Rainer Bonhorst / 01.12.2023 / 06:15 / Foto: Pixabay / 75 / Seite ausdrucken

Kommt jetzt die Genderwende?

Während Heizungswende, Energiewende und Ernährungswende auf Widerstand stoßen, bahnt sich eine echte Wende an: Die unselige Genderei scheint ihren Höhepunkt überschritten zu haben, immer mehr Länder und Institutionen verzichten auf die lese- und sprachhemmenden Doppelpunkte, Sternchen und Innen.

Die Zeitenwende der Bundesregierung ist ja ziemlich in die Hose gegangen. Man könnte von einem Wendekrepierer reden. Aber eine Wendepleite muss nicht das Ende aller Wenden sein. Im Gegenteil, es gibt sogar erste zaghafte Anzeichen einer begrüßenswerten Wende anderer Art. Noch sind die Signale widersprüchlich. Doch man kann neuerdings, ohne ausgelacht zu werden, die Frage stellen: Stehen wir möglicherweise vor einer Genderwende?

Anlass für diese optimistische Einschätzung ist die Gender-Kehrtwende beim Berliner Tagesspiegel, über die die Achse bereits bestens berichtet hat. Selbst im woken Berlin scheint es genügend Leute zu geben, die nicht nur viele klassische Bücher, sondern auch alle Tassen in ihren Schränken haben. Also lauter Leute, denen die Gendersternchen-Inflation so sehr auf den Geist ging, dass sie die Zeitung abbestellt haben. 

Aber der Sternchen-Verzicht beim bürgerlicheren Berliner Blatt ist nicht das einzige Signal, dass das Gendern seinen Zenit hinter sich haben könnte. Bei unseren französischen Nachbarn ist das schon lange der Fall. Emmanuel Macron hat hochoffiziell erklärt, die französische Sprache sei vor der sogenannten inklusiven Schreibweise zu schützen. An staatlichen Einrichtungen ist der Schutz der schönen französischen Sprache bereits etabliert. Die gendertypischen Sternchen und andere Stolperzeichen sind aus Schulen, Universitäten und Behörden verbannt. 

Nun gut, die Franzosen lieben und pflegen ja traditionell ihre Sprache. Was nicht zu den herausragendsten deutschen Tugenden gehört.

Bei uns ist Gendern Ländersache

Bei uns ist es noch gar nicht so lange her, dass ein Student an der Universität Kassel eine schlechtere Note bekommen hat, weil er sich weigerte, in seiner Examensarbeit zu gendern. Diese Entscheidung hat dort aber wohl keine Zukunft mehr. Die neue schwarzrote Regierungskoalition in Hessen hat angekündigt, an staatlichen Einrichtungen, also auch an Universitäten, auf das Gendern mit Sonderzeichen zu verzichten. Mal sehen, ob der Gender-Rebell von Kassel seine Punkte zurückbekommt.

Was tut sich sonst noch? Hier ein kleiner Überblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne Gewähr, zumal das Gendern in Deutschland Ländersache ist.

So hat auch das bayerische Kultusministerium klargemacht, dass Genderverweigerer bei den Noten nicht benachteiligt werden dürfen. Von einem Genderverbot wie in Frankreich ist in Bayern bisher nicht die Rede. Es gibt halt keinen Genderzwang. Immerhin. Markus Söder ist nun mal kein Emmanuel Macron. 

Der Bayrische Rundfunk hat allerdings in freiwilliger Selbstkontrolle einen Gender-Sternchen-Verzicht erklärt. Damit ist er eine Art Vorreiter in der ARD, wo vielerorts nicht nur schriftlich, sondern auch im mündlichen Vortrag gegendert, also mitten im Wort gestottert wird. 

In Sachsen ist man kühner: Dort herrscht an öffentlichen Einrichtungen inzwischen ein offizielles Gender-Sternchen-Verbot. Wer trotzdem gendert, bekommt eine schlechtere Note. Also umgekehrt wie im alten Hessen. 

In Schleswig-Holstein hat man sich für eine altersabhängige Persönlichkeitsspaltung entschieden: kein Gendern an den Schulen, aber Genderzwang an der Uni. Wohl auch mit Punktabzug.  

In Hamburg hat, wie den Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache zu entnehmen ist, eine Volksinitiative „Schluss mit dem Gendern“ einen Macron-Vorstoß gewagt. Sie ist beim rotgrünen Senat auf wenig Gegenliebe gestoßen. Die sonst eher verbotsfreudigen Senatorinnen und Senatoren sprachen sich gegen ein Verbot der Genderzeichen aus. 

Warum keine Mörderinnen und Mörder?

Wie gesagt: widersprüchliche Signale. Die bisher zaghafte Genderwende hat noch einen weiten Weg vor sich. Zumal das Gendern ja nicht nur aus Sternchen und kurioser Großschreibung mitten im Wort besteht. Auch nicht nur aus Schluckauf-Pausen beim medialen Gendertalk.  

Zur einschlägigen Sprachmoral gehört auch das geschlechtsneutrale Ausweichmanöver: Was vor Jahren mit den Studierenden begann, ist inzwischen bei den Zuhörenden und den Autofahrenden angelangt. Und, um im Journalismus zu bleiben, bei den Redigierenden.

Als Alternativgendern wird die sich ständig wiederholende Erwähnung beider Geschlechter ebenfalls gern gebraucht. Diese Dauernennung von Seglern und Seglerinnen, Plauderern und Plauderinnen oder Wanderern und Wanderinnen greift im Sinne religiöser Inklusion auf das asiatische Konzept der Gebetsmühle zurück, kann aber ein wenig einschläfernd wirken. 

Diese Form des verdeckten Genderns hat versicherungsmathematisch eine hohe Überlebenserwartung. Sie ist aber nicht durchgängig. Es herrscht sogar eine merkwürdige Schieflage. So liest man nur selten von Gaunern und Gaunerinnen, Schmarotzern und Schmarotzerinnen oder Mördern und Mörderinnen. Offenbar wird bei diesem eher negativ belegten Begriffs-Genre nicht ganz so viel Wert auf Gleichbehandlung gelegt.

Aber das hat ja auch sein Gutes. Wer möchte schon aus seinem Herzen eine Mörder- und Mörderinnengrube machen. Oder gar eine Mordendengrube.    

 

Rainer Bonhorst arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen-Zeitung.    

Foto: Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Reiner Gerlach / 01.12.2023

@ Gregor Waldersee Das ungefragte DU geht mir schon gewaltig auf den Keks. Aber dieses zusammengestoppelte “mal du, mal sie” ist wesentlich schlimmer. Das zeugt doch von mangelhafter natürlicher Intelligenz. Wie soll es dann die KI richtig lernen?

D. Katz / 01.12.2023

Ich hatte vorletzte Woche eine Mail-Korrespondenz mit meiner früheren Schule begonnen. In der Antwort wurde bereits im ersten Satz gegendert. Damit war mein Interesse am Inhalt der Antwort erledigt, und ich las nicht weiter.  Ich habe auch den Förderverein eines Museums verlassen, weil auf deren Website gegendert wird.  Gendergaga, nein danke. So halte ich es generell, übrigens auch bei Beiträgen von indubio.

Reiner Gerlach / 01.12.2023

@ Klaus Schlademann Deshalb heißen die ehemaligen Geflüchteten seit kurzem “Ankommende”. Zumindest bei ARD und ZDF.

A. Nölle / 01.12.2023

Leidtragende solcher gewaltsamen Sensibilisierungsversuche, die von oben verordnet werden, sind am Ende immer diejenigen, um deren Wohl sich zu sorgen man vorgab, weil diejenigen, die sich verständlicherweise gegen die Bevormundung wehren, dann ihrerseits weit über das Ziel hinausschießen.

Martin Müller / 01.12.2023

Auch der Unsinn, das Partizip Präsenz zum generellen Substantiv zu erheben, trägt ja besondere Früchte beim ÖRR. Statt Studenten heisst es nun Studierende. Es saufende Studenten, schlafene Studenten, studierende Studenten…Aber studierende Studierende zeigt schon als Beispiel die ganze Verhunzung der deutschen Sprache durch diese ideologisch durchgeknallte Gender-Clique auf.

finn waidjuk / 01.12.2023

Das Gendern dient genauso wenig der Gleichberechtigung wie Maske dem Infektionsschutz. Es ist ein phonetischer Geßlerhut und zeigt, analog zum Maskentragen, dass die betreffende Person jederzeit dazu bereit ist, sich auch unsinnigsten Anordnungen zu unterwerfen. Da es bisher (noch) keinen offiziellen Zwang zum Gendern gibt, ist sie außerdem ein Gradmesser für vorauseilenden Gehorsam. Während die Maske ein zuverlässiger Hinweis auf die geistige Unterlegenheit des Trägers war und ist, weist das Gendern darüberhinaus auch noch auf das Fehlen eines Rückgrates beim Sprecher hin. Ich hoffe daher, dass dem Gendern (wie auch dem Maskentragen) noch eine glückliche Zukunft beschieden sein wird; es ist mir im Alltag eine unverzichtbare Hilfe dabei geworden zu erkennen, von wem oder was ich mich unbedingt fernhalten muss.

Tomas Wolter / 01.12.2023

@ Judith Panther. ,,Genügt es nicht, daß die Deutschen seit der unseligen Rechtschreibreform vor 20 Jahren mit ihren Dreibuchstaben-Ungetümen wie Pappplakat, Teeei und Bordelllaterne inzwischen schon so schreiben wie sie reden, wenn sie besoffen sind?“ Auch wenn Sie das Märchen von den ,,Dreibuchstaben-Ungetümen“ zum x-ten Male, auch in nüchternem Zustand, wiederholen, bleibt es doch ein Märchen. Das geht auch an alle anderen, die sich hier daran versuchen. Nach alter Rechtschreibung hätten Sie ,,Pappplakat”, ,,Tee-Ei” und ,,Bordellaterne“ schreiben sollen. Das ist doch sehr einleuchtend, besonders für Lernende, oder? Um das Versäumnis aus Ihrer Schulzeit nachzuholen, hier die Regeln, wie sie waren: ,,Treffen in einer Zusammensetzung drei gleiche Konsonanten zusammen, so schreibt man bei folgendem Vokal nur zwei: Schiffahrt, Brennessel, Ballettänzerin. Bei Worttrennung werden alle drei geschrieben. ... Folgt auf drei gleiche Konsonanten noch ein vierter, anderer Konsonant, so müssen alle drei gleichen Konsonanten stets geschrieben werden: Auspuffflamme, Pappplakat, fetttriefend.“ Auch bei Vokalen gab es schon den Dreier, ja sogar den flotten Vierer: ,,Schneeerhellt“, ,,seeerfahren“, ,,Donauauen“. Aus: Duden 1983. Die Besoffenen sind gar nicht die Betroffenen. Also abrüsten! Meinen Enkeln ist jedenfalls ein Regeldschungel erspart worden. Wenn Sie weiterhin gegen die Rechtschreibreform polemisieren wollen, dann suchen Sie sich ein anderes Feld. Gibt es. Übrigens: Die ach so gewachsene alte Rechtschreibung von 1901 war auch ein staatlich gesetztes Kunstprodukt. Also abrüsten!

Christa Born / 01.12.2023

Was machen wir dann wieder mit den vielen Millionen Gender-Sternchen, die schon bestellt und jetzt wie die Corona-Masken irgendwo gelagert sind? Haben die ein Ablaufdatum? Sind sie abbaubar? Das Entsorgungsproblem ist völlig ungelöst. Nach Afrika verschenken? Dann landen sie wieder in den Flüssen und verschmutzen die Weltmeere. Was ist mit den Sternchen-Tasten auf den Tastaturen? Die werden sich an die Diskriminierungsbeauftragten wenden und sich beschweren. Frau Bärbock wird eine 360Grad Wende machen, dann stehen wir wieder da, wo wir vorher schon standen. Es braucht eine neue Behörde mit 5000 Gendersternchenabschaffungsbeamt*²Innen. Das wird teuer alles. Auf jeden Fall braucht es ein neues Ministerium das sich kümmert! Herr Lauterbach sollte Gendersternchenabschaffungsminister werden, dann klappt das bestimmt.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Rainer Bonhorst / 25.04.2024 / 14:00 / 6

Scholz und Sunak – ein spätes Traumpaar

Sie passen gerade gut zueinander: Ihre Länder stecken im Krisen-Modus und sie sind letztlich nur noch Regierungschefs auf Abruf. Er kam spät nach Berlin, aber…/ mehr

Rainer Bonhorst / 17.04.2024 / 10:00 / 31

​​​​​​​Die Bayer(n)-Revolution

Rekordmeister Bayern muss den Meistertitel an Bayer abgeben. Ein Menetekel für die Politik? Wie wird es weitergehen? San mir net mehr mir? Ist rheinisch das…/ mehr

Rainer Bonhorst / 12.03.2024 / 17:00 / 9

Die Kate-Krise oder viel Lärm um nichts?

Ein Familienfoto der Royals ist schon kurz nach Erscheinen als ungelenke Bildmanipulation entlarvt worden. Medialer Wirbel dank Photoshop! Ist Englands königliche Familie eine Fälscherbande? Wenn ja, dann keine…/ mehr

Rainer Bonhorst / 08.03.2024 / 12:00 / 19

Bye bye Nikki, hello Oldies

In den USA duellieren sich Biden und Trump um den Einzug ins Weiße Haus. In diesem Alter würde man in Deutschland weniger auf Karriere als…/ mehr

Rainer Bonhorst / 22.02.2024 / 14:00 / 26

Kamala gegen Nikki – ein Traum

Statt der beiden betagten Kontrahenten Joe Biden und Donald Trump wünsche ich mir eine ganz andere Konstellation im Kampf um das Amt des US-Präsidenten. Man…/ mehr

Rainer Bonhorst / 13.02.2024 / 12:00 / 39

Gendern im Fußball? Fans zeigen rote Karte!

Wie woke soll der Fußball sein? Oder genauer: Wie viele Geschlechter soll der Fußball kennen? Es wird Zeit, mal wieder auf den Fußballplatz zu gehen.…/ mehr

Rainer Bonhorst / 12.02.2024 / 12:00 / 35

Giorgia Meloni als Mamma Europa?

Georgia Meloni beginnt in Europa eine wichtige Rolle zu spielen. Die Politik hält sich mal wieder nicht an die ideologischen Vorgaben deutscher Medien.    Ja, darf…/ mehr

Rainer Bonhorst / 04.02.2024 / 14:00 / 33

Gedanken beim Demo-Gucken

Im Grunde haben wir ja Glück, dass in Deutschland die Verhältnisse so klar sind. Wir haben keine dunkelhäutigen Politiker in Berlin, die die Frechheit besitzen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com