Das ehemalige SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ steht vor dem Aus. Trotz jahrelanger millionenschwerer Unterstützung der Linkspartei ist die Zeitung das erste prominente Opfer der Woke-Werdung linker Medien. Getreu dem Motto: Werd’ woke, geh’ pleite.
Die sozialistische Tageszeitung „Neues Deutschland“ (kurz ND) hat eine bewegte Vergangenheit. Bis zur Wende firmierte das Blatt als das SED-Zentralorgan, war dann bis 2007 über eine GmbH im Besitz der mit der SED rechtsidentischen PDS und gehörte schließlich zu 50 Prozent einer Verlagsgesellschaft, die treuhänderisch für die SED/PDS-Nachfolgepartei „Die Linke“ wirkte. In den Jahren 2018 bis 2020 steuerte die ihr nahestehende Linkspartei rund eine Million Euro aus eigener Kasse zum Überleben der von Kritikern als Parteipostille verschrieenen Zeitung bei. Was den Parteigranden zunehmend sauer aufstieß. Die Folge: Im Januar 2022 musste sich das ND schließlich in einer Genossenschaft neu und vermeintlich unabhängig von der Linkspartei positionieren.
Der letzte Schritt scheint den Abstieg des einst wirkmächtigen SED-Mediums allerdings fulminant beschleunigt zu haben. Brachte es zu DDR-Zeiten noch 1,2 Millionen Exemplare unter die Genossinnen und Genossen, stand es 2019 bei nur noch kläglichen 21.201 Abonnenten und vermochte bis heute, diese Zahl sogar auf kümmerliche 12.309 zu reduzieren. Einfacher gesagt: Von hundert DDR-Lesern ist nur ein BRD-Sozialist dem ND treu geblieben. Hinzu kommen noch beachtliche Buchungsfehler der neu aufgestellten Buchhaltung, die das aktuelle Defizit von 300.000 auf über 600.000 Euro vergrößerten. Offenkundig geht nicht nur der Wüste der Sand aus, wenn dort die Sozialisten lange genug herrschen, sondern auch einer linken Tageszeitung das Geld.
Linksidentitäres Jakobinertum
Ich muss gestehen, dass ich die letzte Ausgabe des ND vor fast zehn Jahren im Herbst 2013 am Kiosk gekauft habe. Warum es danach nicht mehr wurden? Mir war sie damals schlicht zu hausbacken und langweilig, quasi der Papier gewordene Apparatschik unter den linken Zeitungen. Insbesondere, wenn man sie mit ihren Konkurrentinnen verglich. Wollte man es links-bourgeois gemixt mit APO, griff man damals wie heute zur taz, wollte man es frischer und linksradikaler, nahm man die antideutsche „Jungle World“, und wollte man den Muff aus hundert Jahren gescheitertem Sozialismus noch einmal inhalieren, war das ehemalige FDJ-Zentralorgan „Junge Welt“ die passende Wahl. Das ND stand für mich immer zwischen all diesen Stühlen, nur in Schlaftablette.
Das scheint die Redaktion des ND vor ein paar Jahren ebenso erkannt zu haben. Schwang man sich nämlich auf, der eigenen staatssozialistischen Biederkeit mit einem jugendhaften, bewegungslinken Gesicht entgegenzuwirken. Böse Zungen würden es wohl eher linksidentitäres Jakobinertum taufen. Ob nun eine Sibel Schick („Männer sind Müll“), eine Ayesha Khan („weiß-dominierte Gesellschaft“), ein Stephan Anpalagan („Rechte Netzwerke innerhalb der Polizei“), eine Veronika Kracher („Überall nur Incels“) oder eine Natascha Strobl („ARD-Rechtsextremismus-Expertin“). Es gab und gibt sich das Who’s Who der salonsozialistischen Anti-Spaßgesellschaft als Gastautoren beziehungsweise gendergerecht als Gastautor*innen die Klinke in die Hand, die zwar durchaus erfolgreich in einer selbstreferenziell zelebrierten Attitüde „gegen Rechts“ die marginalisierte Minderheit in der Minderheit finden und pointiert deren Leid beklagen konnte, indes wohl auch nur diese wenigen Leser*innen wie *außen damit adressierte.
Veganer Hafermilch-Latte-Macchiato all inclusive
Klar, dass sich das ND dann 2018, wie die gescheiterten Bentos und ze.tt’s der deutschen Medienwelt zuvor, unbedingt ein Jugend- und Lifestylemagazin mit dem vielsagenden Namen „Supernova“ gönnen musste. Dass das Magazin buchstäblich einen großen Knall hatte, machte schon sein nicht weniger bescheidenes Motto deutlich: „Wir retten den Journalismus. Von links, feministisch, divers und mit Style“. Doch nicht nur den Journalismus wollte mensch „retten“, sondern gleich die ganze Welt: „Wir wollen Menschen zu Wort kommen lassen, die woanders keine Stimme finden und sich dem kapitalistischen Irrsinn widersetzen. Und wir wollen Alternativen aufzeigen. Denn wir sind uns sicher: Eine andere Welt ist möglich. Eine Welt der Vielfalt, der Gerechtigkeit, der Solidarität.“ Artikel sollten „bewegungsnah“ von Aktivisten geschrieben werden. „Von der Antifa-Ortsgruppe bis zu großen Bewegungen wie BlackLivesMatter oder den Anti-Braunkohle-Protesten Ende Gelände“, wie die taz seinerzeit bemerkte.
All das offenbar beseelt vom Geiste Katja Kippings, die Wähler*innen ihrer Linkspartei ja als pansexuelle Antifa-Aktivist*in im BlackLivesMatters-Shirt mit dem Lastenfahrrad klimaneutral zum nächsten Fairtrade-Lebensmittelgeschäft radeln sieht. Veganer Hafermilch-Latte-Macchiato all inclusive. Dass man die Mitglieder der eigenen Wählerklientel dann irgendwann an den Fingern einer Hand abzählen kann, wissen nicht nur Ochs und Esel, die angeblich den Sozialismus in seinem Lauf nicht aufhalten können, sondern mehr noch Sahra Wagenknecht. Und wie es die linke Ikone schon seit Jahren prophezeite, kam es bekanntlich auch. Kipping und ihre Entourage reihten in den letzten Jahren eine deftige Wahlniederlage nach der anderen aneinander. Bei der letzten Bundestagswahl scheiterte man sogar an der Fünf-Prozent-Hürde und ist nur wegen drei gewonnener Direktmandate überhaupt noch im Parlament vertreten.
Die Reaktionen darauf pendelten im Anschluss zwischen linker Selbsttäuschung und altkommunistischem Starrsinn, diffundiert in der Schimäre einer „verbindenden Klassenpolitik“. Der woke gewordene feuchte Traum einer Bewegungslinken, die „die ostdeutsche Hartz-IV-Empfängerin und den geflüchteten Jugendlichen, den VW-Arbeiter und die Klimabewegte, den ukrainischen Paketboten und den transsexuellen Busfahrer“ gleichermaßen in ihr Herz aufnimmt. Nur wenige Wochen später erlosch beim ND-Magazin „Supernova“ mit dieser von kindlicher Naivität in pubertärem Trotz aufgehenden Apologetik auch die letzte Energiesparlampe, veröffentlichte es doch im Dezember 2021 sein abschließendes kommunistisches Manifest. „Wir wollen guten, linken Journalismus betreiben – bis wir den Kapitalismus abgeschafft haben“, so der Tenor der Redaktion. Stattdessen hat man sich jedoch selbst abgeschafft. Get woke, go broke.
Vom kommunistischen Gespenst zum woken Untoten
Wenig verwunderlich, dass das woke Konzept der sozialistischen Mutter ND so ebenfalls nicht weniger überwältigend scheitern musste. Das Bild zur eigenen Werbekampagne macht den Grund wie gleichermaßen die Selbstwahrnehmung mehr als manifest: Die Marginalisierten der Welt lassen, wie einst Charlie Chaplin im großen Diktator, eine Weltkugel tanzen. Verbunden mit wohlklingenden Worten: „Wir schreiben über Menschenrechtsthemen, Interessen von Marginalisierten, Rassismus, Klassismus, Antisemitismus, Sexismus und Faschismus. Wir analysieren den Kapitalismus in all seinen Formen und die damit zusammenhängende Klimakatastrophe.“ Alles Ungemach der Welt wird antikapitalistisch zusammengerührt und woke verbrämt. Bringen wird es wohl nichts: Aus dem dereinst umgehenden kommunistischen Gespenst ist längst ein schlurfender woker Untoter geworden. Und das zugehörige Video zur Kampagne ist dessen staksiger Totentanz, der sich im Vergleich zur Persiflage „Worker and Parasite“ wie die nun wahre Karikatur jeden Linksseins herausschält.
In der Belegschaft scheint offenbar für die Ursachen des Scheiterns kein Bewusstsein zu existieren, obwohl nach Marx ja bekanntlich das Sein eben jenes bestimmt. In einer Stellungnahme spricht man zur aktuellen Misere lieber wolkig davon, „eine tägliche Stimme [zu sein], die Reichtum nicht als selbstverständlich betrachtet, Aufrüstung für gefährlich hält und die EU-Abschottung als menschenverachtend anklagt. Die mit Journalismus zu einer besseren Welt beiträgt.“ Eine bessere Welt, die in der Konsequenz der eigenen Rhetorik irgendwo zwischen Havanna und dem Einhorn-Regenbogental zu liegen scheint. Wo die Vögel mit Inbrunst die Internationale trällern und Kühe CO2-neutral flatulieren. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass das Neue Deutschland das erste prominente Opfer der Woke-Werdung linker Medien ist. Ob deren andere Vertreter daraus etwas lernen werden?