Vom Staatsvertragsfunk, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt, gehen die Proteste der Bauern und anderer Bürger gegen die Ampel-Politik weiter. Gestern hat sich unser Autor Claudio Casula auf einer Kundgebung in Hamburg umgehört.
Die Protestaktionen der Bauern sind medial erfolgreich von den „Demos gegen rechts“ verdrängt worden. In den NDR2-Nachrichten freute man sich gestern Morgen darüber, dass soundsoviele Leuten an einer Anti-AfD-Kundgebung in Hamburg teilgenommen hätten. Dass an diesem Morgen einige hundert Traktoren in die Hansestadt rollten, spielte für die Staatsvertragsfunker nur unter verkehrstechnischen Gesichtspunkten eine Rolle: Es käme deswegen zu Behinderungen im Innenstadtbereich.
Nichts wie hin also zum Bahnhof Dammtor, wo sich einige hundert Menschen versammelt hatten. (Einschub: Im NDR wurde betont, dass weniger Demonstranten und Traktoren eingetroffen seien als erwartet; offenbar sollte der Umstand, dass die Anti-AfD-Kundgebungen besser besucht sind, die Bauernproteste marginalisieren. Nun ja, manche Menschen müssen, anders als die regierungsnahen NGO-Truppen „gegen rechts“, arbeiten und haben keine Zeit für Demos. Einschub Ende). Hunderte Trecker blockierten gleich mehrere Zufahrtsstraßen, doch waren beileibe nicht nur Landwirte dort, sondern auch Handwerker und andere Bürger sowie eine Handvoll Journalisten, die aber in ihren Berichten den Eindruck zu erwecken versuchten, es ginge um Subventionskürzungen oder Probleme mit der Bürokratie.
Darum ging es tatsächlich auch, doch eher am Rande. Insgesamt fünf Redner erklommen die Bühne, um von Problemen aus ihren Betrieben zu berichten und ihrem Unmut über die gegenwärtige Politik im Allgemeinen Luft zu machen. Unter den Demonstranten herrschte eine lockere, aber erfreulich dissidente Stimmung. Hier hatten sich Leute versammelt, die die Nase gestrichen voll haben von der bürgerfeindlichen hohen Politik und deren allgemein für komplett unfähig gehaltenen Protagonisten. Immer wieder wurde betont, dass hier der Mittelstand auf die Straße geht.
„Sonnenschutz-Schulung“ statt gesunder Menschenverstand
Wie schrill der Amtsschimmel wiehert, wurde aus den Vorträgen deutlich. Teils in Brüssel, teils in Berlin ausgeheckte Verordnungen riefen Heiterkeit und Staunen hervor. Vom umständlichen „Pflanzenpass“, über den der Betreiber einer Baumschule berichtete, bis zur „Sonnenschutz-Schulung“: Ein 28-jähriger Unternehmer aus dem Tiefbaugewerbe berichtete, er habe eine solche von einem Vertreter der Berufsgenossenschaft durchführen lassen müssen. Der habe dann weit über 40-jährigen Bauarbeitern erklärt, „dass sie, wenn die Sonne scheint, einen Sonnenhut tragen sollen, sich mit Sonnencreme eincremen müssen, ein langes Oberteil tragen und zwischendurch mal in den Schatten gehen sollen.“ Ein ganzer Arbeitstag sei dafür draufgegangen, „wir bezahlen 25 Mitarbeiter dafür, dass sie sich den ganzen Tag so ein Geschwafel anhören müssen.“
Zur großen Enttäuschung vieler der vor Ort anwesenden Journalisten war unter den Demonstranten keinerlei Anzeichen für Extremismus auszumachen. Im Gegenteil ließen sie eine freunliche und liberale Haltung erkennen; nationalistische Töne waren nicht zu vernehmen, doch bestanden die Redner darauf, auch als überzeugte Europäer gewisse Eigeninteressen vertreten sehen zu wollen. In einem gemeinsamen Wirtschaftsraum hätten für alle Teilnehmer die gleichen Regeln zu gelten.
Durchgängig zeigten sich die Redner verärgert darüber, dass die Politik vollkommen praxisfern agiere und sich Ideologen statt Fachleute als Berater halte. So berichtete Dirk Koslowski vom LSV (Land schafft Verbindung), er habe mal eine Begegnung mit einem Staatssekretär aus dem Landwirtschaftsministerium gehabt und diesem erklären wollen, warum eine bestimmte Maßnahme nicht zielführend sei. „Kuckt er mich an, grinst und sagt: ,Das will ich gar nicht hören, wie machen das trotzdem'.“
Deutsche Markenbutter aus Osteuropa
Einige Details waren hochinteressant. Wussten Sie etwa, dass der Rahm für die „Deutsche Markenbutter“ auch aus Osteuropa kommen kann? Das ovale Identitätskennzeichen informiert nämlich nur darüber, wo innerhalb der Europäischen Union die Milch- und Käseprodukte zuletzt verarbeitet und verpackt worden sind. Ein Fischer erzählte mir von einem geplanten EU-Verbot von Grundschleppnetzen in geschützten Meeresgebieten bis spätestens 2030. Angeblich geht es um den Erhalt der Artenvielfalt. Nun fürchten er und andere Krabbenfischer an der Küste um ihre Existenz. Sollte es wirklich so weit kommen, ist das Nordseekrabbenbrötchen um 2030 Geschichte.
„Viele Regeln fußen auf purem Schwachsinn“, hieß es des Öfteren („Recyclingbaustoffe sollen verbaut werden, doch keiner weiß so richtig, wie“); wegen angeblicher Nitratbelastung werde die Nährstoffzufuhr für Pflanzen mal eben um 20 Prozent reduziert, was jede bedarfsgerechte Düngung unmöglich mache. Lebensmittel werden importiert, die Wirkstoffe enthalten, die bei uns, weil sie gesundheitsschädlich sind, nicht zugelassen oder schon lange verboten sind – und vor allem solche Importprodukte seien es meist, die zurückgerufen werden. Unsinnige Auflagen und umständliche Dokumentationen über jedes Kinkerlitzchen fräßen Zeit ohne Ende.
56 Prozent aller Erwerbstätigen sind im Mittelstand beschäftigt, wurde bekräftigt. „Wir sind die, die die Arbeitsplätze in diesem Land schaffen. Für wen wird hier Politik gemacht? Für die Industrie, für Minderheiten.“ Das Bürgergeld werde aufgestockt, während die hart arbeitenden Menschen durch steigende oder neue Steuern und Abgaben immer mehr zu stemmen hätten. 61 Milliarden Euro aber seien in teils absurde Entwicklungshilfeprojekte im Ausland geflossen. Ein Redner brachte es auf den Punkt: „Als erstes kümmere ich mich um meine Familie, dann um Freunde und Bekannte, dann für unsere Leute – warum macht die Politik das nicht?“
Auftritt Volkstribun
Unbestrittenes Highlight der Kundgebung war der Auftritt von Anthony Lee, der so eloquent wie mitreißend zum großen Rundumschlag gegen den Berliner Dilettantenstadl ausholte. Der Kommunalpolitiker (früher CDU, jetzt Freie Wähler), Ex-Bundeswehrsoldat, Ex-Polizist in Berlin und späte Seiteneinsteiger in die Landwirtschaft geißelte das ideologiegetriebene Handeln der Ampel-Politiker. Man solle sich nicht wundern, dass die Leute sauer auf Politik seien, nicht wählen gehen oder die Ränder wählen – die Politik selbst sorge für die Radikalisierung, deshalb müsse ein Wechsel hingekriegt werden. Weder von der SPD, die früher einmal die Interessen der Arbeiter vertreten habe und jetzt nur noch die Unproduktiven pampere, geschweige denn von den Grünen erwartet er etwas. Selbst der Chef vom NABU Brandenburg wähle die Grünen nach eigener Aussage nicht mehr.
Flüssiggas werde mit 8 Prozent Schlupf aus Amerika herangekarrt und im Naturschutzgebiet im Wattenmeer ausgeladen, weil man kein russisches Öl wolle, und das verkaufe man uns dann noch als den „neuesten coolsten grünen Scheiß“. Spanien hingegen habe im letzten Jahr doppelt so viel Flüssiggas aus Russland importiert wie vor dem Ukraine-Krieg. Im europäischen Wohlstands-Ranking rangiere Deutschland mit seinem „negativen Wachstum“ (Schrumpfen) inzwischen hinter Griechenland. Außerdem sei die Grüne Partei für Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, etwa an Saudi-Arabien, wo man einen kritischen Journalisten zerstückeln ließ und wo man „den Jemen plattbombt“. Habeck („Der Typ geht gar nicht, der muss weg!“) mit seinem suizidalen Atomausstieg, Baerbock und Özdemir wurden ebenso von Lee verarztet wie die EU wegen ihres „European Green Deal mit seinen schwachsinnigen Auflagen“.
LNG zu importieren statt es umweltverträglich selbst zu fracken (in Niedersachsen schlummern Gasvorkommen, die für 30 Jahre reichen) oder Kohle aus Kolumbien heranzuschaffen, sei weder wirtschaftlich noch „nachhaltig“. Überhaupt helfe es dem Klima rein gar nichts, wenn Deutschland sich deindustrialisiere und abwickle. Die Energiewende zeige, dass wir wieder „den zwanzigsten Schritt machen, bevor wir den zweiten überhaupt machen“. So lange keine Alternative da sei, könne man nicht aus einer funktionierenden Technologie wie der Kernkraft aussteigen. Das wertete der LSV-Chef als eines von vielen Beispielen für das irre Treiben in Berlin.
Zudem stellte Anthony Lee fest, dass die Bauernproteste zwar weitergehen – so habe es auf der Münchner Theresienwiese gerade eine große Demonstration gegeben –, in den Medien habe er darüber jedoch rein gar nichts gefunden.
Zusammengefasst: Die Teilnehmer der Kundgebung wollen auch „in den Medien lesen, dass es eine Mittelstandsdemo mit breiter Beteiligung war und keine Bauerndemos mehr sind“, und es geht ihnen nicht um den Agrardiesel, sondern um das Schreddern der „Ampel“. Schließlich stünde nicht weniger als die Existenz des Mittelstandes auf dem Spiel. Der Moderator äußerte schließlich den Verdacht, die „Große Transformation“ sei nur der Turbo für die Umverteilung von unten nach oben. Genau darauf gelte es zu achten: nicht nach links und rechts zu schauen, sondern auf unten und oben.
Ich schreibe das hier, weil Sie es im NDR wahrscheinlich nicht hören werden.
Claudio Casula arbeitet als Autor, Redakteur und Lektor bei der Achse des Guten.