Waren Hänsel und Gretel Raubmörder?

„Kommt mit“, sagte der Hahn, „etwas Besseres als den Tod können wir überall finden“. Die Gebrüder Grimm hinterließen uns über 200 Märchen. Einige ihrer Geschichten haben einen historischen Hintergrund.

Die grausamen Hungersnöte während des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) waren noch nicht vergessen. Millionen Menschen starben auf den Schlachtfeldern, und noch mehr erlagen Hunger und Seuchen. Marodierende Soldaten zogen mordend und plündernd durch Europa, die Nahrung wurde knapp, die Preise stiegen, die Wirtschaftskrise ruinierte die Überlebenden. Fälle von Kannibalismus sind überliefert. Nicht selten boten Eltern aus Verzweiflung ihre Kinder auf öffentlichen Märkten als Tagelöhner oder Dienstmädchen an. Einige setzten ihre Kinder im Wald aus wie die Eltern von Hänsel und Gretel. Der Vater war Holzhacker und gehörte zu den Ärmsten der Armen.

Aber wer war die Hexe im Knusperhäuschen? Der Archäologe George Ossegg hat sie als Zuckerbäckerin Katharina Schraderin identifiziert. Der herzogliche Hofbäcker Hans (Hänsel) Metzler aus Nürnberg begehrte ihr Lebkuchenrezept so sehr, dass er ihr den Hof machte. Als die 32-Jährige seine Liebe nicht erwiderte beziehungsweise das Rezept nicht herausrückte, klagte er sie wegen Hexerei an. Nur knapp entkam sie 1647 einer Hinrichtung nach dem Drehbuch des mittelalterlichen Leitfadens „Hexenhammer“.

Verängstigt zog sie sich in ein abgelegenes Waldhäuschen zurück und buk dort fortan ihre Leckereien. Doch der Hofbäcker gab nicht auf. In Begleitung seiner jüngeren Schwester Gretel spürte Hänsel Metzler die „Lebkuchenhexe“ auf, erwürgte sie und warf sie in einen ihrer vier Backöfen. 

1962 entdeckte Ossegg ihre verkohlten Überreste und in einer eisernen Truhe das Originalrezept. Eine wissenschaftliche Sensation! Bereits ein Jahr später illustrierte der Autor Hans Traxler „Die Wahrheit über Hänsel und Gretel“ mit Fotos, Zeichnungen und Karten. Achtzehn Verlage bemühten sich um die Übersetzungsrechte.

Das Buch hatte nur einen Schönheitsfehler: Der Autor Hans Traxler, der die Enthüllung samt der Archäologen-Figur Ossegg erfunden hatte, kennzeichnete es nicht als Wissenschaftsparodie. Er war Mitbegründer des Satiremagazins „Titanic“, seine Geschichte: ein Märchen über ein Märchen.

 

Claude Cueni (65) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im Schweizer BLICK, wo diese Kolumne zuerst erschien. Am 15. März erschien bei Nagel & Kimche sein neuer Roman „Hotel California“.

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Kurt Müller / 08.04.2021

Da kann ich nur den wunderbaren Film, meinen persönlichen Lieblingsfilm noch vor der großen Bach-Verfilmung von 1985, von der DEFA empfehlen: “Jorinde und Joringel”, DEFA 1986. Das Märchen ist erzählerisch im Dreißigjährigen Krieg platziert und thematisiert die im Artikeln benannten gesellschaftlichen Verhältnisse. Die erste halbe Stunde des Films hinterlässt bei empfindsame Menschen bleibende Eindrücke. Ich sehe mir heute noch, mit deutlich Ü40, diesen Film noch gerne an und bin immer noch berührt über dieses Gründgens’sche szenische Theater im Film. Der Film ist auf positive Weise ein sehr deutscher Film in seiner ganzen Machart und ein klares Zeichen gegen Hollywood, gegen die Profanisierung von Gewalt, Voyerismus und Vulgarität im Film - so geht spannender Entwicklungsroman im Kino! Man hofft, daß Zeiten wiederkommen, in denen auch wieder solche Filme gedreht werden. Man kann ihn auf Youtube zerhackstückelt ansehen - erster Teil, eine wohl realistische Darstellung des 30-Jährigen Krieges und das Leiden des Volkes an den Verbrechen der Eliten findet man über “Jorinde und Joringel - 1 / DDR 1986”. Viel “Vergnügen” :-). Es sind durchaus Parallelen zu heute zu erkennen, und man muss hoffen, daß Europa einst nicht wieder von solchen marodierenden Banden heimgesucht werden wird, wenn sie verstehen was ich meine ...

Sam Lowry / 08.04.2021

p.s.: Morgen um 12:45 Uhr: “Sabine, ich hab was gefunden, du wirst es kaum glauben. Hänsel und Gretel waren in Wahrheit Raubmörder.” Den letzten Absatz lasse ich natürlich weg… :-D

Sam Lowry / 08.04.2021

Wie geil. Danke für einen sehr langen Lacher nach den Tränen. Ich bin halt Borderliner, und besoffen, das geht dann bei mir in Sekunden. Danke, einen aus der Lethargie zu reißen mit völligem Unfug, der anfangs so glaubhaft wirkt wie diese chinesischen Fadenwürmer auf den Teststäbchen. “Morillonen”, oder so, hab das Wort gleich aus dem Wortschatz gelöscht. Ich lache immer noch… :-)

Robert Bauer / 08.04.2021

Die Hexe ist ein weit verbreitetes Motiv in den Erzählungen der Völker. Allein das verwendete Lockmittel, mit dem die Kinder in´s Verderben gebracht werden sollten, paßte sich dem jeweiligen Zeitgeist an. War es einstmals der Lebkuchen, so kann es sich heute um Impfdosen und Schnelltests handeln, die von der Hexe in Verkehr gebracht werden, um Unheil anzurichten. Immer aber steht am Ende der Geschichte der Sieg über die böse Frau, die ihrer gerechten Strafe zugeführt wird. Und wenn sie nicht gestorben ist, so schwurbelt sie noch heute.

G. Böhm / 08.04.2021

Die tatsächliche wissenschaftliche Sensation besteht darin, daß bei Zuckerbäckerin K. S. ein Corona-Virus nachgewiesen werden konnte.

Thomas Müller / 08.04.2021

Wunderbar *sich selbst auf die Schulter klopf*  mein Satiredetektor hat schon im dritten Absatz angeschlagen; aber nur als Möglichkeit. Schön, einmal kurz den ganzen Müll in der Welt zu vergessen!

G. Böhm / 08.04.2021

Ich hatte die erste Zeile noch nicht zu Ende gelesen, kam mir sofort eine öffentliche Ermahnung ins Gedächtnis. Dankenswerterweise hat die Mahnerin die Angelegenheit gleich selbst gegenüber dem Autor angemeldet. :-)

Christoph Müller / 08.04.2021

Die Sache hätte doch jedem verdächtig vorkommen müssen, sobald vom “herzoglichen Hofbäcker” die Rede war. Ein herzoglicher Hofbäcker in der Freien Reichstadt Nürnberg? Die einzige fürstliche Herrschaft in der Umgebung von Nürnberg war die Markgrafschaft Ansbach-Bayreuth - kein Herzog weit und breit!

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