Stellen wir uns für einen Augenblick vor, ein Konzern würde im Rahmen einer Schulung spezielle Erziehungsvideos verfügbar machen, worin es heißt, sie sollten „versuchen“, „weniger schwarz zu sein“. – Ja, ja, es wäre ein Skandal, die Empörungsadern würden anschwellen, et cetera.
Dieser Tage verbreiteten sich die Bilder von Videos, die von den Angestellten eines bekannten Limonadenkonzerns verfügbar gemacht wurden. Die Betrachter lernen, sie sollten weniger weiß sein – und die Reaktion ist eher ein wenig überraschtes Aufstöhnen denn wirklich Empörung zu nennen.
Ein Whistleblower hatte Fotos hochgeladen, die wohl von Videos stammen, die Angestellte des Brauseverkäufers im Kontext einer Schulung zu sehen bekommen konnten (siehe hier), voll neumoralischer Kampfrhetorik.
Es geht um ein „Global-Training“-Programm namens „Better Together“ (ja, so sektenhaft klingt das wirklich), welches einen „inclusive workplace“ schaffen soll. Das Video ist aber laut Coca-Cola, wenn ich das richtig verstehe, nicht offizieller Teil dieses Lernprogramms, wenn auch im Rahmen dieses Programms verfügbar. (Ja, die Angelegenheit hat etwas von Magrittes „Ceci n’est pas une pipe“.)
Wesentliche Qualität
Die Inhalte jenes Videos strotzen vor typisch links-woker Widersprüchlichkeit. Man will Rassismus überwinden, indem man Weißen einredet, dass sie alle mit dem Gefühl der Überlegenheit aufwachsen, und die einzige Art, dies zu bekämpfen, sei es eben, „weniger weiß“ zu sein (siehe hier).
Es sei, hier kurz, die offensichtliche Absurdität dieser „Moral“ dokumentiert: Die linke „Wokeness“ ist eine von Konzernen vertriebene Fake-Moral. Globalisten ohne erkennbaren Skrupel verkaufen offenen Rassismus, Spaltung und die Bestätigung schwarzer und weißer Stereotype als „Inklusivität“ und/oder „Diversität“ (und dass es keinen Sinn ergibt, ist wesentliche Qualität, so wird „Wokeness“ von prüfbarer Realitätsanpassung zum Dogma, dem man unterworfen wird, zu dem man sich bekennen soll – und bei Strafe sozialer Ächtung und ökonomischer Nachteile bekennen muss).
Coca-Cola bekam das Aufstöhnen ob des rassistischen Anti-Rassismus-Videos mit. Man verteidigte sich, dass diese Inhalte zwar Teil der verwendeten Plattform seien, aber nicht Teil des offiziellen Programms. Im üblichen Konzern-Sprech wiegelte man ab (zitiert nach Derwesten): „Wir werden unseren Mitarbeitern weiterhin zuhören und unsere Lernprogramme entsprechend anpassen.“
Mittlerweile wurde der umstrittene Kurs übrigens offline genommen (siehe etwa hier), und Coca-Cola wehrt sich, so liest man, dass die umstrittenen Inhalte zwar empfohlen, aber nicht verpflichtend waren („although it had recommended the course to its staff, it was not compulsory for them to take it“).
Es ist auch bemerkenswert, wie selbstverständlich es wurde, dass Konzerne wie auch Staaten ihr Personal in weltanschaulichen Fragen drillen – dies ist fürwahr ein Zeitalter der Propaganda. Ich denke, es wird noch lange so bleiben – der Mensch ist einfach nicht für die Welt, die er sich selbst schuf, geeignet, und Umerziehung soll ihn zur Eignung reifen lassen.
In der Struktur der Inhalte klüger werden
Was jedoch jenen Konzern betrifft, im Rahmen dessen Schulung diese so sektiererischen wie rassistischen Anti-Rassismus-Botschaften bereitgestellt wurden, gilt doch weiterhin, was ich 2018 im Essay „Jetzt ist er halt da“ zu anderen „moralischen“ Äußerungen von Beauftragten jenes Konzerns schrieb: „Ob Coca-Cola generell die richtige Firma ist, um moralische Statements zu machen, können Sie nach einem Studium der Wikipedia-Seite 'Criticism of Coca-Cola' selbst entscheiden.“
„Woke“ Inhalte sind allein und an der Oberfläche meist kaum debattenwürdig (siehe auch „Wokeness“ bei Wikipedia) – wie soll man dem widersprechen, was in sich widersprüchlich ist und offen als „heiliger Widerspruch“ (siehe Talking Points) auftritt? Man kann aber (und sollte also, und sei es für einen Augenblick!) in die Inhalte hineinblicken und dann an ihrer Struktur klüger werden.
In tieferen Erdschichten
Ich zitiere, wie Sie als Leser gewiss wissen, gern die Bibel, auch um vor mir selbst die Verankerung dieser Texte in tieferen Erdschichten als nur meinem jeweiligen Bewusstseinszustand zu rechtfertigen.
Ich kenne zugleich manchen Vorwurf ans Christentum, und ein bestimmter Vorwurf scheint mir tief und bislang unwiderlegt zuzutreffen, und er lautet: „Christen reden den Menschen erst die Sünde ein, um ihnen dann die Erlösung von ebendieser zu verkaufen.“ – (Ja, ich weiß, liebe Widersprechende, dass Jesus nach christlicher Lehre zur Sühne gestorben ist – doch wird dies nicht erst dadurch notwendig, dass man überhaupt erst die Existenz der Schuld als gegeben ansieht?)
Die verschärfte Variante der christlichen Schuld-Last ist die katholische Lehre von der Erbschuld – und eben diese erinnert sehr an den Anti-Weißen-Rassismus angeblicher Anti-Rassisten.
„Ja, nicht einmal Begriffe“
Im Essay „Warum sind Linke so von Hautfarbe besessen?“ notierte ich: „Linke sprechen Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe negative Eigenschaften zu, ja sogar eine mythische Erbschuld, eine Ursünde, die durch den Pigmentgehalt der Haut festgelegt ist.“
Der Kult um die weiße Erbschuld ist selbstredend intellektuell lächerlich und in sich selbst gleich auf mehreren Ebenen widersprüchlich, beginnend mit der performativen. Um es mit dem bekannten Bonmot des brillanten Klonovsky zu sagen: „Wenn man sämtliche Schöpfungen des weißen Mannes von diesem Planeten entfernte, besäßen seine Ankläger weder Zeit noch Mittel, ja nicht einmal Begriffe, um ihn mit Vorwürfen zu überhäufen.“ („Allerlei“ vom 8.12.2020, kein Link, da aktuell nur zitiert und in Caches online.)
Wenn ich es wage, einer alten Weltreligion zu widersprechen, dann werde ich gewiss nicht zögern, dieser neuen, von Konzernen und gewissen globalen Akteuren geförderten Wokeness-Quasireligion zu widersprechen. Die alte Religion hat über das Einreden von Schuld hinaus ja einiges an Weisheit und Menschenkenntnis zu bieten – die neue Wokeness ist und bringt wenig mehr als Zwist und Bitterkeit (und innere Schwächung der Gesellschaft, was natürlich nützlich für Macht und Marketing der Konzerne ist).
Von keiner angeborenen
Nein, die Farbe meiner Haut ist keine „Schuld“. Nein, ich werde nicht versuchen, „weniger weiß“ zu sein – und gewiss werde ich nicht meinen Kindern solchen Erbschuld-Wahn einreden.
Konzerne und Kirchen, denen ich gefühlt weniger moralisches Standing zutraue als den Kleinunternehmern im Görlipark, wollen mir predigen, was meine Moral zu sein habe. – Sorry, nein.
Auf gewisse Weise ist meine eigene „Lehre“ eine „anti-woke“ Lehre (und Sie können manchen anderen Begriff konstruieren, wenn Sie zu „anti-“ ein vorgegebenes Moralsystem frei anfügen).
Ich beginne nicht bei der Schuld (und gewiss bei keiner angeborenen), nicht bei Sünde und nicht bei Sühne. Mein eigener Ansatz ist denkbar einfach: Gehe in dich und finde heraus, was deine relevanten Strukturen sind – und dann stärke diese, denn das ist es, was du auf (wirklich) lange Sicht als „gut“ empfinden wirst.
Dieser Beitrag erschien zuerst bei Dushan Wegner.
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.