Wann wird die heilige Kuh Christian Lindner geschlachtet?

Von Julian Marius Plutz.

Es ist leicht, Christian Lindner unsympathisch zu finden. Das Auftreten adrett inszeniert, der Anzug perfekt gegossen und die Statements von einer penetranten Selbstkontrolle, dass ich an die Hubots denken muss. Human Bots, die in einer schwedischen Serie maschinell und halbmenschlich den Haushalt schmeißen, bis sie dann irgendwann zum Problem werden. Wie Christian Lindner zum Problem geworden ist.

Gut, ein Anderer würden sein Auftreten als professionell beschreiben. Und für sein Aussehen kann er nix. Ad hominem hin oder her, er verkörpert die Art Politiker, die ich nicht mehr sehen mag. Ja. Jedes Wort ausgeklügelt und im Politikerhirn abgewogen, längst auf Widerwort und Wider-Widerwort abgeklopft und zurechtgeschliffen. Keiner Randgruppe auf die Füße getreten? Die weibliche Form genannt? Nicht zu konkret geworden? Schafft es der Satz in die BILD? Oder reicht es nur für die Wuppertaler Allgemeine?

Politische Korrektheit kann auch zum Vorwand für Bequemlichkeit werden. Stets anzuecken, weil die sprachliche Inquisition ob des falschen Wortes an die Randgruppe droht, kann anstrengend sein. Mir hat letztens jemand gesagt, „Homo“ sei despektierlich. „Ach was!“, dachte ich, „das ist mir ja neu“. Ob er seinen Namen mit dem von ihm gewählten Pronomen tanzen oder ihn in den Schnee pinkeln kann, konnten wir nicht klären. Also ja, ich verstehe bei Politikern, dass sie mehr als ich auf die Sprache achten müssen. Aber wenn am Ende ein seelenloser Sätzehaufen übrig bleibt, ohne Charakter, ohne Aussage und ohne Haltung, dann sollte derjenige, dann darf Christian Lindner ins nonverbale Geschäft wechseln. Oder Pressesprecher von Helge Braun werden.

Ich weiß nicht, welcher Politiker mit dieser Kindersprache anfing

Was bei ihm erschwerend hinzukommt: Er ist so sehr Politiker, dass er es nicht mal mehr merkt. Fast jeden sprachlichen Krampf macht der Wuppertaler mit. Das „Wir“ zum Beispiel. „Wir müssen“, „Wir wollen“. In der Regierungszeit kommt dann noch ein „Wir werden“ hinzu. Waren Sie schon mal im Krankenhaus, und die Pflegekraft kommt ins Zimmer mit dem Satz, wie es „uns“ denn heute geht? „Für den Satz auf’s Maul!“ zuckt mein Es für eine Millisekunde, bevor meine Moralvorstellung Es einfängt. Ich weiß nicht, welcher Politiker mit dieser Kindersprache anfing, aber er muss ein wahnsinnsgeiler Hecht gewesen sein, dass ihm fast jeder Kollege bis heute folgt.

Jetzt liegt die FDP laut einer Umfrage bei 4 Prozent. Vier Prozent. Das ist gefühlt so viel, wie das honorige Monopol Magazin Abonnenten hat. Sie kennen das Monopol Magazin nicht? So geht es bald der FDP, wenn CL („CL“? Ist der Christian Fußballstar, oder was!?) weiter an der Macht bleibt. Daher erinnere ich als FDP Mitglied an den Titel dieses Textes: „Wann schlachten wir endlich die heilige Kuh Christian Lindner?“ Wenn sich die 4 Prozent in den Umfragen stabilisiert haben oder erst dann, wenn sie sich zum Wahltag in bittere Realität verwandelt hat?

Die Performance der Lindner-FDP ist wirklich erstaunlich. Erstaunlich schlecht, wenn man sich die politischen Konkurrenten ansieht. Die Union ist inhaltlich inmitten von Nichts, von Merkel und Konsortien ausgehöhlt wie Ameisen einen Baumstamm. Die Partei ist froh, wenn das nächste Angela-Abziehbild den Kanzler stellt. Ich bin mir sicher, wenn der genannte Baumstamm sich zur Wahl stellte, er würde die Abstimmung auch gewinnen. Noch nie wie in den Merkel-Jahren ist der Begriff Kanzlerwahlverein so wahr. 

Von der SPD brauche ich eigentlich gar nicht reden. Das Führungsduo wurde gewählt, um aus der GroKo auszutreten, um nach einem halben Jahr noch in der Koalition zu sein. Wow, so schafft man Vertrauen. Ferner haben Nowabo und Esken nichts Originelleres zu tun, als die Partei zu einer dritten Linkspartei zu machen. Doch im Zweifel wählt das Grünbürgertum eben nicht die Sozialdemokraten, sondern das Original, Die Grünen. Und für die, die es vulgärer haben wollen, gibt es die Ex-SED. Wozu dann die SPD? Gerd Schröder gewann die Wahl auch nicht mit der Kampagne „Die neue Linke“, sondern „Die neue Mitte“. Lang ist’s her. 

So geht Politikverdrossenheit

Die Zeit ist ideal für eine freiheitliche Partei, in der die Etatisten und Kollektivisten am Ruder sind und alle Probleme mit dem Geld anderer zu lösen glauben. Aber was macht die Lindner-FDP? Kritisiert eine Mehrwertsteuersenkung, für die sie eben noch war. So geht Politikverdrossenheit. 

Wo ich bei der AfD als Konkurrenz zur FDP angekommen bin. Ist sie wirklich eine Alternative zu den Liberalen? Aus vielen Gründen nein. Was Lindner an rhetorischem Schneid fehlt, die geistigen Mauern der politischen Korrektheit einzureißen, lassen viele AfD-Politiker an innerer Hygiene vermissen. Stattdessen etablieren sich Provokation und Anstandslosigkeit zum politischen Geschäftsmodell. Das ist der eigentliche Sündenfall der AfD. Und auch wenn es vernünftige Leute in der Partei gibt, so müssen sie sich die Frage stellen, warum sie mit eben den anstandslosen Provokateuren gemeinsame Sache machen. Sie sind noch schlimmer als die Extremen, denn eigentlich könnten sie es anders. 

Zum Beispiel in die FDP wechseln. Doch ich verstehe gut, dass die Lindnerpartei abstoßend wirken kann. Für mich tut sie es zunehmend. Lindner hat fertig, er ist durch mit der Partei. Er kann nicht nur weg, er muss weg, bevor es zu spät ist.

Julian Marius Plutz, 33, ist Blogger und arbeitet im Personalvertrieb. Er unterhält den Blog neomarius.blog, auf dem dieser Beitrag zuerst erschien.  

Foto: Steffen Prößdorf CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Walter Weimar / 15.06.2020

FDP - Faire Drei Prozent!

Mathias Weiss / 15.06.2020

Als erstes einmal muss ich erstaunt feststellen, dass mir bis auf den Namen Kubicki spontan kein anderer aktueller FDP-Name einfallen mag. Nicht dass ich jemals große Sympathien für diese Partei gehabt hätte. Aber immerhin sind dort mal Granden wie der kantige Genscher, der eloquente Westerwelle, die Präsidenten Heuss und Scheel, zu hause gewesen. Der gute Herr Lindner hingegen ist aalglatt, vielleicht einen Hauch schleimig. Als ehemaliger Unternehmensberater auch kein Wunder, da bleibt nichts hängen. Erst recht keine Erinnerungen. Also wird man vergessen… Worüber haben wir gerade geredet?

Mathias Hartmann / 15.06.2020

Wer lieber zum herrschenden Parteienkartell gehören will, statt die wachsenden Probleme zu lösen, der wird eben in den Abgrund gerissen, wenn das multiple Desaster seinen Lauf nimmt.

John Müller / 15.06.2020

Irgendwo las ich, daß die FDP die Partei ist, die fragt, ob 10% weniger Wahnsinn nicht auch reichen würden. Und eine Partei, die sich pausenlos für ihre Politik entschuldigt, braucht auch niemand. Mehr Mut würde der Partei gut tun.

Fred Anton / 15.06.2020

Das Problem der FDP ist nicht nur Lindner. Das Problem ist in, dass die FDP kein wirklich oppositionelles Programm hat. Warum spricht sie sich nicht gegen die EZB Politik aus, wendet sich gegen deren Staatsfinanzierung? Gegen die null Zinspolitik? Warum wendet sie sich nicht gegen die immer dominieRendere EU und setzt sich für mehr Subsidiarität und Selbstständigkeit der EU Staaten ein? Warum ist sie nicht für eine besondere Förderung von Begabten und Leistungsstarken in der Schule? Warum plädiert sie nicht für einen liberalisierten Wohnungsmarkt mit Wohngeld für Einkommensschwache statt Neubau- Sozialwohnungen? Warum geriert sie sich immer noch als Bürgerrechtspartei anstatt sich als Partei von Law and Order zu profilieren. Denn Freiheit gibt es nur, wenn die Gesetze auch beachtet werden. Jeder Gesetzesbruch ist eine Freiheits Einschränkung des Betroffenen. Und Last not least warum wendet sie sich nicht gegen die vielen Rechtsbrüche in der MigrationKautionspolitik? Und warum setzt sie sich nicht zumindest für weitere Forschung bezüglich der Atom Energie ein und korrigiert die ausufernde grüne Energiewende?

Lothar Hannappel / 15.06.2020

Alles Versagen der FDP jetzt an Lindner fest zu machen ist aber auch etwas zu einfach. Hätte Westerwelle damals nicht einen Großteil seiner Wähler enttäuscht, oder sagen wir einfach mal konservative CDU und FDP Politik gemacht, wäre vielleicht Merkel längst Geschichte und die FDP immer noch in der Regierung. Aber man wollte ja lieber da zu gehören. Also zu der Einheitspartei €DU/CSU/SPF/FDP/Grüne.

Volkmar du Puits / 15.06.2020

Denkt irgendjemand, das alles gut würde, wenn der Lindner ab morgen alles richtig macht, also so, wie Autor und Kommentatoren es erwarten? Die FDP ist nicht überflüssiger als dieser Artikel.

Joachim Nettelbeck / 15.06.2020

Ich wäre durchaus bereit und willens gewesen, eine FDP, die sich in diesen Wochen an die Spitze einer neuen Bürgerrechtsbewegung gesetzt und dies meinetwegen auch noch mit marktliberalen Themen verknüpft hätte, nächstes Jahr in den Bundestag zu wählen. Einzige Voraussetzung: Sie hätte das echt durchziehen müssen, auch und vor allem außerparlamentarisch, und es nicht nur bei einer Sonntagsrede (von Lindner, ausgerechnet) bewenden lassen dürfen. Tja, wie wir alle wissen, ist es anders gelaufen, und ich kann mir nun die Haare raufen, um zu einer Wahlentscheidung zu kommen. Es wird eng: Linke, Grüne und die alte Tante sind kein Thema, die Union auch nicht (immerhin bin ich dieser Tage wegen der Corona-Hysterie aus der CSU augetreten), und die FDP (diese FDP) kann mir ebenfalls gestohlen bleiben. Die ÖDP liegt mir grundsätzlich nicht so, die Freien Wähler bekleckern sich in Bayern nicht gerade mit Regierungsruhm, und die AfD gehört mehrheitlich auch zu den Corona-Angsthasen, wenn sie sich überhaupt diesbezüglich äußert. Also, was? Darauf hoffen, dass Schiffmann und Kumpanen, die sich inzwischen, glaube ich, zweimal aufgelöst, einmal den Vorstand gewechselt und einmal gespalten haben (und das alles in zwei Monaten oder so), noch irgendwas Sinnvolles auf die Reihe kriegen? Schiffmann mag weitgehend den Corona-Durchblick haben, aber das allein reicht halt auch nicht. Tja, ich bin echt nicht zu beneiden.

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