Claudio Casula / 19.07.2018 / 16:30 / Foto: Pixabay / 15 / Seite ausdrucken

Post vom Intendanten

Liebe Mitarbeiter*innen,

wir leben in bewegten Zeiten! Die Wehrpflicht ist abgeschafft, die Bundeswehr faktisch abgerüstet, der Ausstieg aus der Atomenergie in vollem Gange, Millionen Zuwanderer verändern das Land für immer – und wir retten die Welt! Lassen Sie es mich so sagen: Die Träume unserer Jugend werden gerade verwirklicht!

Da zetert der Stammtisch natürlich, und so ist uns mit den Rechtspopulisten eine ernsthafte Bedrohung erwachsen, deren Anfängen wir wehren müssen. Erlauben Sie mir, vor dem Hintergrund des drohenden Rechtsrucks einige Anmerkungen zu unserer vorbildlichen journalistischen Arbeit zu machen.

Zunächst weise ich den Vorwurf der zu großen Nähe zu den Regierenden entschieden zurück! Schließlich kritisieren wir auch die Regierung selbst – nehmen Sie nur als Beispiel den unsäglichen Innenminister Seehofer. Und wir geben der Opposition ausreichend Raum, ihre Positionen darzustellen. In der 20.00 Uhr-Tagesschau etwa kommen hauptsächlich Grüne und Linke zu Wort, und, weil es ja leider sein muss, hin und wieder auch FDP- und AfD-Politiker. Können wir etwa was dafür, wenn die Grünen die Kanzlerin mehr zu schätzen wissen als ihre eigene Partei?

Ich begrüße deshalb ausdrücklich die Zusammensetzung der Runden in den politischen Talkshows. Die Regel, dass vier Vertreter*innen mit vernünftigen Ansichten die Moderator*innen im Kampf gegen Rechts unterstützen und maximal einer dieser unappetitlichen Gesellen eingeladen und vom stets exzellent – nämlich auf dem Evangelischen Kirchentag, bei Ostermärschen und auf wagenknechtklatschhasen.de – ausgesuchten Publikum ignoriert wird, hat sich bewährt.

Wenn wir mal einen von denen einladen, dann bitte möglichst keinen gewieften Scharfmacher wie diesen Curio, sondern den mit der Hundekrawatte – der verplappert sich noch am ehesten. Apropos: „Regierung jagen“ – das kann der alte Sack doch nur wörtlich meinen! Vorbildlich übrigens, wie diese unfassbare Aussage, ebenso wie das Boateng-Zitat, noch Monate später auch einer Alice Weidel aufs Butterbrot geschmiert wurde. Wir kommen hier unserem KampfInformationsauftrag in herausragender Weise nach!

Dennoch: Mitunter wird behauptet, dass wir die negativen Folgen der Flüchtlingswelle ignoriert hätten. Das ist, gelinde gesagt, eine Unverschämtheit! Wie oft haben wir vor dem Erstarken des rechten Lagers gewarnt?

Wichtig: Einzelfälle einordnen!

Wir sollten dieser Linie treu bleiben. Natürlich nehmen wir keine Direktiven von den Regierenden an – wir verstehen uns auch so! In diesem Sinne haben wir Nachrichten, die geeignet sind, Vorurteile gegen Minderheiten zu schüren, mit der gebotenen Vorsicht zu behandeln. Dies ist vermintes Gelände, liebe Genossinnen und Genossen! Sollten einige der Neubürger mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ist darauf zu achten, diese Fälle nicht an die große Glocke zu hängen (Stichwort: regionale Bedeutung!).

Sollte es sich gar nicht vermeiden lassen, bleiben wir bei den Einzelfällen. Sollten sich die Einzelfälle gar zu sehr häufen und die Populisten aus ihren Löchern treiben, fokussieren wir auf die Reaktion auf den Vorfall. Wir warnen dann davor, solche bedauerlichen Ereignisse zynisch zu instrumentalisieren und pauschal gegen gewisse Gruppen zu hetzen, auch wenn das nicht unbedingt der Fall sein sollte. Noch nicht, jedenfalls! Lieber einmal mehr vor den braunen Rattenfängern warnen!

Ein ganz heißes Eisen: Kriminalitätsstatistiken. Hier gilt es, „einzuordnen“, wie das der Kollege Claus Kleber so pfiffig zu nennen pflegt. Um es deutlich zu sagen: Wir frisieren die Statistiken nicht, wir gehen verantwortungsvoll mit ihnen um. Hilft es denn den Leuten, wenn sie wissen, wie viele Raubüberfälle, Vergewaltigungen, Körperverletzungen und Morde genau es gegeben hat? Oder sorgen wir nicht besser für Ruhe als erste Bürgerpflicht, wenn wir darauf hinweisen, dass die Zahl der Straftaten insgesamt gesunken ist? Weniger Einbrüche, weil die Leute für viel Geld ihre Wohnungen verbarrikadieren, weniger Urkundenfälschungen, weniger Fahrradpumpendiebstähle – unterm Strich zählt die Gesamtbilanz! Hier wurde bisher tadellose Arbeit geleistet, liebe Genossinnen und Genossen.

Auch der Unterhaltungssektor wird an dieser Stelle seiner unterstützenden Rolle gerecht. Pauschale Kritik an den jeweils Regierenden, wie sie das Kabarett früherer Zeiten recht eindimensional vorbrachte, gehört zu Recht der Vergangenheit an – heute gehört auf die Opposition eingedroschen, jedenfalls wenn es sich um die rechte Brut handelt. An dieser Stelle sei der Genosse Oliver Welke, stellvertretend für alle rechtschaffenen Comedians und Kabarettist*innen, ausdrücklich lobend erwähnt. Schließlich gilt es, insbesondere Themen, die sich zur Persiflage geradezu aufdrängen (x-Mehrfachidentitäten zwecks Abkassierens, Einreise auch für Migranten mit Einreisesperre et cetera), links bzw. rechts liegen lassen – alles andere wäre zu billig.

Vorsicht, Fallstricke!

Was wir allerdings vermeiden sollten: gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Beispielhaft sei hier der Fall des Politikwissenschaftlers Yascha Mounk erwähnt, der im Zusammenhang mit der Migration etwas zu freimütig von einem „historisch einzigartigen Experiment“ sprach, nämlich „eine monoethnische und monokulturelle Demokratie in eine multiethnische zu verwandeln“, was bei einigen Zuschauer*innen offenbar Irritationen auslöste. Zum Glück hat die Kollegin Caren Miosga hier sehr klug und umsichtig reagiert, indem sie nicht weiter auf diese heikle Formulierung einging.

Auch ein „Tagesthemen“-Kommentar des Kollegen Kai Gniffke sorgte kurzzeitig für Verstimmung. Natürlich waren wir alle froh und erleichtert, als die Meldung vom bevorstehenden Rücktritt Horst Seehofers die Runde machte, liebe Genossinnen und Genossen, doch wäre hier ein wenig Geduld angebracht gewesen, wenigstens bis zur offiziellen Bestätigung der Demission. Das müssen wir auch ganz selbstkritisch einmal sagen! Wir haben ja auch Geduld, wenn die Hamas mittels Ballons Brandsätze auf israelischen Feldern niedergehen lässt. Wochenlang, monatelang – bis der Hardliner Netanyahu reagiert und wir das Thema endlich bringen können.

Noch ein Wort zur Wortwahl: Mitunter wird von den Rechtspopulisten gefordert, wir sollten zwischen politisch Verfolgten, Kriegsflüchtlingen, Wirtschaftsmigranten und so weiter unterscheiden. Das könnte denen so passen! Auf dieses vergiftete Argument lassen wir uns so lange nicht ein, wie es nur irgend möglich ist. Flüchtlinge sind Flüchtlinge! Auch ein Anis Amri war einer – spätestens nach dem Vorfall auf dem Berliner Weihnachtsmarkt. Unsere ureigenste Aufgabe als Journalisten ist es doch, wie Hasnain Kazim vom SPIEGEL es kürzlich bei Twitter ausdrückte, „für sprachliche Präzision, und, ja Korrektheit zu sorgen“.

Keine unnötigen Differenzierungen also! Wer sich vorgeblich gegen das Schleppertum im Mittelmeer ausspricht, will, dass die Flüchtlinge ersaufen! Wer das Idealbild der Familie hochhält, ist homophob! Wer nicht für die unkontrollierte Masseneinwanderung ist, ist ein Fremdenhasser! Wer auf die Einhaltung der geltenden Gesetze pocht, ist ein Paragraphenreiter, dem es an Menschlichkeit fehlt! Und wer Renate Künast nicht sexy findet, ist ein Frauenfeind!

Bleiben wir in unserer täglichen, nicht immer leichten und unzureichend entlohnten Arbeit trotz allen Anfeindungen weiter sachlich und professionell!

Ich danke Ihnen allen für Ihre hervorragende Arbeit und hoffe, sehr bald einem oder einer von Ihnen den Karl-Eduard-von-Schnitzler-Preis für herausragenden und vor allem unabhängigen Journalismus überreichen zu dürfen.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Sigi Rieger / 19.07.2018

Mir ist gar nicht mehr zum Lachen. Wenn man das Gebahren mal am Stück zusammengefasst sieht…. Pfui Deifl!

Dirk Jungnickel / 19.07.2018

Was den Unterhaltungssektor betrifft, so würde ich gern einen Einschub anbringen. Nämlich diesen: “Auch der Kabarettist, Sachsenverteidiger und Wähler der Linken names Uwe Steimle kommt bei uns zu Wort, auch wenn er die “Erklärung 2018 ” unterschrieben, aber - ohne unser Zutun ! - seine Unterschrift wieder zurückgezogen hat.  Leider erschien er neulich auf der Titelseite dieser sogenannten “Jungen Freiheit” . Er gab diesem Zentralblatt der Ewiggestrigen, die sich konservativ nennen, ein Interview. In der Hoffnung, dass er dort seinen gut verquirlten Unsinn subversiv verbreitet hat um der JF zu schaden, sehen wir uns weiter in der Lage,  diesem begnadeten Mimen eine Plattform für seine politischen und philosophischen Ansichten zu bieten.”

Werner Geiselhart / 19.07.2018

Mit einem Wort: Genial! Unter Verwendung der Worthülsen der politisch korrekten Mediensprache wird hier die ganze ÖR-Meinungsmacherindustrie sowas von bloßgestellt, dass es sozusagen eine Freude ist. Danke.

Fritz Kolb / 19.07.2018

Das ist doch Satire, Herr Casula, oder etwa nicht? Bitte stellen Sie das klar, denn wenn der Herr Intendant den Brief tatsächlich so verfasst hat, dann wundert mich beim gerne und richtig so titulierten Staatsfernsehen nichts mehr.Sexy Künast, AfD unappetitlich.      (deren 6 Mio. Wähler gleich mit eingeschlossen), Bundesinnenminister-bashing, Einzelfälle verharmlosen, „vernünftige“ Ansichten, ach und der Welke on top.  In was für einem Saustall leben wir mittlerweile eigentlich?

Frank Holdergrün / 19.07.2018

“Und wer Renate Künast nicht sexy findet, ist ein Frauenfeind!” Selten so gelacht, bevor mir die Tränen in die Augen schossen. Die tägliche Dosis Fake News fällt den Journalisten immer leichter, am Ende glauben sie selbst an die Wolkenkuckucksheime, die sie in die Luft blasen.

Andreas Rochow / 19.07.2018

Glänzende Glosse, die auch die arg vernachlässigten Sachthemen im öffentlich-rechlichen Politcomedy-Klamauk in Erinnerung ruft. Für ein Casting durch einen öffentlich-gerechten Sender dürfte der Text allerdings gänzlich ungeeignet sein. Einfach zu seicht für die öffentlich-aufgeregten Redakteure und Redakteurinnen, die heute einen Dankgottesdienst für das wackere Bundesverfassungsgericht abgehalten haben: Die fürstlichen Gehälter und Pensionen sind gesichert und die Schar der öffentlich-begünstigten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bleibt übersichtlich. Danke dennoch, verehrter Claudio Casula, für Ihre klaren Worte in einer völlig unklaren Zeit!

Frank Stricker / 19.07.2018

Genial Herr Casula , besser geht’s nicht !!  Den treudoofen vom öffentlich rechtlichen einfach mal den Spiegel vorhalten, das hat echt gesessen. Das schlimme ist , genau so könnte es kommen, Post von Herrn Bellut oder eine Mail von Herrn Buhrow, die Mitarbeiter der jeweiligen “Anstalten” werden so auf “Linie” gebracht , bevor sie noch mit der Realität konfrontiert werden……….Ach ja, selten so gelacht und so leicht zum “Frauenfeind”  mutiert , wegen Frau Künast ................

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Claudio Casula / 27.04.2024 / 06:00 / 100

Mario Voigt und die Lizenz zum Twittern

Im digitalen Raum regt sich unvermindert Widerstand. Jetzt liebäugelt auch Thüringens CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt mit Zensur-Fantasien. Mehr als vier Jahre ist es her, da wurde die Wahl eines…/ mehr

Claudio Casula / 25.04.2024 / 06:00 / 108

Boris der Große im ZDF

Ein Film über Verteidigungsminister Boris Pistorius im ZDF wird als Meisterwerk der Hofberichterstattung in die Fernsehgeschichte eingehen. Vor einer Woche zeigte das ZDF die Doku „Mensch Merz!…/ mehr

Claudio Casula / 24.04.2024 / 06:25 / 58

Mit Inhalierscham das Klima retten

Schlechte Nachrichten für die 6,1 Millionen Patienten in Deutschland, die auf Inhalatoren angewiesen sind: Sie sind von einer neuen EU-Verordnung betroffen. Die Verordnung über fluorierte Treibhausgase und…/ mehr

Claudio Casula / 20.04.2024 / 06:15 / 77

Corona-Ticker (15): Die Geister lassen sich nicht verjagen

Wie sieht es aus mit der Aufarbeitung der Corona-Zeit? Die Politik wehrt sich, die Medien zieren sich und die Justiz macht weiter wie bisher.  Mit…/ mehr

Claudio Casula / 19.04.2024 / 12:55 / 127

Der Baerbock-Bibi-Kompetenz-Vergleich

Annalena Baerbock will Benjamin Netanyahu belehren. Was befähigt sie dazu? Wie Bild meldet, hat sich Außenministerin Annalena Baerbock beim Versuch, Israels Ministerpräsidenten mit der Warnung…/ mehr

Claudio Casula / 17.04.2024 / 06:15 / 135

Triumph des Willens

Ein KI-Video zeigt ein dystopisches Deutschland nach der Machtübernahme der „Blauen" und der erzwungenen Remigration aller Ausländer. Wer produziert so was?  Enkelin: „Oma, wie schlecht kann…/ mehr

Claudio Casula / 16.04.2024 / 13:57 / 8

Texte zur falschen Zeit

Die wachsende unabhängige Medienlandschaft ist um eine dissidente Plattform reicher: Die politische Halbjahreszeitschrift casa|blanca trägt den schönen Untertitel „Texte zur falschen Zeit“. Laut Editorial will man „auf…/ mehr

Claudio Casula / 15.04.2024 / 12:20 / 66

Die allerschärfsten Reaktionen auf den Iran-Angriff

Als der Iran Israel attackierte, war im deutschen Fernsehen kaum etwas dazu zu sehen. Auch die Politiker schwiegen. Aber nicht für immer, was noch schlimmer…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com