Marcus Ermler / 10.02.2021 / 16:00 / Foto: Pixabay / 44 / Seite ausdrucken

Der Wilsberg-Drehbuchautor und der AfD-Hausjude

Die Deutschen lieben „tote Juden, je toter sie sind, umso mehr werden sie geliebt“, indes mit „den lebenden Juden ist es eine andere Sache, die werden ermahnt, nicht zu unfairen Mitteln zu greifen und sich nicht allzu heftig zu wehren, wenn sie angegriffen werden“, so hat Henryk M. Broder einst eine spezifische Ausformung des deutschen Blicks auf das Judentum beschrieben. 

Ob der Twitter-Prominente Mario Sixtus, ein Drehbuchautor der ZDF-Krimireihe „Wilsberg“, sich darin wiedererkennt, ist nicht überliefert. Offenkundig jedoch ist folgender Text eines Tweets, den der reichweitenstarke Sixtus vor wenigen Tagen an seine fast 140.000 Twitter-Gefolgsleute verbreitete, nachdem ich einen Artikel bei Achgut.com, „Wider die Verharmlosung des Nationalsozialismus“, veröffentlichte, in dem auch Sixtus vorkam.

DrErmler[:] AfD-naher Jude. Sowas nennt man auch Token, ja? Oder lebensmüde? Oder wie kommt man als Jude auf die Idee, sich einer Nazi-Partei anzudienen?“

Evident an der Akzentuierung „AfD-naher Jude“ ist nicht die Wahrnehmung des Kritikers als bloßen Rezensenten, vielmehr ist es seine Rezeption als Jude. Im Mittelpunkt steht demnach also nicht die verstandesmäßige Reflexion der eigentlichen Kritik, sondern die schlichte Bloßstellung der in ihr gelesenen „jüdischen“ Herkunft. Es ist dabei nicht die tatsächliche jüdische Abstammung, die bereits zählt, sondern ihre ledigliche Scheinbarkeit, die der Denunziant zum Fakt erklärt hat. 

Die Menschenverachtung, die der Relativierung des NS-Terrors innewohnt, wird überdies mit dem Brandmal „AfD-nah“ ins Gegenteil verkehrt und der als „jüdisch“ markierten Kritik zugeschrieben. In dieser Schuldumkehr schält sich der als jüdisch gelesene Ketzer dabei zu einem besonderen Juden, der in seiner attestierten „AfD-Nähe“ zum „Token“ deklariert wird, was sich sinngemäß zunächst als eine Variation des „Hausjuden“, hier der AfD, übersetzen lässt. Ein jüdisches „Aushängeschild“ der AfD, mit der diese sich gegen das Etikett des Antisemitismus zu immunisieren versuche, so die wohlfeile Legendenbildung „antifaschistischer“ Judenempathie. 

Der Hausjude, der „sich einer Nazi-Partei anzudienen“ gedenkt

Dieser unterstellten Konspiration folgend, wird der AfD-Hausjude zu jenem eigentümlichen Juden, der „anders war als die anderen“ und den der Antisemit „schätzte und, wenn es darauf ankam, auch beschützte“, um Henryk M. Broders überspitzte historische Deutung zu zitieren. Doch ist es auch die Figur des „Hofjuden“, die sich in der Behauptung eines jüdischen „Feigenblatts“ der AfD zu erkennen gibt. Eines Juden, der sich seine Privilegien im Ausgleich für erwiesene Dienstleistungen an seine AfD-Herren sichert. 

Konkretisiert sich die Vorstellung eines Haus- und Hofjuden darin, dass gefragt wird, wie er „als Jude auf die Idee“ komme könne, „sich einer Nazi-Partei anzudienen (sic!)“, wird er in dieser Tonalität indes nicht nur zum „Dienenden“ des Nazis abkommandiert, sondern darüber hinaus in einer Dualität auf seinen rechtmäßigen Platz verwiesen: hier die wahren volksdeutschen Juden in der sie wohlwollend umarmenden Gemeinschaft der Guten, dort die judenhassenden Nazis, auf deren Seite sich nun der Hausjude als „Diener“ arrangiert.

Es ist nicht nur der so diagnostizierte Verrat des Hausjuden an seiner ihm zugeschriebenen originären Sippe, der ihn in den Augen des antifaschistischen Zwitscher-Mobs kompromittiert erscheinen lässt. Es desavouiert ihn sein „Dasein und Erscheinung“ durch seine „mangelnde Anpassung“ an die Ordnung und „Harmonie der Gesellschaft“, zu der er sich zu bekennen hat, wie es Horkheimer und Adorno in ihren „Elementen des Antisemitismus“ umfassten. Koscher ist er erst dann, wenn ihn die deutsche Twitter-Volksgemeinschaft dazu erklärt.

Der deutsche Jude als „moralischer Pausenclown für das wohlige Gruseln“

Welche Intention der Hausjude mit diesem doppelten Vertrauensbruch verbinden soll, offenbart ein anderer Tweet, der dem oben referenzierten anhängt: „Es ist zum Teil die Hoffnung, man werde nach der Machtübernahme verschont, weil man gute Dienste geleistet hat. Die Geschichte zeigt aber, dass das nicht passiert...“. Den Pakt mit dem nazistischen Teufel ist der „AfD-Hausjude“ demnach für sein Überleben bereit einzugehen, so die Anklage.

Dennoch würde auch das ihn nicht retten, wie es „die Geschichte zeigt“. So sei er nämlich „lebensmüde“, in einem „Phänomen der Autoaggression“, wie es ein weiterer anhängender Tweet ergänzt. Eine „antifaschistische“ Diagnostik, die einen Zustand jüdischen Selbsthasses feststellen will, in der der jüdische Patient sich in selbstverletzender Absicht seinem Schlächter „andient“. Dies ist die altbekannte antisemitische Leier, ob Juden nicht doch selbst schuld an ihrem Unglück sind.

Doch in dieser Begrifflichkeit spielt nicht nur die Herabwürdigung des im Kritiker identifizierten Juden zum Hausjuden eine Rolle, der sich bei den Nazis verdingt, um nach der „Machtübernahme verschont“ zu werden, weil er „gute Dienste geleistet hat“. Sondern mehr noch wird mit der Frage danach, ob dieser denn nicht schlicht „lebensmüde“ sei oder wie er überhaupt solch eine „Idee“ habe entwickeln können, die das deutsche Judentum in seiner Funktion als „moralischer Pausenclown für das wohlige Gruseln“ (Eike Geisel) postuliert.

Juden dürfen in Deutschland keine selbstständig handelnden politischen Akteure sein, sondern müssen das deutsche Bedürfnis nach jüdischer Selbstviktimisierung befriedigen, sich also „auf die Funktion des anerkannten Opfers […] reduzieren, das für die Abteilung Mahnen und Warnen ebenso zuständig ist wie für die versöhnliche Botschaft, dass man den neuen Deutschen wunderbar über den Weg trauen kann“, wie es David Schneider einst in der Bahamas schrieb. 

„Juden müssten aus ihrer Geschichte gelernt haben und wissen, was es heißt, Opfer zu sein“

Es ist allerdings dieser Rahmen vermeintlich jüdischer Existenz, so das Urteil der „neuen Deutschen“, den der Hausjude als „Diener“ einer „Nazi-Partei“ in seiner ihm zugeschriebenen geschichtsvergessenen Lebensmüdigkeit bereitwillig verlässt. Sein Verrat an der für ihn vorgesehenen Rolle als lebendiges Monument des Holocausts ist es, die das Gute sanktionieren muss.

Das Opfer, das sich den Tätern „andient“ und so zu deren willigem Helfer transformiert, es muss bestraft werden. So schwingt, mit David Schneiders Worten, in dieser „deutschen“ Empörung über die selbstgewählte jüdische Autonomie letztlich die unerfüllte und damit enttäuschte „Erwartung mit, Juden müssten aus ihrer Geschichte gelernt haben und wissen, was es heißt, Opfer zu sein. Kritisiert und beschimpft werden sie nicht als politisch Irrende, sondern als Verräter an der deutschen Gutmenschlichkeit.“

Da passt es nur zu akkurat ins Bild, dass niemand von Sixtus' Anhängern der „Antifa ist Handarbeit“-Fraktion auch nur den kleinen Finger im sonst kollektiv berauschenden „Kampf gegen Antisemitismus“ rührte, um sich diesem Schauerstück der „deutschen Gutmenschlichkeit“ entgegenzustellen. Es ist vielmehr die Lust daran, den Abweichler ob seiner gelesenen jüdischen Existenz der geifernden Twitter-Meute zum Fraße vorzuwerfen, die so in ihrem zuschreibenden Tokenismus eines imaginierten AfD-Hausjuden „doch in Wahrheit ohne Entstellung der Menschen nicht leben kann“ (Horkheimer und Adorno, „Elemente des Antisemitismus“).

Denn „im Rausch vereinter Ekstase, ja als Gemeinde überhaupt, wird Blindheit zur Beziehung und der paranoische Mechanismus beherrschbar gemacht, ohne die Möglichkeit des Schreckens zu verlieren“, wie es Horkheimer und Adorno erklärten. So kristallisiert sich das als „sozial“ definierende Netz mittels seiner volksgemeinschaftlich wirkenden Kraft zum vertrauten Judenpranger, der jedermann und jederfrau in der freien Denunziation der Namen von Juden und deren Sympathisanten zur Verfügung steht.

Foto: Pixabay

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Marcel Seiler / 10.02.2021

Unglaublich.

Kostas Aslanidis / 10.02.2021

Nicht nur bei Wilsberg. Jeder Sendung Krimis, Spielfilme, Dokumentar ist zum schaemen. Klima, Gender, Open Boerders, Divers und nur ideoligischer Schwachsinn kommt vor. Hier ein paar Plump, billig, laecherlich. Bei Krimis sind die Taeter immer Deutsche, Migranten nie und wenn mal Auslaender, dann meist ein boeser Russe oder Serbe. Herr Broder, sie haben “Glueck” das sie Jude sind, sonst waeren sie viel mehr am Pranger. Nazinahe sind diese Zwangsfinanzierte verbloedungssender. Die Arroganz und Ignoranz dieser Leute, ist so peinlich. Es sind die gleichen Fanatiker, wie zwischen 1933-1945. Der einzige Unterschied ist das Deutschland militaerisch schwach ist. Die Grossvaeter diesen arroganten Schwaetzers, haben die Juden vernichtet. Er sollte ganz still sein.

B. Ollo / 10.02.2021

Linke Parteien sind ja bereits untereinander in einem erbitterten Kampf um das Vertretungsrecht der zahlreichen herbei definierten Opfergruppen. Migranten, Frauen, die Umwelt, Arbeiter,, der Planet, Sintis, Romas und all die anderen nie benannten Zigeunergruppen, Schwarze, Halbschwarze, Behinderte, und natürlich Juden. Ein Sixtus kommt in dieser Reihe schlicht nicht vor. Daher muss er jede Gelegenheit nutzen, sich über andere zu erheben. Schließlich ist er in seinem politischen Lager definitionsgemäß der letzte Dreck. Sich über andere als Seinesgleichen kann er sich nur erheben, wenn diese aus den Opfergruppen kommend politisch quertreiben. Dann kann sich auch ein Sixtus mal groß fühlen und von oben herab auf nicht-deutsche weiße Männer blicken. Aber wie gesagt, er ist ja in Wahrheit in seinen Kreisen ganz klein. Ein Scheinriese. Und dazu noch ein ganz scheinheiliger.

A. Iehsenhain / 10.02.2021

Mario Sixtus? Einfach eine schaurige Hirn-Imitation!

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