Normalerweise berichten wir am Jahrestag hier ja über historische Schlachten wie die von Waterloo oder Tannenberg. Heute machen wir mal eine sportliche Ausnahme. Dauerregen, Horror-Massenkarambolage, Gegner Mika Häkkinen ausgeschieden – was konnte da Michael Schumacher am 30. August 1998 noch im Wege stehen?
Petrus meinte es an jenem Augusttag im Jahr 1998 eigentlich gut mit Deutschlands Formel-1-Ikone und dem Regengott unter den Rennfahrern, dem damals bereits zweimaligen Weltmeister Michael Schumacher. Denn es schüttete buchstäblich aus Kübeln im belgischen Spa, dessen Rennstrecke aufgrund der dort herrschenden unwägbaren Witterung berühmt-berüchtigt ist und wegen ihres fahrerischen Anspruchs auch gerne als Ardennen-Achterbahn bezeichnet wird. Spa ist für Schumacher immer das gewesen, was für Boris Becker Wimbledon ist. Sein Wohnzimmer. Hier hatte er 1991 ohne jede Streckenkenntnis debütiert und sein Gefährt, den unterlegenen Jordan, auf einen bemerkenswerten Startplatz sieben bugsiert. „Wer auf einer ihm unbekannten Strecke auf Anhieb so schnell ist, der muss schon ein außergewöhnliches Talent sein“, würdigte ihn der brasilianische Ausnahmefahrer Ayrton Senna. Seinen ersten Sieg überhaupt errang der Kerpener dann natürlich in Spa, im Jahr 1992, dem von 1995 bis 1997 drei weitere Triumphe folgen sollten.
Im Jahr zuvor hatte der Himmel ebenfalls seine Schleusen weit geöffnet. Die Reaktion der Rennleitung seinerzeit: Erstmalig startete das Feld direkt hinter dem Safety-Car statt aus der Startaufstellung. Was vielleicht ebenso 1998 die bessere und buchstäblich billigere Lösung gewesen wäre. Schon kurz nach dem Start bricht nämlich der McLaren von David Coulthard aus, springt nach Aufprall in eine Mauer verhängnisvoll zurück und löst so eine Massenkarambolage aus, die im wohl teuersten Schrottplatz der Formel-1-Geschichte mündete. Nicht weniger als 13 von 22 gestarteten Autos fielen in der undurchsichtigen Gischt dieser Kettenreaktion aus Karbonfetzen und Reifenteilen zum Opfer. „This is the worst start to a Grand Prix that I have ever seen in the whole of my life“, kommentierte die britische Reporterlegende Murray Walker auf ITV den Horror-Crash. Glück im Unglück hatten von den Spitzenfahrern Michael Schumacher, sein Bruder Ralf, Weltmeister Jacques Villeneuve, sein Vorgänger Damon Hill und Schumachers WM-Konkurrent Mika Häkkinen.
Schumacher wollte Ferrari an die Spitze bringen
Apropos Häkkinen. 1998 war zunächst das Jahr des „fliegenden Finnen“ im McLaren-Monoposto. Brannte er in seinem Top-Boliden, konzipiert vom Design-Ass Adrian Newey − dem späteren Mastermind von Sebastian Vettels Weltmeisterautos − und ausgerüstet mit einem performanten Mercedes-Motor wie ultraschnellen Bridgestone-Reifen, in den Vorsaisontests solche Zeiten in den Asphalt, dass die Konkurrenz sich regelrecht schockiert zeigte. Sein fahrerisches Potenzial hatte Häkkinen bereits bei seinem ersten Grand Prix für McLaren im Jahr 1993 angedeutet, als er nach einer dreiviertel Saison ohne Renneinsatz gleich seinen Teamkollegen und Dreifach-Weltmeister Senna mit den sprichwörtlich gewordenen „Bigger balls“ im Qualifying schlug. Nachdem der Magier am Lenkrad – erinnert sei an sein Jahrhundert-Überholmanöver gegen Schumacher in Spa im Jahr 2000 – nun in der Saison 1998 endlich das passende Gefährt hatte, konnte er in den ersten sechs Rennen mit vier Siegen vorlegen, in Brasilien sogar mit einer Minute Vorsprung vor seinem schärfsten Verfolger Schumacher.
Dieser war zwei Jahre zuvor zur so finanzstarken wie streitlustigen Scuderia Ferrari gewechselt, um diese nach siebzehn Jahren ohne Weltmeistertitel (Jody Scheckter war 1979 der letzte Glückliche) erneut an die Spitze zu bringen. Trotz etlicher gescheiterter, nicht weniger prominenter Versuche davor. Darunter Formel-1-Professor Alain Prost, der seinen Ferrari mit einem LKW verglich und prompt entlassen wurde, sowie der britische Nationalheld Nigel Mansell. Nach einem gelungen Einstiegsjahr 1996 als WM-Dritter mit drei Rennsiegen scheiterte Schumacher ein Jahr darauf allein an seinen Nerven und seinem beinharten Rammstoß gegen den späteren Weltmeister Villeneuve, Sohn der 1982 im Ferrari tödlich verunglückten Rennlegende Gilles Villeneuve. Schumacher hatte sich drei Jahre Zeit für seinen WM-Triumph im Ferrari genommen, der in der Saison 1998 also spruchreif wurde. Nach den anfänglichen Problemen knabberte er Stück für Stück von Häkkinens Punktevorsprung ab und lag vor dem Rennen in Spa, dem dreizehnten von insgesamt sechzehn Weltmeisterschaftsläufen, nur noch knapp mit 70 zu 77 Punkten hinter diesem (damals gab es nach dem alten Punktesystem 10 Zähler für einen Sieg).
Der Regengott unter den Formel-1-Fahrern
Also zurück nach Spa. Nach fast einer Stunde Großreinemachen ging es dann weiter, wobei Chaos-Verursacher Coulthard wohl besser in der Box geblieben wäre. Bereits in der ersten Runde nach dem Restart kollidierte er nämlich mit dem Benetton von Alexander Wurz, was ihn so bis ans Ende des Feldes katapultierte. Coulthards Teamkollege, der WM-Spitzenreiter Häkkinen, hatte genau sowenig Fortune. Nachdem er sich bei einem Überholmanöver von Schumacher gedreht hatte, konnte ihm Johnny Herbert im Sauber nicht mehr ausweichen. Das bittere Resultat für den Finnen: Ein fataler Zusammenstoß samt anschließendem Ausfall. Demnach freie Bahn für Schumacher und die Eroberung der WM-Spitze. Den führenden Hill im Jordan kassierte er kurz darauf und baute seinen Vorsprung pro Runde um mehr als eine Sekunde aus. Eine starke Regenphase später, die Champion Villeneuve durch Aquaplaning zum Verhängnis wurde und ein i-Tüpfelchen auf die bis dahin magere Saison des Kanadiers mit bloß zwei Podestplätzen war, lag Schumacher weiter unangefochten an der Spitze des Feldes.
Schumacher hatte in den vorangegangenen Jahren mehrfach seine Klasse bei derlei Wetterkapriolen gezeigt. So im Juni 1996, als er im spanischen Barcelona mit seinem ersten Sieg für Ferrari die verbliebenen Piloten regelrecht deklassierte und dabei obendrein im Cockpit ein Bad nehmen konnte, derart nass war es, oder 1997 im Klassiker von Monaco, bei der ihn nicht einmal ein zeitfressendes Wendemanöver in der Sainte-Devote-Startkurve von einem überlegen eingefahrenen Sieg abhalten sollte. Sein Dauerrivale Damon Hill sagte Jahrzehnte später über ein für ihn denkwürdiges Duell im 1994er Regenchaos von Suzuka: „Jeder andere wäre abgeflogen. Er nicht. Er hat es jedes Mal wieder abgefangen. Ich dachte nur: Macht der Kerl jemals einen Fehler? Selbst mit einem Arm auf dem Rücken war er immer noch ein gefährlicher Gegner“. Da Schumacher 1995 in Spa sogar von Startplatz 16 aus einen heftig verregneten Grand Prix gewonnen hatte, machte sich wohl niemand der damals gerne mal um die zehn Millionen RTL-Zuschauer ernsthaft Sorgen, dass ihr Schumi nicht auch 1998 wieder als Erster die Ziellinie in Belgien überqueren würde.
Mit dem Ferrari-Dreirad in die Box
Bis zu jener unheilschwangeren 24. Runde, in der Schumacher den Pechvogel Coulthard überrunden wollte. „Du fährst auf der Geraden in der Gischt hinterher, hast überhaupt keine Möglichkeit, die Abstände einzuschätzen, und plötzlich geht der Kollege vor dir vom Gas. Das ist ja wie wenn man mit dem Auto eine Vollbremsung macht. Du merkst es nur nicht, du siehst die Gischt und plötzlich hängst du schon auf dem Vordermann drauf und dir fehlt ein Rad“, schilderte Schumacher den brutalen Auffahrunfall auf das Heck von Coulthards Wagen. Was Deutschlands Liebling dermaßen in Rage versetzte, dass er in der Box, unmittelbar nachdem er sie auf seinem Ferrari-Dreirad erreicht hatte, mit einem „Du wolltest mich umbringen“-Schrei auf den Schotten losgehen wollte und allein von den McLaren-Mechanikern gestoppt werden konnte.
Auch wenn beide Protagonisten sich in der Folge aussprachen und Coulthard seine eklatante Fehleinschätzung zugab, ausgerechnet auf der Rennlinie langsamer geworden zu sein, war statt Freude über die WM-Führung nun Katzenjammer in Maranello, dem Firmensitz Ferraris, angesagt. Von den folgenden drei Rennen gewann Schumacher dann bloß noch eines, Häkkinen hingegen zwei. Am Ende der Saison stand es 100 zu 86 Punkten für den Finnen, der hiermit schließlich seine erste Weltmeisterschaft feiern durfte, nachdem er zwischen 1994 und 1997 trotz einiger fahrerischer Duftmarken im bis dahin nicht WM-tauglichen McLaren hinter Williams, Benetton und Ferrari stets nur „Best of the Rest“ war. Das epische Duell zwischen dem späteren siebenfachen Weltmeister Schumacher und Doppel-Triumphator Häkkinen, den der Kerpener stets als seinen einzig wahren Gegner ansah, sollte die Formel-1-Welt die nächste drei Jahre beschäftigen und erst mit dem Rücktritt Häkkinens nach einer für ihn unbefriedigenden Saison 2001 mit mehrfach technisch bedingten Ausfällen enden.
Statt Ferrari-Rot gewinnt Hornissen-Gelb
Und wie ging es eigentlich in Spa aus? Die Gunst der Stunde nutzte nach den Favoritenstürzen ausgerechnet das in acht Formel-1-Jahren bislang sieglose Jordan-Team, bestehend aus dem Altmeister Damon Hill und Jungspund Ralf Schumacher. Ein Doppeltriumph für die knallgelben Buzzin Hornets, so genannt wegen der an der Fahrzeugnase aufgemalten Hornisse. Für Ex-Weltmeister Hill war dies der letzte Rennerfolg im Grand-Prix-Zirkus. Und eine späte Genugtuung für die harte Vorsaison im Hinterbänklerteam Arrows, in der ihn auf dem Hungaroring eine Runde vor Schluss ausschließlich ein im dritten Gang hängengebliebenes Getriebe vor dem Premierensieg der seit ihrem Debüt 1978 chronisch siegunfähigen Pfeile abhalten konnte. Ralf Schumacher gab der zweite Rang, seine bis dato beste Platzierung, wenig Anlass zur Freude, da ihn eine Stallorder vom Überholen abhielt. Teamchef Eddie Jordan, der den ebenso finanziell wichtigen Doppelsieg nicht durch ein waghalsiges Überholmanöver unter den immer noch schwierigen Streckenbedingungen gefährdet sehen wollte, hielt sich dabei an Hills Vorschlag: „Wenn wir beide gegeneinander fahren, dann könnten wir am Ende mit leeren Händen dastehen. Es ist Eddies Entscheidung. Wenn wir nicht gegeneinander fahren, dann haben wir die Möglichkeit, Erster und Zweiter zu werden.“
Dr. Dr. Marcus Ermler, geboren 1983, ist Mathematiker sowie Informatiker und beschäftigt sich in seiner Forschung mit Logik, Graph Rewriting und Topologie. Darüber hinaus publiziert er über Antisemitismus und Antiamerikanismus jeder politischen Färbung, bisher u.a. für „Audiatur-Online“, die „Jüdische Rundschau“ und „Mena-Watch“.
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