Annette Heinisch / 18.08.2020 / 14:00 / 47 / Seite ausdrucken

Asylrecht und Krim-Annexion: Zwei populäre Rechts-Irrtümer

Ziemlich überrascht stelle ich häufiger fest, dass tatsächlich viele Bürger glauben, die seit September 2015 mehr oder minder unkontrolliert einreisenden Ausländer hätten bei uns einen Anspruch auf Asyl. Mein Einwand, dass alle Migranten, die auf dem Landweg zu uns kommen, mit Sicherheit keinen solchen Anspruch hätten, führt regelmäßig zur Einordnung meiner Person als rechts, Nazi, Ausländerfeind, Rassist und ähnlich charmanten Zuschreibungen. Tatsächlich bin ich nur des Lesens mächtig, kann daher verstehen, was für Jedermann gut verständlich in Art. 16 a Abs. 1 und 2 Grundgesetz steht:

“(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist….“

Da alle hier auf dem Landweg Einreisenden zuvor in sicheren Staaten waren, d. h. sicher vor politischer Verfolgung – und vor nichts anderem schützt das Asylrecht – sind sie evident nicht asylberechtigt. 

Man sollte meinen, diese Tatsache sei weit verbreitet bekannt oder jedenfalls von mündigen Bürgern nachlesbar. Weit gefehlt, es scheint sich eher um Glaubensfragen zu handeln, denn mein Hinweis, dass dieses so im Grundgesetz stehe, wird regelmäßig mit einem empörten „Das glaube ich nicht“ beantwortet. Für Glaubensfragen bin ich allerdings nicht zuständig, diese fallen in den Bereich der Theologie. Wer weiß, vielleicht fühlt sich daher die EKD angesprochen, den ohnehin auf dem letzten Loch pfeifenden deutschen Sozialstaat noch mehr Nicht-Asylanten aufzubürden. 

Es ist verboten, in fremde Staaten einzumarschieren

Ebenso empörte Reaktionen erfolgten auf eine Erwähnung der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim. Das kam für mich ebenso überraschend, denn dass es verboten ist, in fremde Staaten einzumarschieren und diese zu besetzen, ist eigentlich allgemein bekannt. 

Um diesen Umstand zu verdeutlichen, wurde bei der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1973 in Helsinki in der sogenannten Schlussakte in Abschnitt 1 „Fragen der Sicherheit in Europa“ ausdrücklich die Enthaltung von der Androhung oder Anwendung von Gewalt, die Unverletzlichkeit der Grenzen, die territoriale Integrität der Staaten und die friedliche Regelung von Streitfällen vereinbart.

Im Rahmen einer 1994 in Budapest stattfindenden KSZE - Folgekonferenz wurde das sogenannte Budapester Memorandum unterzeichnet:

„Im Memorandum verpflichteten sich die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Russland in drei getrennten Erklärungen jeweils gegenüber Kasachstan, Weißrussland und der Ukraine, als Gegenleistung für einen Nuklearwaffenverzicht die Souveränität und die bestehenden Grenzen der Länder (Art. 1) zu achten. Dabei wird auf die Schlussakte von Helsinki verwiesen.“

Abgerundet werden diese auch als „Sicherheitsarchitektur Europas“ bezeichnete Vereinbarungen durch die  1997 unterzeichnete „Grundakte über Gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags-Organisation und der Russischen Föderation“. 

Zweck dieser Vereinbarung war es, „die Spuren der früheren Konfrontation und Konkurrenz zu beseitigen und das gegenseitige Vertrauen und die Zusammenarbeit zu stärken.“

Auch dort wurde ausdrücklich der

„Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt gegeneinander oder gegen irgendeinen anderen Staat, seine Souveränität, territoriale Unversehrtheit oder politische Unabhängigkeit in einer Weise, die mit der Charta der Vereinten Nationen oder der in der Schlussakte von Helsinki enthaltenen Erklärung über die Prinzipien, die die Beziehungen der Teilnehmerstaaten leiten, unvereinbar ist;“

vereinbart.

Kurz gesagt: Außer im Verteidigungsfall (staatliches Notwehr – beziehungsweise Nothilferecht) darf kein Staat irgendwo einmarschieren und Land besetzen. Genau das hat Russland aber getan. Außerhalb Russlands wird mithin die Annexion der Krim als rechtswidrig eingestuft.

Die Tatsache allerdings, dass Russland Soldaten ohne Hoheitsabzeichen, also verdeckt in der Ukraine operieren ließ, beweist, dass den Russen das Unrechtmäßige ihrer Handlung bekannt war, denn sonst wäre die Vertuschungsaktion nicht notwendig gewesen. Sie zeigte zudem, dass ihnen ihre Soldaten vollkommen egal sind, denn diese genossen als Nicht-Kombattanten dann nicht einmal den Schutz der Haager Konvention. 

Selbstbestimmungsrecht

Die Verletzung fremder staatlicher Souveränität stellt das Fundament der europäischen Sicherheit in Frage und ist ein gravierender Vorfall. Demgegenüber wird von Russland mit Hinweis auf das nach der Besetzung der Krim abgehaltene Referendum behauptet, es handele sich um einen Fall der legitimen Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Völker.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker gem. Art. 1 Nr. 2 der UN – Charta ist nicht das gleiche wie Sezession. Dem steht das Recht des Staates auf Souveränität und territoriale Integrität entgegen.

Die wohl herrschende Lehre in der Rechtswissenschaft lehnt ein generelles Sezessionsrecht ab.

„Im Ergebnis scheint es problematisch, ein allgemeines völkerrechtliches Sezessionsrecht außerhalb des Entkolonialisierungskontextes aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker abzuleiten.“, so beispielhaft Prof. Andreas Paulus, Richter am Bundesverfassungsgericht. „Das Völkerrecht, so Paulus, schützt die staatliche Souveränität und territoriale Integrität. Im Zweifelsfall gehe die Stabilität der Staaten und der universellen Friedensordnung dem Recht auf Sezession vor.“ 

Eine nachträgliche Legitimation von Grenzverletzungen ist nicht möglich

Ausnahmen könnten nur dann und nur in eingeschränktem Maße gelten, wenn – wie im Kosovo – schwere Menschenrechtsverstöße vorlägen und die Sezession als „remedial secession“ gälte. Selbst diese sei aber nach Art und Voraussetzungen umstritten, weshalb es in der Staatengemeinschaft keine einhellige Anerkennung des Kosovo gebe.

Im Falle der Krim allerdings stellt sich die Frage einer legitimen Sezession von vornherein nicht. Das Referendum wird international nicht anerkannt, weil es erst nach der Besetzung und unter fremder Besatzung erfolgte. Eine nachträgliche Legitimation von Grenzverletzungen ist so nicht möglich. Zudem fehlt es an den Zulässigkeitsvoraussetzungen für ein solches Referendum. 

Unabhängig davon ist die Frage zu beurteilen, welche Reaktionen angemessen sind. In internationalen Beziehungen gilt sowohl der Einsatz von militärischen wie auch wirtschaftlichen Mitteln als Ausfluss der „hard power“. Entgegen weitverbreiteter Ansicht ist der Einsatz von Wirtschaftssanktionen keineswegs ein milderes Mittel, vielmehr werden in diesem Fall vor allem die Schwächsten der Gesellschaft getroffen. Auch im sanktionierenden Staat trifft es unbeteiligte Zivilisten, vor allem Unternehmen. Ob und welche Mittel angebracht sind, eine Annexion fremden Territoriums zu ahnden, ist allerdings keine Rechts – sondern eine politische Frage.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Peter Maier / 18.08.2020

Sehr geehrte Frau Heinisch, bzgl. des Asylrechts bedarf es meiner Ansicht nach einer Ergänzung, da die alltägliche Realität des Migrationsgeschehens unter dem Label Asyl den Rechtsgrundsatz des ultra Posse nemo obligatur, also dass niemand über seine Möglichkeiten hinaus verpflichtet werden soll, schon lange dauerhaft verletzt wird; erkennbar u.a. an der Überlastung der Verwaltungsgerichte, der staatlichen Überforderung beim Durchsetzen der Ausreisepflicht, enormen finanziellen Belastungen und v.a.m. Um diese Überlastung auf ein administrativ und gesellschaftlich zu bewältigendes Maß zurückzuführen bleibt m. M. n. nur die Verpflichtung, dass Asylanträge vor der Einreise zu stellen sind, was aber zur Durchsetzung ein sehr konsequentes Grenzregime nötig macht. Dass es dazu kommt vermag ich aber nicht zu erkennen.

Volker Kleinophorst / 18.08.2020

Interessanter Aspekt des Asylrechts: Ein Vermieter darf Bewerber nicht aufgrund der Herkunft, Religion oder Hautfarbe ablehnen. Der Staat darf aber Häuser bauen, die ausschließlich für Flüchtlinge sind. Also Wohnraum schaffen in Deutschland, auf den ein weißer Einheimischer kein Anspruch hat. GG-konform? Ist das wichtig. WIR MACHEN DAS.

Volker Kleinophorst / 18.08.2020

@ B. Potthof, B. Ackermann, T. Weidner Danke. Aber solche Einwände interessieren nicht, wenn es ideologisch nicht passt. @ H. Unger Haben Sie nur einen Kommentar, den haben Sie doch erst gestern (?) abgesondert. Witziger wird der durch Wiederholung nicht?

Ricardo Sanchis / 18.08.2020

Recht ist was die Regentin und ihre Bücklinge verkünden. (Punkt)

Sirius Bellt / 18.08.2020

Wer es bis in unser Land schafft, kann für immer bleiben. Insofern könnte man das Asylrecht eigentlich abschaffen. Darauf läuft es doch seit Jahren raus, oder?

Rolf Mainz / 18.08.2020

In den allermeisten Fällen liegt illegale Zuwanderung und illegaler Aufenthalt vor. Um jenen Gesetzesbruch (vermeintlich) zu kaschieren, dient nicht zuletzt der berüchtigte “Global Impact for Migration”, der bewusst die Unterscheidung zwischen Asylant und Migrant verwischen will. Jeder hat demnach weltweit das Recht auf Migration. Und Deutschland hat - in Merkels besonderem Interesse - unterzeichnet. Mission accomplished.

u vanraudt / 18.08.2020

Sehr geehrte Frau Heinisch, Ihre Ausführungen zum Asylrecht greifen aus folgenden Gründen zu kurz: Art 16a GG ist nur eine der Rechtsgrundlagen für das Asylrecht (dessen Abs 2 erweist sich seit 2015 als sehr hellsichtig). Leider wird das GG aber durch das EU-Asylrecht überlagert und dieses geht dem innerstaatlichen Recht vor (sofern das BVerfG dem nicht einen Riegel vorschiebt, was bei diesem Thema nicht zu erwarten ist). So garantiert Art 18 der EU-Grundrechtscharta das Asylrecht im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und schafft insb die Asyl-RICHTLINIE (2011/95/EU) darüber hinausgehende Rechtsansprüche der Asylantragsteller. Im Übrigen versagen jedoch weitgehend die Behörden, die auch dort normierten Einschränkungen anzuwenden . Insb Art 4 Abs 5 lit d Asyl-RICHTLINIE (2011/95/EU) würde Ansatzpunkte liefern, um den Asyltourismus stark einzuschränken. Nach dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz begründen muss und Nachweise beizubringen hat; keine Nachweise sind dann zu fordern, wenn “d) der Antragsteller internationalen Schutz zum frühestmöglichen Zeitpunkt beantragt hat, es sei denn, er kann gute Gründe dafür vorbringen, dass dies nicht möglich war”. Fazit: Die Asylbehörden könnten bei Antragstellern, die ohne Papiere in Dtl Asyl beantragen und nicht direkt aus dem Verfolgerstaat einreisen, Nachweise für ihre Asylangaben fordern. Derartige sind ohne Identitätsnachweise in der Regel nicht zu erbringen. Ergebnis: kein Asyl. Davon macht Dtl keinen Gebrauch. Im Ergebnis liegt das Versäumnis also tatsächlich bei der Politik und bei den Behörden.

Peter Meyer / 18.08.2020

Tja, Frau Heinisch, dann sollten Sie auch wissen, warum permanent gegen das GG verstoßen wird: weil es 1990 mit der Streichung des Art. 23 (Geltungsbereich) de facto abgeschafft wurde. Als Juristin wissen Sie, daß die Präambel, in die der Geltungsbereich verlegt wurde, keine Rechtskraft entfalten kann; aber immerhin kann auf die Optik hingewiesen werden. Im selben Jahr wurde die „Bundesrepublik Deutschland“ bei der UNO abgemeldet, da steht jetzt „Germany“ (wer oder was soll das sein?), obwohl die „Verfassungsorgane“ (

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Annette Heinisch / 24.04.2024 / 06:05 / 51

Deutsche Bahn: Im Zyniker-Express

Sehr, sehr viele Menschen haben wirklich Mühe, über die Runden zu kommen. Die Manager der notorisch dysfunktionalen Deutschen Bahn feierten derweil mit einer 1,7-Millionen-Euro-Fete ihre…/ mehr

Annette Heinisch / 19.03.2024 / 06:00 / 150

Schrödern mit Scholz?

Von Annette Heinisch und Gunter Weißgerber. Die Kriegsgefahr wird in den nächsten Jahren eher größer als kleiner. Wir leben nicht in Zeiten, die Fehler verzeiht. …/ mehr

Annette Heinisch / 04.03.2024 / 06:15 / 90

Correctiv:  Das Kartenhaus fällt, der Fake wirkt weiter

Kartenhäuser neigen dazu, instabil zu sein. Ein kräftiger Windstoß, und schon fallen sie zusammen. So ist es der „Recherche“ von Correctiv ergangen, sie entpuppte sich…/ mehr

Annette Heinisch / 29.01.2024 / 16:00 / 18

Ganz großes Kino!

Sind sie nicht putzig, unsere Mächtigen? Ich finde sie dermaßen drollig, dass ich für deren Theater Popcorn besorge. Ansonsten hilft ein Gesetz von Isaac Newton…/ mehr

Annette Heinisch / 08.01.2024 / 06:15 / 166

Mein kleiner Wutanfall zur Protest-Woche

Normalerweise bin ich ja ein freundlicher und gemütlicher Mensch, stets um Sachlichkeit bemüht (ja, ich weiß, was das heißt!). Aber momentan bin ich einfach nur…/ mehr

Annette Heinisch / 05.01.2024 / 06:20 / 93

Kanzlertausch und Kompromat

Übergibt Olaf Scholz bald an Boris Pistorius? Der Kanzler hat nicht nur die Cum-Ex-Affäre am Hals sondern auch „Wirecard“, den größten Skandal in Deutschlands Wirtschaftsgeschichte.…/ mehr

Annette Heinisch / 03.01.2024 / 14:00 / 40

Gibt es ein Recht auf Fahnenflucht?

Die Ukraine will auch im Ausland lebende wehrfähige Männer einziehen. Während Justizminister Buschmann sich gegen die Ausweisung solcher Personen ausgesprochen hat, finden andere, sie hätten…/ mehr

Annette Heinisch / 14.12.2023 / 14:00 / 91

Braucht Deutschland neue Parteien? Und wenn ja – welche?

Wie also soll in Deutschland ein Politikwechsel gelingen? Anders ausgedrückt: Warum soll derjenige, der einen Wechsel möchte, die Union wählen? Sie hat praktisch alle Chancen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com