Anfang Januar feiert das Stück „La notte italiana – Reise ans Ende der Gleichgültigkeit“ von Mario Wurmitzer in Wilhelmshaven Premiere. Er persifliert als junger Autor den angepassten, woken Zeitgeist. Eine große Seltenheit im heutigen Kulturbetrieb!
„Avanti, avanti!“ Wohin die „Postmodernitis“ führt, sehen wir tagein, tagaus: Wer nicht gendert, gehört unter allen Umständen ausgeschlossen, wer jedoch im Namen der „richtigen“ Religion Frauen weniger Rechte zugesteht, gehört zur Mitte der Gesellschaft. Wir leben im Zeitalter nicht der babylonischen Sprachverwirrung, sondern der postmodernen Werteverwirrung. Ernst Jandls „lechts und rinks“-Wurm hat sich in allzu viele Köpfe eingenistet. „Attenzione!“
Genau das persifliert der österreichische Dramaturg Mario Wurmitzer, in seinem neuen Stück „La notte italiana – Reise ans Ende der Gleichgültigkeit“. Und das ist alles andere als „Pasta“. Als Grundlage diente Wurmitzer Ödön von Horváths „Italienische Nacht“ aus dem Jahr 1931, ein politisches Volkstheaterstück. Dort thematisiert von Horváth den Kampf um die gesellschaftliche Deutungshoheit linker wie rechter politischer Kräfte während der Weimarer Zeit.
Ebendiese historische Parallele macht sich Wurmitzer in seinem Stück zu eigen. In adaptiver, aktueller und äußerst ansprechender Form. Doch keineswegs, wie heutzutage üblich, im Sinne vom „hip, hipper, Betroffenheits-Ich“-Kult, indem er aus einer egozentrischen Ich-Perspektive mit seinem egomanischen Betroffenheitswahn den Leser und Theaterbesucher auf’s Äußerste belästigt. Sondern indem er sich auf die soziale Wirklichkeit bezieht und gesellschaftspolitische Probleme offenlegt. Gelassen, gewitzt, gekonnt, alles andere als betroffen. Ein eindeutiges „Bravissimo!“
Unbeirrbar und menschenverachtend
Diese professionelle Fähigkeit zur Selbst- und Welt-Distanz spiegelt sich auch in der Anzahl der Charaktere wider. Statt großem „Taramtaram“ mit einer Vielzahl von Figuren, treten ausschließlich drei Akteure auf: Marie, Bruno Schmidt und der Chor. Alles andere regeln die gekonnt aufeinander abgestimmten Dialoge, die aufkeimenden absurden Situationen und die bis ins Abstruse gezeichneten Figuren. Es bebt und brummt und ruckelt und wackelt wie von Geisterhand, in dem „exklusiven italienischen Restaurant“, wo Bruno Schmidt „anlässlich seines 50. Geburtstags mit seinen Geschäftsfreunden eine Italo-Hits-Party“ feiert, und eben dort auf Marie und den Chor trifft.
Der Chor, im Kollektiv, verkörpert die politische Liga der fanatisch links-grünen Gerechtigkeitskämpfer: akademisch (miserabel) ausgebildet, abgehoben und arrogant, fest überzeugt, die Wahrheit zu besitzen, kurzum: unbeirrbar und menschenverachtend. Marie beschreibt es treffend: „Ihr nehmt euch viel zu wichtig/ Seid nur mit euch selbst beschäftigt/ Habt den Menschen nichts zu bieten.“ Und alles, was nicht in die ideologische Schublade des Chors passt, wie etwa konservativ-liberale Ansichten, werden dämonisiert: „CHOR: Wir nennen sie die Bösen […] Die sind wie wir/ Die denken anders/ Wir wollen uns nicht mit ihnen befassen/ Das würde sie nur stärken/ Wir wollen ihnen keine Bühne bieten MARIE: Sondern sie verdrängen/ Totschweigen/ Im Abseits in Ruhe lassen“. So fällt denn auch die Rolle der „Bösen“ im Stück aus: Verschwindend gering, ohne Stimme, irgendwo da draußen.
Marie möchte sich zwar auch diesen Gerechtigkeitskämpfern anschließen, versteht „Gerechtigkeit“ jedoch noch im Sinne der verstorbenen Dame „Sozialdemokratie“: als Überwindung menschlicher Ausbeutung: „Das strukturierende Element/ Der spätkapitalistischen Gesellschaft/ Ist die Ausbeutung“. Eine durchaus realitätsbezogene Forderung. Was zählt schließlich heutzutage noch die menschliche Arbeitskraft? In Zeiten, wo Maschinen das Brot backen, den Weg aufzeigen und eigenständig Texte schreiben. Doch der Chor der Genossen hält weiterhin stumpfsinnig an seinen „Tagesordnungspunkten“ fest, wie zum Beispiel: „… Wurst essen, um im Anschluss sozialpolitisch zufrieden zu sein …“ Gegen dieses Kollektiv ist Marie selbstverständlich machtlos.
Nicht von der „Postmodernitis“ betroffen
Ebenso wie Bruno Schmidt, ein „Mann des Geistes“, ein Mann aus dem „Business“. Doch anders als Marie interessiert sich Schmidt nicht im Geringsten für den Chor. Oder die soziale Wirklichkeit. Viel zu sehr ist er mit sich selbst beschäftigt: Er weiß nichts mit sich und seinem Leben anzufangen („Ich konnte da draußen kein Sinnangebot finden“), ist in sich selbst verliebt und sucht jemanden, der sich ihm unterordnet, ihn in seiner Grandezza bestätigt und ihn anhimmelt („Ich bin doch nur ein geiler Dude, der sich wünscht, geliebt zu werden“). Schmidt verkörpert den typischen links-grünen Mitläufer der Gerechtigkeitskämpfer: Keine Ahnung von nichts, aber trotzdem bei allem dabei und von sich selbst höchst „aufgegeilt“. Wie ein „Mann des Geistes“ in unserer heutigen, postmodernen Zeit eben. „Salute!“
Spannend wird es nun am 6. Januar 2024. Dann findet nämlich die Uraufführung von „La notte italiana“ im Großen Haus der Landesbühne Niedersachsen Nord in Wilhelmshaven statt. Dann wird sich nämlich zeigen, ob Regisseur Robert Teufel die beim Lesen entstehende Situations- und Charakterkomik auf die „Bretter der Welt“ transportieren konnte oder nicht. Schwer sollte das Unterfangen definitiv nicht werden.
Denn mit „La notte italiana“ ist Wurmitzer eindeutig ein großer Wurf gelungen. Inhaltlich, weil es eindeutig zu den wenigen sozialkritischen Texten gehört, die in unserer heutigen Zeit noch vorzufinden sind. Formal, weil es spritzige Dialoge mit satirisch konzipierten Figuren kombiniert. Obendrauf bietet das Stück eine Menge soziologischer Analysen. Echte soziologische Analysen. Nicht gender-ideologisch, links-grün-ideologisch oder postkolonial-ideologisch. Sondern klassisch soziologisch. Welch ein Glück, dass es noch Leute im Kulturbetrieb gibt, die nicht von der „Postmodernitis“ betroffen sind. „Grazie“, Mario Wurmitzer.
Wurmitzer, Mario (2023). „La notte italiana – Reise ans Ende der Gleichgültigkeit“. Wien: Sessler Verlag. Hier bestellbar.
Mehr Informationen zur Uraufführung am 6. Januar im Stadttheater in Wilhelmshaven finden Sie hier.
Dr. phil. Deborah Ryszka, geb. 1989, Kind politischer Dissidenten aus Polen, interessierte sich zunächst für Philosophie und Soziologie, dann für Kunst und Literatur und studierte Psychologie. Später lehrte sie an verschiedenen Hochschulen und ist seit 2023 Vertretungsprofessorin für Psychologie an einer privaten Hochschule. Zudem schreibt sie regelmäßig Beiträge zu gesellschaftspolitischen Themen und bespricht Bücher.