Jesko Matthes / 06.09.2019 / 14:30 / 50 / Seite ausdrucken

Meine innere Kündigung ans Vaterland

Gelegentlich habe ich gute Vorsätze. Ein paar Kilo abnehmen. Weniger rauchen. Meine Freundschaften pflegen, trotz knappster Zeit. Mich nicht mehr über Politik aufregen. Während die ersten drei Vorsätze immer wieder gelingen, habe ich letzteren Punkt abgehakt. Es war einfach. Statt hektischen Lesens der Nachrichtenseiten und Kommentare, des Videotexts, anstelle des Glotzens palavernder Talkrunden mit Maischberger, Plasberg, Lanz oder Illner, feuchtäugig-belehrender Spätnachrichten oder kritiklos regierungstreuer Polit-Legenden  greife ich zur Fernbedienung und drücke „aus“. Ich werfe mich vor dem altmodischen CD-Player zu Boden und lege historische Aufnahmen ein, Arthur Rubinstein, Jascha Heifetz, Dinu Lipatti , vielleicht auch Jazz, gern Wynton Marsalis, Miles Davis oder Friedrich Gulda, und wenn es richtig spät wird, einen indischen Raga  zur Mitternacht. Meine Frau wundert sich und geht zu Bett, nur die Katze liebt es.

Ich streichle sie. Ich fühle und höre viel lieber, als dass ich sähe. Täglich länger wird die Liste jener, die ich nicht mehr sehen und nicht mehr hören kann. Sie beginnt ganz oben. Steinmeier, Merkel, Schäuble, Altmaier, Kramp-Karrenbauer, Merz, Hofreiter, Baerbock, Habeck, Lauterbach, Gysi, Kubicki, Höcke etc. etc., selbst wenn sie einander beharken, über einander her fallen oder im Parlament, auf der Mattscheibe und im Radio von „wir müssen“ sprechen, so als säßen sie allesamt beinebaumelnd und Entsprechendes produzierend auf dem Porzellan einer politischen Bedürfnisanstalt… es nervt mich. Es macht mich aggressiv, depressiv. Vor allem: Es langweilt mich zu Tode. Das tut mir nicht gut. Ich sollte mir ein Ei drauf backen. 

Genau das tue ich jetzt, Apocalypse now : Es brennen die Regenwälder, es stirbt auch mal wieder der deutsche Wald, es sprießen an seiner Stelle die Windräder, killen rotierend Insekten und be-infraschallen mich dabei so vor sich hin, es steigen die Meeresspiegel, es lässt Prinzessin Greta ihre Segelmannschaft in drei Düsenjets einfliegen, es glänzen die Wellen des Mittelmeers, es locken die Schlepper wie die Sirenen, es ertrinken die Betrogenen und Retten die Retter, es leben die Lebenden ganz gut davon, es bekehren mich die Kirchen und Parteien dazu, es konspirieren die rechten wie die islamistischen Gefährder, es zünden die linken Autos an, jeder brav heraus aus seinem hübschen No-Go-Area, es liegen die Grenzen offen für Schutzbedürftige genauso wie für Hinz und Kunz aus der Gauner- und organisierten Verbrecherecke, derweil kassiere ich ein Ticket für Falschparken und andere Sozialhilfe für das Wegwerfen ihres Reisepasses, es sinken die Zinsen auf unter Null, so dass ich demnächst die Bank für das Vermindern meines Vermögens und die Rentenkasse für den selben Liebesdienst an meiner Altersfürsorge bezahle, während der rote Finanzminister von der schwarz-grünen Null träumt und bequeme Minuszins-Milliarden in sein Staatssäckel fließen, während die nächste Immobilienblase droht und die Rezession schon da ist.

Völlig wirr und längst vom zweiten Glas Rotwein flankiert

Nebenbei gerät der Nahe und Mittlere Osten wieder mal in Aufruhr, Assad macht die letzten Rebellen platt und vertreibt die allerletzten Oppositionellen in Richtung Europa, es spricht der Iran nicht mit den USA, es sprechen die USA erfolglos mit den Taliban, die zuhause unverdrossen weiter morden, auch in Kundus, wo unsere Jungs und Mädels von der maroden Bundeswehr stehen, während Frau Kramp-Karrenbauer sich Sorgen macht über Herrn Maaßen. Spätestens an der Stelle begreife ich, dass ich längst im Kreise denke. Wenn ich das gar laut sage, dann stoße ich so oder so auf Propaganda, denn in dem Spiel bin ich bekanntlich der rechte Hetzer, und ich sage: Lieber Herrgott, mach mich blind, dass ich Goebbels arisch find’. Und keiner versteht es. Das ist so entsetzlich langweilig, ein Scheißspiel.

Diese Nachtgedanken sind natürlich völlig wirr und längst vom zweiten Glas Rotwein flankiert, während Anoushka Shankars Sitar sanft säuselt wie der milde nächtliche Herbstwind. Früher schrieb ich, die Probleme lägen klar zutage. Heute zappe ich weg, höre Musik und lege die Beine hoch: Macht euern Dreck alleene. Auch bei den letzten Kommunalwahlen habe ich diese Taktik bereits geübt. Es war eine kleine Stichwahl zwischen SPD und CDU. Beide Kandidaten hatten, von Formulierungen in Nuancen abgesehen, exakt dasselbe Programm; es erschien noch einmal am Sonnabend vor der Wahl in der örtlichen kostenlosen Werbezeitung auf Seite drei, eine an Lächerlichkeit nicht zu überbietende Gegenüberstellung.

In der Wahlkabine endete allerdings die Langeweile, der Ennui war wie weggeblasen - und ich bekam einen nur schwer zu unterdrückenden Lachanfall. Immer noch grinsend knickte ich den Wahlzettel und steckte ihn in die Wahlurne. Ich hatte gar nichts angekreuzt, war falten gegangen . Selten hatte ich so gute Laune. Ich bin tatsächlich mit immer weniger zufrieden: Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein. Aber, dann lass auch du mich in Ruhe. Hier, meine innere Kündigung.

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Leserpost

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Martin Stumpp / 06.09.2019

Es wäre mir alles relativ egal, wenn ich nicht hinsichtlich meiner Altersversorgung auf die Spinner angewiesen wäre. Leider ist man als Bürger ziemlich machtlos, wenn die Politikdarsteller die Rentenkasse plündern um sich selbst zu bereichern und angeblich Schutzsuchende zu beglücken.

K.Anton / 06.09.2019

Ich kann ihr Gemütszustand sehr gut verstehen. Trotzdem bin ich mit dem ” Falten” nicht einverstanden. Mit dem gleichen Aufwand kann man seine Stimme für die einzige Alternative abgeben. Damit streut man am besten Pfeffer in den Hintern der Mainstreampolitiker. Das verursacht bei denen dann richtige Schmerzen. Und nur darum geht es….

Petra Wilhelmi / 06.09.2019

Tja, genau so! Nur, bloß “Falten gehen” wäre mir zu wenig gewesen. Ich habe zwar aus Überzeugung gewählt, aber das war nicht alles. Die herrschende Einheitpartei mit ihren Blockflöten hat sich dumm und dusselig über mein Kreuz geärgert. Das hätte ich mir nicht im Leben entgehen lassen wollen. Wenigsten zu den Wahlen kann ich diese Typen mal so richtig ärgern, zwar nur kurz, aber das macht nichts, ist trotzdem ein innerer Parteitag für mich gewesen. Ansonsten ist der Fernseher bei uns kaum noch in Betrieb. Einschalten kurz vor dem Wetterbericht mit ein bisschen Sportberichterstattung, dann Wetterbericht - dann ist Schluss. Auf DDR-Fernsehen habe ich keine Lust mehr. Ich spiele mir lieber meine Geschichten am PC selbst, dort entscheide ich, wie das Spiel läuft (natürlich im vorgegebenen Programmierrahmen), dort kann ich Gutmensch oder fieß sein, ohne jemanden oder etwas zu schaden. Dort kann ich vergessen, dass ich selbst nur eine Spielfigur in einem anderen Rollenspiel bin, zwar unfreiwillig, aber das kann ich leider nicht ändern. ABER: Ich kann die ärgern!

Dr.Inge Frigge-Hagemann / 06.09.2019

Ausgezeichnet - bravo! Genauso sollte man mit dem totalen Chaos reihum verfahren - einfach ignorieren und in Ruhe nur noch seinen ureigenen Interessen nachgehen - ganz ohne Pappnasen und deren abartiger Politik! Was würde passieren, wenn niemand mehr zur Wahl ginge? Vielleicht hätte das Chaos (Ideologie gegen Fakten) dann ein Ende?

Martin Lederer / 06.09.2019

“Innere Kündigung” bringt einen Sch… . Nur Auswandern und andere Staatsbürgerschaft annehmen, bringt etwas.

B.Klingemann / 06.09.2019

Herr Matthes, Sie erinnern mich an Colonel Walter E. Kurtz (und Sie sich selbst auch, glaube ich…). Hauen Sie mitsamt Familie ab, bevor Sie sich schwarzen Kajal auftragen! Deutschland ist eine Staatshülle, die gänzlich amoralisch Diversität und Perversität fördert und pflegt.

Hermine Mut / 06.09.2019

“...  Oh ,  don´t deceive me, Oh never leave me , how could you use a poor maiden so..”...  :-(((  aber trotzdem Dankschee für Pancham Se Gara

Bert Keller / 06.09.2019

Möcht ich auch gern, innerlich kündigen, aber dann fällt mir wieder ein, daß ich den Doofen damit das Spielfeld allein überlasse. Und dann mach ich halt doch wieder ein Kreuzchen…

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