Deborah Ryszka, Gastautorin / 27.03.2022 / 06:20 / 77 / Seite ausdrucken

Corona-Abrechnung mit Gender-Doppelpunkt

Ulrike Guérot schaut in ihrem Buch „Wer schweigt, stimmt zu“ in den Rückspiegel des rauschenden Corona-ICE: von der Ideologisierung der Politik über die gesellschaftlichen Kollateralschäden bis hin zu den rechtlichen Übergriffen des Staates auf das Individuum.

Der Gender-Doppelpunkt stimmt zunächst einmal skeptisch. „Kann da wirklich etwas intellektuell Gehaltvolles herauskommen? Oder ist es doch eher das typische Potpourri aus Attacke, Beleidigung und Diffamierung, was dem aufgeklärten Leser entgegenschlagen wird?“ Schließlich wissen wir alle, wie es um die intellektuelle Kapazität und moralische Hybris der Gender-Apologeten steht – um es höflich zu formulieren.

Überraschenderweise ist es aber im Essay „Wer schweigt, stimmt zu“, anders. Ulrike Guérot gendert. Doch ihre Gedanken sind gehaltvoll. Auf ganzer Linie kritisiert sie, mit Logik und mit Fakten, in ihrem Buch die fehlgeleitete und gescheiterte Corona-Politik. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Sogenannte Intellektuelle würden sagen: Guérot betreibe Populismus, gar rechte Hetze.

Aber gerade dieses Festhalten Guérots an demokratischen Grundwerten erfordert einerseits einen unbändigen Freiheitswillen, andererseits eine ganze Portion Mut. Aufgrund dieser Verstandes-Liebe zu Vernunft, Wissenschaft und Demokratie wandte sich etwa fast der ganze Freundeskreis Guérots von ihr ab – allen voran Freunde vom Spiegel und der Zeit. So viel zur intellektuell-freiheitlichen Landschaft in Deutschland, so viel zur Toleranz gegenüber Andersdenkenden und so viel zur demokratischen Einstellung in Deutschland anno 2022.

Corona stiftete im öden, tristen Alltagstrott Sinn

Doch zurück zum Essay. Gespickt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, literarischen Ausflügen und persönlichen Anekdoten, schaut die Professorin für Europarecht in den Rückspiegel des rauschenden Corona-ICE: von der Ideologisierung der Politik über die gesellschaftlichen Kollateralschäden bis hin zu den rechtlichen Übergriffen des Staates auf das Individuum. Konkret rechnet sie mit Justitia und ihrer fehlenden inhaltlichen Bewertungen von Sachverhalten ab, dem Versagen der Leitmedien auf ganzer Linie als Moderator und Stimmrohr vielfältiger Meinungen sowie der Überheblichkeit und Liebedienerei vieler Universitätsangehöriger im „Corona-Maßnahmen-fernen“ Elfenbeinturm.

Währenddessen versucht die Europaexpertin Guérot zu verstehen, weshalb so viele gedankenlos mitmachten, geradezu anbiedernd, sich Hände wuschen, Maske trugen und Abstand hielten. Ihre Erklärung: Corona stiftete im öden, tristen Alltagstrott Sinn. Das animierte, das belebte die vielen leeren Köpfe. Und Guérot geht noch einen Schritt weiter. Sie betreibt vernünftige Gesellschaftskritik, wie man es von Intellektuellen erwarten müsste. Man könnte sagen, sie legt den Finger auf die Wunde, wo es sich viele nicht trauen: „Firmen werden zu Staaten beziehungsweise übernehmen staatliche Aufgaben, das ist der Trend, der breit diskutiert und möglichst unterbunden werden muss.“ Sei von diesen fatalen gesellschaftlichen Entwicklungen irgendetwas in den Leitmedien zu lesen? Fehlanzeige.

Wenn es jedoch im Weiteren um Guérots Visionen eines Zeitalter des Transhumanimus geht, bewegt sie sich nah an der Klippe apokalyptischer Denkmuster. Ja, im Worst-Case könnte uns tatsächlich der totale Überwachungsstaat drohen, wie sie es befürchtet. Doch bis es soweit ist, müssen noch einige wichtige Schritte gegangen werden. Ein Spaziergang wird es für die Clique im Silicon-Valley sicherlich nicht.

Wirkliche Besorgnis um unsere individuelle Freiheit

Alles in allem spricht Guérot in ihrem etwa 140-seitigen Essay das aus, was viele aus der „Mitte“ sich nicht trauen zu sagen. Unverblümt und schonungslos, manchmal zu flapsig, rechnet sie mit der gescheiterten Corona-Politik ab. Dass das Essay weniger wissenschaftlich-rational, dafür umso mehr feuilletonistisch-leidenschaftlich geschrieben ist, tut dem Inhalt keinen Abbruch. Vielmehr liest der Leser wirkliche Besorgnis um unsere individuelle Freiheit, unser Leben und unsere Demokratie heraus. Dass es, hier und dort, den Charakter eines Stammtischgespräches enthält, macht die Lektüre daher umso attraktiver, weil lebendig. Man liest: Keine unberührte, kalt berechnende und ich-zentrierte Person verfasste das Essay, sondern eine besorgte und empathische, die ihr eigenes Ego zurückstellen kann.

Deswegen drückt man – unter diesen Umständen – freundschaftlich ein Auge zu, wenn sich Guérot außerhalb der Corona-Thematik etwas verfährt, und zum Beispiel alles Nationale als populistisch, gar rechts abstempelt. Oder den Gender-Doppelpunkt nutzt. Man freut sich einfach, dass eine Person wie Guérot einen Lehrstuhl an einer Universität innehaben kann. Wer somit eine leicht verständliche und vernünftige Abrechnung mit der deutschen Corona-Politik lesen möchte, macht mit Guérot garantiert nichts falsch.

Guérot, Ulrike (2022). „Wer schweigt, stimmt zu. Über den Zustand unserer Zeit und darüber, wie wir leben wollen.“ Frankfurt/Main: Westend. Hier bestellbar.

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Leserpost

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Hennig Velten / 27.03.2022

Schade um das Papier. Wenn in einem Buch oder in einer Zeitungsmeldung “gegendert” wird, lese ich das Zeug einfach nicht, egal, was drinsteht. Ist mir zu anstrengend und kostet zu viel meiner Zeit. Wenn ein Schwachkopf / eine Schwachköpfin einmal etwas wahres schreibt, bleibt sie trotzdem ein Schwachkopf.

sybille eden / 27.03.2022

Solange Frau Guerot nicht versteht, daß die EU kein LIBERALES PROJEKT ist, sondern ein kollektivistisches und tendenziell totalitäres, lese ich garnichts von ihr.

Andreas Hohlfeld / 27.03.2022

Ich habe das Buch von Frau Guerot gelesen und mich über diesen ehrlichen Text einer liberalen bis linken Prominenten außerordentlich gefreut. (Natürlich hat mich das Gendern auch geärgert.) Angesichts der aktuellen totalitären Entwicklungen muß man sich aber über jeden freuen, der dem Unrecht mutig entgegen tritt. Sie ist Professorin und geht ein echtes Risiko ein. Allerdeutlichst in der Beschreibung. Sie macht Nägel mit Köpfen und widerspricht explizit auch der Ausgrenzung der AFD. Bzgl der Misshandlung der Alten in den Pflegeheimen während Corona verurteilt sie auch deren routinemäßiges Abschieben unabhängig von Corona dorthin. Bzgl des Corona Unrechts verlangt sie strafrechtliches Belangen der Verantwortlichen. Insgesamt ein hervorragendes Manifest und Zeitdokument.

L. Kauffmann / 27.03.2022

Auch ich kann nicht verstehen, warum bei der Diskussion des Corona-Betrugs immer wieder andere (ideologische) Themen hineingeflochten werden. Ob man diesen Komplex durchschaut, hat doch eigentlich nichts mit der eigenen gesellschaftspolitischen Einstellung zu tun, sondern mit eigenem Denkvermögen, mit Skepsis, Aufgeschlossenheit etc. Ich habe Maßnahmenkritiker/innen unterschiedlichster politischen Grundüberzeugungen kennengelernt. Das Dauerframing hat nur dazu geführt, daß es Angehörigen bestimmter Lager schwerer fiel, sich gegen das Fanatikerregime zu positionieren. Und in Artikeln wie dem obigen werden sie wieder ausgegrenzt. Wenn es darum gehen soll, den Corona-Faschismus zu beenden, dann ist es essentiell, daß sich eine breite Allianz dagegen stellt, der es dabei nur um dieses Thema geht; egal ob gendernd oder nicht; egal ob feministisch oder nicht; egal ob konservativ, liberal, progressiv; egal ob hetero oder homo; egal welcher Hautfarbe, Religion, Nationalität oder sonstwas. Interne Grabenkämpfe sind kontraproduktiv und tatsächlich im Sinne der Täter.

Kostas Aslanidis / 27.03.2022

@Fritz Kolb, ich bin in Deutschland aufgewachsen, ich habe das Land gebliebt. Inzwischen hasse ich es abgrundtief. Nicht mal zur Taufe meiner Nichtes Sohn fliege ich nach Deutschland. Ob ich nach Stuttgart fliege oder Karachi, Islamabad, Riad ist eh alles gleich. Ich kann dieses Kopftuch nicht mehr ertragen. VdL ist eine deutsche Witzfigur. Alle lachen sich schlapp. Ich weiss nicht was fuer ein Unwandlung dieses Volk gemacht hat, oder war es immer so. Jeder in der EU, hasst Deutschland wie die Pest. Das sind Tatsachen. Berlin, die Hauptstadt der Witzfiguren. Putin wird diese Knechte, alle zurechtstuetzen. Drecks EU, verrecke endlich. EU der Nabel der Idioten

Fridolin Kiesewetter / 27.03.2022

” ... wenn sie alles Nationale als populistisch, gar rechts abstempelt.” Na und? Was ist denn so schlimm daran, rechts zu sein? Wenn man eine gesellschaftliche Mitte haben will, muß es auch Links und Rechts geben -  logisch.  Das nennt man Demokratie.

Ludwig Luhmann / 27.03.2022

***Ihr Geheimnis ist gelüftet! Ihre Herr und Meister heißt Klaus Schwab!*** - Ich werd’ verrückt! Ich habe es gewittert! Ulrike Guérot ist Mitglied des World Economic Forums!: “Professor and Director, Department for European Policy and the Study of Democracy, Danube University Krems. Head of the Department of European Policy and the Study of Democracy at Danube-University Krems and founder of the European Democracy Lab.”

Michael Schauberger / 27.03.2022

Respekt an die Artikelschreiberin Deborah Ryszka, gleich zu Beginn des Artikels den Fokus auf die Gendersprache zu lenken, wodurch vielen Menschen der Blick aufs Wesentliche, nämlich die totalitären und zerstörerischen Folgen der “Anti-Corona-Maßnahmen” verloren gegangen scheint. Haben sich mit solchen Scheingefechten nicht ganze Parteien wie die “Piraten” zerlegt? Tun das nicht auch gerade die Olivgrünen und die leicht ins Dunklere tendierende Linke? divide et impera, es funktioniert immer wieder. Man kritisiert nicht mehr die Maßnahmen, sondern die Form einer sprachlichen Vergewaltigung, die bei jedem logisch denkenden und ein wenig sprachbegabten Menschen bei jedem “:innen” wie auch “:außen” die Nackenhaare aufstellen läßt. Dies wäre mal ein Lackmustest für Toleranz: Du kannst so viel gendern, wie Du willst. Der Gegenüber muß es nicht akzeptieren, aber respektieren. Umgekehrt erwarte ich aber auch Respekt, wenn ich das nicht tue. In einer Demokratie findet man eines Tages einen für alle tragbaren Kompromiß. Wenn wir uns schon an solchen Unsinnigkeiten entzweien, dann tun wir das erst Recht in Bezug auf die politisch wie medial sehr ausgeklügelt inszenierte “Pandemie”, die bar jeder Vernunft und eine Beleidigung für selbst denkende Menschen ist. War eine persönliche Kritik an diesen Maßnahmen nicht Inhalt des Buches? Ich meine, daß davon auch etwas in diesem Artikel stand…

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