Susanne Baumstark / 10.02.2019 / 12:00 / Foto: Lukeroberts / 30 / Seite ausdrucken

Schichten des Irrsinns

Beizeiten zur Wiedervorlage für künftige Geschichtsschreiber: Das Gedicht „Avenidas“ von Eugen Gomringer ist seit Dezember auf der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule „überschrieben“. Nach monatelangen bescheuerten Debatten über absurde Vorwürfe von „Sexismus“ und „patriarchaler Kunsttradition“ seitens irrlichternder Gestalten habe man aber mit Hilfe von „politisierter Konzeptkunst“ nicht Schluss gemacht mit dem alten Gedicht, sondern nur eine neue Schicht gebildet: „Aus dem Gedicht davor ist ein Gedicht dahinter geworden“ – „Es ist also gar nicht richtig ausgelöscht. Nur ein bisschen“, schlussfolgert die FAZ:

„Ärgerlich ist daran aber vor allem die nervtötende Angst vor Eindeutigkeit. Noch dazu wird aus der Scheu, Kante zu zeigen, eine vermeintlich künstlerische Tugend gemacht, die den uneingestandenen Irrtum institutionalisiert: Alle fünf Jahre soll das ‚Palimpsest‘ ... erneuert werden. Das passt in die verquere Diskussion, in der die Freude an der Schönheit des Lebens mit Sexismus verwechselt und ein groteskes Missverstehen von Poesie für Emanzipation gehalten wird.“ 

„31.575 Euro und 59 Cent hat die Alice Salomon Hochschule dafür bezahlt“, so Tagesspiegel: „Eine Fassadensanierung sei aufgrund von Rissen im Putz ohnehin notwendig gewesen.“ Ein Leserkommentar dazu: „Ich dachte, die Fassade sei für 31.575 Taler saniert worden. Wie können dann noch alte Buchstaben durchscheinen? Hat man um diese Buchstaben drum herum saniert?“ Wie auch immer, der neue Text der Lyrikerin Barbara Köhler auf der Hochschulfassade lautet nun (in Großbuchstaben): „Sie bewundern sie/bezweifeln sie entscheiden:/sie wird oder werden gross/oder klein geschrieben so/stehen sie vor ihnen/in ihrer Sprache/wünschen sie ihnen/bon dia good luck.“ Das ist jetzt Dichtkunst, an der niemand mehr Anstoß finden kann. Und hier nochmal das Gedicht von Eugen Gomringer: „Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen und / ein Bewunderer.“

Paranoide Aktivistinnen

Gomringer (94), der gerade sein Archiv der Schweizerischen Nationalbibliothek übergeben hat, konnte die ganze Debatte nicht verstehen, wie er bei einer Diskussion im Berliner Max-Liebermann-Haus im März letzten Jahres sagte. Der in Deutschland lebende bolivianisch-schweizerische Dichter saß die meiste Zeit über „in fassungslosem Schweigen“ der Prorektorin der Hochschule sowie der Vorsitzenden des Asta unter dem Pseudonym „Frau Roth“ (!) gegenüber, wie die Süddeutsche berichtete: „‘Parolen sind zu vermeiden, das ist der Rahmen, den das Grundgesetz vorgibt oder so.‘ Gomringers Gedicht interpretierte ‚Frau Roth‘ aus ‚sozialarbeiterischer Perspektive‘ und fand folgerichtig in ihm einen versteckten Sexismus, vornehmlich in der Gestalt des im Schlussvers auftretenden ‚Admirador‘. Außerdem sei Avenidas voller Akkusative, welche Frauen und Blumen zu Objekten machten. In Wahrheit handelt es sich um reine Nominative, aber was bedeutet das schon, wenn man sich einmal auf eine diskriminierende Lesart festgelegt hat.“ 

Für „süddeutsche“ Angewohnheiten zur Abwechslung mal nicht schlecht, diese Beobachtungen; bis auf die vermutete Folgerichtigkeit der sozialarbeiterischen Perspektive. Folgerichtig wäre gewesen, den paranoiden Aktivistinnen, die sich wie einst die traditionell hemmungslosen Nazis (Sebastian Haffner) anschicken das Kulturleben zu überwachen, therapeutische Hilfe anzuempfehlen. Tatsächlich ist die Grenze zum Fanatismus bereits erreicht, wie ein Farbanschlag auf eine Hausfassade in Bielefeld zeigt, wo „Avenidas“ seit einiger Zeit aufgemalt ist. Die zuvor erwähnte FAZ titelte den Beitrag: „Ende der Debatte?“ Davon ist hoffentlich nicht auszugehen. Es stünde dringend an zu erörtern, wie es soweit kommen konnte, dass sich eine Hochschulleitung von halbgebildeten Spinnerinnen in solche Untiefen treiben lässt.  

Dieser Beitrag erscheiint auch auf Susanne Baumstarks „Luftwurzel"

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Leserpost

netiquette:

Andreas Rochow / 10.02.2019

Apropos AStA: Man darf und muss am Fall des “Avenidas”-Zickenkrieges grundsätzliche Zweifel anmelden, inwieweit AStA-Wirken überhaupt noch bewahren und wahre Studenten- und Studentinnen-Interessen vertreten will. Allerorten lassen sie sich von linken Studienstiftungen instrumentalisieren und oftmals sach- und fachfremde Kampagnen in den Vordergrund zu Stellen. Eine Schande, dass sich Hochschulleitungen en masse von diesem pubertär-linkspolitischen Gehabe der Sudierenden führen und in die Enge treiben lassen. Die destruktiven Effekte der AStA-Arbeit sind überall sichtbar. Das sollte man ihm nicht durchgehen lassen, aber es gibt Studierende, Professoren und Dozenten, die sich vor AStA-Denunziation fürchten. Gibt es da gar keine Gegenkraft oder eine Art innere Revision?

Volker Kleinophorst / 10.02.2019

@ Daniel Gildenhorn. Und welchem der unzähligen Geschlechter bot die Schlange den Apfel an?

Andreas Rochow / 10.02.2019

Persönlich habe ich nach reiflicher Beschäftigung mit den überdrehten Politkünstlerinnen der Alice-Salomon-Hochschule umgedacht. Lyrik ist etwas für Verstand und Herz. Sie entfaltet ihre emotionale Kraft am besten in der konzentrierten, intimen Stille. Es war eine Schnapsidee, dieses Gedicht dem Jauchestrom der politisch korrekten Propaganda auszusetzen. Linke PC-Politik ist nie in der Lage, Schönes zu befördern; sie erträgt (und versteht) es ja nicht einmal! Die jetzt als “Projektidee” verkaufte Schichtung macht die Sache nicht besser. Statt sich von ihrem Fehler zu distanzieren, versuchen die Künstlerinnen, sich vom Vorwurf der Zensur und des Kannibalismus freizusprechen. Erbärmlich!

Nina Herten / 10.02.2019

‘Kunst’ ist seit kurzem auch, Fassaden mit Farbbeuteln ‘zu verschönern’ (nur ein Beispiel von vielen der ‘künstlerischen Aktivitäten von Aktivisten’). Und ‘Dichtkunst’ ist wohl eher, umgehend dafür Sorge zu tragen, dass ‘Undichtes dicht gemacht wird’. (Deutlicher will ich nicht werden - wäre sonst massiver Verstoß gegen die ‘Netiquette’)

Mark Brenner / 10.02.2019

“Sie bewundern sie/bezweifeln sie entscheiden…” - Keine Überraschung, dass in diesem Text kein Bewunderer mehr vorkommt! “Men going their own way” erscheint da als immer verlockendere Möglichkeit, seinen Verstand und seinen Seelenfrieden zu behalten…

Zdenek WAGNER / 10.02.2019

Da frage ich mich doch ernsthaft, wie diese ganzen “Aktivistinnen / Feministinnen” (für mich mittlerweile zu Synonymen für Geisteskrankheit mutiert - leider ...) eigentlich zu Welt gekommen sind? War da kein Geschlechtsakt im Spiel? Begehrte ihr Vater nicht die Mutter, mit ihren weiblichen Reizen? Vielleicht geht es uns allen tatsächlich zu gut, zu wohlgenährt, zu lange ohne Katastrophen und ohne einen Krieg, kein Selbsterhaltungstrieb mehr ... ? Wir haben dem Testosteron geschmierten Islam NICHTS entgegenzusetzen. Absolut NICHTS! Außer geschlechtslosem Geschwafel und Unisex-Toiletten. Was soll nur werden?

herbert binder / 10.02.2019

Ein Gedicht, in das ich eintauchen kann. Immer wieder. Es erschließt sich mir nicht. Ein ungeheures Gedicht.

Leo Hohensee / 10.02.2019

Meine Güte, was für ein Affentheater! Da hat die Hochschulverwaltung ja noch einmal Glück gehabt, dass “die Fassade ja sowieso renovierungsbedürftig war”! Ansonsten würde ich die Verantwortlichen der Geldverschwendung beschuldigen. Zum Gedicht (?): sicher bin ich zu blöd? Müssen da nicht irgendwo Kommas hin? Und - muss man sich eine Aussage des Gedichtes erträumen oder gibt es in dem Elaborat eine solche only for insider?

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