Nach einer kurzen Phase der Verwirrung haben die deutschen Revolverblätter und das öffentlich-rechtliche Trash-TV wieder Tritt gefasst. Seit Tagen melden FAZ, Süddeutsche, Spiegel, Focus, ARD und ZDF in einprägsamer Wiederholung, Amerika sei das „Epizentrum“ der Corona-Pandemie. Trump trifft die Schuld. Weil er zögerte, die Freiheiten der Bürger nach deutschen Vorbild einzuschränken, habe er den Viren die Bresche geschlagen, dafür gesorgt, dass die USA mit rund 125.000 registrierten Fällen „weltweit an der traurigen Spitze“ der Infektionsstatistik stehen. Wie gut nimmt sich dagegen Deutschland mit nicht einmal 60.000 Ansteckungen aus, genauer gesagt mit 57.695 am gestrigen Sonntag.
Damit die Zahlen auch deutlich genug für sich sprechen, wird großzügig von den Rahmenbedingungen abgesehen, etwa davon, dass sich die Amerikaner testen lassen konnten, als die Deutschen noch rätselten, wie denn das überhaupt anzustellen sei in größerem Umfang. Vor allem aber scheint den Trump-Jägern im Eifer der politischen Raserei die maßgebliche Einwohnerzahl der USA entfallen zu sein. Aktuell beläuft sie sich auf 333.472.704 Frauen, Männer, Kinder und Alte. Corona-befallen sind davon 0,04 Prozent, grob gerechnet.
Der Charme der Zahlen
Macht man die Rechnung für Deutschland auf, wo der jüngst registrierten Einwohnerzahl von 81.446.075 nach heutigen Stand 57.695 positiv Getestete gegenüberstehen, ergibt sich mit rund 0,08 Prozent eine Infektionsrate, die doppelt so hoch ist wie die der USA. Das ändert nichts an der bedrohlichen Lage, weder hier noch jenseits des Atlantiks. Weckt aber doch Zweifel an einer Berichterstattung, bei der es mehr um politische Propaganda und Ablenkung von der heimischen Misere als um verlässliche Nachrichten geht. Auch richtige Zahlen taugen zur Täuschung, wenn sie isoliert verbreitet werden, ohne Berücksichtigung der jeweiligen Bezugsgrößen. Wo sie unter den Tisch fallen, läuft es auf den Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen hinaus.
Wer genug vor der eigenen Tür zu kehren hat, sollte sich hüten, Anderen vorzuwerfen, dass es bei ihnen zuginge wie bei Hempels unterm Sofa. Lügen haben kurze Beine. Auch die medial fleißig kolportierte Entrüstung der EU über Ungarn ist schlichtweg scheinheilig, mehr noch: Sie ist unverschämt. Das Gesetzesvorlage, mit der Viktor Orbán die Möglichkeit, in der Krise mit Dekreten staatlich durchzugreifen, juristisch absichern will, bezweckt nicht mehr und nicht weniger als das, was in Deutschland seit zwei Wochen politische Praxis ist, ohne dass es zuvor viel parlamentarisches Federlesens gegeben hätte.
Elmar Theveßen schießt sich ein
Im Eilverfahren, fast schon regierungsamtlich, wurde die Novellierung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen. Es ermächtigt den Gesundheitsminister weitgehend, Rechtsverordnungen ohne Zustimmung des Bundesrates zu erlassen, sich über die Hoheit der Länder hinwegzusetzen. In Paragraph 28, Abs. 1 heißt es dazu: „Die zuständige Behörde kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.“
Angesichts solcher Verfügungen befürchtet der Göttinger Verfassungsrechtler Hans Michael Heinig, „dass unser Gemeinwesen von einem demokratischen Rechtsstaat in kürzester Frist in einen faschistoid-hysterischen Hygienestaat“ umgebaut werden könnte.
Doch was spielt das schon für eine Rolle, solange man Donald Trump noch einen reinwürgen kann. Von Elmar Theveßen, dem Kanonier des ZDF in Washington, erfuhren wir im samstäglichen Heute journal, dass der amerikanische Präsident die Corona-Krise nutze, um sich „mit allem Pomp als Kriegspräsident“ zu inszenieren.
Der Mann weiß, was er sich und seinem Sender schuldig ist. Im deutschen Trash-TV hat er die Carte blanche. Ist der Ruf erst ruiniert, lügt sich’s völlig ungeniert.