Laut neuem Koalitionsvertrag soll dem Hessischen Rundfunk das Gendern verboten werden. Der Rundfunkratsvorsitzende ist entsetzt – wo bleibt denn da die Rundfunkfreiheit? Ausgerechnet bei einer Formalität fällt ihm diese plötzlich ein.
Kurz vor Weihnachten musste der Hessische Rundfunk einen herben Schlag verkraften. Denn laut des am Montag unterzeichneten Koalitionsvertrages will die neue schwarz-rote Landesregierung festschreiben, dass „in der öffentlichen Verwaltung sowie weiteren staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird“, wie die Welt berichtet. Man wolle sich am Rat für deutsche Rechtschreibung orientieren.
Der HR-Rundfunkratsvorsitzende Harald Freiling gab sich „verwundert“ und pochte auf die Unabhängigkeit der Presse: Es sei „keineswegs Sache der Politik, hier etwas festzulegen. Staatsferne und Rundfunkfreiheit sind auch hier ein hohes Gut“. Dieser Satz strotzt dermaßen vor Ironie, dass man kaum weiß, wo man anfangen soll. Vielleicht damit, dass die öffentlich-rechtlichen Sender seit geraumer Zeit durch regierungskonforme Berichterstattung auffallen und kritische Töne eine absolute Ausnahme darstellen. Und wenn sich doch einmal ein mutiger Redakteur vorwagt, werden derartige Sendungen mitunter nach Erscheinen noch zensiert. Just wurde etwa der gerade veröffentlichte MDR-Beitrag über eine mutmaßliche Verunreinigung der Corona-Impfstoffe kurze Zeit später ohne inhaltliche Gründe aus der Mediathek gelöscht. Vielleicht sogar auf Betreiben der Politik (Achgut berichtete)?
Wie dem auch sei: Nun hat man beim Hessischen Rundfunk also gerade in Sachen Gendersprache den Wert von Rundfunkfreiheit und Staatsferne für sich wiederentdeckt. Nur geht es an diesem Punkt nicht um journalistische Inhalte, sondern um eine Formalität. Genauer gesagt, ist das Bekenntnis zur Gendersprache eine Ablehnung der deutschen Standardsprache beziehungsweise Rechtschreibung. Und dies ist eine Einstellung, die öffentlich-rechtlichen Sendern wirklich nicht vorbehalten bleiben sollte. Vorsitzender Freiling gibt außerdem an, dass es im Hessischen Rundfunkrat zum Gendern mit Sonderzeichen in schriftlicher und gesprochener Kommunikation „ganz unterschiedliche Auffassungen“ gebe, die wiederholt mit den Programmverantwortlichen diskutiert worden seien.
Diese Bekanntgabe wirft nicht gerade ein besseres Licht auf die Angelegenheit. Denn warum gibt es dann auf der Homepage des HR ein Bekenntnis zur „fairen, gendergerechten Sprache“, wenn solches im HR-Rundfunkrat offenbar umstritten ist? Dieses Vorgehen unterstütze „den hr als gemeinwohlorientierter Sender in seinem Programmauftrag“. Außerdem erfährt man, dass im Hessischen Rundfunk bereits seit 2019 gegendert werde, dies sei durch einen Beschluss der Geschäftsleitung vom Januar 2021 auf die bislang noch ausgenommenen Programme ausgeweitet worden. Wie gesagt – nicht gerade ein demokratisches Vorgehen, wenn es im eigenen Rundfunkrat dazu „ganz unterschiedliche Auffassungen“ gibt. Und schon gar nicht, wenn man dem Geschmack der Zuschauer, Hörer und Leser folgen will.
Mehr Macht durch den Markt
Denn eine Umfrage nach der anderen ermittelt, dass die Mehrheit das Gendern ablehnt. Eine im September 2022 vom WDR beauftragte Studie fand heraus, dass in der Berichterstattung Formen wie Genderstern, Doppelpunkt und Gendergap mehrheitlich abgelehnt würden und lediglich die Doppelnennung beider Geschlechter eine Akzeptanz von zwei Dritteln der Befragten fände. Der WDR gab daraufhin an, „im Programm weitgehend auf den gesprochenen Gender-Gap“ zu verzichten.
Und die Bild-Zeitung berichtete im Juli:
„In einer INSA-Umfrage für BILD (17. Juni) sprachen sich 52 Prozent der Deutschen gegen die Nutzung der künstlichen Gendersprache aus. 18 Prozent waren dafür, 24 Prozent war das ‚egal‘ und 4 Prozent gaben ‚weiß nicht‘ an.“
Im selben Artikel wurde darauf hingewiesen, dass ARD und ZDF trotz des neuesten Entscheids des deutschen Rechtschreibrates, dass Doppelpunkt, Unterstrich und Sternchen weiterhin nicht zum Kern der deutschen Orthografie gehörten, diese Formen dennoch weiterhin verwenden wollen.
Die öffentlich-rechtlichen Sender behaupten also, im Sinne des Gemeinwohls zu gendern, handeln damit aber gegen den Willen des Publikums. Diese Ignoranz gegenüber ihren „Kunden“ können sie sich freilich leisten, da sie sich durch die zwangsverordneten Rundfunkgebühren finanzieren. In der freien Marktwirtschaft hat man als Leser scheinbar noch etwas mehr Macht. So musste sich kürzlich die gedruckte Ausgabe des Berliner Tagesspiegels von der Gendersprache verabschieden, da dies der häufigste Grund für Print-Abo-Kündigungen gewesen sei (Achgut berichtete).
Gender-Tauwetter?
Achgut-Autorin Sabine Mertens hat bereits zahlreiche genderkritische Beiträge auf unserer Seite veröffentlicht. Vor Kurzem schrieb sie: „Einzelne Interessengruppen sind nicht bereit, sich an eigentlich selbstverständliche und bewährte Übereinkünfte zu halten. Feministinnen und Genderlobby, flankiert von Politik, Verwaltung und Medien, insbesondere dem ÖRR, haben die gewachsenen Regeln der deutschen Sprache einseitig aufgekündigt und setzen alles daran, ihren elitären Soziolekt als neuen Standard durchzudrücken.“
Mertens ist die Initiatorin der Hamburger Volksinitiative gegen die Gendersprache in Verwaltung und Bildung. Die erste Hürde des dreistufigen Hamburger Modells (10.000 gültige Unterschriften bis zum 6. August 2023) schaffte die Aktion mühelos. In einer Pressemitteilung Sabine Mertens’ heißt es: „Sollte die Bürgerschaft dem erfolgreichen Anliegen der Initiative nicht entsprechen, wird es im Juli 2024 zu einem Volksbegehren kommen. Dann braucht es rund 66.000 gültige Unterschriften (5% der Wahlberechtigten), welche in drei Wochen gesammelt werden müssen (…) Im Herbst 2025 schließt sich dann ein Volksentscheid an, bei dem alle Bürger im Rahmen der Bundestagswahl ihre Stimme für oder gegen das Gendern in Verwaltung und Bildung abgeben können.“
In mehreren Bundesländern sind vergleichbare Aktionen diesem Beispiel gefolgt. Anfang Dezember übergab die Initiative „Stoppt Gendern in Baden-Württemberg“ 14.000 Unterschriften dem Innenministerium. Wie beim Hamburger Modell ist auch dies die erste von drei beziehungsweise vier Stufen. Und auch in der Politik finden sich immer mehr Beschlüsse gegen die Gendersprache in der Verwaltung – etwa durch Anträge in Thüringen Ende letzten Jahres oder in Stralsund Anfang dieses Jahres. Im August verbot Sachsen-Anhalt das Gendern an Schulen – dieses galt in Sachsen schon seit 2021 und wurde ebenfalls im Sommer bekräftigt. Und auch Markus Söder plant ein Gender-Verbot. Da man den Bayrischen Landesvater wohl getrost als Opportunisten vor dem Herren bezeichnen darf, kann man seinem Gespür für den Zeitgeist wohl vertrauen. Es scheint fast, als setze ein Gender-Tauwetter ein. Aber bekanntlich solll man sich nicht zu früh freuen …
Ulrike Stockmann, geb. 1991, ist Redakteurin der Achse des Guten. Mehr von ihr finden Sie auf ihrem YouTube-Kanal.