Die Angst geht um in den deutschen Regierungsbezirken, die Angst vor einem „heißen Herbst“. „Natürlich“, so tönt aus allen Amtsstuben, aus dem Kanzleramt sowie aus den Ministerien, „natürlich“ habe jeder Bürger das Recht, „seinem Unmut auf der Straße Ausdruck zu verleihen“, etwa darüber, dass das unter staatlicher Duldung entstandene Unternehmen Uniper geschaffen wurde, um die Energieversorgung des Landes zu erträglichen Preisen zu garantieren bei gleichzeitigem Ausstieg aus den konventionellen Energiequellen. Eine Schnapsidee, die den Steuerzahler jetzt, kaum sechs Jahre nach der Gründung, mehr als 30 Milliarden Euro kostet. Geld, das aufgewendet werden muss, um den Totalausfall des Energiehändlers durch Verstaatlichung abzuwenden.
Allerdings, heißt es, müsste man diese und andre Demonstrationen gegen eine verfehlte Regierungspolitik fein säuberlich trennen von denen, die sich gegen den Staat überhaupt richten würden. Das sei dann nicht mehr hinzunehmen, erklären etwa Hessens Verfassungsschützer, Unversehens avanciert der Vertrauensverlust der Bürger in die politische Vernunft staatlichen Handelns zum Hochverrat. Beides, die Regierung und ihre Fehler, sollen nichts miteinander zu tun haben. Verlangt wird die Quadratur des Kreises.
Merkel wirkt nach
Nun verhält es sich aber so, gesunden Menschenverstand vorausgesetzt, dass die gegenwärtige Ballung der Gefahren – die Energie-, die Corona- sowie die Flüchtlingskrise, die Inflation sowie die drohende Verarmung breiter Schichten – zu einem Gutteil darauf zurückzuführen ist, dass sich Kanzler und Minister kaum noch um die Spielregeln der Demokratie scheren wollen. Statt per Gesetz wird per Verordnung regiert, Hals über Kopf. Unter Merkel wurde es Usus, bedenkenlos am Parlament vorbei zu herrschen. Gleich, ob es um die Abschaltung der Atomkraftwerke ging oder um die eigenmächtig verfügte Grenzöffnung 2015, Merkel führte das Land majestätisch von oben herab; und die Nächsten machen es ihr nach.
Wer also gegen die aktuellen Krisen und Bedrohungen seiner ganz privaten Existenz auf die Straße geht, demonstriert zwangsläufig immer auch gegen die bedrohte Demokratie. Wer das Übel bei der Wurzel packt, greift nolens volens einen Staat an, in dem sich die Parteien, regierende wie oppositionelle, rote, knallrote, grüne, schwarze und gelbe, die Demokratie en bloc unter die Nägel gerissen haben. Die aufgebrachten Demonstranten indessen sind nicht die Zerstörer, sondern die Kämpfer für eine Demokratie, die den Namen wieder verdienen würde. Sollte der „heiße Herbst“ kommen wie erwartet, würde er Kanzler, Minister und Verfassungsschützer kalt erwischen.