In den Apriltagen des Jahres 1815 schaute Europa auf Napoleon, der aus der Verbannung auf die Insel Elba zurückgekehrt war und nochmals für 100 Tage herrschte. Bis Waterloo zu seiner endgültigen Niederlage wurde. Kurz zuvor war der Wiener Kongress zu Ende gegangen. Die Schweiz freute sich darüber, dass ihre Souveränität und ihre Grenzen anerkannt wurden.
Gleichzeitig rumpelte es auf der fernen Insel Subawa, nördlich von Java, im Vulkan Tambora immer bedrohlicher. Über 10.000 Kilometer von Europa entfernt schleuderte er im April mit einer gigantischen Explosion über 160 Kubikkilometer Lava, Asche und Staub in den Himmel.
Nach der Entleerung der Magmakammer stürzte der Gipfel des 4.300 Meter hohen Tambora ein. Durch den Ausbruch und die anschließende Flutwelle starben sofort über 12.000 Menschen. Der riesige Krater ist bis heute auch aus dem Weltraum zu erkennen. Es war der wohl größte Vulkanausbruch der jüngeren Geschichte.
Das Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755 hatte Schockwellen durch ganz Europa gesandt. Zusammen mit einem Großbrand und einem Tsunami starben in der fast vollständig zerstörten Stadt bis zu 100.000 Menschen. Das ließ viele daran zweifeln, ob wir wirklich in der besten aller Welten leben und alles gottgefällig eingerichtet ist. Im Gegensatz dazu interessierten die Meldungen über einen verheerenden Vulkanausbruch weit, weit weg in Europa niemanden.
Bis 1816 zum "Jahr ohne Sommer" wurde. Ein Elendsjahr, mit dem bitteren Spitznamen "Achtzehnhundertunderfroren". In Teilen der USA und Europas schneite es im Juli und August, es kam zu Nachtfrösten, Überschwemmungen. In der Schweiz schneite es in allen 12 Monaten des Jahres, im Juli sogar bis in tiefere Lagen. Das führte natürlich zu dramatischen Ernteverlusten. Die wiederum erst im Folgejahr zu drastisch steigenden Preisen für Nahrungsmittel führten und zu einer großen Hungersnot.
Die Schneise der Zerstörung
An den prächtigen Sonnenuntergängen, auch Jahrzehnte danach, die durch die weiterhin in der Atmosphäre schwebenden Ascheteilchen ausgelöst wurden, durfte man sich dann in der Biedermeierzeit erfreuen. Aber erst hundert Jahre später konnten Wissenschaftler einen direkten Zusammenhang zwischen diesem Jahr ohne Sommer und dem Vulkanausbruch herstellen.
Wie Schlafwandler stürzten zur Zeit dieser wissenschaftlichen Entdeckung die europäischen Regierungen in den Ersten Weltkrieg. Ein Zivilisationsbruch ohnegleichen, ein Ausbruch von Barbarei, wie es sie seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr gegeben hatte. Und gleichzeitig die Ursache für ein angeblich tausendjähriges Reich und den Zweiten Weltkrieg mit dem singulären Verbrechen eines Vernichtungsfeldzugs im Osten und der geradezu industriellen Ermordung von 6 Millionen Juden.
Wir erleben gerade unseren Tambora-Moment. Explodierende Geld-Vulkane haben billionenfach den Himmel über der Zukunft verdüstert. Wie beim Ausbruch des Tambora merken wir aber zurzeit noch nichts davon.
Die Schneise der Zerstörung, die das Abschalten von Wirtschaft und Gesellschaft in unsere Realität gefräst hat, ist noch nicht wirklich sichtbar. Denn im Gegensatz zu einem Vulkanausbruch deckt dieser Geldregen viele Auswirkungen des Lockdowns zu. Was an Wertschöpfung verlorengeht, wird durch Neugeld ersetzt.
Erst wenn die Geldvulkane erschöpft sind, ihre Magmakammern von flüssigem Ersatztreibstoff für die Wirtschaft leer, erst dann werden die Folgen zu spüren sein. Heutzutage lassen sich die mit mehr wissenschaftlichem Sachverstand vorhersagen und erklären, als das noch 1816 der Fall war.
Damals, wie auch beim Erdbeben von Lissabon, waren es Naturkatastrophen. Aktuell haben wir es mit einer menschengemachten Katastrophe zu tun. Das Ausknipsen der Wirtschaft war nicht alternativlos, es gibt zudem genügend Gründe für berechtigten Zweifel, ob das eine gute Idee war.
Die größte Wirtschaftskrise der Neuzeit
Aber wie bei einem Vulkan ist der Schaden bereits angerichtet, man kriegt das Magma nicht mehr in den Krater zurück, die Zahnpasta nicht mehr in die Tube, das Neugeld nicht mehr aus der Welt. Trotz allen Durchhalteparolen und dem üblichen Geschwätz, dass alles andere noch viel schlimmer gewesen wäre: Was auf uns zukommt, ist die größte Wirtschaftskrise der Neuzeit.
Zunächst machte es mal wieder spätestens Mitte März hörbar plop. Das war das Geräusch, als wieder alle Prognosen, Vorhersagen, wissenschaftliche Zukunftsanalysen, basierend auf hochbezahltem Sachverstand und immenser Computerpower, in die Tonne getreten wurden. Denn auf einen Schlag war das alles obsolet geworden. Schrott. Es war mal wieder etwas Unvorhergesehenes passiert.
Nur einige Crash-Dummys versuchen seither, sich mit fortgesetzt dummem Geschwätz ihr Scheibchen Aufmerksamkeit abzuschneiden. Wenn sie etwas Schwein haben, veröffentlichten sie im letzten Jahr oder vor ein paar Monaten mal wieder ein Werk, in dem sie, mit welchen Begründungen auch immer, ausführten, dass der Crash, der Giga-Crash, der Über-Crash, der Fast-Weltuntergang-Crash nun aber wirklich bevorstehe.
Und obwohl sie dunkel dräuend auf dieses und jenes verwiesen hatten, um den nun wirklich Fatal-Mega-Gewaltscrash zu prophezeien, kamen sie nicht auf die Idee, dass ein klitzekleines Virus solch dramatische und riesige Folgen haben könnte. Die Geschickteren der Crash-Dummys tun nun so, als sei die aktuelle Krise genau die von ihnen vorhergesagte. Das ist genauso hirnrissig, wie wenn jemand den Absturz eines Flugzeugs wegen einer Fehlkonstruktion der Tragfläche vorhersagt. Dann stürzt es wegen eines Pilotenfehlers ab, und der Seher meint: Genau, sagte ich doch, Absturz ist Absturz.
Die Rezession wird in Europa Verheerungen anrichten, in den USA, in vielen Schwellenländern wie Brasilien oder Iran. Auch die Schweiz kann da nicht länger die Insel der Seligen bleiben, die die Handelsbeziehungen mit China ankurbelt und so dem allgemeinen Strudel, der Pleitewelle, dem Hochschießen der Arbeitslosenzahlen entgeht.
Wenn es in der deutschen Politik Führungsqualitäten gäbe
Krisen sind Chancen, heißt es so schön. Winston Churchill soll gesagt haben: "Never waste a good crisis." Damit meinte er, dass eine Krise nicht nur die Bewährungsprobe für Führungsqualitäten ist, sondern auch lehrreich sein kann und zudem Gelegenheit bietet, einige Dinge aufzuräumen, die in krisenlosen Zeiten nicht so leicht erledigt werden könnten.
Zum Beispiel, endlich das Trauerspiel um den Euro zu beenden. Italien mit den besten Wünschen aus dem Korsett dieser Fehlkonstruktion entlassen, die Target-2-Schulden ausbuchen, und entweder mit der DM oder in einem kleinen Verbund ähnlich gestrickter Staaten, was Fiskal- und Schuldenpolitik betrifft, weitermachen. Natürlich wäre das auch der Moment, das Trauerspiel um Griechenland zu beenden; den gebeutelten Griechen die Möglichkeit zu geben, mit einem Staatsbankrott und anschließendem Neustart aus der Schuldenfalle zu entkommen, in die das Land aus eigener Unfähigkeit und wegen des Euros geraten ist.
Auch das Thema der impliziten Staatsschulden, also der nicht gedeckten Sozialversprechungen wie Rente oder Pflegeleistungen, könnte angegangen werden. Indem man den Rentnern und den Rentenanwärtern endlich reinen Wein einschenkt und sagt: Aus demographischen und vielen anderen Gründen ist die Rente keineswegs sicher, sondern muss sicher dramatisch gekürzt werden. All das könnte man angehen, wenn es in der deutschen Politik so etwas wie Führungsqualitäten gäbe.
Stattdessen gibt es Verwalter, Technokraten der Macht, umfrageabhängige Opportunisten, Umfaller mit den ewig gleichen Sprechblasen: „ich habe schon immer gesagt“, „wir müssen alles Nötige tun“, „ich war einer der Ersten“, „ich fordere hier und heute“, „die Bürger draußen im Lande“, „wir müssen besser zuhören und uns mehr erklären“.
Daher stehen wir zurzeit orientierungslos am Kraterrand. Wer nicht die Augen verschließt und hineinschaut, den fröstelt es.