Henryk M. Broder / 24.11.2018 / 10:00 / Foto: Bernd Schwabe / 58 / Seite ausdrucken

Wenn’s bei Gerhard zweimal klingelt

Gerhard Schröder war nie ein Mann der leisen Töne. Weder als Juso-Chef noch als Ministerpräsident von Niedersachsen, schon gar nicht während seiner sieben Jahre als Bundeskanzler.

Inzwischen 74 Jahre alt, zum fünften Mal verheiratet und dank einer überaus herzlichen Beziehung zum Wladimir Putin mit den russischen Energiekonzernen Gazprom und Rosneft beruflich verbandelt, genießt er das Rentnerdasein in vollen Zügen. Und wenn er sich zu Wort meldet, dann nicht, um seiner moribunden Partei Mut zuzusprechen, sondern um darauf hinzuweisen, dass es ihn, Gerhard Schröder, noch immer gibt. 

Vor ein paar Tagen nahm sich der „Altkanzler“ die Handelspolitik der USA vor. „Wir können uns nicht gefallen lassen, dass wir wie ein besetztes Land behandelt werden“, sagte er und präzisierte sogleich: „Wenn ich mir das Agieren des amerikanischen Botschafters in Deutschland so anschaue, habe ich den Eindruck, er versteht sich eher als Besatzungsoffizier denn als Botschafter der Vereinigten Staaten in einem souveränen Staat.“

Schröders Schleudertrauma

Es war nicht Schröders erster Ausfall gegen die USA, wohl aber der heftigste. Deutschland als „besetztes Land“ zu bezeichnen, ist eine Metapher aus dem Programm links- und rechtsradikaler Kretins, die immer noch mit „Ami-Go-Home“-Plakaten auf Demos gehen, ohne bemerkt zu haben, dass die Amis längst abgezogen sind.

Obwohl familiär unbelastet, gehört Schröder zu den Deutschen, die es den Amis nie verzeihen werden, dass sie von ihnen befreit werden mussten. Es ist eine Schmach, die auch 70 Jahre nach Kriegsende nachwirkt, wie ein Schleudertrauma nach einem Unfall.

Wladimir Putin einen „lupenreinen Demokraten“ zu nennen, dem amerikanischen Botschafter in Berlin aber zu unterstellen, als mache seinen Job wie ein „Besatzungsoffizier“, ist keine Entgleisung, keine Geschmacklosigkeit. Es ist der klägliche Versuch einer Abrechnung aus niederen Beweggründen.

Dass Schröder nie eine HJ-Uniform tragen musste, hat er – ebenso wie viele seiner Altersgenossen – alliierten Besatzungsoffizieren zu verdanken. Ein klein wenig Dankbarkeit über das, was ihm erspart blieb, wäre nicht verkehrt. Es muss ja nicht gleich eine Runde Krimsekt sein. Eine Flasche Bommerlunder aus Haselünne in Niedersachsen wäre schon mal ein guter Anfang. 

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

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Leserpost

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Thomas Thürer / 24.11.2018

Hallo Herr Broder Meiner Meinung nach, verhält es sich mit der von Ihnen eingeforderten Dankbarkeit ein wenig wie mit der vielbeschworenen „Verantwortung aus unserer Geschichte“ Irgendwann kommen Generation die aus Dingen die 100 Jahre und mehr vergangen sind, weder Verantwortung tragen, noch zur Dankbarkeit verpflichtet sind. Das gilt insbesondere für einzelne Individuen aber auch für ganze Gesellschaften. Das heißt nicht, dass man keine Lehre aus der Geschichte ziehen soll. Aber Begrifflichkeit wie „Verantwortung“, „Schuld“, „Dankbarkeit“ haben in dieser Diskussion eher zerstörerische Wirkung. Noch zur Sache. Schröder war, am Tag als die US-Amerikaner aktiv in den Krieg in Europa eingriffen 1 1/2 Monate alt. Glauben sie wirklich, dass der noch heute an einem Trauma leidet? Sie behaupten, das der „Ami“ schon längst aus Deutschland abgezogen wäre. Ich empfehle Ihnen einen Besuch im Großraum Kaiserslautern oder in der Oberpfalz. Sie werden es nicht glauben, aber da ballern noch US-Soldaten im Wald rum und in ihren Kasernen gilt keinerlei deutsches Recht. Es sei den, es gibt Subventionen. Deutsche Behörden haben dort nichts zu melden. Es gilt noch nicht mal die StVO. Und ein ander Geschichte. Wären die West-Aliierten nicht im Juni, sondern erst im September über den Kanal gesetzt, wäre für sie in Deutschland nix mehr zum befreien da gewesen. Da wäre die rote Armee über den Rhein nach Frankreich gesetzt. Was ich ihnen sagen will, befreit hat uns Stalin. Was das genutzt hat, können ehemaligen „Thälmann-Pioniere“ befragen. Die Westalliierten brauchten nur noch abstauben. In Summe daher meine Bitte. Gerhard Schröder ist sicher eine spektakulär streitbare Person. Aber das war gerade nichts als billiges ans Hosenbein pieseln. Das können Sie deutlich besser.

Thomas Taterka / 24.11.2018

Jemand,  der seine Großmutter verkauft hat, bezichtigt den Käufer als Lump.

Volker Kleinophorst / 24.11.2018

Kein Schröder-Fan, aber: Die Amis sind längst abgezogen? Da hab ich wohl was nicht mitgekriegt. Was ist denn aus Ramstein geworden? Ein Vergnügungspark? Und das mit dem “befreit” , na ja…

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