Ob nach dem Antisemitismus-Skandal bei der Berlinale 2024 oder bei der documenta 15, immer wieder wundern sich Leute, dass es linken Antisemitismus gibt. Dabei hat dieser eine lange Tradition. Das Wort Antisemitismus ist sogar die Erfindung eines Linken.
Antijudaismus ist der Hass auf Juden. In Europa war diese Form des Judenhasses lange Zeit von Christen geprägt. Sie nannten Juden Kindermörder, verfolgten sie und griffen ihre Synagogen an. Einer der bekanntestes Einpeitscher des Antijudaismus war Martin Luther. In seiner Abhandlung „Von den Juden und ihren Lügen“ erklärte er:
„Die Juden sind ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes Ding, dass sie 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen.“
In seinem „Handbuch über die Judenfrage“ forderte er:
„Ich will meinen treuen Rat geben. Erstlich, dass man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke, und was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und beschütte, dass kein Mensch einen Stein oder Schlacke davon sehe ewiglich …“
Mit der Aufklärung nahm der christliche Antijudaismus ab. Seinen Platz nahm der Antisemitismus ein. Antisemiten erklären Juden zu einer minderwertigen Rasse, nennen Juden Kindermörder, verfolgen und ermorden sie und greifen ihre Synagogen an.
Antisemitismus ist der pseudowissenschaftliche Versuch, den alten religiösen Judenhass in ein neues Gewand zu kleiden. Nachdem viele Menschen die Kostüme der christlichen Dogmen und Fundamentalismen abgelegt hatten, erkannten sie, dass sie nackt waren und immer noch keine Juden mochten. Der Judenhass war in langer, traditioneller Ausübung so tief in ihren Herzen verankert, dass er Eingang in das Zeitalter der Aufklärung hielt. Der Begriff Antisemitismus tauchte in der Mitte des 19. Jahrhundert erstmals auf und wurde dann zu einem nicht unerheblichen Teil von dem Journalisten Wilhelm Marr (1819–1904) geprägt. Marr griff das Wort auf und rechtfertigte damit eine rassistische Ausgrenzung der Juden. Er gehörte dem extrem linken Flügel der radikal-demokratischen Partei um 1848 an und war erklärter Atheist. Wilhelm Marr war links, demokratisch und er hasste Juden.
In Marrs linker Überzeugung waren die Juden schuld am Liberalismus, weil sie sich den jüdisch konnotierten Kapitalinteressen verschrieben hätten. In Berlin erschien im Februar 1879 seine Propagandaschrift „Der Sieg des Germanenthums über das Judenthum – Vom nichtconfessionellen Standpunkt aus betrachtet”, die noch im selben Jahr zwölf Auflagen erlebte. In dieser Schrift grenzt sich Marr deutlich von der traditionellen religiösen Judenfeindschaft ab und behauptet stattdessen, dass die Juden eine fremde Rasse von „Parasiten“ seien, die erfolgreich die Ausbeutung Deutschlands betreiben. Diesen Paradigmenwechsel von Religion zu Rasse verdeutlichte er durch die Benutzung des Begriffs „Antisemitismus“. Marr prägte wesentliche Klischees und Schlagworte. Er legte 1880 mit seiner Schrift „Goldene Ratten und rothe Mäuse” die Basis für die verschwörungstheoretische Gleichsetzung von Judentum, Kapitalismus und Kommunismus, wie sie später Adolf Hitler in „Mein Kampf” vertrat.
Die neue Form des Judenhasses: Antizionismus
Wilhelm Marr gehört zu jenen aufgeklärten Demokraten, die zwar auf Gott und den König verzichten konnten, nicht aber auf den Judenhass. Mit pseudowissenschaftlicher Akribie wurde der Hass intellektuell rehabilitiert und dabei brutalisiert. War es bei dem religiösen Antijudaismus noch möglich, dass ein Jude Christ werden konnte, um der Verfolgung zu entgehen, wurde der Jude für den Antisemiten zu einem ewigen Juden und somit zu einem Problem, das nur noch durch die physische Vernichtung gelöst werden konnte. In der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ fand dieser Hass seinen grausamen Höhepunkt.
Als der Antisemitismus aufkam, kannten viele Menschen nur den klassischen Antijudaismus. Sie sahen den Antijudaismus nicht mehr als große Gefahr an. Das Christentum hatte schließlich seine absolute Macht eingebüßt, und in Deutschland wurden Juden sogar Ende des 19. Jahrhunderts vollwertige Bürger des Deutschen Kaiserreichs. Der Antisemitismus konnte wüten, weil er fahrlässig unterschätzt wurde.
Unterschätzt wird heute auch die neue Form des Judenhasses. Es ist der Antizionismus! Antizionisten erklären Juden zu einem Volk, das nichts aus dem Holocaust gelernt haben soll. Antizionisten nennen Juden Kindermörder, verfolgen und ermorden sie und greifen ihre Synagogen an. Antizionismus ist der Hass auf das Judentum als Nation. Wieder findet sich dieser neu definierte alte Hass auf Juden besonders in linken Kreisen. Wieder wird dieser Hass maßlos unterschätzt.
Die hysterische Kritik an Israel ist nichts weiter als blanker Judenhass, weil an Israel kritisiert wird, was bei allen anderen Ländern der Welt ignoriert wird. Israel wurde von den Vereinten Nationen fast so oft mit kritischen Resolutionen bedacht wie alle anderen Nationen zusammen. Israel ist für viele der Jude unter den Staaten. Sie hassen Israel nicht aufgrund eines bestimmten Handelns, sondern weil Israel überhaupt handeln kann, egal wie. Es ist die pure Existenz Israels, die nicht erwünscht ist.
Über die Modalitäten der Vernichtung verhandeln?
So wie der Antijudaismus einst von Christen ausging, so hat der Antizionismus heute in der muslimischen Gemeinschaft einen willigen Vollstrecker. Die muslimische Hamas zum Beispiel hat nicht nur einen Hass auf Israel, sondern fordert zudem die Vernichtung aller Juden weltweit. Am 7. Oktober 2023 mündete dieser Hass in den größten Massenmord, der an Juden an einem einzigen Tag verübt wurde seit dem Holocaust. Seit dem 7. Oktober befinden sich immer noch Juden in Geiselhaft dieser Judenhasser. Während Sie diese Zeilen lesen, werden Juden gefoltert. Israel wehrt sich gegen diesen Hass. Statt aber Israels Recht auf Selbstverteidigung zu verteidigen, wird Israel bei der Berlinale vorgeworfen, einen Völkermord zu begehen. Bei der Berlinale-Preisverleihung warfen mehrere Redner Israel einen „Genozid" und „Apartheid" vor und bekamen dafür Applaus. Zudem wurde in Richtung Israel ein Waffenstillstand gefordert. Dabei sind es die Hamas und nicht wenige Zivilisten im Gazastreifen, die durch die anhaltende Geiselnahme von Juden die Kampfhandlungen fortsetzen. Die Geiselnahme ist nämlich die Kampfhandlung und die Reaktionen Israels die Verteidigung auf diese Aggression.
Der Antizionismus aber blendet das alles aus und kritisiert nur den jüdischen Staat. Die Hamas fordert die Vernichtung aller Juden. Die Fatah wiederum fordert „nur“ die Vernichtung des Staates Israel. Viele Linke nennen die Fatah daher gemäßigt und fordern Israel auf, mit diesen Leuten zu verhandeln. Diese Aufforderung kommt jedoch einer Erpressung gleich. Mit der Fatah und der Hamas über die Modalitäten der Vernichtung zu verhandeln, bedeutet, darüber zu verhandeln, ob nun alle Juden oder nur Israel vernichtet werden soll, und ob nun sofort oder erst in ein paar Jahren.
Der Antizionismus wird in Deutschland so fahrlässig unterschätzt wie einst der Antisemitismus. Ob jedoch nun Antijudaismus, Antisemitismus oder Antizionismus, in allen drei Fällen ist die Definition von Judenhass gleich. Henryk M. Broder hat es auf diese einfache wie geniale Formel gebracht:
„Ein Judenhasser ist, wer an Juden kritisiert, was er an anderen Menschen nicht kritisiert.”
Gerd Buurmann ist Theatermensch, spielt, schreibt und inszeniert in diversen freien Theatern von Köln bis Berlin. Er ist Schauspieler, Stand-Up-Comedian und Kabarettist. Und er ist Gastgeber unseres sonntäglichen Podcasts „Indubio“.