Georg Etscheit / 09.03.2024 / 06:15 / Foto: Pixabay / 111 / Seite ausdrucken

Der heimatlose Stammkunde

Der Niedergang der Fachgeschäfte zwingt den Kunden, von Pontius zu Pilatus zu laufen oder selbst zu suchen und dann im Internet zu bestellen.

Unlängst hat in München das letzte, große Fachgeschäft für Haustierbedarf seine Türen für immer geschlossen. Es nannte sich „Haus des Hundes“, befand sich im Stachus-Untergeschoss und führte, anders als der Name vermuten lässt, nicht nur Hundeartikel. Es gab keinen Nachfolger – finito nach 45 Jahren. „Ein harter Schlag für alle Hunde- und Katzenliebhaber“, schrieb der Münchner Merkur. Viel Münchner Prominenz gehörte zur Kundschaft – Rex Gildo, Zsa Zsa Gabor und Rudolph Moshammer, der hier die Halsbänder für seine geliebte Daisy erstand.

Ich bezog beim „Haus des Hundes“ weniger Glamouröses. Etwa aus Rinderhaut gepresste Hundekaurollen, die unser Poldi als Zwischenmahlzeit schätzt und die, weil sie nur wenig Fett enthalten, nicht vom Futter abgezogen werden müssen. Außerdem gab es dort komfortable Hundegeschirre einer italienischen Marke, die andernorts schwer zu bekommen sind. Gewiss, man könnte sie im Internet bestellen, aber online lassen sie sich nicht anprobieren. Dann ist das Ding zu groß oder zu klein, muss zurückgeschickt werden. Millionen machen das, immerzu, der Irrsinn der Internetshopperei.

Mittlerweile hat der Niedergang der Fachgeschäfte dramatische Ausmaße erreicht. Fast jede Woche verkünden die Boulevardzeitungen, welches „Traditionsgeschäft“ wieder aufgeben musste. Mal findet sich, wie beim „Haus des Hundes“, kein Nachfolger, weil die jungen Leute anderes, sinnvolleres mit ihrem Leben anfangen möchten, „irgendwas mit Medien“ oder „mit Menschenrechten“. Manchmal ist aber auch gesunkene Nachfrage schuld oder eine saftige Mietsteigerung. Das Ergebnis ist immer das gleiche, die Türen sind zu und man weiß nicht mehr, wohin man sich mit seinen Wünschen und Bedürfnissen wenden soll. 

Jetzt macht der Kunde den Job des Einzelhändlers

Einen nennenswerten Elektrofachhandel gibt’s schon längst nicht mehr und alle Welt drängt sich jetzt im letzten verbliebenen Mediamarkt. In meinem Quartier in der Maxvorstadt hat ein einziger Elektrohändler überlebt, wobei sich die Frage stellt, wie lange er noch durchhält. Die Hälfte seines Ladens hat er schon in einen Paketshop umgewandelt. An manchen Tagen sind die Schlangen davor gigantisch – schöne Aussichten. Wenn er endgültig aufgibt, ist Platz für die nächste Fressbude eines asiatischen oder nahöstlichen Spezialitätenkochs oder das gemütliche Einraumcafé eines Dutt tragenden Hobbygastronomen, der zu fairem Ökokaffee und veganem Kuchen die Extraportion Gesinnung serviert.

Wenn es überhaupt noch Einzelhändler gibt, spezialisieren sie sich meist auf hochwertige Artikel. Das Kleinklein des täglichen Bedarfs kann man sich im Internet zusammenstoppeln. Mehr und mehr ist man gezwungen, jene Aufgaben zu übernehmen, die früher dem Einzelhändler zufielen. Dessen Job war es, ein möglichst vielfältiges, auf eine spezielle Kundschaft zugeschnittenes Sortiment anzubieten. Jetzt heißt es, selbst im Internet zu recherchieren, man telefoniert selbst mit Produzenten und Großhändlern, lässt sich probeweise dies und das schicken und ist stolz wie Bolle, wenn man am Ende einer Odyssee vielleicht das erhält, wonach man gesucht hat.

Heutzutage ist wieder Vorratshaltung angesagt

Gerade habe ich versucht, einen Adapter für eine französische Steckdose aufzutreiben. Ich fuhr sogar zu einem mir bekannten Fachgeschäft auf dem Land. Ohne Erfolg. Glücklicherweise stöberte ich, nach Hause zurückgekehrt, den Adapter doch noch im Netz auf und orderte sicherheitshalber gleich zwei davon. Trotzdem wurde ein „Kleinmengenzuschlag“ in Höhe von 3,95 Euro fällig, außerdem eine Versandkostenpauschale über 4,95 Euro. Beides addiert, entsprachen diese Posten fast auf den Cent dem Preis für die beiden Adapter, sodass ich am Ende das Doppelte dessen zu zahlen hatte, was in einem stationären Fachgeschäft fällig geworden wäre. 

Jener Elektrofachhandel, bei dem ich die Adapter ergatterte, unterhielt übrigens bis vor einem Jahr noch einen eigenen, großen Laden in der Münchner Innenstadt. Jetzt steht das Geschäft leer, die Fenster sind verklebt, ein trauriger Anblick. Gleich daneben findet sich ein großer Drogeriemarkt, der in meinem Leben mittlerweile eine Schlüsselrolle spielt. Denn nur hier bekomme ich noch jene gutriechende Körperlotion, die ich seit Jahren benutze. Bis zu einer der letzten Kaufhausinsolvenzen gab es die weißen Plastikflaschen noch bei Karstadt um die Ecke, doch gähnt dort jetzt eine Baugrube. Dann wurden sie auch in den mir erreichbaren Filialen einer Parfümeriekette ausgelistet. Jetzt bleibt, neben dem Internet, nur noch besagter Drogeriemarkt, und wenn ich mal dort bin, kaufe ich gleich ein halbes Dutzend – man kann nie wissen. 

Dort gibt es auch noch eine Seife, die mir ans Herz gewachsen ist, seit sie mir mein langjähriger Lieblingsapotheker neben dem obligatorischen Wandkalender immer als Weihnachtspräsent überreichte: Olivenseife der Marke Kappus. Die Apotheke ist längst geschlossen; auch der Seifenhersteller war zumindest kurzzeitig insolvent.

Kurz entschlossen rief ich selbst am Kappus-Standort im baden-württembergischen Heitersheim an, um zu erfahren, ob meine Lieblingsseife noch hergestellt werde und wo man sie kaufen könne. Ersteres wurde bejaht, bei der zweiten Frage musste die Mitarbeiterin passen. Irgendwann fand ich die Seifenstücke in der hellgrünen Packung dann in jenem Markt und packte gleich zehn davon in meinen Einkaufsbeutel. Im besten Deutschland aller Zeiten ist wieder Vorratshaltung angesagt und mein Kellerabteil gleicht unterdessen dem Warenlager eines Supermarktes.

Klassiker als Mangelware

Ich habe manchmal das Gefühl, dass stets jene Produkte, die ich benötige oder zu benötigen meine, immer schwerer erhältlich sind. Zum Beispiel Zahnpasta der Marke „Blend-a-med classic“. Wenn Produkte als „classic“ firmieren, ist das ein schlechtes Zeichen, weil es bedeutet, dass ein Unternehmen sie nur noch herstellt, weil sich ein paar alte, sentimentale Deppen nicht für etwas Innovatives entscheiden können. Doch die frühkindliche Prägung auf eine Zahnpastamarke ist sehr stark. Für mich MUSS es „blend-a-med classic“ sein, alle anderen Zahncremes verursachen mir Brechreiz. 

Doch genau diese Version der Marke „blend-a-med“ ist offenbar kaum noch erhältlich. Und wenn, dann nur in unhandlichen Großtuben. Doch man darf heute nicht mehr allzu wählerisch sein. Wenn ich die Tuben irgendwo aufstöbere, heißt es, blitzschnell zuzuschlagen und umgehend den gesamten Regalvorrat einzulagern. Irgendeine ekelige Pasta mit bunten Streifen kommt mir nicht auf die Zahnbürste.

Wenn ich mir ausmale, dass das alles erst der Anfang ist und man vielleicht auch Lebensmittel bald nur noch im Internet bekommt, wird mir ganz blümerant zumute. Was die Hundeartikel aus dem ehemaligen „Haus des Hundes“ anbelangt, ist es mir gelungen, die erwähnten Kausticks im Internet aufzutreiben. Die vier Plastikbeutel, die ich bestellt habe und die jetzt im Keller liegen, werden zumindest bis Jahresende reichen. Die schönen Hundegeschirre italienischer Herstellung soll es, einer Eigenrecherche beim Hersteller zufolge, in einem Lädchen in München-Bogenhausen geben. Dort kaufe ich mir jetzt zwei Ersatzgarnituren. Poldi ist bald sieben Jahre alt, die Lebenserwartung seiner Rasse liegt bei gut zwölf Jahren. Nach ihm die Sintflut. 

 

Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik u.a. für die Süddeutsche Zeitung. Er schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss, und auf Achgut.com eine kulinarische Kolumne.

Foto: Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

R.Camper / 09.03.2024

“weil die jungen Leute anderes, sinnvolleres mit ihrem Leben anfangen möchten, „irgendwas mit Medien“ oder „mit Menschenrechten“. ”————-oder mit Völkerrecht, oder mit Politikwissenschaft, oder mit Genderwissenschaft, oder mit Soziologie, oder mit Philosophie, oder mit,.... kurz, mit Geschwätzwissenschaften die eigentlich kein Mensch benötigt. Es wird der Tag kommen, da gibt es kein Geld mehr für diese Nichtsnutze. Deswegen rufen die jetzt ständig zum „Kampf gegen Rechts”, reiner Selbsterhaltungstrieb, Das wird unser Land verändern, und zwar drastisch, und ich freue darauf.

Rudi Hoffmann / 09.03.2024

Paketshop ,  das ist   immer ein Zeichen   kurz vo dem Ende .

Chris Groll / 09.03.2024

Herr Etscheit ales richtig, was Sie sagen. Allerdings gab es auch eine Zeit, da durfte ich als Nichtgespikte kaum ein Ladenlokal betreten. Und genau diese Geschäfte meide ich immer noch.  Wir waren gezwungen im Internet zu bestellen. Die Geschäftsinhaber haben damals auch alle mitgemacht. Wenn dem nicht so gewesen wäre, wäre der ganze Spuk viel eher zu Ende gewesen. Ehrlich, jetzt sind mir diese Ladeninhaber auch egal, so wie ich denen damals unwichtig war.

Torsten Hopp / 09.03.2024

Die risikolosen Verdienstmöglichkeiten von Arbeitnehmern bei sämtlichen Schickimicki sind so hoch, da macht sich bei den Bürokratiemonstern der Wirtschaftszerstörer keiner mehr selbständig. Zurück bleiben die letzten von Abgabensklaven gequälte Idioten für die es heißt: selbst und ständig.

L. Luhmann / 09.03.2024

Solange die AfD nicht besiegt ist, wird alles immer schlimmer werden! Hier scheint um 08:22 die Sonne! Normal ist das jedenfalls nicht! Die Vōgelchen auf den Ästen rufen “plus vite! plus vite!” und ich empfinde Hass auf alle Lebewesen, weil der Klimawandel real ist!

Lucius De Geer / 09.03.2024

Kurioses Lamento. Kein Fachgeschäft der Welt kann die Angebotspalette vorhalten, die es bei amazon & Co. gibt, gerade wenn es um spezifische Güter und Geräte wie französische Steckdosenadapter geht. Dem Autor scheint seine Zeit nichts wert zu sein -er fährt und telefoniert wegen Pfennigartikeln herum, beklagt sich aber, wenn er 4,95 EUR Porto zahlen muss. Es liegt doch auf der Hand, dass es weit effizienter ist wenn hundert Leute online bestellen und dann nur ein Paketauto die Ware liefert, als wenn jeder selbst herumgurkt. Für Güter, bei denen zwingend es eine Möglichkeit geben muss, sie selbst anzuprobieren oder die eine komplexe individuelle Beratung erforderlich ist, sorgt der Markt von selbst für ein Angebot, sofern sich das rechnet. Wenn der Autor meint, das Fehlen von Geschäften beklagen zu müssen, die ausgerechnet genau seinem exotischen Bedarf entsprechen, sollte er sich fragen, warum das so ist und wenn er es ökonomisch nicht durchdringt, soll er testhalber einfach selbst eines aufmachen. Man sieht an diesem Artikel wieder einmal, dass in Deutschland vielen wirtschaftliche Logik völlig fremd ist, dass sie Strukturwandel nur als Bedrohung empfinden und Leute, die anpassungsfähiger mit den neuen Möglichkeiten umgehen, zwanghaft kritisieren müssen (Stichwort: “Irrsinn der Internetshopperei”). Ich lebe auf dem Land, liebe amazon für das unschlagbare Angebot dieser globalen Angebotsplattform (Bücher, Musik, Technikartikel…) und nutze gleichzeitig die vielen Fachmärkte, die es hier immer noch gibt (Baumarkt, Haustierbedarf, Blumen usw.). Das Gejammer von Pferdekutschern vor 100 Jahren - als sich das Auto durchsetzte - muss ähnlich gewesen sein wie das des Autors..

Lutz Herrmann / 09.03.2024

Fachgeschäfte können nicht auf die Autofahrenden aus dem Umland verzichten. Deswegen sterben sie.

Wilfried Cremer / 09.03.2024

hallo Herr Etscheit, Herr Pontius und Herr Pilatus sind derselbe Mensch, d.h., Sie sollen gar nicht laufen; für Bewegungen im öffentlichen Raum ist exklusiv die Kuli-Kaste zuständig. Und falls Sie doch die Innenstadt besuchen wollen, haben Sie zum Ausgleich anderweitig eine Riesenauswahl: Barbershops soweit das Auge reicht. Die haben sicher auch ein gutes Öl für Ihre Glatze.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Georg Etscheit / 19.05.2024 / 12:00 / 7

Cancel Cuisine: Maibock

Laut Statistik verzehrt der Deutsche gerade einmal 300 bis 400 Gramm Wildbret im Jahr. Vielleicht des hohen Preises wegen, vielleicht aus latentem Sozialneid auf jagende Zahnärzte und…/ mehr

Georg Etscheit / 09.05.2024 / 16:00 / 16

Woke Sternsinger

Jetzt bannen auch die Sternsinger die AfD. Weil sie gegen das Ausgrenzen sind, grenzen sie aus. Wenn es darum geht, dem Zeitgeist zu huldigen und…/ mehr

Georg Etscheit / 22.03.2024 / 06:15 / 124

Ricarda Lang als Dampfwalze – eine Klatsche aus der bayerischen Provinz

Das „Königlich Bayrische Amtsgericht“ war seinerzeit eine launige ZDF-Fernsehserie. Gestern gab es eine Fortsetzung mit der Grünen-Spitze – humorlos und beleidigt. Der vorgebliche Übeltäter war…/ mehr

Georg Etscheit / 17.03.2024 / 14:00 / 19

Cancel Cuisine: Kopfsalat

Auf vielen Speisekarten taucht gerade ein „ganz besonderes Gericht“: ein Salatkopf im Ganzen, nur mit etwas Dressing verfeinert. Für mich ist ein roh servierter Salat kein Gericht, allenfalls…/ mehr

Georg Etscheit / 10.03.2024 / 12:00 / 29

Cancel Cuisine: Fleischersatz von Bill Gates

Bill Gates investiert Millionen und Milliarden Dollar in Dinge, die ihm wichtig erscheinen. Zum Beispiel in die Landwirtschaft. Und in Fleisch aus dem Drucker. „Ich denke,…/ mehr

Georg Etscheit / 24.02.2024 / 14:00 / 4

Die Schattenseiten des „sanften“ Wintertourismus

In den niedrigen Lagen Oberbayerns stirbt der Skitourismus aus. Wegen immer weniger Schnee zieht die Ski-Karavane einfach daran vorbei. Doch hat sich die Zahl der…/ mehr

Georg Etscheit / 23.02.2024 / 14:00 / 18

Na bitte: Covid-Aufarbeitung in Ärztefachblatt

"Der Allgemeinarzt" ist mit einer Auflage von 51.000 eines der ärztlichen Journale mit der größten Reichweite. Jetzt hat das Blatt den Mut, einem Kritiker der…/ mehr

Georg Etscheit / 18.02.2024 / 12:00 / 24

Cancel Cuisine: Cem und das Tierwohl

Cem Özdemir plant eine „Tierwohlabgabe“ auf bestimmte tierische Produkte. Eine neue Etappe auf dem Weg ins Veggie-Paradies. Langsam wird es ermüdend, immer wieder auf die…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com