Henryk M. Broder / 06.06.2021 / 14:00 / Foto: Acgut.com / 44 / Seite ausdrucken

Wenn in Peru der Wasserspiegel steigt

Wie kommt es, dass ich mich in der letzten Zeit immer öfter frage, ob ich verrückt bin oder ob ich in einem Land lebe, das verrückt geworden ist? Ich stelle mir diese Frage meistens abends, zwischen acht und Viertel nach acht, wenn ich die „Tagesschau“ sehe, die wichtigste Nachrichtensendung im deutschen Fernsehen.

Letzte Woche wurde dort die erzwungene Landung einer Ryan Air Maschine auf dem Flughafen von Minsk als „Umleitung“ gemeldet. Es wurde auch gesagt, der „belarussische Machthaber Lukaschenko“ habe die Umleitung als „rechtmäßig“ bezeichnet. Lukaschenko als „Diktator“ vorzustellen, hätte zur „Umleitung“ nicht gepasst. „Machthaber“ hört sich moderater an. Es bringt nichts, die Zuschauer zu erschrecken, wichtiger ist es, auf genderkorrekte Zuschreibungen zu achten, also Lehrer und Lehrerinnen, Patienten und Patientinnen und, kein Witz, Steuersünder und Steuersünderinnen.

Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn, zuständig für die Organisation der Corona-Pandemie, möchte, dass jetzt auch die 12- bis 15-jährigen geimpft werden, obwohl die älteren Jahrgänge noch lange nicht durchgeimpft und die möglichen Folgen einer Impfung bei Jugendlichen nicht hinreichend erforscht sind. Dazu sagte er in der „Tagesschau“: „Wir bekommen sehr, sehr viele Briefe, sehr, sehr viele Anrufe im Bundesministerium für Gesundheit, von Eltern, auch von Jugendlichen, die sich wünschen, geimpft werden zu können, ein Angebot zu bekommen, wenn es diesen zugelassenen Impfstoff gibt, und wenn es diese Zulassung gibt, dann finde ich, sollten sie auch die Möglichkeit dazu erhalten.“

Ist ja nur ein Verdacht

Ohne dem Minister zu nahe treten zu wollen, bezweifle ich, dass ihn Jugendliche anschreiben und anrufen, die sich nichts sehnlicher wünschen, als geimpft zu werden.

Und selbst wenn es so wäre, sollte das für den Minister kein Grund sein, dem Ansinnen nachzugeben. Wozu gibt es das Robert-Koch-Institut, die Ethik-Kommission des Bundes, die Ständige Impfkommission und Karl Lauterbach, den Super-Mario unter den Epidemiologen? Hat der Minister nicht genug Experten und Ratgeber um sich versammelt?

Spahn handelt wie ein Gastwirt, dessen Vorratskammer halbleer ist und der trotzdem immer mehr Gäste einlädt, an seiner Tafel Platz zu nehmen. Ginge es um Erbsensuppe oder Fleischküchle mit Kartoffelsalat, könnten die Rationen kleiner portioniert werden, bei Impfstoffen ist das nicht möglich. Da kann man allenfalls den zeitlichen Abstand zwischen der Erst- und der Zweitimpfung verkürzen oder verlängern, je nachdem, was der Markt hergibt.

Dass immer mehr Menschen ein Impfangebot bekommen, bedeutet nicht, dass sie geimpft werden. Auch die Kanzlerin verspricht jedem Bürger und jeder Bürgerin ein Impfangebot bis zum Ende des Sommers, also dem 21. September. Am 26. September stehen die Wahlen zum neuen Bundestag an.

Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, der Verdacht, die Regierung wolle die Krise mit Hilfe des Infektionsschutzgesetzes bis zum Wahltag am Köcheln halten, entbehrt jeder Grundlage.

Weil er es kann

Je kopfloser die Politik agiert, desto mehr Bedeutung kommt den Gerichten zu. Das Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung verpflichtet, die Eckdaten des Klimawandels über das Jahr 2030 festzulegen, was diese umgehend tat. Ebenso absurd, aber nicht minder real, ist die Klage eines peruanischen Bauern, über die seit Jahren vor dem Oberverwaltungsgericht Hamm verhandelt wird. 

Durch den Betrieb von Kohlekraftwerken und die damit verbundenen CO2-Emissionen sei der deutsche Energiekonzern RWE für den Klimawandel mitverantwortlich und soll sich deswegen an den Kosten für bauliche Maßnahmen gegen den Anstieg des Wasserpegels eines Gletschersees in den Anden beteiligen, so der Kläger. 

Ein abschließendes Urteil steht noch aus, denn das Gericht will, um sich einen Überblick zu verschaffen, zu einem Ortstermin nach Peru reisen, was bis jetzt wegen Corona nicht möglich war. Der Sprecher einer NGO, die das Verfahren „begleitet“, erklärte bereits, „dass das deutsche Zivilrecht auch für die Verursacher des Klimawandels gilt“.

So kann, mit Hilfe des deutschen Zivilrechts, der Klimawandel zwar nicht gestoppt, dafür aber ordentlich Geld generiert werden. Die Frage ist nur, warum sich der peruanische Bauer an einem deutschen Unternehmen schadlos halten will und nicht an einem, sagen wir: chinesischen? Die Antwort ist: Weil er es kann. Kein chinesisches Gericht würde auch nur erwägen, eine solche Klage anzunehmen.

Zuest erschienen in der Zürcher Weltwoche

Foto: Achgut.com

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Dirk Jungnickel / 06.06.2021

Um bei dem Minister Spahn - wegen der Maskenaffäre auch Spahnferkel genannt - zu bleiben. Dass er mit der “Organisation der Pandemie” voll zu tun hat,  ist nachvollziehbar. Da kann der Mann schon mal daneben liegen, wenn er von Jugendlichen angeblich um die Impfung nahezu angefleht wird. Das wird auch täglich von den Medien der Erleuchteten so breit getreten: Leider kann man den Riesenansturm auf die Impfzentren kaum bewältigen ! Verehrte Impf - Apostel, ich kann Euch verstehen - eine gutgemeinte Taktik. Da wird das sprichwörtliche Sauerbier angeboten als wäre es Schampus. “Labt Euch dran, liebe Mitbürger, sonst werdet Ihr krank und werdet es bereuen!”

Roland Stolla-Besta / 06.06.2021

An die Story des peruanischen Bauern kann ich mich noch sehr gut erinnern, hatte nicht Achgut damals bereits den Fall thematisiert? Sicher ist jedenfalls, daß dieser besagte peruanische Bauer (vor dessem sicher hartem und wenig gepampertem Leben ich vollen Respekt habe) sicherlich von Deutschland nichts wußte, keine Ahnung hatte, wo das überhaupt liegt. Bis ihm natürlich irgendwelche grünlich-rötlichen „edlen Seelen“ auf die Sprünge geholfen haben und sicherlich als NGO ebenfalls von dem Fall profitieren wollen. Unter uns: Der Bauer aber wäre bekloppt, wenn er sich nicht an die zu melkende Kuh heranmachte!

Sebastian Weber / 06.06.2021

Ich bin auf die Reaktion des Gerichts gespannt. Wenn die Richter*pups*innen Gehirn in der Birne und Eier(Stöcke) in der Hose haben, werden sie die Klage abschmettern; aber sicher bin ich mir da nicht —- sorry für das provokante Gendern …

Martin Müller / 06.06.2021

“Wenn der Wahnsinn erst mal Fuß gefasst hat, wird er ungeniert behaupten, er sei die Normalität.” ,  Sir Karl Popper…...................... Und so ist das heute oft. Die demokratischen Entscheidungsprozesse werden heute quasi von Gerichten und NGOs gemacht.  Und unsere Regierung reitet den links-grünen Zeitgeist im Galopp. So sieht halt Halbdemokratie heute aus! ................. Und so ist es möglich geworden, dass wir Deutschen (im Grunde sind allen Weißen gemeint) mittlerweile für alles, was von der links-grünen Herrschafts-Clique als verwerflich definiert wird , moralisch respektive damit auch finanziell in Regress genommen werden. Dafür brauchen sie auch keine demokratische Legitimation mehr, die Parlamente sind sozusagen nur noch Handlanger dieser halbdemokratischen Entwicklung. Und die Bürger in Deutschland und in West-Europa lassen sich durch Medien und Politik täuschen, wir hätten noch eine funktionierende und pluralistische Demokratie mit Gewaltenteilung.

Uta Buhr / 06.06.2021

Nachtrag: Deutschland ist für alle Übel dieser Welt verantwortlich und zahlt gern für sämtliche durch Blitz, Donner, Erdrutsche und Vulkanausbrüche entstandenen Schäden.  Der peruanische Bauer ist vielleicht nur die Ouvertüre für weitere idiotische Forderungen aus anderen entlegenen Teilen des Globus. Man muss nur mal die Indigenen in Neuguinea oder im brasilianischen Regenwald auf die richtige Spur setzen. Claudi, Greta,  Luisa und Annalena helfen gern bei der Formulierung der Forderungen.

Charles Brûler / 06.06.2021

Die heutigen Politiker haben einfach kein Durchstehvermögen, oder sie betrachten die Vielfalt an anderen Meinungen als Majestätsbeleidigung und Umsturzversuche

Boris Kotchoubey / 06.06.2021

“ob ich verrückt bin oder ob ich in einem Land lebe, das verrückt geworden ist? Ich stelle mir diese Frage meistens abends, zwischen acht und Viertel nach acht,” Und fünf Minuten vor 9 fällt mir eine dritte Option ein: Nicht in einem Land, sondern in einer verrückt gewordenen Welt lebe ich.

Ralf.Michael / 06.06.2021

Herr Broder, es heisst ja auch nicht mehr : “Der Tag geht…und Johnny Walker kommt” , das war Vorgestern . Korrekt heisst es jetzt :  “Der Tag geht…und Marco Wanderwitz kommt”  verstehen Sie ?

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