Rainer Bonhorst / 04.02.2024 / 14:00 / Foto: Imago / 33 / Seite ausdrucken

Gedanken beim Demo-Gucken

Im Grunde haben wir ja Glück, dass in Deutschland die Verhältnisse so klar sind. Wir haben keine dunkelhäutigen Politiker in Berlin, die die Frechheit besitzen könnten, rechte Politik zu machen. Gibts denn sowas? Oh ja.

Statistisch betrachtet, also ohne die Kinder, die noch nicht laufen können, war ganz Augsburg demonstrieren. Ich war auch dabei, allerdings als Zuschauer, nachdem ich vor einem Café noch einen freien Sitzplatz ergattert hatte. Ein Bier habe ich mir nicht bestellt, weil ich ein Schild sah: „Kein Bier für Nazis.“ Und ich wollte keinen Eid auf das Grundgesetz schwören müssen, bevor der Wirt mir meine Maß geben würde. Ich entschied mich für eine heiße Schokolade mit Rum. Passte politisch ganz gut gegen rechts: dunkles Getränk mit karibischer Beimischung, bunter geht es kaum. Nur dass dieses Getränk im Volksmund Lumumba heißt, ist politisch ein bisschen grenzwertig.

Während ich also meinen Lumumba schlürfte, hielt ich Ausschau nach dem Taxifahrer mit türkischen Wurzeln, der mir neulich erklärte: „Wir wählen die AfD.“ Mit „wir“ meinte er nicht nur sich allein sondern eine Gruppe seiner Migrantenfreunde, die es denen in Berlin wohl mal zeigen wollen. Aber dass ausgerechnet Augsburger mit türkischem Migrationshintergrund die Partei wählen wollen, gegen die hier gerade demonstriert wurde, gab mir mal wieder ein bisschen zu denken. Nämlich darüber, wie verwirrend die Suche mit der politischen Korrektheit sein kann.

Ich habe den AfD-Türken natürlich nicht unter den Demonstranten gesehen. Aber sonst schien ganz Augsburg da zu sein. Sicher auch einige von den über 40 Prozent der Augsburger mit Migrationshintergrund. Aber sie waren eine eher bescheidene Minderheit. Dass so viele Menschen den Rathausplatz und die Maximilianstraße füllten, lag auch daran, dass viele aus der näheren und weiteren Umgebung angereist waren. Dass also eben doch nicht „ganz Augsburg“ auf Demo war. Auch dass die CSU, die in der Stadt die Oberbürgermeisterin stellt, mit zum Marsch gegen rechts aufgerufen hatte, trug zum massenhaften Erfolg bei. Man wollte sich ja nichts nachsagen lassen. Und außerdem regiert man im Verbund mit den Grünen. Die SPD war sowieso dabei. Die regiert zwar nicht, hat sich aber in wunderbarer Freundschaft mit den örtlichen Linken verbündet.

Der Taxifahrer mit den türkischen Wurzeln, den ich nicht entdeckt habe, ist vielleicht dabei, die Seiten zu wechseln. Vielleicht entscheidet er sich demnächst für die Erdogan-Partei. Auf Kosten der AfD, die zurzeit in den Umfragen mächtig verliert. Die Demonstrationen zeigen Wirkung. Aber das reicht nicht zur Rettung der Parteien, die sich am meisten vor den Rechten fürchten. Die AfD liegt immer noch deutlich vor den Grünen und noch deutlicher vor der SPD. Es muss also noch viel demonstriert werden. Oder Rotgrün entschließt sich zu einer Politik, die die Menschen nicht massenhaft vor den Kopf stößt. Das Wählen ist ja auch eine Demonstration, nur nachhaltiger.

Meine Gedanken wanderten über den englischen Kanal

Schauen wir also mal. Nach meinem zweiten Lumumba verschärfte sich meine Verwirrung über den Taxifahrer mit türkischen Wurzeln noch, der entweder AfD oder dann doch lieber die Erdogan-Partei wählen wird. Mir war immer mehr, als sei nichts ganz das, was es schien.

Schlimmer noch: Meine Gedanken wanderten über den englischen Kanal bis hin zum rechten Flügel der konservativen Partei. Und wie sieht dieser rechte Flügel der konservativen Partei denn aus? Geradezu kunterbunt (Siehe Foto oben Rishi Sunak, Suella Braverman, James Cleverly). Darf das denn wahr sein? So rechts und so bunt? Wo bleibt denn da die politische Ordnung. Schauen wir, auch wenn's weh tut, mal genauer hin:

Allen voran ist da Rishi Sunak, der rechtskonservative Premierminister. Er hat indische Wurzeln. Sein zentrales Motto: Stoppt die illegalen Migranten. Und Suella Braverman, die als Innenministerin zurückgetreten ist, weil ihr Chef ihr nicht stramm genug rechts ist. Sie hat indische Eltern, die aus Mauritius eingewandert sind.  Der Streit zwischen den beiden geht um den Export von Flüchtlingen nach Ruanda. Ausgedacht hat sich die Ruanda-Politik das ehemalige Regierungsmitglied Priti Patel, deren Eltern indische Wurzeln haben und aus Uganda nach England eingewandert sind. Die ebenfalls zum rechten Lager zählende Ministerin Kemi Badenoch ist eine der schärfsten Konkurrentinnen von Rishi Sunak. Sie hat einen afrikanischen Migrationshintergrund. Ihre Eltern sind aus Nigeria eingewandert.

Und dann ist da noch James Cleverly, auch er ein Fan der Ruanda-Politik, neuerdings Innenminister, davor Englands erster Außenminister mit afrikanischen Wurzeln. Seine Mutter stammt aus Sierra Leone. Und wir wollen Kwasi Kwarteng nicht vergessen, den ehemaligen Finanzminister, der unter der rechtsliberalen Premierministerin Liz Truss einen Neo-Thatcher-Kurs verfolgte. Seine Eltern sind aus Ghana eingewandert.

Ein Marsch gegen rechts gegen diese bunte Britentruppe?

Wie bin ich gedanklich überhaupt nach England gewandert, während ich mir von meinem Café-Platz aus die Demo angeschaut habe? Ach ja. All diese dunkelhäutigen Politiker mit Migrationshintergrund gehören dem rechten Flügel der konservativen Partei Englands an. Ein Marsch gegen rechts müsste sich auch gegen diese bunte Britentruppe wenden, wenn Augsburg im Königreich läge. 

Das sähe dann etwas merkwürdig aus. Lauter Bleichgesichter, die gegen rechte Politiker mit dunkler Haut demonstrieren würden. Da soll man nicht durcheinander geraten. Bunt ist rechts und weiß ist links. Das ist ja wie bei Shakespeares Hexen-Einmaleins: Fair is foul and foul is fair. Soll ich mir noch einen Lumumba gönnen? Oder gar bei vollem Risiko ein Bier? Nein, das würde die Rechts-bunt-links-weiß-Verwirrung nur noch verstärken. 

Im Grunde haben wir ja Glück, dass in Deutschland die Verhältnisse so klar sind. Wir haben keine dunkelhäutigen Politiker in Berlin, die die Frechheit besitzen könnten, rechte Politik zu machen. Da bleibt uns manches verwirrende Nachdenken erspart. Der Taxifahrer mit türkischen Wurzeln, der die AfD oder die Erdogan-Partei wählt, ist leichter zu verkraften als eine ganze Truppe Migranten in Amt und Würden, die eine rechte Politik machen.

Das wär's. Ich zahle und arbeite mich durch die Masse der bleichgesichtigen Demonstranten, die für eine bunte Stadt auf den Beinen sind. Lauter sympathische Gesichter. Da wird einem ganz warm ums Herz. Ach, wenn die Welt so klar wäre, wie das Leuchten in den Augen der netten Demonstranten.

 

Rainer Bonhorst, arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen-Zeitung.

Foto: Imago

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Rainald Dassel / 04.02.2024

Es geht doch den Ricarda Lang, Kevin Kühnert um such Wichtig machen, Geld machen (vor allem ohne abgeschlossener Berufsausbildung)(, über andeŕnicht um Völkerverständigung. Aber bei Migration geht es nicht um Rassen sondern wer passt und wer nicht. Das Grundgesetz spricht nicht davon wieviele Hamas Anhänger in Deutschland leben dürfen.  Es braucht eine demokratische Entscheidung wer kommen kann und wer nicht, hat leider nicht stattgefunden. Und nun beschwert man sich. Schade wie Deutschland sich weiter radikalisiert,  die Grünen haben dazu viel beigetragen.

F. Michael / 04.02.2024

Sorry in diesem Cafe hätte ich höchstens die Toilette benutzt, aber nicht einen Cent gelassen, es gibt in Augsburg doch mehrere Cafe´s.

Enthor Grundbacken / 04.02.2024

Ach ja, toller Artikel! Wenn man in seinem Leben mal mehr von der Welt gesehen hat, als die Vororte von Wanne-Eickel oder Hinter-Tupfing, dann wird Manches schon sehr viel klarer. Dann sind die ‚Guten‘ auf einmal die ‚Schlechten‘ und umgekehrt. Und Wanne-Eickel liegt dann vielleicht auf einmal in Bayern und nicht mehr in den Niederlanden. Ups! Und was geschieht, wenn die doch eher dunkelhäutigen Bayern auf einmal keine Lust mehr haben, einfach nur hellhäutige Niederländer zu sein? Uuuuuhhhh!

Ralf Pöhling / 04.02.2024

In Deutschland tappt man immer wieder in die selbe Falle: Da wird sortiert nach Hautfarbe. Passiert weniger rechts, als vielmehr ganz besonders auf der linken Seite. Warum erwähne ich das? Weil es in der AfD zuhauf Menschen mit Migrationshintergrund gibt, die auf die Massenzuwanderung kritisch reagieren und sich bei uns deshalb aktiv dagegen engagieren. Die fallen nur nicht sofort auf, weil man denen das nicht immer sofort ansieht, dass sie Migrationshintergrund haben.

Zdenek Wagner / 04.02.2024

Gesunder Menschenverstand und Hautfarbe haben nun mal nicht zwangsläufig etwas gemein. Die rot-grünen Traumtänzer würden sich wundern, wie viele radikale Migrationsgegner bei den ehemaligen Migranten anzutreffen sind! Nur dazu müsste man der Wahrheit ins Gesicht blicken und das tut weh ...

Peter Meyer / 04.02.2024

Auch dass die CSU, die in der Stadt die Oberbürgermeisterin stellt, mit zum Marsch gegen rechts aufgerufen hatte… Und wer jetzt noch glaubt, dass man die CDU/CSU wählen kann, ist mit dem Klammerbeutel gepudert. Die CSU demonstriert gegen sich selbst. Unfassbar.

B. Zorell / 04.02.2024

Södolf scheint einen IQ unter seiner Schuhgröße zu haben. Oder er ist widerborstig, weil die Konservativen seine Scheinheiligkeit aufgedeckt haben. Er sagt sich, wer nicht für mich ist gegen den bin ich. Und erkennt nicht, daß seine Type nicht mehr gefragt ist. Er ist nur noch CSU-Vorsitzender, weil keiner mehr so dumm wie Markus ist. Die Dummheit von Södolf lässt sich am Fall Mehring feststellen. Er lässt Isar II abschalten und will das Chemiedreieck um Altötting zum Laufen bringen. Also von Management scheint er keine Ahnung zuhaben.

Karl Emagne / 04.02.2024

Ohne islamophobe Plattitüden und Höckische Deutschtümelei könnte die AfD viel mehr Migranten an sich binden. Das macht aber nichts - wir bekommen dafür neu die FW, WU und BSW. Die machen es dann auch nicht besser, aber wenigstens wird man als Wähler von jemand anderem veräppelt.

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