Seit Tagen kursiert im Internet ein Auftritt von Heinz Becker, alias Gerd Dudenhöffer. Es geht um den Deutschen Bundestag. Mit satirischer Nüchternheit klärt der Mann aus dem Volke sein Publikum darüber auf, dass die „Zuschauer“ auf den Rängen gar keine „Besucher“ sind, sondern die Eltern der Politiker unter ihnen im Plenarsaal. „Die bringen die morgens vorbei, und dann nehmen sie die abends wieder mit heim.“
Wie es dem Kabarettisten gelungen ist, den Nagel so auf den Kopf zu treffen, war in dieser Woche wieder einmal „in echt“ zu erleben. Während sich die Welt im Aufruhr befindet wegen China, Corona, Weißrussland und Ukraine, konnte die FDP vorbei an den Gepflogenheiten des Hohen Hauses eines ihrer geheimen Wahlziele energisch durchsetzen.
Schon 2017, nach dem Wiedereinzug ins Parlament, hatte die Partei versucht, ihren angestammten Platz rechts der Mitte, wo die Konservativen seit 1871 nebeneinander saßen, zu verlassen und sich zwischen die Sessel der CDU/CSU-Fraktion und die der Grünen zu drängen, möglichst weit weg von der AfD. Allein, auch die Schwarzen wollten nicht neben den „Rechtsextremen“ Platz nehmen. Und da sie damals noch bei Kräften waren, die Kanzlerin stellten, mussten die Gelben klein beigeben.
So zwitschern nun die Liberalen
Jetzt aber, da sie an der Regierung teilhaben dürfen, ließen sie nicht locker, bis ihre Sessel – von vorn gesehen – rechts abmontiert und in der Mitte neben den Grünen neu verschraubt wurden. Den Koalitionären war das durchaus recht. Können sie doch nun auch im Plenum sichtbar einen rot-grün-gelben Block bilden, bei Abstimmungen bereits durch die Wucht der Masse als Volksfront beeindrucken. Wie die Linken einst sangen, so zwitschern nun die Liberalen: „Wann wir schreiten Seit’ an Seit’“.
Mit ihrem tiefen Fall sind sie zur Blockpartei aufgestiegen, indes der Schwarze Peter den Schwarzen zugeschoben wurde. Mögen sie sehen, wie sie mit den Blauen zurechtkommen, ohne dass deren politische Ausdünstung in ihre Anzüge, Kostüme und Kleider kriecht, ihnen womöglich die Sinne vernebelt.
Die „demokratischen Parteien“ wissen, was sie ihrem Aufstieg schulden, geht es ums Wesentliche, darum, sich von der gleichermaßen demokratisch gewählten AfD abzusondern. Der Gedanke, sie könnten sich mit solchen Mätzchen lächerlich machen, kommt den Kindsköpfen nicht, krabbeln sie doch ohnehin im größten Kindergarten des Landes fröhlich umher, während die Bürger zuschauen, wie die lieben Kleinen, die sie morgens zur Betreuung abliefern und abends wieder abholen, ausgelassen toben und sich gegenseitig von hinten mit dem Sandschäufelchen auf den Kopf hauen. Sie wollen doch nur spielen, also lassen wir ihnen den Spaß, bevor sie anfangen zu greinen. Mögen sie machen, was ihnen gerade in den Kopf kommt, solange sie sich von den Ungezogenen fernhalten.
Spiel nicht mit den Schmuddelkindern
Manche Leser mögen sich noch an Franz Josef Degenhardt und sein Lied von den „Schmuddelkindern“ erinnern.1965 entstanden, erzählt der Song die Geschichte eines Jungen aus kleinbürgerlichem Milieu. Aufgestachelt vom Ehrgeiz seiner Eltern, verlässt er die angestammten Verhältnisse, um in der „Oberstadt“ reich zu werden und am Ende genau da wieder aufzuschlagen, wo er weg sollte, als Leiche, angeschwemmt auf dem Rattenteich und höhnisch verlacht von den Schmuddelkindern, mit denen er nicht spielen durfte.
Nun sind die Abgeordneten der AfD keine Schmuddelkinder, die FDP ist kein Haufen ehrgeiziger Spießer. Und dennoch scheint der Bänkelsang zum aktuellen Stühlerücken im Deutschen Bundestag zu passen wie der Deckel auf den Topf. Die aufgeplusterte FDP wird ihr blaues Wunder noch erleben. Denn wenn es um Macht geht, könnten die Schwarzen leicht in die Versuchung geraten, sich blau anzutrinken und zu vergessen, wie sie früher über die AfD herzogen. Immerhin soll ihr Säulenheiliger Konrad Adenauer, auch schon mal bei einer Kehrtwende, erklärt haben: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.“
Für Angela Merkel war es schon geradezu selbstverständlich, nichts auf das zu geben, was sie vor Tische versprach. Am Ende könnte das kleine Häuflein der Liberalen mit dem Sprung in die Mitte zwischen die Stühle geraten, unsichtbar auf den Boden gefallen. Eine deutsche Parlamentsklamotte – das Kasperletheater der Rasselbande im Kindergarten.