Ein Bild von Andy Warhol wurde für den Rekordpreis von 195 Millionen Euro versteigert. Thomas Rietzschel findet: Dies verbürgt den teuren Nervenkitzel in einer Welt, die nichts mehr mit sich anzufangen weiß, nichts, das wirklich neu wäre.
Was wusste die Welt von Vincent van Gogh, solange er lebte? Über den kleinen Kreis der Familie und einiger Künstler hinaus kannte ihn niemand. Kaum jemand wusste von den Depressionen, die ihn in den Wahnsinn trieben, auch in den eines rastlosen Schaffens. Was heute als Sensation Neugier erwecken und die Voyeure anziehen würde, spielte damals keine Rolle. Das tragische Schicksal veranlasste die Öffentlichkeit kaum, sich für seine Bilder zu interessieren; sie blieben unverkäuflich.
Erst später, lange nach seinem Tod, erkannten Kunsthistoriker, Sammler und Galeristen die künstlerische Großartigkeit der hinterlassenen Gemälde. Die Bilder wirkten zuerst für sich und lenkten danach die Aufmerksamkeit auf das Leben ihres verstorbenen Schöpfers. Sie bedurften keiner biographischen Promotion, um schließlich für Millionen auf dem Kunstmarkt gehandelt zu werden, was freilich noch immer weniger eintrug als das unterdessen selbstverständliche Geschäft mit der Sensation.
Schon Tage vor der Versteigerung eines Bildes von Andy Warhol (1928 - 1987) in New York war von einem „Rekord“ die Rede. Rund um die Welt ging die Nachricht, dass es wahrscheinlich für 200 Millionen Dollar den Besitzer wechseln werde und „damit zum teuersten je versteigerten Kunstwerk aus dem 20. Jahrhundert“ würde. Am Ende wurden es 195 Millionen. Der künstlerische Wert des Werkes, einer farblich verfremdeten Polaroid-Aufnahme von Marilyn Monroe, spielte dabei allenfalls eine Nebenrolle. Vielmehr ging es um die geradezu mythische Aura, die den Schöpfer des Bildes umgab, darum, dass es eben eines von Andy Warhol ist. Noch posthum wurde mit seiner Selbstinszenierung Kasse gemacht.
Abgott der High Society
Die Bieter standen im Bann eines Spötters, der es verstanden hatte, die Kunstszene der Siebziger und Achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts als Enfant terrible aufzumischen, indem er seinerzeit vermutlich mehr Zeit in der New Yorker Kult-Disco „Studio 54“ als in seinen Ateliers verbrachte. Als Party-Prominenz hatte ihm die High Society zu Füßen gelegen, von den Beatles und Salvador Dali oder Joseph Beuys bis hin zum philippinischen Diktator Marcos und Jimmy Carter, der ihn im Weißen Haus empfing. Der Nimbus seiner Person überstrahlte alles.
Wer und was immer ihm vor die Kamera kam, wurde geknipst, um den Abzug nachher farbig zu einem „Kunstwerk“ zu verfremden. Mit Gebrauchsgegenständen des Alltags verfuhr der bekennende „Spinner“ ebenso wie mit Kunstwerken der Vorzeit, mit einer Getränkedose nicht anders als mit der Mona Lisa oder dem Letzten Abendmahl von Leonardo da Vinci.
Der Beifall, den er dafür von den Bewunderern seiner Inszenierung bekam, war in der Regel einhellig, ohne dass er etwas über die kreative Leistung sagte. Man war einfach begierig, sich mit Bewunderung in die Nähe des erfolgreichen Selbstdarstellers zu drängeln. Man wollte zum Hofstaat eines gelernten Werbegraphikers gehören, mit dem sich die bunten Blätter und Lifestyle-Magazine schmückten.
Ein Phänomen der Dekadenz
Nun kann man keinen Künstler für das Publikum verantwortlich machen, das ihn feiert. Ebenso wenig ist dem Kunstmarkt vorzuhalten, dass er daraus ein Geschäft macht, das sich selbst befeuert, eben bis zu dem Rekordpreis von 195 Millionen Dollar. Darum geht es nicht. Ergibt sich doch der Erfolg lediglich aus den Gepflogenheiten der Gesellschaft, besser gesagt einer Epoche, der die Show über alles geht. Nicht mehr das Einmalige zählt, sondern (so Warhol selbst einmal) dessen nachträgliche Entstellung. Sie verbürgt den teuren Nervenkitzel in einer Welt, die sich nur noch in der Nachahmung und Zerstörung des Errungenen übertreffen kann, weil sie nichts mehr mit sich anzufangen weiß, nichts, das wirklich neu wäre.
So gesehen war Andy Warhol erstens ein Nachfahre der vor allem sprachlich demonstrierenden Dadaisten und zweitens ein Vorläufer von Künstlern wie Banksy, der den Wert eines schlichtes Bildes steigerte, indem er es noch während der Versteigerung zerstörte. In einem handwerklich anspruchsvolleren Sinne wäre dem sogar Gerhard Richter mit seinen nachgemalten Fotos zuzurechnen.
Dekadenz heißt der Begriff, auf den sich das alles reimt. Insofern mag es auch kein Verlust sein, dass diese Werke meist nicht in den großen Museen landen, etwa neben den Bildern von van Gogh, sondern in den versteckten Sammlungen von Oligarchen, für die sich der künstlerische Wert ihrer erworbenen Objekte aus Preisen ergibt, je teurer, umso wertvoller. So schaffen sie sich ihren ganz eigenen Kanon bedeutender Kunst, die als ein Phänomen der Dekadenz in die Annalen eingehen wird.
Das sollte genug sein.