Lustiger Text Herr Scheider, ernster Hintergrund. Die Infantilisierung nahezu jeden Themas. Ich habe im von 2004 bis 2010. Umland von Freiburg gelebt. Da waren die Mittelaltermärkte damals bereits epidemisch. Passte auch zu den Dorf Silhouetten ganz gut. Als historisch interessierter Mensch fällt sofort auf, dass “Mittelalter” nur auf einer oberflächlichen Kitschebene dargestellt wird, die Märkte reine Verkaufsveranstaltungen sind. Du sagst beim bezahlen Taler, reichst aber Euros über die Theke. Ansonsten: Null Ahnung. Und da ändert sich auch bei den Märkten nichts. Denn Informationen über das Mittelalter bekommt man dort nicht, zum Beispiel, das man da weniger Steuern zahlte als wir heute. Da muss man schon in ein Museum gehen oder ein Buch zur Hand nehmen. Nein, alle Staffeln von “Game of Thrones” gesehen zu haben, zählt nicht für den “Geschichtsschein”. Wobei das mit den Hungerspielen finde ich visionär. Die kommen schon noch. Und damit ist dann Mittelalter “ein Stück weit” in der Neuzeit angekommen, denn da war jeden Tag Hungerspiele. Für die Schneeflöckchen (Schlauste Kinder aller Zeiten): Lebenserwartung war damals für Frauen ca. 25 für Männer 32. Es gab keine veganen Imbisse, kein Koks und keine Gendersternchen. Man dachte ernsthaft, es gebe nur zwei Geschlechter: Männer und Frauen. Man fasst es nicht, oder? Obwohl es noch an jeder Ecke „Kobold“ gab, hatte man keinen Strom, kein Smartphone. Der böse weiße Mann hatte es noch nicht erfunden, das Schwein. Kinder waren auch damals nur als „Platzhalter“ (Wenn die Erbfolge halt einen 4-jährigen auf den Thron hievte) an der Macht. Arbeiten durften sie allerdings von klein auf. Was man dafür bekam: Man wurde satt. Eventuell hatte man sogar ein paar Schuhe.
Ach, so ein wenig Weltflucht ist doch ganz nett… Nur darf man dabei nicht denken. Insbesondere nicht darüber, wie aus freien Bauernkriegern, die noch für den großen Karl den Fürsten ebenbürtig waren, der unterste Stand wurde - während aus unfreien Ministerialen (lohnabhängigen Fürstenknechten) der “edle” Ritterstand erwachsen konnte… Und “schwupps” führt das Denken, aus gegebenem Anlass, wieder in die Jetztzeit…
Eins will ich Ihnen gerne zugestehen, werter Herr Schneider, nämlich die qualitativen Abstufungen innerhalb des Metiers “Mittelalter-Markt”: Die Spanne reicht dabei von der museumspädagogisch betreuten, inhaltlich anspruchsvollen Veranstaltung bis zum reinen Kitsch. Aber denken Sie bitte angesichts der doch insgesamt friedlich-freundlichen Atmosphäre solcher “Feyereien” an das alte Sprichwort: “Lass dem Kind die Frikadelle, wenn es damit spielen will…”! Mir sind jedenfalls solche Events allemal lieber als Autokorsos mit Schießerei und blutige Straßenschlägereien, zu deren Eindämmung die Ordnungskräfte ganzer Regierungsbezirke aufgeboten werden müssen. W. Rommel
Och, Herr Schneider, das ist doch nichts weiter als “Indianerspielen”, was wir aus der Kindheit kennen. Flucht aus dem Alltag in ferne Welten und Zeiten! Und auch ein bisschen der Versuch, der eigenen Historie auf die Spur zu kommen und zwar weniger durch Lesen und Nachdenken als durch sinnliche Erfahrung und die Freude an Abenteuer und Spiel. Wobei das Abenteuer natürlich ganz klein geschrieben wird. Niemand würde im Ernst auch nur für einen Tag sich dem Schrecken des Mittelalters aussetzen wollen mit all seinen Gefahren und den herrschenden Ängsten. Aber so wie wir uns gern im Kino in Weltraum- und Piratenabenteuer hineinziehen lassen, in Wildwestschießereien oder auch in das Leben der Urzeitmenschen, so wenig wollen wir wirklich zurück in diese Zeiten oder ihnen vorauspreschen. Nein, nur im Kinosessel wollen wir zu mutigen Helden werden, nur auf dem Sofa uns gruseln. Krimis, Thriller, Abenteuerromane sprechen Bände. Und an Fasching war ich auch schon eine mutige Piratin und ein draufgängerisches Cowgirl! PS: Warum Mittelalter? Ich denke, weil das Mittelalter noch nicht so lange her ist, es im Unterschied zur Antike und der Renaissance eine zutiefst deutsch anmutende Zeitperiode ist, in der auch unsere Märchen und Mythen ihre Wurzeln haben.
Man muss auch nicht jede Gaudi zum Anlass nehmen, gesellschaftskritische Abhandlungen zu verfassen. Manchmal ist Spaß, Unterhaltung und Ablenkung vom Alltag auch einfach nur Spaß, Unterhaltung und Ablenkung vom Alltag. Und gegen eine Portion leckeren Flammlachs mit Bratkartoffeln nebst einem Becher Met, ist doch wirklich nichts einzuwenden.
Unsere zivilisierte Welt der Neuzeit ist fragil. Sehr fragil. Der richtige Zündfunke beim richtigen Gemisch, löst alle unsere zivilisatorischen Errungenschaften sofort in Rauch auf. Dies ist in der dekadent gewordenen westlichen Welt kaum noch jemandem wirklich bewusst. Aber wer keine Pizza mehr bestellen kann, weil der Pizzaservice in Rauch aufgegangen ist, der braucht am Ende auch kein Toilettenpapier mehr. Insofern passt das schon…
Vergangenheit authentisch (also ohne Smartphone und Wasserklo) erlebbar machen, das sollte zur Pflicht für alle jungen Leute werden. Dann wären sie evtl. etwas dankbarer und demütiger gegenüber den Kultur- und Technologieleistungen ihrer Altvorderen, anstatt ihnen vorzuhalten, sie würden sie um ihre Zukunft bringen. Also nach dem Abi Mittelalter statt Balearen - das wäre doch ein Ansatz.
Womöglich liegt es daran, dass man bei so einem Event (noch) nicht schräg angeschaut wird, wenn man sich dort ein halbes Schwein am Spieß gönnt. Im Gegensatz zum realen Mittelalter ist der Anteil carnivorer Nahrungsangebote nämlich erstaunlich hoch… Zwar gibt es auch das Alibi-Falafel, aber die Hammeltasche (vulgo: Döner) ist dann doch etwas stärker frequentiert.
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