Thomas Rietzschel / 08.02.2019 / 11:00 / 41 / Seite ausdrucken

Merkel stellt ihr eigenes Lebenswerk in Frage

Selten konnte sich die Kanzlerin so kompetent äußern wie vorgestern in Weimar, als sie anlässlich der Konstituierung der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung vor 100 Jahren erklärte: „Jede Generation muss wieder für die Demokratie kämpfen.“ Wer, wenn nicht sie, sollte das politische Erbe ihrer Regentschaft abschätzen können und sollte wissen, was sie den Nachkommen hinterlässt, was sie wieder aufbauen müssen.

Seit mehr als 13 Jahren wird Deutschland von Angela Merkel „durchregiert“. Ohne sich viel um die Vorrechte eines Parlaments zu kümmern, das de jure in der Tradition der Weimarer Republik steht, hat sie politische Entscheidungen nach ihrem persönlichen Ratschluss gefällt, geherrscht, wie es ihrer politischen Sozialisation während der kommunistischen Diktatur im Osten entsprach. Für die „mächtigste Frau der Welt“ verstand es sich von selbst, das Land von oben herunter, durchaus majestätisch zu führen. Gleich, ob sie den Bankrotteuren der EU klammheimlich Bürgschaften zusagte – bevor das der Bundestag überhaupt mitbekam – oder ob sie im Herbst 2015 auf eigene Faust die Grenzen aufmachte, und gleich auch, ob sie eine Energiewende verfügte, die aller wirtschaftlichen Vernunft widerspricht, stets regierte Angela Merkel par ordre du mufti.

Das autokratische Vorgehen wurde zu politischen Gewohnheit, gesellschaftlich kaum mehr bemerkt. Zunehmend verloren die Spielregeln der Demokratie ihre alltäglich Bedeutung. Sonntagsreden thematisieren sie unterdessen. Im Windschatten der Kanzlerin konnte sich eine politische Kaste formieren, die sich per se über das Volk erhoben fühlt. Nur weil sie sich den Job „zutraut“, will Andrea Nahles – wie sie uns dieser Tage wissen ließ – demnächst Anspruch auf den Posten der Regierungschefin erheben.

Die Hybris des politischen Personals

Obwohl die Gefahr, dass es so weit kommen könnte, nicht ernsthaft zu bedenken ist – die SPD dümpelt in den Umfragen bei einem Stimmenanteil zwischen 12 und 15 Prozent –, offenbart diese Selbsteinschätzung die Hybris eines politischen Personals, das glaubt, nicht länger danach fragen zu müssen, was ihnen denn die Bürger zutrauen. Und es ist fraglos das Verdienst Angela Merkels, das Land an solche Zustände gewöhnt zu haben. Wenn sie etwas „geschafft“ hat, dann ist es die Etablierung des Staates als Vormund der bürgerlichen, ehemals freien Gesellschaft. Mit Parteifunktionären, die sich alles mögliche zutrauen, heut dies und morgen das, sind wir reich gesegnet. Avanti Dilettanti!

Sogar die Wirtschaft will die Regierung jetzt unter ihre Obhut nehmen; eben erst ließ Peter Altmaier, Merkels getreuer Eckart, die Katze aus dem Sack. Ein Schelm, wer bei seinen Plänen zur teilweisen Verstaatlichung der Industrie an die VEB, die Volkseigenen Betriebe, der abgesoffenen DDR denkt.

Wenn es Angela Merkel jetzt gleichwohl, trotz der von ihr geschaffenen Zustände, mit der Aufforderung, „wieder für Demokratie zu kämpfen“, ernst gemeint haben sollte, müsste sie zu guter Letzt ihr eigenes Lebenswerk in Frage stellen. Ganz auszuschließen ist das nicht. Wahrscheinlicher indes scheint, dass uns die einstige „FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda“ wieder einmal zum Narren halten wollte, sich einen Spaß machte. Ebenso könnte es aber sein, dass sie noch immer nicht weiß, was es denn mit der Demokratie auf sich hat.  

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Leserpost

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Hartmut Schilling / 08.02.2019

Das Lebenswerk von Merkel ist nur eines: unfaßbar destruktiv. Und zwar auf das ganze Land bezogen. Ich würde einer solchen Tätigkeit nicht die Bezeichnung “Werk” geben. Mir fielen da andere, weitaus treffendere Begriffe ein. Schande über sie.

Oliver Hoch / 08.02.2019

Es sei Frau Merkel unbenommen, ihr Lebenswerk in Frage zu stellen. Ich könnte nicht leben im Bewusstsein das getan zu haben, was Frau Merkels “Lebenswerk” darstellt. Ist aber eigentlich für uns egal, wie Frau Merkel sich zu ihren Taten stellt - das muss sie mit ihrem Schöpfer ausmachen. Wir können sie ziehen lassen und hoffen, sie nie mehr wiederzusehen. Unsere Aufgabe aber muss sein: die von ihr angerichteten Schäden so weit wie möglich zu begrenzen. Das aber kann nur gelingen, wenn den Menschen gezeigt wird, welche Verbrechen begangen wurden. Vielleicht können uns die USA, Großbritannien und Russland helfen bei einer Entmerkelifizierung?

toni Keller / 08.02.2019

Die Frage ist aber. Was tun? Und wie bekommen wir von dem Leviathan, der, wie Thomas Hobbes es beschreibt, noch nicht mal mehr unsere Sicherheit garantiert. unsere Freiheit wieder. Interessant ist auch, wie sich so eine Demokratie unter der Hand in eine unerklärte Monarchie entwickeln konnte, man muss allerdings feststellen, dass auch hier es schon lange an der Basis nicht mehr stimmt, man werfe hierzu einen Blick in die Elternbeiräte, Ältestenräte und was es sonst noch Räten gibt. Entweder zerfetzt man sich über so weltbewegende Fragen wie “Löffel Zucker in den Tee?” oder aber man kommt sich ungemein progressiv vor, wenn man dem Mainstream nachläuft und dieser Mainstream sieht alles Heil der Welt in der Beteiligung von Frauen, ob die nun wollen oder nicht, geschweige denn ob sie es überhaupt können.

H. Schmidt / 08.02.2019

“Für die „mächtigste Frau der Welt“ verstand es sich von selbst, das Land von oben herunter, durchaus majestätisch zu führen.” Wie bitte? Wie kann Deutschland sein Volk im Besonderen so selten dämlich sein und so was zulassen, das eine aus dem SED-Regime, FDJ-Kader, Gesamtdeutschland so regieren Kahne (ähhh, ich meinte: kann?). Da müssen sich die Deutschen, insbesondere die Deutschen Wähler mal kräftig an die Nase fassen. “Goooooood morning Germany!”

Sepp Kneip / 08.02.2019

Wenn ich Reden von Merkel und Steinmeier höre, die ein Loblied auf die Demokratie enthalten, läuft es mir immer eiskalt den Buckel herunter. Merkel hat die Demokratie abgeschafft und Steinmeier hat das noch gar nicht gemerkt. Man kann ja von Seehofer halten, was man will. Aber zu einer Zeit hatte er Recht, als er Merkel vorhielt gegen Recht und Gesetz zu regieren und die Gewaltenteilung zu missachten. Dass er wieder ins Fahrwasser Merkels geraten ist, hat er mit vielen Politluschen gemeinsam. „Jede Generation muss wieder für die Demokratie kämpfen.“ Merkel hat genau das Gegenteil getan und die Demokratie die sie hier vorgefunden hat, gegen das System DDR ausgetauscht. Noch ließe sich das reparieren, aber nicht mehr lange.

Dr. J. Commentz / 08.02.2019

Anläßlich der German Air Pleite erinnerte ich mich der Aussage von Frau Merkel, daß die Subventionen für Air Berlin selbstverständlich zurück gezahlt werden “sonst dürften wir das gar nicht” (Zitat: A. Merkel). Jemals wieder davon etwas gehört? So marode ist unsere Kontrolle der Regierenden. Unsere Verfassungsväter haben zwei gravierende Fehler begangen: zum einen das Verhältniswahlrecht mit 50% Listenplätzen ohne Kontrolle durch den Wähler, zum anderen die Nichtbegrenzung der Amtszeit des Bundeskanzlers. Alle die zentralen Defizite, die wir erleben wie inkompetente MdB, die ohne einen Qualifikationsnachweis ein lebenlang ohne Bestätigung durch den Souverän politisch “gestalten” dürfen (die GRÜNEN haben einen einzigen Direktkandidaten (Ströbele, jetzt Bayram); im englischen Unterhaus wären sie so wirkmächtig wie Frau Petry bei uns) erklären sich hieraus. Die Nichtbegrenzung der Amtszeit des BK`s hat verheerende Folgen für die politische Hygiene, sie führt zu mafiösen Strukturen (“Seilschaften”), die letztendlich in einer Oligarchie oder “gelenkten Demokratie” endet. Da die Frösche niemals der Trockenlegung der Sümpfe zustimmen werden, ist eine Reform des Systems d.h. aus sich heraus, nicht möglich. Nur der Souverän könnte eine grundlegende Reform einfordern, aber da sind wir wieder bei dem Mißtrauen der Grundgesetzväter gegenüber dem Wähler (nach Churchill: the best argument against democracy is a five minute talk with the average voter): Hitler wurde demokratisch vom Volk gewählt.

Matthias Braun / 08.02.2019

” Die Selbstüberschätzung tötet den Erfolg im Keim. “ (Otto von Bismarck)

Marc Blenk / 08.02.2019

Lieber Herr Rietzschel, Angela Merkel ist ein Demokratie - Lehrling, der von Anfang an die Berufschule geschwänzt hat. Warum auch, wenn man dem Unternehmen vorsteht. Da kommt man kaum in die Verlegenheit, sich seiner politischen Sozialisation stellen zu müssen. Die Etablierung des Staates als Vormund und die Etablierung einer ganzen Kaste, die sich wunderbar in einem Zustand eingelebt hat,  wo rechtmäßige demokratische Verfahrensweisen kaum noch Bedeutung haben, geht auf ihre Kappe. Dass das Parlament es sich gefallen lässt, aber nicht. Es hat sich die zahlreichen Ermächtigungen gefallen lassen.

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