Georg Etscheit / 24.02.2024 / 14:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 4 / Seite ausdrucken

Die Schattenseiten des „sanften“ Wintertourismus

In den niedrigen Lagen Oberbayerns stirbt der Skitourismus aus. Wegen immer weniger Schnee zieht die Ski-Karavane einfach daran vorbei. Doch hat sich die Zahl der Tourengeher verdreifacht.

Überall schneit es, sogar in Saudi-Arabien. Nur bei uns in Mitteleuropa mauschelt der Winter bei vorfrühlingshaften Temperaturen vor sich hin. Nennenswerte Schneemengen sind derzeit nur noch in höheren Lagen der Alpen anzutreffen; im Flachland sind Schneeglöckchen und Krokusse bereits fast verblüht und in den wärmeren Städten strecken sogar schon Forsythien ihre gelben Knospen der fahlen Februarsonne entgegen. Vermutlich dürfte dieser Winter als einer der mildesten in die Klimahistorie eingehen – Wasser auf die Mühlen der Klimahysteriker, die schon immer gewusst haben wollen, dass Winter ein Auslaufmodell ist –, zumindest in unseren Breiten. Und mit ihm der Wintersport.

Jetzt gehen offenbar die ersten größeren Skigebiete in die Knie. Unlängst kündigte die Berchtesgadener Bergbahnen AG an, zum Ende der laufenden Saison den alpinen Skibetrieb am Jenner einzustellen, einem 1.874 Meter hohen Aussichtsgipfel über dem Königssee. Die Nachfrage nach alpinem Skifahren sei „weiter rückläufig“, ein wirtschaftlicher Betrieb einschließlich „kostenintensiver Beschneiung und Pistenpräparierung“ nicht zuletzt auch angesichts jüngster Wärmeeinbrüche und sturmbedingter Schließungen nicht mehr aufrechtzuerhalten.

Schlechte Nachrichten für die Gemeinde Schönau am Königssee, die oberbayerische Tourismuswirtschaft und die öffentliche Hand, also die Steuer zahlenden Bürger. Erst 2019 war die Jennerbahn inklusive Schneekanonen und zwei neuer Lifte für 57 Millionen Euro runderneuert worden – zehn Millionen Euro gabs als Förderung vom Freistaat Bayern, die jetzt wohl zumindest teilweise abgeschrieben werden müssen. Grund zum Jubeln dagegen beim Landesbund für Vogelschutz (LBV), dem bayerischen Landesverband des bundesweit agierenden Naturschutzbundes (NABU).

Wie so oft ist die Realität komplexer 

Man sei „erfreut“ über die Entscheidung der Berchtesgadener Bergbahn AG, den Jenner ab der kommenden Saison nicht mehr zu beschneien und den klassischen Skibetrieb dort dauerhaft einzustellen, teilt der LBV mit. Das Aus am Jenner lasse nun die „mittlerweile schwierige wirtschaftliche Situation des alpinen Skibetriebs in den tieferen Lagen der bayerischen Alpen“ ans Licht kommen. „Klassisches Pistenskifahren am Jenner war in den vergangenen Jahren aufgrund der zunehmenden Klimaerwärmung und des damit einhergehenden Mangels an Naturschnee kaum noch möglich“, sagt Toni Wegscheider, der LBV-Kreisvorsitzende im Berchtesgadener Land. „Ein Umdenken war daher längst überfällig.“ Wird der Klimawandel mittelfristig den gesamten Skitourismus in den nicht besonders hoch gelegenen bayerische Skidestinationen hinwegraffen?

Nun ist wie so oft die Realität komplexer als es Politiker und Öko-Lobbyisten gerne hätten. Da wären zum einen die spezifischen Gegebenheiten vor Ort. Das Pistenareal am Jenner ist klein, aber technisch recht anspruchsvoll. Als kinderfreundliches Familienskigebiet weniger geeignet, für echte Könner dagegen zu eintönig – die zieht es in die großen Skischaukeln wie dem Skiverbund Amadé im Salzburger Land mit Hunderten von Pistenkilometern, die fast bis 3.000 Meter hinaufreichen und selbst in Mildwintern wie dem heurigen bis in den April hinein schneesicher sind.

Auch die infolge hoher Energiepreise – Skilifte und Schneekanonen sind wahre Stromfresser – stark gestiegenen Ticket-Tarife sind schlecht fürs Geschäft, vor allem, wenn der Gegenwert überschaubar ist. Eine einfache Fahrt bis zur Jenner-Bergstation kostet für Erwachsene 32.- Euro, eine Tageskarte 42.- Euro. Dafür gibt es nur eine einzige, drei Kilometer lange und präparierte Abfahrt von der Mittelstation ins Tal. Der obere Bereich wird schon heute nicht mehr beschneit und präpariert und ist für Anfänger „nicht geeignet“, wie es heißt.

Die Zahl der Tourengeher hat sich verdreifacht

Doch der wichtigste Grund, warum sich das traditionsreiche Skigebiet am Jenner nicht mehr rechnet, ist der Boom des Skitourengehens. In früheren Zeiten schnallten oder klebten sich nur konditionsstarke Bergfexe ihre Felle unter die Bretter, um zu zweit oder in kleinen Gruppen im Schweiße ihrer Angesichter bergan zu stapfen und dann genussvoll zu Tal zu gleiten – idealerweise in jungfräulichem Tiefschnee. In den vergangenen zwanzig Jahren jedoch habe sich, wie der Deutsche Alpenverein (DAV) auf Anfrage mittteilte, die Zahl der Tourengeher verdreifacht. Rund 600.000 Menschen sollen sich bundesweit diesem Trend verschrieben haben. Nicht zuletzt die Corona-Lockdowns, die auch Skigebiete betrafen, haben das einst exklusive Sportvergnügen zum Massenphänomen gemacht

Ganz ungefährlich ist das Tourengehen im freien Gelände nicht, denn ab einer bestimmten Hangneigung und entsprechenden Schnee- und Wetterverhältnissen drohen Lawinenabgänge. Weniger erfahrene Touren- und Schneeschuhgeher ziehen deshalb am Rande gesicherter Skipisten gen Gipfel und lassen die teuren Aufstiegshilfen links liegen, zum Verdruss der Bergbahngesellschaften, deren Sicherheits-Knowhow gratis in Anspruch genommen wird. Am Jenner machen sie jetzt aus der Not eine Tugend. Künftig wolle man in der Jennerbahn und am Berg im Winter vor allem Skitourengeher, Winterwanderer und Rodler willkommen heißen – angeblich sanftere Formen des Wintertourismus. Der LBV begrüßte das.

Wobei das mit dem sanften Tourismus so eine Sache ist: Denn der Druck auch aufs freie Gelände wachse, schreibt der DAV. Wo sich einst die Menschen in den ohnehin (über)erschlossenen Regionen konzentrierten, verteilen sie sich nun mehr oder weniger überall in der freien Landschaft. „Mehr Tourengeher bringen auch mehr ökologische Herausforderungen mit sich“, heißt es vonseiten des Alpenvereins. Zwar gibt es Konzepte zur Besucherlenkung und zur nachhaltigen Skitourenplanung, doch wenn pro Tag nur eine Handvoll Skiwanderer durch ein winterliches Ruhegebiet etwa der seltenen Schnee- oder Birkhühner brettert, kann dies für eine Population fatale Folgen haben.

Dabei kommen die Tiere nicht einmal mehr nachts zur Ruhe. Immer mehr Skitourengeher stiegen auch bei Dunkelheit auf, heißt es auf der Webseite der sozialistisch angehauchten Naturfreunde: „Skitouren für Nachtschwärmer“ oder „Mondscheintouren“ seien echte Renner. „Zwar beschränkt sich dieses Phänomen meist auf Skigebiete. Doch die Lichtkegel unzähliger Stirnlampen stressen das Wild nun auch noch nachts.“

Dagegen hilft eigentlich nur noch mehr Klimawandel. Erst wenn es gar keinen Schnee mehr gibt, sinkt die ökologische Belastung durch den Wintersport auf null. Dann gibt’s allerdings auch keine Schneehühner mehr, die man schützen könnte.

 

Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik u.a. für die Süddeutsche Zeitung. Er schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss, und auf Achgut.com eine kulinarische Kolumne.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Dr. Konrad Voge / 24.02.2024

Für die Meschen gibt es ja bald die 15 Minuten Städte. Da haben sie Auslauf genug. Können ja im Kreis gehen.

Wolfgang Richter / 24.02.2024

“stark gestiegenen Ticket-Tarife sind schlecht fürs Geschäft,” - Auch wenn ich kein Wintersportler bin, mich hat schon länger gewundert, warum nicht mehr Leute zB nach Süd-Polen rund um die Schneekoppe oder die Tatra ausweichen.

Talman Rahmenschneider / 24.02.2024

Herrlich:—Dann gibt’s allerdings auch keine Schneehühner mehr, die man schützen könnte.

Rudi Hoffmann / 24.02.2024

Aus Sicht der Natur ist der Mensch ein Problem !  Klare Sche !  Kein Mensch ,  kein Problem !

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