Henryk M. Broder / 05.09.2018 / 12:51 / Foto: Re: Publica / 83 / Seite ausdrucken

Chemnitz: Die Regierung leistet einen Offenbarungseid

guten abend, lieber herr seibert,

eigentlich wollte ich sie fragen, ob die kanzlerin beabsichtigt, eine erklärung zu dem neuen buch von Thilo Sarrazin abzugeben, von dem ich sie herzlich grüßen soll. aber ich stelle diese frage erst einmal zurück. etwas anderes erscheint mir wichtiger. 

ich teile vollkommen ihre haltung, dass "Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten" nicht hingenommen werden können. ich habe in den letzten tagen versucht, visuelle belege für solche hetzjagden im netz zu finden, bin aber nur auf ein ca 20 sec kurzes video gestoßen, auf dem zu sehen ist, wie eine person einer anderen person hinterher läuft. aus diesem video wird nicht klar, wer wen verfolgt, auch nicht, wo und wann dieses video aufgenommen wurde.  

nun bin ich über einen beitrag des politologen Werner Patzelt gestolpert, der eine vielzahl von berichten über chemnitz ausgewertet hat. sein resümee: "Jene 'Hetzjagden', bei denen sich – so der anfangs letzter Woche allenthalben verbreitete Eindruck – sehr viele von denen, die in Chemnitz demonstrierten, auch noch ans Fangen und Verprügeln von Migranten machen wollten, hat es so nicht gegeben." (http://wjpatzelt.de/2018/09/02/was-von-den-chemnitzer-hetzjagden-bleibt-samt-einigen-lehren/)

prof. Patzelt steht nicht im verdacht, ein panikmacher oder schönredner zu sein. andererseits bin ich mir sicher, dass sie, lieber herr seibert, keine behauptung in die welt setzen, die sie nicht belegen können. ich wäre ihnen deswegen sehr verbunden, wenn sie mir sagen würden, wo ich die belege finden kann. es kann doch nicht sein, dass es nur ein kurzes video obskurer provenienz gibt.

mit den besten grüßen aus katowice

ihr hb

Sehr geehrter Herr Broder, vielen Dank für Ihre Anfrage.

Regierungssprecher Steffen Seibert hat sich am Montag, 27. August 2018, in der Regierungspressekonferenz zu den Ereignissen in Chemnitz geäußert und die Vorfälle des Vortags politisch eingeordnet. 

Zu diesem Zeitpunkt existierten in den sozialen Medien bereits vielfach verbreitete Schilderungen der Geschehnisse, darunter auch eine Videoaufnahme, die zeigt, wie Demonstranten in aufgeladener Stimmung Migranten mit Sätzen wie „Haut ab!“, „Was wollt ihr, ihr Kanaken“ und „Ihr seid nicht willkommen“ nachsetzen und diese in die Flucht jagen.

Auch die „Freie Presse Chemnitz“ berichtete darüber, dass es aus der Demonstration heraus Angriffe auf „Migranten, Linke und Polizisten“ gegeben habe.

Die Einordnung der Ereignisse von Chemnitz war schließlich am Montag, 3. September 2018, ein weiteres Mal Thema in der Regierungspressekonferenz. Regierungssprecher Steffen Seibert hat auf die Frage eines Journalisten wie folgt geantwortet:

„Ich werde hier keine semantische Debatte über ein Wort führen. Wenn die Generalstaatsanwaltschaft das sagt, dann nehme ich das natürlich zur Kenntnis. Es bleibt aber dabei, dass Filmaufnahmen zeigen, wie Menschen ausländischer Herkunft nachgesetzt wurde und wie sie bedroht wurden. Es bleibt dabei, dass Polizisten und Journalisten bedroht, zum Teil auch angegriffen wurden. Es bleibt dabei, dass es Äußerungen gab, die bedrohlich waren, nah am Aufruf zur Selbstjustiz. Also da gibt es aus meiner Sicht auch nichts kleinzureden.“

Quelle: „ein Regierungssprecher“ (ohne Namensnennung)

Mit freundlichen Grüßen

sehr geehrter herr XY,

vielen dank für ihre rasche antwort.

erlauben sie mir bitte eine kleine nachfrage, nur um sicher zu sein, dass ich sie richtig verstanden habe:

die bundesregierung, vertreten durch den regierungssprecher, herrn seibert, bildet sich also ihre meinung aufgrund von berichten in den sog. sozialen medien, denen man auch viele lustige verschwörungstheorien entnehmen kann, u.a. die, 9/11 wäre ein insiderjob der CIA gewesen und die kanzlerin eine agentin des KGB.

der bundesregierung bzw. dem BPA liegt genau "eine Videoaufnahme vor, die zeigt, wie Demonstranten in aufgeladener Stimmung Migranten... nachsetzen und diese in die Flucht jagen". ich nehme an, wir beide meinen dieselbe videoaufnahme, einen etwa 20 sec kurzem clip, von dem man nicht weiß, wer ihn gemacht und wie er seinen weg in die "sozialen medien" und das fernsehen gemacht hat. man kann diesen clip so interpretieren, wie sie es tun, man kann aber auch der meinung sein, dass er diese interpretation nicht hergibt. wie so vieles im leben ist auch das eine frage der optik. ihrer auslegung steht nicht nur das nicht-vorhandensein anderer videoaufnahmen entgegen, sondern auch die feststellung des sächsischen generalstaatsanwalts, es habe keine "hetzjagden" gegeben. der politologe Werner Patzelt kommt nach auswertung der zugänglichen dokumente zum selben ergebnis.

ich will mit ihnen keine semantische debatte führen. aber es gibt einen unterschied zwischen pöbeleien, übergriffen auf journalisten (bis jetzt liegen sieben anzeigen vor) und "hetzjagden". es macht auch einen unterschied, ob ein solcher begriff von der friedlichen chemnitzer antifa gebraucht wird oder vom regierungssprecher, also quasi ex cathedra. auch das kann im eifer des gefcchtes mal passieren, aber dann sollte es auch richtiggestellt bzw. "politisch eingeordnet" werden.

mit den besten grüßen, auch an herrn seibert

ihr hb

Fortsetzung folgt. Oder auch nicht.

 

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Leserpost

netiquette:

helmut rott / 05.09.2018

So müssten alle Journalisten an einem Thema dranbleiben, auch bei Interviews. Aber selbst Herr Plasberg schafft das nicht mehr.

Jörg Werda / 05.09.2018

Von Görring heißt es, er wäre Aufgrund seines Schmerzmittel (Opiate) Konsums den ganzen Krieg über nicht klar gewesen, Hitler selbst soll die letzten Tage dauernd Methamphetamin (Straßenname heute “crystal meth”) genommen haben. Ob wir wohl in Zukunft erfahren was Herr Seibert und Konsorten einwerfen um sich die Realität passend zu machen?

Christian Kohler / 05.09.2018

Ja, Fortsetzung folgt. Spätestens bei der nächsten notwendigen groß angelegten Vernebelungsaktion. Zunächst mein Mitgefühl und Beileid den Angehörigen des Verstorbenen und beste Genesungswünsche an die beiden Schwerverletzten. Erschreckend wie viral mit der Hilfe von Merkel und Seibert diese Falschmeldung ging und eine Stadt, ein Bundesland und zurecht protestierende Bürger weltweit durch den Schmutz gezogen wurden. Dieser Person im Bundeskanzleramt muß dringenst Einhalt geboten werden, jemand muß ihr Nachhilfe in Puncto Demokratie, freiheitlicher Bürgerrechten u.s.w. geben. Wurde in ihrer Prägephase im wohlfeilen Arbeiter-und Bauernstaat bei den Genossen weniger Wert darauf gelegt. Ist nicht ihre Schuld. Denke, ein Herr Kurz, den sie bereits beobachtet oder besser noch Herr Trump, dessen Land bereits seit 1776 eine mal mehr, mal weniger funktionierende Demokratie ist kämen dafür in Betracht. Auf einen Abstecher nach Moskau kann man verzichten, da war sie bereits. Bevor es vergessen wird, in den Fächern Agitation und Propaganda sowie den DDR-Sprech ( Zusammenrottung ) benötigt Frau Kasner keinerlei Unterricht.

Hartmut Laun / 05.09.2018

Was wird am Ende in den Geschichts- und Schulbüchern stehen? Eine wirkliche Hetzjagd oder der regierungamtliche Versuch einer unglaublichen Geschichtsfälschung? Wo jeder für sich ermessen und zweifeln kann was an den anderen bekannten Zahlen aus der Vergangenheit richtig und wirklich passiert ist? Wenn schon nur einen Tag später von offizieller Seite und in den Medien von Hetzjagd geschrieben steht. Was lesen welche nach uns womöglich nach zehn oder zwanzig Jahren zu Chemnitz?

Fritz kolb / 05.09.2018

Der Herr Seibert, ein Stoiker vor dem Herrn, darf ja garnichts anderes sagen, als seine Herrin ihm aufträgt. Er ist einer von Merkels Pudeln, die sich im Kanzleramt und in den Ministerien tummeln. Und aus nachvollziehbar egoistischem Impetus Merkels Thron schützen. Denn ein „danach“ wird es für sie nicht geben, und das wissen sie alle nur zu gut. Deshalb, Herr Broder, werden Sie niemals eine adäquate, der Wahrheit entsprechende Antwort erhalten. Genauso wenig wie von diversen Sozen, allen voran die Barbies Schwesig und Barley, die von Mob und Progromen geschwafelt haben. Trotzdem halte ich Ihre Korrespondenz für wichtig, weil damit irgendwann auch dem letzten Merkel-Wähler die Augen über die gewählten Partei-Dummies und deren Königin geöffnet werden.

Dr. Markus Hahn / 05.09.2018

Das ominöse Video erschien zum ersten mal auf einem linksradikalen twitter- und facebookaccount (“Antifazeckenbiss/”).  Die Vermutung, dass es sich um eine internationale Gemeinschaftsproduktion ala Pallywood handeln könnte, liegt zumindest nahe. Auch wüsste ich gerne, um welche Person es sich bei dem Herrn hinter dem Banner handelte, der mit Schauspielergrinsen (und Aussehen) den Vegetariergruß in die Kameras gab. Der “Kampf gegen Rechts” ist a priori heroisch, lukrativ und alles legitimierend. Allerdings muss man den Rechten hierbei etwas auf die Sprünge helfen, sonst wirkt der Kampf weniger heroisch und das alles Überdeckende Narrativ wird löchrig.

Paul J. Meier / 05.09.2018

Nur noch peinlich, diese “semantischen” Ausreden. Und der Prestigeverlust, den die Blödzeitungen weltweit inszeniert haben. Dann ein “Herz gegen Hetze” Konzert, wo gehetzt wird auf Teufel komm raus. Aus Fremdenhass wird Einheimischenhass! Und unsere unsägliche Regierung unterstützt das auch noch. Man hat Merkel geraten, sie solle nach Chemnitz, dort wäre sie dann in der Zwickmühle zwischen Rechtsradikalen und ihren Freunden vom G20 Gipfel gut aufgehoben gewesen! Ach so, Normalos sollen ja auch dort gewesen sein, habe ich mir sagen lassen! ;-) Wenn man das ganze Tollhaus nicht selbst sehen würde, man würde es nicht glauben. Und die Verantwortlichen klopfen sich noch gegenseitig auf die Schulter. Pfui Teufel!

Gabriele Schulze / 05.09.2018

Ich unterstelle mal, daß Sie, Herr Broder, inzwischen eine Art Institution auch für Politiker sind, an der man nicht vorbeikommt. Das ergibt sich auch daraus, daß Sie überhaupt eine Antwort bekommen haben. Danke für Ihre Arbeit!! Gut ist ja auch, daß die Bestimmer nicht über mehr Informationen verfügen als wir, dank Internet. Bis auf geheimdienstliche Erkenntnisse, aber die müßten sie ja dann auch liefern, wenn sie Behauptungen aufstellen.

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