Steinmeier spielt Karl den Großen

Ganz in der Art früherer Kaiser und Könige reist Präsident Steinmeier durch das Land und hält Hof. Die erste Station war Altenburg in Thüringen. Die Begeisterung der Bürger hielt sich in Grenzen.

Die Staatsoberhäupter des Mittelalters, Könige und Kaiser, waren ständig auf Achse. Jahr um Jahr, Monat um Monat reisten sie durch ihre Lande, um im Reich nach dem Rechten zu sehen. Die Historiker sprachen später vom „Reisekönigtum“. Eine Hauptstadt, wie wir sie heute kennen, gab es noch nicht, keine Residenz, von der aus das Land bis in den letzten Winkel beherrscht worden wäre. Die Majestäten mussten sich persönlich zeigen, dem Volk nahekommen, um das Vertrauen in die Macht zu stärken, das eigene und das der Untertanen draußen auf dem Land sowie in den Städten.

Über das Herrschaftsgebiet verteilt existierten „Pfalzen", meist größere Gutshöfe, bisweilen auch Klöster mit repräsentativen Räumen. Sie waren die wechselnden Amtssitze, an denen für Wochen und Monate regiert und Recht gesprochen wurde. Auch die Fürsten hatten vor dem provisorisch aufgeschlagenen Königs- oder Kaiserstuhl zu erscheinen. Die Gesellschaft befand sich in ständiger Bewegung.

Die eigentlichen Throne waren die derben Sättel der Pferde oder die harten Bänke nicht gefederter Kutschen. Auf ihnen verbrachten die Herrscher den Großteil ihrer Zeit. So behielten sie das Ganze unter Kontrolle. Noch als Karl der Große Ende des 8. Jahrhunderts Aachen zu seiner Hauptresidenz ausbauen ließ, war der Stuhl des Regenten ein schlichtes Möbel, zusammengesetzt aus gebrauchten Marmorplatten und leicht zerlegbar für die Reise. Bis heute zu besichtigen im Dom zu Aachen. 

Projekt Ortszeit Deutschland

Auch unser derzeitiges Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier mag ihn dort schon gesehen haben, vielleicht bei einer Klassenfahrt während der Schulzeit. Ob ihn die alte Geschichte allerdings auch zu seinem neuen Projekt „Ortszeit Deutschland“ inspirierte, scheint weniger wahrscheinlich. Gibt es doch bisher keine Anzeichen dafür, dass er sich mit der länger zurückliegenden Vergangenheit sonderlich auskennen würde. 

Steinmeier ist ganz und gar ein Mann der Gegenwart. Er sagt und tut, was gerade opportun ist, manchmal auch praktisch geboten. Die Ankündigung, seinen „Amtssitz“ in den nächsten Monaten an wechselnde Orte des Landes zu verlagern, ist der Not geschuldet, genauer dem Umstand, dass Handwerker in das Berliner Schloss Bellevue einziehen. Es gilt, den eigentlichen Sitz des Bundespräsidenten technisch auf Vordermann zu bringen. Und wer residiert schon gern auf einer Baustelle.

Da sich aber kein angemessenes Ausweichquartier fand, kam der BP auf eine Idee, von der er hoffte, sie möge zünden. Um Lärm und Schmutz zu entgehen, verbindet er die Flucht in die Weiten der Provinz mit dem populistisch Wirksamen. Reisend möchte er für einige Monate präsidieren, ein paar Tage von da und dann wieder von einem anderen Krähwinkel her. Er wolle, heißt es, der Gesellschaft „den Puls fühlen“. Zuerst tat er das im thüringischen Altenburg. Die Begeisterung der Bürger hielt sich jedoch in Grenzen. Als „die Staatskarosse“ auf dem Marktplatz hielt, habe „eine kleine Menschenmenge“ gewartet, „vielleicht 30, 40 Leute“. 

Das Bad in der Menge findet nicht statt

Nicht viel anders wurde es in den drei Tagen, die seine Exzellenz blieb. Wo immer er hinkam, wartete ein ausgesuchtes Publikum auf den ersten Mann im Staate. Und der wiederum freute sich „über den freundlichen Empfang“, den er „in dieser Stadt genieße“. Wie er daneben die Amtsgeschäfte verrichtete, wie es gelungen sein mag, die technischen Voraussetzungen dafür in aller Eile zu schaffen, bleibt ein Geheimnis seines Stabs.

Wie, fragt man sich, sollte er etwa ausländische Oberhäupter in den räumlich beengten Verhältnissen deutscher Kleinstädte angemessen begrüßen? Oder sollte es gar weniger um das Amt, als vielmehr um den persönlichen Auftritt gehen, um das Bad in der Menge, die dann wie in Altenburg unverhofft ausbleibt? Immerhin sind wir jetzt unterrichtet, dass sich der Bundespräsident „freute“. Auf das Ergebnis der Pulsdiagnose des Volkes müssen wir noch warten. 

Bisher hieß es nur, es sei Frank-Walter Steinmeier und seiner Frau gelungen, „ein Schlaglicht auf die oft vergessene Provinz“ zu werfen, zumal „auf die ostdeutsche, die sich müht, lebenswert zu bleiben in Zeiten des Umbruchs“: Der Präsident habe „ein Thema gesetzt für die nächsten fünf Jahre“. Im Klartext, er wird weiter durchs Land tingeln, sich auf die Socken machen, um für sich und für die Politik zu werben.

Beim Ausstieg bella figura 

Warum nicht? Ob es ihm gelingt, bei diesen durchorganisierten Pauschalreisen das Vertrauen des Volkes in die Politik zurückzugewinnen? Fürs Erste jedenfalls ist ihm das noch nicht geglückt. Das Interesse der Bürger entsprach nicht dem, womit die Staatsoberhäupter in grauer Vorzeit empfangen wurden. Eher schon dem Stand eines „Aktenkofferträgers“, in den ihn sein früherer Chef Gerhard Schröder einstmals in Hannover erhob. 

Als solcher, als Handlungsreisender der Regierung, geht Steinmeier Klinken putzen. Zwar fährt er in der Staatskarosse vor, auch macht er beim Ausstieg noch bella figura. Nur hatte er den Leuten dann wenig zu sagen. Sie sind ihm so fremd wie er ihnen. Sein Musterkoffer ist leer, nichts Brauchbares drin für die Bürger. Stattdessen viel vorgetäuschtes Interesse und wohltemperiertes Gesäusel. Das alles zelebriert mit einer perfekt gespielten Bescheidenheit, die das Volk in dem Glauben wiegen möchte, der Reisepräsident sei einer von ihnen, der Repräsentant eines fürsorglich agierenden Staates. Die Parteien und die Regierung sind zufrieden, die Bürger indessen mögen sich fragen, was der Aufzug der Wandertruppe soll – Staatstheater im wahrsten Sinne des Wortes.

Der Reisepräsident wird nicht zum Kumpel, nur weil er sich als ungebetener Gast an fremden Tischen niederlässt. Dass die Medien davon kaum Notiz nehmen, darf er als Gnadenerweis verbuchen. Denn worüber sonst als über peinliche Auftritte könnten sie berichten? Zu den Höhepunkten des Besuchs in Altenburg zählte die Begegnung mit dem Organisator des „Skat“-Marathons, der danach erklärte: „Ich muss mal sagen, ich hab mich ja bis vor einer halben Stunde für einen coolen Hund gehalten, aber jetzt so dazusitzen, sogar neben dem Bundespräsidenten, das lässt mein Herz doch ein bissel höher schlagen.“ 

Außer Spesen nichts gewesen

Wohl mag Steinmeier bisweilen zu Tränen rühren. Doch Respekt einzuflößen, das ist ihm nicht gegeben. Während die Potentaten verflossener Epochen unterwegs sein mussten, um zu herrschen, geht er auf Promotion-Tour in eigener Sache. Die Kosten tragen die Steuerzahler, die nichts mit ihm im Sinn haben, zumal er ohnehin nichts zu melden hat. Präsidenten sind nun mal weder Könige noch Kaiser, wie immer sie sich gebärden mögen, obwohl sie den Bürgern nicht weniger auf der Tasche liegen als vormals die Majestäten. Versuchen sie, in deren Fußstapfen zu treten, stehen sie einsam auf leeren Plätzen.

Sich dieser Peinlichkeit nicht bewusst zu werden, verlangt die Eitelkeit eines Narzissten, der zufrieden ist, wenn er sich selbst gefällt. Steinmeier hat es darin zu einiger Meisterschaft gebracht. „Er möchte“, teilte sein Büro mit, „erfahren, was den Menschen Mut und Hoffnung macht und was sie skeptisch gegenüber unserer Demokratie und ihren Institutionen werden lässt“. Das muss man zweimal lesen, um die Peinlichkeit zu verstehen. Heißt es doch nicht mehr und nicht weniger, als dass der Bundespräsident sich von einem Volk aushalten lässt, das er nicht kennt. Dass er damit auf Augenhöhe der gegenwärtigen Regierung ist, ändert nichts am fatalen Befund der Überforderung. 

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Leserpost

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Florian Bode / 30.03.2022

Hätte es noch eines Beweises bedurft, das kein BP besser wäre als Schrankverwalter Steinmeier, hier ist er.

Stanley Milgram / 30.03.2022

p.s.: Es gibt Menschen, die sind genau so wie sie aussehen… wie damals halt

giesemann gerhard / 30.03.2022

Wer will die dröge Bundeseule schon sehen? Er hat nichts zu sagen und er sagt auch nichts.

Steffen Schwarz / 30.03.2022

Altenburg Thüringen und 25 Prozent rechtsextreme Wähler. Und die Seuche hat er sich auch eingefangen . Walter bleib im Slum Berlin.Dich braucht und vermisst Dich keiner.

Stanley Milgram / 30.03.2022

Rihanna - Rehab. Gute alte Zeiten… im Pussy-Cat in Frankfurt. Den Hubi von Jehovannes Rau gestürmt. Mit dem Bundesgrenzschutz Stress gehabt, weil der Hubi irgendwie Angst vor meiner Dose Bier hatte. Hätte auch eine Handgranate sein können. Thug Life. Wie alle Politiker-Darsteller… was denken die? Nach dem Tod ist Ende? Nee, Leuts, dann fängt es erst richtig an…

Kurt Engel / 30.03.2022

FWS, Derherrgottseibeiuns, ist nicht mein Präsident. Ausgekungelt und parteiisch, an Rau und schon gar nicht an Heinemann wird er nie ranreichen. „Die Grundlage der Demokratie ist die Volkssouveränität und nicht die Herrschaftsgewalt eines obrigkeitlichen Staates. Nicht der Bürger steht im Gehorsamverhältnis zur Regierung, sondern die Regierung ist dem Bürger im Rahmen der Gesetze verantwortlich für ihr Handeln. Der Bürger hat das Recht und die Pflicht, die Regierung zur Ordnung zu rufen, wenn er glaubt, das sie demokratische Rechte missachtet.“ – Dr. Gustav Heinemann -(Bundespräsident 1969-1974)

Eberhardt Feldhahn / 30.03.2022

Wahrscheinlich bauen sie gerade das Schloss Bellevue in eine Festung um. Die Heinis wissen schon, was da auf sie zurollt.

Detlef Spitzbart / 30.03.2022

Meine erste - und einzige - Begegnung mit mit einem deutschen Bundespräsidenten war die mit Gustav Heinemann im Ruderclub Rastatt, wann weiß ich nicht mehr so genau. Er hatte zuvor sein Lieblingsmuseum, das der 1848er Revolution im Schloss besucht. Anschließend kam er zu uns zum Rudern. Er stieg aus seinem schwarzen Mercedes, einem Modell, wie es auch jeder Hausarzt zu jener Zeit hatte, allerdings mit Fahrer, schon fertig umgezogen in einem dunkelblauen, billig wirkenden Trainingsanzug. Wir Jungs schauten zu. Die Schnaken waren sehr lästig. Ein Zweier war für ihn vorbereitet, in den er einstieg und losruderte. Wir sahen den Herrn Heinemann - und sahen nicht nur ihn, sondern ein, jedenfalls für mich, unvergessliches Bild unseres Staates. Warum ich das erzähle? Es ist ja gar nicht schlecht, wenn ein Bundespräsident in die Provinz fährt! Vielleicht fehlt dem Herrn Steinmeier ein ganz entscheidendes Format, das Heinemann nicht nur hatte, sondern bei dieser Gelegenheit wie auch sonst oft verkörperte: das Format zur Bescheidenheit.

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