Thomas Rietzschel / 26.11.2018 / 11:00 / Foto: Tim Maxeiner / 26 / Seite ausdrucken

Bachelor of Metzger

Aus dem Schulbuch, nach dem in der DDR ab der 5. Klasse Russisch unterrichtet wurde, sind mir zwei Namen in Erinnerung geblieben: Tamara und Anton. Als Comic-Figuren, gezeichnet im Stil des sozialistischen Realismus, ließen sie uns an ihrem Alltag teilhaben, daheim, in der Schule, auf dem Sportplatz. So lernten wir Vokabeln, die sich zu einfachen Sätzen formten. Wir bekamen einen ersten Eindruck von der unbeschwerten Jugend der Komsomolzen in der Sowjetunion. Von Lektion zu Lektion weitete sich der Blick, bis die beiden irgendwann alt genug waren, einen Beruf zu ergreifen. Anton, lasen wir ins Deutsche übersetzt, „Anton studiert Schlosser“.

Dass man überhaupt studieren müsse, um das ehrenwerte Handwerk ausüben zu können, war uns neu, zum Schießen blödsinnig. Hinter vorgehaltener Hand lachten wir über die doofen Russen. Wie bescheuert mussten sie sein, dass sie eine Ausbildung, die jeder Grundschüler absolvieren konnte, als Studium ausgaben. Später begriff ich dann schnell, dass die eigentümliche Wortwahl eine ideologisch bedingte war.

Es ging um die sprachliche Nivellierung der sozialen Unterschiede, auch um die Gleichstellung der Bildungsgrade auf dem Level des Proletariats. Das Renommee des Studiums sollte nicht länger den Abgängern der Universitäten und Hochschulen vorbehalten sein, sondern jedem, auch dem Maurer und der Näherin in der Fabrik, zustehen.

Dass die rhetorisch zu Akademikern erhobenen Arbeiter selbst darüber den Kopf schüttelten, sich vielfach veralbert vorkamen, spielte keine Rolle, nicht für die Ideologen. Nach ihrer Vorstellung zählte allein die Masse der Arbeiter und Bauern, von der sich einzig die Partei totalitär herrschend abhob.

Schnee von gestern?

Sicher, das alles ist Schnee von gestern. Und dennoch weht einen diese Vergangenheit unverhofft an, wenn sich die Bundesbildungsministerin Anja Maria-Antonia Karliczek (CDU) jetzt mit der Absicht trägt, die akademischen Grade Bachelor und Master für die Berufsausbildung zu kapern. Ein Handstreich, bei dem es auf die Gleichstellung von Universitäten, Fach- und Hochschulen mit den Berufsschulen hinausliefe. Der Dachdecker und der gelernte Schornsteinfeger wären dann ebenso „studiert“ wie Anton in meinem Russischlehrbuch seinerzeit.

Wie bekloppt muss man sein, um sich von solcher Gleichmacherei eine „Aufwertung“ der beruflichen Bildung zu versprechen? Beginnt für die Ministerin die Menschwerdung erst mit der Erhebung zum Bachelor oder Master? Was hält sie eigentlich von denen, die ihre Berufe schlichtweg erlernten und fachkundig mit Freude ausführen? Glaubt sie wirklich, die Schwindelei mit den Titeln würde das Selbstbewusstsein handwerklich geschickter Frauen und Männer stärken?

Oder geht es nur wieder darum, Unterschiede zu vertuschen, der Individualität das Wasser abzugraben? Die Gesellschaft in eine graue Masse scheinbar gleich gebildeter zu verwandeln, um sie leichter dirigieren zu können? Wo bliebe der Anreiz zur Leistung, wenn ohnehin alle das Gleiche erreichen werden?

In der inneren Emigration

Schließlich entsteht auch Kultur nur da, wo Unterschiede zugelassen werden. Bewegt sich dagegen alles auf dem selben Niveau, erlahmt die Gesellschaft. Die kreativen Köpfe wandern ab, über die Grenzen oder in die innere Emigration.

Als sie gezwungen wurden, sich einzureihen in die Arbeitereinheitsfront, verließen die Intellektuellen die DDR in Scharen. Nachdem das nicht mehr möglich war, verschanzten sich die klügeren Köpfe im heimischen Biedermeier, später im Untergrund der Kirchen. Viele verzichteten darauf, aus sich zu machen, wozu sie das Zeug gehabt hätten. Weil der Partei das Dogma des Arbeiter-und-Bauern-Staates über alles ging, ist der Osten wirtschaftlich abgesoffen.

Keine Gesellschaft erträgt die Gleichmacherei auf Dauer, auch nicht, wenn das – wie jetzt von Anja Maria-Antonia Karliczek – durch die formal akademische Aufwertung vermeintlich unterbewerteter Berufe versucht wird. Damit mag sie bei den notorischen Neidhammeln vorübergehend punkten, vielleicht sogar Wählerstimmen gewinnen. Doch sind die Titel erst einmal wohlfeil geworden, ist mit ihnen nichts mehr zu gewinnen. Sie verlieren ihren Wert.

Der Bachelor of Metzger ist so zum Schießen lächerlich, wie es der studierte Schlosser Anton aus meinem alten Russischlehrbuch war.

Foto: Tim Maxeiner

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Andreas Zöller / 26.11.2018

Na, ob ein Handwerksmeister wirklich lieber ein Master sein will, oder das doch eher als Beleidigung seiner Zunft ansieht?

g.Wolf / 26.11.2018

Ich habe 2 Ausbildungen mit Abschluss vor einer Handwerkskammer und Gesellenbriefen…. Heißt Bachelor nicht Geselle? Bin ich also doppelter Bachelor? Augenzwinkernde(ob des Blödsinns) Grüße

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