bedrohungen Milliarden aus der Tasche zu leiern. Dazu kommen die absurden Forderungen, alles Mögliche zu verteidigen, mit dem Deutschland im Prinzip nichts zu tun hat. Wobei man auch festhalten muss, dass die “tapferen Verteidiger” von Friede, Freude und Eierkuchen im Zweifelsfall die ersten sind, denen der Allerwerteste mit Grundeis geht und keinen Gedanken daran verschwenden, zum Beispiel in der Ukraine eigenhändig zur Waffe zu greifen.

Wolfgang Kessinger / 22.02.2022

“nur ein militärischer Beistandspakt für den Notfall ” klar, wie in Jugoslawien und Afghanistan. So kann man es sich auch schön reden. Oder welche Art Notfall ist hier gemeint? Darbende Rüstungskonzerne? Sorry, aber dieser Artikel hört sich an wie von der Nato Pressestelle.

sybille eden / 22.02.2022

Wolfgang EGGER,- ” Millionen von Bürgern verzweifelt um die Wiedererlangung ihrer Grundrechte kämpfen…..... “ Millionen von Bürgern ??? Wirklich Millionen ???  Ich sehe nur ein paar Tausend, weit zerstreut. Die ” demokratische Grundhaltung” scheint ein scheues Reh in Dummland zu sein.

Karla Kuhn / 22.02.2022

Helmut Jäger, Curd Handmann, Petra Wilhelmi, so sehe ich das auch. Danke . Mir hängen die ewigen Hetzereien , buchstäblich zum Halse raus. Deutschland hat mit die meisten WAFFEN 2021 exportiert. Die müssen offenbar eingesetzt werden. Die OSTERWEITERUNG der NATO ist ein eklatanter Verstoß gegen den Vertrag, der extra dagegen abgeschlossen wurde. Aber wahrscheinlich fehlt der TRUMP, jetzt müssen eben ORBAN und PUTIN dafür herhalten. Teilweise der Pole ! Die Chinesen scheinen allerdings die “lupenreinen Demokraten” zu sein ! Statt Krieg wird offenbar ein Virus FREIGESETZT. Gates hat es ja angekündigt, ist der ein RUSSE ?

Jochen Brühl / 22.02.2022

Ich glaube nicht, dass die heutigen Putinversteher in Deutschland aus einer antiamerikanischen Haltung resultieren, wie man sie zuvor jahrzehntelang bei den Grünen und auch Roten verorten musste. Schon eher stellt sich für viele die Frage, ob der Putin tatsächlich so gefährlich ist, wenn denn bereits die eigene etablierte Politik alles andere als ungefährlich für das eigene Wohlbefinden in diesem Land ist. Und dies eigentlich in jeder Hinsicht, in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und auch gesundheitlicher Hinsicht. Die daraus resultierenden Putinologen sind wahrscheinlich ähnlich nutzbringend wie Politologen, also reine Geschwätzwissenschaftlicher, aber immer noch weniger gefährlich als Genderisten.

Georg Dobler / 22.02.2022

Natürlich weiß ich um die stalinistischen Verbrechen und die Verhungerten der Ukraine. Das kann man doch nicht “den Russen” von heute und Putin anlasten. Stalin war ein Georgier und kein Russe. Diese Verbrechen der Vergangenheit laste ich in erster Linie dem Kommunismus an. Ich glaube mit diesem hat Putin wenig am Hut. Selbstverständlich weiß ich um die Verdienste der USA für Deutschland. Was mir in der jüngeren Gegenwart besonders auffällt: Wenn in Russland (oder außerhalb) Regimegegner getötet werden und der Verdacht besteht, dies könnte vom Präsidenten gebilligt oder angeordnet worden sein, dann hören wir und lesen wir darüber immer und immer wieder, jahrzehntelang. Dem gegenüber stehen Tausende Tote plus unzählige Frauen und Kinder als Kollateralschäden, die in Afghanistan, Pakistan, Afrika durch US-Drohnen getötet werden. Es sollen Terroristen, also Staatsfeinde, sein. Diese Tötungen werden immer vom US-Präsidenten mit Unterschrift angeordnet. Allein Obama soll dies geschätzt 3000 mal in 8 Jahren angeordnet haben. Von ganz seltenen Presseartikel darüber (auch weil die Afghanistan-Befehlskette über Ramstein läuft-Fragen zum Grundgesetz) abgesehen, wird dies hier fast nie berichtet. Sehenswert der US-Film “Good kill-Tod aus der Luft” mit Ethan Hawke, der dies sehr realistisch darstellt.

Jochen Lindt / 22.02.2022

Ich bin Putinversteher.  Besser gesagt Russlandversteher, seit spätesten 1991. Seit Jugoslawienkrieg. Zum Schluss stand Joschka Fischer mit Tränen in den Augen vor dem Bundestag und forderte Krieg für die Albaner (im Kosovo).  Seitdem hat Albanien die höchste Mercedesdichte der Welt und liegt dem deutschen Sozialstaat trotzdem auf der Tasche.  Was Putin in der Ukraine macht hat der Westen x-mal vorexerziert: Anerkennung von Teilrepubliken, anschließend Krieg für die “Freiheit”.  Bei den Albanern war es wie gesagt die Freiheit unsere Autos zu klauen und unserem Sozialstaat in die Kasse zu greifen.  Nein danke, ich brauche keinen einzigen dieser freiheitsliebenden Transferempfänger.  Putin kann die Ukraine meinetwegen geschenkt kriegen. Und den Balkan gleich mit.

Jürgen Fischer / 22.02.2022

Jetzt mal Putin beiseite, aber was soll an der NATO „eine Wertegemeinschaft freier demokratischer Staaten“ sein? An dieser Definition scheitern schon die USA selbst, das sollte spätestens nach 2001 und dem PATRIOT Act klar sein. Aber ich sollte besser still sein, ich verstehe von so etwas nichts. Ach, jetzt, ich habe gerade nachgesehen: »Dem deutschen Bundesministerium der Verteidigung zufolge versteht sich die NATO als „Wertegemeinschaft freier demokratischer Staaten“.« (wikipedia) Moment, wer ist denn gerade Bundesverteidigungsminister? Oma Lambrecht! Die nette alte Dame, die von Soldaten aus dem Flugzeug geleitet werden musste. Was? Die ist jünger als ich? Mist, auf nichts kann man sich heute mehr verlassen ...

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