Gelegentlich habe ich gute Vorsätze. Ein paar Kilo abnehmen. Weniger rauchen. Meine Freundschaften pflegen, trotz knappster Zeit. Mich nicht mehr über Politik aufregen. Während die ersten drei Vorsätze immer wieder gelingen, habe ich letzteren Punkt abgehakt. Es war einfach. Statt hektischen Lesens der Nachrichtenseiten und Kommentare, des Videotexts, anstelle des Glotzens palavernder Talkrunden mit Maischberger, Plasberg, Lanz oder Illner, feuchtäugig-belehrender Spätnachrichten oder kritiklos regierungstreuer Polit-Legenden greife ich zur Fernbedienung und drücke „aus“. Ich werfe mich vor dem altmodischen CD-Player zu Boden und lege historische Aufnahmen ein, Arthur Rubinstein, Jascha Heifetz, Dinu Lipatti , vielleicht auch Jazz, gern Wynton Marsalis, Miles Davis oder Friedrich Gulda, und wenn es richtig spät wird, einen indischen Raga zur Mitternacht. Meine Frau wundert sich und geht zu Bett, nur die Katze liebt es.
Ich streichle sie. Ich fühle und höre viel lieber, als dass ich sähe. Täglich länger wird die Liste jener, die ich nicht mehr sehen und nicht mehr hören kann. Sie beginnt ganz oben. Steinmeier, Merkel, Schäuble, Altmaier, Kramp-Karrenbauer, Merz, Hofreiter, Baerbock, Habeck, Lauterbach, Gysi, Kubicki, Höcke etc. etc., selbst wenn sie einander beharken, über einander her fallen oder im Parlament, auf der Mattscheibe und im Radio von „wir müssen“ sprechen, so als säßen sie allesamt beinebaumelnd und Entsprechendes produzierend auf dem Porzellan einer politischen Bedürfnisanstalt… es nervt mich. Es macht mich aggressiv, depressiv. Vor allem: Es langweilt mich zu Tode. Das tut mir nicht gut. Ich sollte mir ein Ei drauf backen.
Genau das tue ich jetzt, Apocalypse now : Es brennen die Regenwälder, es stirbt auch mal wieder der deutsche Wald, es sprießen an seiner Stelle die Windräder, killen rotierend Insekten und be-infraschallen mich dabei so vor sich hin, es steigen die Meeresspiegel, es lässt Prinzessin Greta ihre Segelmannschaft in drei Düsenjets einfliegen, es glänzen die Wellen des Mittelmeers, es locken die Schlepper wie die Sirenen, es ertrinken die Betrogenen und Retten die Retter, es leben die Lebenden ganz gut davon, es bekehren mich die Kirchen und Parteien dazu, es konspirieren die rechten wie die islamistischen Gefährder, es zünden die linken Autos an, jeder brav heraus aus seinem hübschen No-Go-Area, es liegen die Grenzen offen für Schutzbedürftige genauso wie für Hinz und Kunz aus der Gauner- und organisierten Verbrecherecke, derweil kassiere ich ein Ticket für Falschparken und andere Sozialhilfe für das Wegwerfen ihres Reisepasses, es sinken die Zinsen auf unter Null, so dass ich demnächst die Bank für das Vermindern meines Vermögens und die Rentenkasse für den selben Liebesdienst an meiner Altersfürsorge bezahle, während der rote Finanzminister von der schwarz-grünen Null träumt und bequeme Minuszins-Milliarden in sein Staatssäckel fließen, während die nächste Immobilienblase droht und die Rezession schon da ist.
Völlig wirr und längst vom zweiten Glas Rotwein flankiert
Nebenbei gerät der Nahe und Mittlere Osten wieder mal in Aufruhr, Assad macht die letzten Rebellen platt und vertreibt die allerletzten Oppositionellen in Richtung Europa, es spricht der Iran nicht mit den USA, es sprechen die USA erfolglos mit den Taliban, die zuhause unverdrossen weiter morden, auch in Kundus, wo unsere Jungs und Mädels von der maroden Bundeswehr stehen, während Frau Kramp-Karrenbauer sich Sorgen macht über Herrn Maaßen. Spätestens an der Stelle begreife ich, dass ich längst im Kreise denke. Wenn ich das gar laut sage, dann stoße ich so oder so auf Propaganda, denn in dem Spiel bin ich bekanntlich der rechte Hetzer, und ich sage: Lieber Herrgott, mach mich blind, dass ich Goebbels arisch find’. Und keiner versteht es. Das ist so entsetzlich langweilig, ein Scheißspiel.
Diese Nachtgedanken sind natürlich völlig wirr und längst vom zweiten Glas Rotwein flankiert, während Anoushka Shankars Sitar sanft säuselt wie der milde nächtliche Herbstwind. Früher schrieb ich, die Probleme lägen klar zutage. Heute zappe ich weg, höre Musik und lege die Beine hoch: Macht euern Dreck alleene. Auch bei den letzten Kommunalwahlen habe ich diese Taktik bereits geübt. Es war eine kleine Stichwahl zwischen SPD und CDU. Beide Kandidaten hatten, von Formulierungen in Nuancen abgesehen, exakt dasselbe Programm; es erschien noch einmal am Sonnabend vor der Wahl in der örtlichen kostenlosen Werbezeitung auf Seite drei, eine an Lächerlichkeit nicht zu überbietende Gegenüberstellung.
In der Wahlkabine endete allerdings die Langeweile, der Ennui war wie weggeblasen - und ich bekam einen nur schwer zu unterdrückenden Lachanfall. Immer noch grinsend knickte ich den Wahlzettel und steckte ihn in die Wahlurne. Ich hatte gar nichts angekreuzt, war falten gegangen . Selten hatte ich so gute Laune. Ich bin tatsächlich mit immer weniger zufrieden: Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein. Aber, dann lass auch du mich in Ruhe. Hier, meine innere Kündigung.